Читать книгу Tod in Chelsea - Lionel Davidson - Страница 5

1

Оглавление

In schwarzem Slip und Plüschpantoffeln bügelte Grooters einen Rock. Dabei wippte sie auf dem Fußboden in heller Aufregung hin und her. Grooters hatte eine Verabredung. Sie konnte sich kaum erinnern, wann das zuletzt der Fall gewesen war.

Als die Schranktür aufsprang, drückte sie sie mit dem Ellbogen wieder zu und bügelte weiter. Beim zweiten Mal stieß Grooters einen Fluch auf Holländisch aus und suchte auf dem Fußboden nach dem Stück Pappe, mit dem sie die Tür sonst festklemmte.

Einmal war die Tür nachts knarrend aufgegangen und hatte sie zu Tode erschreckt, als sie gerade einschlief. Damals war es bloß Penny gewesen, die auf der anderen Seite der verschlossenen Verbindungstür in ihrem Schrank herumgekramt hatte; seitdem klemmte Grooters die Schranktür mit dem Stück Pappe fest.

Grooters wohnte im obersten Stock der Comyns Hall of Residence, einem von mehreren Studentenwohnheimen in der Albert Bridge Road. Die Hälfte der Plätze im Comyns war Kunststudenten vorbehalten. Grooters gehörte dazu. Sie studierte Bildhauerei an der Chelsea Art School.

Grooters fand das Stück Pappe und klemmte es fest. Dabei spürte sie eine Bewegung. Das war merkwürdig. Penny war seit einer Woche verreist und sollte auch noch eine weitere Woche wegbleiben.

»Penny?« rief Grooters.

Keine Antwort von der anderen Seite. Aber wie auch? Das Mädchen konnte sie unmöglich hören. Im unteren Stockwerk hatte jemand den Plattenspieler in voller Lautstärke aufgedreht.

Grooters warf einen hastigen Blick durch die Vorhänge, um zu sehen, ob in Pennys Zimmer Licht brannte. Es brannte. Also war alles in bester Ordnung. Penny war früher zurückgekommen.

Grooters bügelte schnell zu Ende. Dann hielt sie sich den Rock und die passende Bluse an und betrachtete sich im Spiegel. Plötzlich war sie nicht mehr so sicher, daß ihre Wahl gut war. Während sie überlegte, kam ihr Spiegelbild auf sie zu und mit ihm zu ihrer Verblüffung der ganze Schrank, um etliche Zentimeter.

Die Türe, die dahinter lag, hatte sich einen Spaltbreit geöffnet.

Grooters dachte zuerst an einen Scherz und dann daran, sich ganz schnell aus dem Staub zu machen. Andererseits hatte sie Hemmungen im Slip nach unten zu rennen.

»Bist du’s, Penny?«

Der Schrank bewegte sich wieder. Grooters Herz setzte einen Schlag lang aus. Dann stemmte sie sich gegen den Schrank, aber er ließ sich nicht ganz zurückschieben. Etwas steckte in dem Spalt, der sich dahinter geöffnet hatte.

»Penny, du bist es doch, oder?« fragte Grooters erneut, brachte vor Angst aber kaum ein Wort heraus.

Sie wußte, es konnte nicht Penny sein.

Jetzt mußte sie so schnell wie möglich raus.

Die Sicherheitskette an der Tür war eingehängt. Man hatte ihnen vor einiger Zeit geraten, die Türen von innen zu sichern.

Grooters hörte ihre Zähne klappern. Den Rücken gegen den Schrank gestemmt, streckte sie die Hand nach dem Tisch aus, auf dem sie gebügelt hatte, zog ihn heran und schob dann den Sessel nach. Dann schlich sie in Pantoffeln und auf Zehenspitzen zur Tür, ohne den Schrank aus den Augen zu lassen und hängte die Sicherheitskette aus. Sie wollte sehen, daß sich der Schrank bewegte, bevor sie die Tür öffnete, wollte sicher sein, daß die Person an jenem Ende des Zimmers und nicht an diesem wartete. Der Schrank bewegte sich. Alles geriet in Bewegung: Schrank, Tisch, Sessel. Mit butterweichen Knien machte Grooters die Tür auf und sah hinaus.

Der Korridor war leer. Alle saßen beim Essen in der Mensa. Aus dem Schallplattenspieler im unteren Stockwerk dröhnte Elton John herauf. Sie schlüpfte aus den Pantoffeln und stieß sie ins Zimmer zurück. Barfuß ging es besser. Auf nackten Füßen schlich sie an Pennys Tür vorbei. Sie sah die Gestalt sofort.

Und die Gestalt sah sie.

Die Tür stand offen. Die Gestalt stand mit ausgebreiteten Armen in der Zimmermitte.

Sie war sehr groß und hatte einen mächtigen Kopf, einen Frauenkopf. Sie trug ein Plastikcape, Gummistiefel und Gummihandschuhe.

Grooters sah das alles mit einem Blick und erstarrte vor Entsetzen. Sie versuchte zu schreien, doch ihre Stimme, die nie besonders kräftig gewesen war, geriet zu einem jämmerlichen Stöhnen. Sie merkte, daß sie von einem Bein auf das andere trat, ohne sich entschließen zu können, entweder zur Treppe oder zurück ins Zimmer zu laufen. Sie glaubte nicht, es bis zur Treppe schaffen zu können, und hastete zurück in der irren Vorstellung, sich in das winzige Badezimmer einzuschließen, bis jemand aus der Mensa zurückkommen würde.

Sie erreichte ihr Zimmer und schlug die Tür zu. Doch dann wurde ihr wie in einer quälenden Zeitlupensequenz, die jeden Bruchteil des Grauens verlängerte, bewußt, daß das Wesen genau damit gerechnet hatte. Blitzschnell war es zum Schrank zurückgekehrt und hatte ihn mit einem Ruck weggeschoben. Polternd und knarrend geriet der Schrank ins Schwanken. Tisch und Sessel gaben nach, und die Schreckensgestalt stand in ihrem Zimmer.

Ihr Anblick gab Grooters das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren und ihre Schließmuskeln versagten.

Dem Karnevalscharakter der Maske – auftoupierte Locken, lächelnder Kußmund – zum Trotz, erinnerten der Umhang, die Stiefel und die Handschuhe eher an einen Schlächter, einen Chirurgen oder einen Leichenbeschauer.

Grooters war eine gesunde junge Frau, und die Arbeit als Bildhauerin hatte ihre Armmuskeln gekräftigt. Sie hatte aber in der Zeitung über diese Erscheinung gelesen, und das Entsetzen lähmte sie. Sie schaffte es trotz gewaltiger Anstrengung nicht bis zum Badezimmer, und auch zur Tür kam sie nicht mehr.

Der Eindringling riß sie herum, stellte sich hinter sie und legte einen Arm um ihre Kehle. Sie hörte den Plastikumhang rascheln und fühlte plötzlich, wie ihr ein Wattebausch über Mund und Nase den Atem nahm.

Sie versuchte den Wattebausch wegzuzerren, doch ein zweiter Arm umschloß sie wie ein Schraubstock. Grooters stieß mit den Ellbogen und trat mit nackten Füßen um sich, ohne aber großen Schaden anzurichten. Die Hand mit dem Wattebausch gab keinen Millimeter nach.

Sie wußte, sie durfte nicht durch diesen Wattebausch atmen. Der süßliche Geruch hatte sie sofort alarmiert. Aber schließlich konnte sie den Atem nicht ewig anhalten. Sie weinte, denn ihr war klar, daß das das Ende war. Sie sah durch den Tränenschleier, wie die Deckenlampe zu kreisen begann und allmählich durch einen langen Tunnel zurückwich, begleitet von Elton John.

Einen Sekundenbruchteil lang wußte sie, daß sie lediglich im Behandlungsstuhl des Zahnarztes saß und alles gut werden würde. Dann schwanden ihr die Sinne.

Der Angreifer merkte, daß Grooters ohnmächtig wurde, wartete einen Moment und ließ sie zu Boden gleiten, ohne den Wattebausch zu entfernen. Eine behandschuhte Hand griff in die große, aufgesetzte Tasche des Umhangs und holte eine Plastiktüte hervor. Dabei fielen zwei Gummibänder heraus. Mit dem einen befestigte er den Wattebausch vor Mund und Nase des Mädchens. Dann stülpte er die Plastiktüte über ihren Kopf und schloß sie mit dem anderen Gummiband unterhalb des Kinns luftdicht ab.

So verpackt, starb Grooters sofort, während ihr Mörder in Pennys Zimmer hinüberging und dort die Tür zum Korridor abschloß. Als er zurückkehrte, drehte er das Mädchen mit dem Gesicht nach unten, ging dann in das kleine Bad, stellte die Dusche an, drehte den Wasserhahn am Waschbecken auf. Der Mörder ließ Grooters noch eine Weile liegen, dann nahm er ihr die Plastiktüte vom Kopf. Er steckte Gummibänder und Wattebausch hinein und ließ alles zusammen in der aufgesetzten Tasche verschwinden, aus der er dann ein handliches Küchenmesser zog. Damit begann er, Grooters Kopf vom Rumpf zu trennen.

Das Messer, aus bläulichem Stahl und von französischer Machart, hatte einen kurzen Sägeschliff, mit dessen Hilfe er die zäheren Partien im Nacken löste. Der Rest war kein Problem. Mit einem kurzen Ruck und einem letzten Schnitt war der Kopf ab. Der Mörder ließ ihn mit dem Gesicht nach unten ins Waschbecken gleiten und stellte sich unter die Dusche.

Zu dieser Zeit war etwa die Hälfte der Morde von Chelsea begangen worden.

Einzelheiten dieser Tat führten letztendlich zur Identifizierung des Mörders; Grooters allerdings hatte nichts mehr davon; sie ruhte zu diesem Zeitpunkt bereits friedlich in einem Grab in Leyden.

Tod in Chelsea

Подняться наверх