Читать книгу Alte Männer - böser Traum - Linda Große - Страница 19

Kapitel 16

Оглавление

„Ein Mann muss seine Pflicht erfüllen!“, setzte Heinrich seine Ansprache fort. Plastrothmanns aufkeimender Ärger zeigte sich in einer ungeduldigen Handbewegung, mit der er über seinen frisch geschorenen Schädel fuhr. Heinrich entging das nicht. Er unterbrach seine Standpauke, mit der er Plastrothmann nun schon den ganzen Abend zusetzte, ohne ihm eine Gelegenheit einzuräumen, seinen Standpunkt zu äußern. Missbilligend fixierte er den kahlrasierten Kopf und erklärte unverblümt:

„Und mit diesem kindischen Trotz muss auch endlich Schluss sein. Du bist jetzt vierzig Jahre alt! Also leg dir endlich einen Haarschnitt zu, wie es sich für einen verantwortungsbewussten Mann geziemt. Du hattest wahrhaftig genug Zeit, dir die Hörner abzustoßen“, nahm er sein Thema wieder auf. „Die Vorsehung hat dich auserkoren und du solltest dich endlich deiner Verantwortung stellen. Die Partei braucht dringend einen Mann mit Führungsqualitäten. Wir sind der Erfüllung unserer Vision so nahe wie nie. Die Geschichte hat den Beweis erbracht! Wir haben zwei Weltkriege verloren, aber wir sind nicht die Verlierer. Es war ein Pyrrhussieg für unsere Gegner! Der Kommunismus existiert nicht mehr und der Kapitalismus folgt ihm unaufhaltsam in den Abgrund. Wir schienen damals besiegt, doch unsere Feinde besiegen sich selber während wir stärker sind denn je zuvor! Stärker! Entschlossener! Mit dem Willen, endgültig zu siegen! Wir brauchen ein starkes geeintes Europa. Gegen die amerikanischen Juden, gegen das jüdische Weltkapital. Die Geschichte braucht Männer mit Mut und Entschlossenheit. Nimm endlich deinen vorgesehenen Platz ein! Du bist ein Teil von uns!“

„Das Taxi wartet“, unterbrach Henriette Heinrichs Ausführungen mit unbewegtem Gesichtsausdruck. Sie blieb stocksteif in der offenen Tür stehen.

„Ja, ja, er kommt gleich“, sagte Heinrich mit einer verärgerten Handbewegung in ihre Richtung. Plastrothmann erhob sich aus seinem Sessel, gab seinem alten Mentor wortlos die Hand und wollte den Raum verlassen. Mit scharfer Stimme hielt Heinrich ihn zurück, befahl Henriette den Raum zu verlassen und die Tür zu schließen.

„Konrad ist einverstanden. Er wird am Sonntag um 17 Uhr mit Gertrud zum Tee kommen. Ich bestehe nicht nur auf deinem Erscheinen sondern setze deine uneingeschränkte Kooperation voraus! Krieger hat dich sonst in der Hand. Wir müssen handeln!“

Plastrothmann versteckte seine Wut hinter einer knappen Verbeugung, die Heinrich als Zustimmung wertete. Es war einer der Taxifahrer, der ihn und sein Ziel kannte. So ließ er sich wortlos auf den Rücksitz sinken und versuchte den angestauten Unmut durch äußerliche Ruhe in den Griff zu bekommen. Er konnte sich nicht erinnern, schon jemals solchem Gefühlsansturm ausgesetzt gewesen zu sein. Tatsächlich fühlte er sich wie die buchstäbliche Maus in der Falle, wie das von der Schlange hypnotisierte Kaninchen. Seine schöne heile Welt, sein ruhiges Leben schien sich in Nichts aufzulösen. Heinrich forderte den Preis für seine Zuneigung, sein Protektorat.

Plastrothmann war stocksauer, egal wer ihm durch die Geschichte mit Ronald ein Bein stellen wollte, Heinrich nutzte K.’s Ambitionen schamlos aus, um ihn unter Druck zu setzen. Endlich in die Partei eintreten, Gertrud heiraten und die Träume des alten Mannes, in ihm fortzuleben, weiter zu wirken über den Tod hinaus, erfüllen. Heinrich, die graue Eminenz, der Fadenzieher, der Macher, wollte durch ihn die geistige Unsterblichkeit erlangen.

„Halten Sie an“, forderte er den Taxifahrer auf, „ich gehe den Rest zu Fuß!“

Die kühle Nachtluft wirkte für einen Moment erfrischend. Gertrud, dachte er mit einem Anflug von Zynismus. Eine gute Wahl. Nein, die richtige Wahl. Sechsunddreißig Jahre alt. Der Vater, in zweiter Ehe verheiratet. General der NVA. Er und Heinrich kennen sich von der Wehrmacht. Heinrich stammt aus dem Westen, hat nach dem Krieg Geschäfte in der amerikanischen Zone gemacht. Gertruds Vater stammt aus einer alten Offiziersfamilie in Brandenburg, setzte seine Karriere in der NVA nahtlos fort. Der Fall der Mauer hat die beiden alten Kameraden wieder zusammengebracht, zusammengeschweißt. Zwei alte Männer, die nicht aufhören, vom Endsieg zu träumen. Und ich bin ihr auserwähltes Werkzeug. Heinrich sitzt wie eine Spinne im Netz. Dirigiert alles. Und ich soll sein Nachfolger werden. Dabei ist K. der geeignetere Mann! Meinen Segen hat er! Und Gertrud würde auch viel besser zu ihm passen. Diese kühle, drahtige Blondine. Herrisch und dumm. Nur fällt ihre Dummheit kaum ins Gewicht. Sie hat ein geradezu phänomenales Gedächtnis. Es bereitet ihr daher keinerlei Mühe, nachtragend zu sein. Mir als Ehefrau offeriert zu werden, verschafft ihr sicher eine enorme Genugtuung!

Fast wäre er an der Eingangstür zum ‘Chez Barbra‘ vorbeigelaufen. Er schüttelte den Kopf, als könne er dadurch die lästigen Gedanken vertreiben. Seit Jahren war er Stammgast in diesem Lokal. Freitags und samstags war er immer anwesend, wartete für gewöhnlich ein reservierter Tisch auf ihn. Er genoss diese Abende, soff jedes Mal mindestens eine halbe Flasche Tequila mit viel Mineralwasser zwischendurch. Und hörte auf zu denken. Dachte nicht an Heinrich, nicht an seine richtige Mutter, nicht an seine toten Eltern, nicht an seine Arbeit in der Kanzlei und nicht an die Partei. Entschlossen straffte sich sein Körper. Er stieß die Tür auf, ging grußlos an dem Türsteher vorbei und steuerte auf seinen Tisch zu.

„Isch `ab misch soo nach deinem rrroten Erdbeermund gesäähnt!“, begrüßte Antoine ihn freudestrahlend. Plastrothmann zog missbilligend die Augenbrauen hoch. Es saß noch jemand mit an seinem Tisch. Jemand, der ihm völlig unbekannt war. Ein wirklich sehr gut aussehender dunkelhaariger Mann, um die Dreißig. Aber er schätzte solche Überraschungen nicht und Antoine wusste das.

Wortlos ließ er sich auf einen Stuhl sinken. Der Kellner kam bereits mit der Tequilaflasche herbeigeeilt. Er schenkte ihm das Glas randvoll und entfernte sich sofort wieder im devoten Rückwärtsgang. Plastrothmann kippte das Glas in einem Zug hinunter, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, schaute sein Gegenüber an und fragte:

„Und wer sind Sie?“

Antoine beeilte sich, Plastrothmanns Glas neu zu füllen und erklärte:

„Das ist der Maler von dem ich dir erzählt habe. Nikki. Wir haben uns auf der Love Parade kennen gelernt. Nikki, das ist Sigurd.“

Nikki grinste Plastrothmann völlig unbeeindruckt von seiner miesen Laune an und sagte: „Hallo.“

Künstler? arbeitete es in Plastrothmanns Gehirn. Auch das noch!

Alte Männer - böser Traum

Подняться наверх