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6. Termine

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Am Montagmorgen stand ich gut gelaunt auf und freute mich darauf, mit den Kindern etwas zu unternehmen. Carl ging aus dem Haus, bevor Roxanne von der Arbeit zurückkam. Die Kinder freuten sich, mich zu sehen. Rebecca nutzte die Gunst der Stunde, um sich wieder von mir hübsch anziehen zu lassen, während Roxanne die Kleine versorgte und meinte: »Es ist gut, dass du wieder da bist, Lisa. Es ist weniger stressig für uns. Das nächste Wochenende hab ich frei. Dann könnten wir gemeinsam etwas unternehmen. Was meinst du?«

Was sollte ich ihr denn jetzt sagen? Die Wahrheit wohl. Ich wollte sie nicht enttäuschen und wäre gerne mit ihnen und den Kindern irgendwohin gefahren. Aber ich wollte auch unbedingt Josh und die anderen wiedersehen. Ich musste ihr also alles erzählen, damit sie mich begreifen konnte. Auf dem Weg zur Küche fing ich damit an: »Hör zu, Roxanne, ich würde gerne mit euch das Wochenende verbringen ... wenn da nicht jemand anders wäre.«

Sie blickte mich streng mit ihren großen Froschaugen an: »Ach, meinst du den jungen, dunkelhaarigen Mann, der dich nicht mehr loslassen wollte?«

Ich war geschockt. Woher wusste sie das? Hatte uns Carl gesehen? Nein, das glaubte ich nicht. Also fragte ich: »Woher weißt du das? Hast du uns gesehen?«

»Nein, ich nicht, aber unsere Nachbarin. Sie wäscht jeweils am Sonntag bei uns ihre Wäsche, weil sie keine eigene Waschmaschine hat. Ich habe sie getroffen und sie hat mich über euch ausgefragt. Ich konnte ihr allerdings nur über dich etwas sagen. Anscheinend hat sie euch sehr genau beobachtet!« Sie sah mich mit schräg gelegtem Kopf grinsend an und wartete offensichtlich auf eine Erklärung.

Ich war immer noch erstaunt. Was hatte diese Frau mitten in der Nacht am Fenster oder auf dem Balkon zu suchen? »Hat sie denn nichts anderes zu tun, als mitten in der Nacht Leute zu beobachten?«, fragte ich genervt.

»Nein, leider nicht, sie ist schon sehr alt. Das Einzige was sie noch tun kann, ist Leute beobachten und darüber tratschen. Vermutlich ist sie die Einzige, die weiß, wer und wann zu Hause ist. Aber manchmal ist dies ganz nützlich, nicht wahr, Lisa?« Wieder dieser erwartungsvolle Blick.

Wir setzten uns an den Tisch und begannen zu frühstücken.

»Also, willst du mir nicht sagen, wer der junge Mann ist? Ich glaube kaum, dass er Monika heißt.«

Nun musste ich schmunzeln. »Nein, er heißt Josh und ist mit Monikas Nachbar befreundet. Wir haben uns am Samstag kennen gelernt, als Jesry, so heißt der Junge aus dem Nachbarhaus, uns zum Kuchenessen eingeladen hat. Sein Freund Josh war auf Besuch. Er besitzt einen unglaublichen Charme, sieht blendend aus und ist witzig.«

Ich geriet ins Schwärmen. Roxanne verfolgte meine Schilderungen mit großem Interesse und Genugtuung. »Siehst du? Ich habe dir doch gesagt, es wird nicht lange dauern! Aber so schnell hab ich das nun auch wieder nicht erwartet.«

Wir lachten beide darüber. Roxanne wollte noch Näheres wissen und ich berichtete ihr in groben Zügen über Josh. Sie schien zu schwelgen und sagte dann: »Bei uns war es ähnlich, aber es dauerte wesentlich länger, bis wir uns küssten. Wir waren auch noch nicht neunzehn, so wie du jetzt.«

»War Carl deine erste Liebe?«, fragte ich neugierig.

»Oh, nein, er war etwa der Fünfte. Aber er war meine große Liebe.« Sie senkte den Blick und schaute traurig auf ihren halb aufgegessenen Toast. »Ich hoffe nur, es bleibt auch so.«

»Vielleicht solltet ihr das nächste Wochenende richtig zusammen genießen können, ohne mich. Ich hoffe, du verstehst, dass ich lieber mit Josh zusammen sein möchte.«

»Ja, das verstehe ich nur zu gut. Es ist nur schade, dass wir dann wahrscheinlich nie ein Wochenende zusammen verbringen werden. Ich hätte dir so gerne unsere Stadt gezeigt.«

»Können wir dies nicht tun, wenn du unter der Woche frei hast, zusammen mit den Kindern?«

»Ja, das könnten wir. Ich habe heute und morgen frei. Aber musst du nicht zum Optiker?«

»Doch, aber erst um 17 Uhr.«

»Wir könnten vorher zusammen in ein großes Einkaufszentrum fahren und auf dem Nachhauseweg beim Optiker vorbeigehen.«

»Ich wollte eigentlich Monika bitten, mich zu begleiten, aber das hört sich auch gut an.«

Ich nahm mir vor, Monika telefonisch zu bitten, mit mir erst am Mittwoch etwas zu unternehmen. Ich hoffte ja zudem, Josh dann treffen zu können.

Nachdem wir fertig gefrühstückt hatten, verabschiedete sich Roxanne von den Kindern und mir und ging zu Bett. Die Mädchen waren wieder einmal vor dem Fernseher gut versorgt. Ich nutzte diese Zeit, um die Küche in Ordnung zu bringen und begann dann mit der Wäsche. Heute war mein erster Waschtag. Ich hatte etwas Angst davor, aber Roxanne hatte mir alles so gut erklärt, dass eigentlich nichts schiefgehen konnte. Ich nahm also die Wäsche und füllte eine erste Maschine. Es war ganz einfach!

Zurück bei den Kindern, versuchte ich, Monika zu erreichen. Sie hatte mir gesagt, dass sie nur freitags Schule habe. Also müsste sie zu Hause sein. Ich nahm den Hörer und wählte ihre Nummer.

»Hello?«

»Hallo, Monika, ich bin’s, Lisa. Wie geht’s dir?«

»Oh hallo, ganz gut. Ich bin allerdings etwas müde. Wir sind spät nach Hause gekommen. Hast du mich gesucht?«

»Ja, ich wollte dir etwas sagen. – Wo wart ihr denn?«

»Wir waren bei Freunden von Rita und Jo zu einer Grillparty eingeladen. Die haben auch eine Schweizer Nanny. Annemarie heißt sie. Die anderen rufen sie alle Anne-Mary. Sie ist nett und wir haben den gleichen Draht. Wir haben uns fürs nächste Wochenende verabredet. Was wolltest du mir denn sagen?«

»Ich wollte fragen, ob wir erst am Mittwoch etwas zusammen unternehmen könnten.«

»Ja, das geht, da habe ich frei. Hast du die Kinder dann dabei?«

»Ja.Wir könnten wieder in einen Park gehen. Du kennst sicher noch andere Parks hier.«

»Es gibt den Queen Elizabeth Park, der ist groß und man hat eine tolle Aussicht auf Down Town. Wäre das was? Ich könnte mit dem Auto bis zu dir fahren. Dann müssen wir den Bus nehmen, weil ich nur einen Kindersitz habe.«

»Ja, das wäre toll. Um wie viel Uhr kommst du?«

»Ich würde gerne noch ausschlafen. Wie wär’s gegen elf?«

»Gut, das ist o. k.«

»Wie war’s eigentlich am Sonntag?«

»Oh, ganz schön, wir hatten viel Spaß.« Sollte ich es ihr jetzt am Telefon sagen? Jesry würde kaum den Mund halten können. Also wollte ich das von Josh lieber gleich erzählen. »Monika, was ich dir noch sagen wollte, ich ...«

Weiter kam ich allerdings nicht, sie lachte in den Hörer und sagte: »Meinst du das mit Josh?«

Die ganze Welt schien es bereits zu wissen. Ich war enttäuscht und gleichzeitig froh, nicht noch einmal alles erzählen zu müssen.

»Von wem weißt du das?«

»Ich habe ja schließlich Augen im Kopf und das Knistern zwischen euch am Samstag konnte wohl keiner überhören. Und Jesry war sehr gesprächig heute Morgen.«

Ich fühlte mich ertappt. Wir konnten uns ein Lachen dann nicht verkneifen.

Nachdem ich mich ein wenig erholt hatte, sagte ich weiter: »Ich wollte Josh diese Woche an einem Abend treffen. Könntest du mich am Mittwoch nach Feierabend zu dir mitnehmen? Und wenn du ins Training gehst, wieder zurückbringen? Oder kommt es dir ungelegen? Sonst könnte ich mit dem Rad fahren. Josh hat das allerdings nicht gern.«

»Das geht. Ich muss sowieso in deiner Nähe vorbeifahren, wenn ich ins Training gehe. – Ich wollte, dass ich mit Roy auch schon so weit wäre, wie du mit Josh.«

Ich sagte nichts.

Sie überbrückte die Pause und half mir auf die Sprünge: »Roy, der aus dem Karateklub, weißt du noch?«

»Ach so, ja, das hast du mir gesagt. Vielleicht klappt es ja diese Woche. Frag ihn einfach. Mehr als nein sagen kann er nicht.«

»Du hast Recht. Aber, ich bin da nicht so wie du. Ich kann nicht einfach auf Leute zugehen und mit ihnen reden. Da bin ich völlig blockiert. Ich weiß, dass die Leute hier Offenheit und Kontaktfreudigkeit mögen. Aber ich kann das nicht.«

»Du solltest es vielleicht einfach mal ausprobieren. Worüber habt ihr denn bis jetzt miteinander gesprochen?«

»Das ist es ja eben, wir haben noch gar nicht miteinander geredet. Außer, was im Training so üblich ist.«

»Tja, dann wär’s vielleicht gut, wenn du zuerst einmal herausfinden würdest, ob er auch etwas von dir will.«

»Hoffentlich hab ich den Mut dazu.«

»Das wird schon. Also, wir sehen uns am Mittwoch. Tschüss, bis dann!«

Ich hatte mit ihr geredet, als wäre ich erfahren in Liebesangelegenheiten. Dabei war ich noch ganz am Anfang. Und Monika hatte schon ein paar Jungs zu Hause gehabt, wie sie mir erzählt hatte.

Ich ging wieder meiner Arbeit nach. Rebecca spielte im Kinderzimmer mit ihrem Hund, während Norma am Boden lag und munter ihr kleines Bilderbuch anplapperte. Sie waren wirklich liebe, unkomplizierte Kinder. Das Wetter spielte heute zum ersten Mal nicht mit. Es war stark bewölkt und nieselte. Ich beschloss, erst am Nachmittag mit den Kindern rauszugehen. Heute hatte ich wegen der Wäsche eh nicht viel Zeit. Doch wie sollte ich die Kinder beschäftigen, damit sie keinen Lärm machten, während Roxanne schlief? Plötzlich kam mir eine Idee! Ich könnte heute versuchen, einen Kuchen zu backen. Genau das wollte ich tun und zumindest Rebecca miteinbeziehen. Ich holte mein Kochbuch und suchte alle Zutaten zusammen. Alles war da, außer Margarine. Also musste ich doch noch einkaufen gehen. Ich packte die Kinder in ihre Regenjacken und machte mich auf den Weg zum Supermarkt. Rebecca hatte Spaß am Regen. Sie streckte immer wieder ihre Hand aus, um die großen Tropfen aufzufangen.

»Möchtest du auf dem Nachhauseweg zu Fuß gehen?«, fragte ich sie.

»Ja«, sagte sie und strahlte übers ganze Gesicht.

Auf dem Rückweg nahm ich Rebecca an die Hand und ließ sie im Regen stapfen. Sie trug gute Gummistiefel, und es gefiel ihr, die kleinen Pfützen zum Spritzen zu bringen. Norma durfte die Tüte mit der Margarine halten. Sie war sichtlich stolz darauf. Zu Hause angekommen waren wir alle patschnass. Die Jacken ließ ich gleich in der Waschküche abtropfen. Norma rieb sich schon wieder die Augen. Also steckte ich sie, nachdem ich ihr die Flasche gegeben hatte, in ihr Bettchen und verdunkelte das Zimmer. Rebecca schien noch nicht müde zu sein. Sie wollte mit mir den Kuchen backen, so wie ich es ihr versprochen hatte. Nach dem Lunch fingen wir damit an. Sie fand es lustig, mir zu helfen. Sie naschte gerne vom Teig und ließ auch kein bisschen davon an den Mixerstäben zurück. Als wir den Kuchen in den Ofen steckten, wartete sie gespannt vor dem Backofenfenster. »Du musst rausnehmen«, sagte sie schon bald und zeigte auf den Kuchen im Ofen.

»Nein, Rebecca, das dauert noch eine Weile. Erst wenn es fein duftet und der Kuchen schön braun ist, dann dürfen wir ihn rausnehmen«, erklärte ich ihr.

Sie war etwas traurig und zeigte auch schon die ersten Müdigkeitserscheinungen. »Komm Rebecca, du gehst jetzt ins Bett, und ich erzähle dir noch eine Geschichte. Wenn du wieder wach bist, ist der Kuchen fertig und du darfst davon essen. Was meinst du dazu?«

Als Antwort kam ein müdes »Ja«.

Nach meinem nächsten Waschgang bügelte ich die schon getrocknete Wäsche. Dabei konnte ich noch einmal dieses ungewöhnliche Wochenende in Gedanken durchleben.

Bald duftete es herrlich aus der Küche und ich ging nachsehen. Der Kuchen war mir geglückt und ich freute mich darüber.

Kurze Zeit später war auch die Wäsche fertig gebügelt.

Die Kinder waren bereits wieder wach. Sie hatten beide nur kurz geschlafen. Rebecca stürmte gleich vom Zimmer in die Küche. Der Kuchen stand schon auf dem Tisch und wartete nur darauf, angeschnitten zu werden. Ich hatte die größte Mühe, die Kinder von ihm fern zu halten. »Wir sollten noch auf eure Mami warten. Sie hat gesagt, sie schlafe heute nicht so lang, weil sie frei hat.«

In diesem Moment hörten wir die Schlafzimmertür aufgehen und die schlaftrunkene Roxanne kam im Nachthemd in die Küche. »Was duftet da so wunderbar?«, fragte sie und gähnte herzhaft.

»Ich habe einen Kuchen gebacken.«

»Oh, wo hast du denn das gelernt?«, fragte sie mich leicht erstaunt.

»Zu Hause und in der Schule.«

»Der sieht gut aus. Darf man davon schon essen?«

»Ja klar, wir haben nur auf dich gewartet.«

»Ich geh mich nur schnell waschen und anziehen, dann komme ich gleich wieder.« Sie verschwand im Badezimmer mit der umherhüpfenden Rebecca an der Hand.

In der Zwischenzeit deckte ich den Tisch und kochte Tee. Bei diesem Hudelwetter konnte man ihn gut vertragen.

Der Kuchen schmeckte wie zu Hause. Rebecca aß zwei Stücke, Norma eines und Roxanne langte sogar dreimal zu. Ich war hoch zufrieden. Roxanne meinte dann, dass ich dies öfter machen könne, was mich sehr freute.

Die Kinder saßen wieder vor dem Fernseher, als ich die Gelegenheit gut fand, Roxanne nach einem Gynäkologen zu fragen. Es war mir allerdings äußerst unangenehm. »Äh, ... Roxanne, ... ich möchte dich gerne etwas fragen«, begann ich.

»Was denn?«

»Na ja, das mit Josh, weißt du, ich nehme an, dass es nicht immer so bleiben wird. Ich meine, dass wir beide irgendwann mehr wollen.«

Ihre Augen strahlten listig.

»Ich wollte dich nach einem guten Gynäkologen fragen, der mir die Pille verschreiben kann.« Es war mir sehr peinlich, als ich auf ihre Antwort wartete.

Sie schaute mich lächelnd an und meinte: »Das ist gut, Lisa. Ich hätte früher auch schlauer sein sollen. Ich kann ja Rosie fragen, wenn du möchtest? Oder Lampy, der ist auch gut. Wann möchtest du denn einen Termin haben?«

»So schnell wie möglich«, sagte ich, und wir beide schmunzelten vor uns hin.

»Ich versuche, Rosie zu erreichen. Sie arbeitet heute und hat, wie sie mir gestern gesagt hat, nicht viel zu tun. Vielleicht könnten wir sogar nachher noch bei ihr vorbeischauen.«

Sie ging zum Telefon, nahm den Hörer in die Hand und sah mich fragend an. »Soll ich?«

»Äh, ja, meinst du denn, das klappt heute noch?«

»Wahrscheinlich schon.«

Sie wählte, und kurz darauf war sie mit Rosie verbunden. Ich war noch etwas verwirrt und konnte dem Gespräch nicht richtig folgen. Ich verstand nur Roxannes letzten Satz: »O. k., wir machen uns gleich auf den Weg. Bis dann!« Sie drehte sich zu mir um und sah wohl in ein ziemlich verdutztes Gesicht. »Ist es das erste Mal? Du brauchst keine Angst zu haben, Rosie macht das sehr gut. Komm, ziehen wir die Kinder an. Wir müssen den nächsten Bus kriegen.«

Ich holte die inzwischen wieder trockenen Regenjacken aus der Waschküche und half Roxanne, die Kinder anzuziehen.

Auf dem Weg zum Krankenhaus, wo Rosie und Roxanne arbeiteten, ließ ich mir von ihr erklären, wie das Busfahren funktionierte. Sie wollte mir, während ich in der Untersuchung war, einen Fahrplan besorgen. Drei Stationen dauerte die Fahrt nur, und die Kinder hatten Freude, einmal etwas anderes zu sehen.

Das Krankenhaus sah aus wie in der Schweiz, nur war es viel größer. Mit dem Lift ging es in den 3. Stock. Roxanne schien das ganze Personal zu kennen. Beinahe jeder grüßte sie mit einem herzlichen Hallo. Ich wurde zunehmend nervöser. Ich wusste ja schon ungefähr, was mich erwartete, aber richtig vorstellen konnte ich es mir nicht. Wir gingen einen langen Korridor entlang und erreichten einen kleinen Aufnahmeschalter.

»Hi, Dora, ist Rosie besetzt?«

Die junge Dame schaute auf. »Hi Roxanne, ich glaube, sie ist frei, Moment bitte!« Sie telefonierte nur kurz und bat uns dann hineinzugehen.

Roxanne ging voraus. Ich war fürchterlich nervös. Im Zimmer saß eine kleine, zierliche, dunkelhäutige Frau, die wunderschöne, lange, zu einem Zopf geflochtene Haare trug. Sie war sehr hübsch.

»Hi Rosie, darf ich dir Lisa vorstellen?«

Wir gaben uns die Hand.

Rosie verströmte eine Herzlichkeit und Wärme, die mich sogleich beruhigte. »Freut mich, dich kennen zu lernen. Bist du das erste Mal bei einem Frauenarzt?«

»Ja, ich möchte gerne die Pille verschrieben bekommen.«

»Gut, dann werden wir sehen. Du brauchst keine Angst zu haben. Das geht ganz schnell.«

Sie bat mich ins Untersuchungszimmer nebenan, während sie sich mit Roxanne und den Kindern noch kurz unterhielt.

»Wir warten in der Empfangshalle!«, rief mir Roxanne dann durch die offene Tür zu.

Ich war immer noch ein wenig nervös. Rosie fragte mich, warum ich die Pille nehmen wolle.

»Ich habe einen Jungen kennen gelernt«, erklärte ich ihr und nahm eigentlich an, dass sie dies bereits wusste. »Wir haben uns ineinander verliebt und ich möchte einfach sicher gehen, dass nichts Ungewolltes passiert.«

Sie sah mich lächelnd an und meinte: »Ja, das ist sehr klug.«

Sie schrieb meine Personalien auf und bat mich anschließend zur Untersuchung. Diese dauerte nur kurz und war nicht schmerzhaft. Allerdings war ich doch erleichtert, mich wieder anziehen zu können. Rosie erklärte mir, es sei alles in Ordnung. Sie nahm das Päckchen mit den Pillen aus dem Schrank und gab es mir. Nach einer kurzen Erklärung, wie sie zu handhaben waren, meinte sie unverblümt: »Das muss ja ein toller Junge sein, den du dir da geangelt hast. Es scheint dir ernst zu sein.« Fragend sah sie mich an.

»Ja, er ist schon ein toller Junge.« Ich errötete.

»Lisa, wenn was ist oder wenn die Pillen dir nicht bekommen, ruf mich an, ja?« Sie gab mir die Hand und wünschte mir viel Glück.

»Vielen Dank und auf Wiedersehen, Rosie.«

Schnell lief ich zum Lift und war erleichtert. Ich hatte es hinter mir. In der Empfangshalle traf ich Roxanne und die Kinder. Sie saßen auf einem großen Sofa. Norma weinte.

»Was hat sie denn?«, fragte ich Roxanne besorgt.

»Ich weiß nicht. Sie mag nicht sitzen, sie mag nicht kriechen, und im Wagen möchte sie auch nicht sein. Wir sollten besser gehen. Bist du fertig?«

»Ja, es war gar nicht schlimm. Rosie ist wirklich sehr nett. Aber eigentlich sollte sie eher Männer verarzten«, meinte ich schmunzelnd.

»Warum denn das?«, Roxanne sah mich fragend an.

»Na, weil sie so gut aussieht, deshalb!«

Wir lachten beide. Roxanne kannte sie schon zu lange, um noch sehen zu können, wie hübsch sie war.

»Ach ja, hier ist dein Fahrplan. Sie hatten nur noch den einen. Er ist etwas zerknittert, aber lesen kann man noch alles.«

Ich bedankte mich bei Roxanne für ihre Hilfe.

Dann gingen wir zur Bushaltestelle. Norma hatte sich inzwischen wieder etwas beruhigt, aber sie war noch immer unzufrieden.

Am späten Nachmittag erreichten wir wieder die Wohnung. Es hatte in der Zwischenzeit aufgehört zu regnen. Wir versuchten, Norma mit etwas Kuchen zu beruhigen, was aber misslang. Roxanne holte daraufhin den Fiebermesser. Das Quecksilber zeigte beinahe 39 Grad. Wir erschraken, und Roxanne eilte zu ihrem Apothekenschrank und holte ein Mittel gegen Fieber hervor.

Norma wurde dann bald sehr müde und schlief am Tisch ein. Die Stirn fühlte sich zum Glück schon kühler an. Ich brachte sie zu Bett und gestand Roxanne: »Vielleicht hat sie sich heute Morgen erkältet. Ich war mit ihnen draußen im Regen.«

»Das könnte sein, aber ich bin froh, wenn du mit ihnen an die frische Luft gehst. Das tut ihnen gut. Auch wenn es regnet.«

Ich war erleichtert, dass sie mir nicht böse war.

Gemeinsam richteten wir das Abendessen her und besprachen, was wir morgen alles einkaufen wollten. Es würde ein schöner Tag werden. Da fiel mir ein, dass ich ja Josh wegen Mittwoch noch anrufen wollte.

»Darf ich kurz telefonieren?«, fragte ich Roxanne und suchte nach meinem Zettel.

»Natürlich. Willst du Josh anrufen?«

»Ja, ich möchte ihn am Mittwochabend kurz treffen. Ich plane, mit Monika und den Kindern am Nachmittag etwas zu unternehmen. Geht das? Ich meine wegen der Kinder.«

»Oh, wieso nicht? Wo wollt ihr denn hin?«

»Zum Queen Elizabeth Park.«

Bei Josh war niemand zu Hause, also musste er bei Jesry stecken. Ich wählte Jesrys Nummer und er meldete sich mit einem müden »Hallo?«.

»Hi, Jesry, ich bin’s, Lisa. Wie geht’s?«

»Oh, hi Lisa, ich habe etwas zu viele Hausaufgaben, aber sonst geht’s blendend. Suchst du Josh?«

»Ja, ich wollte mit ihm sprechen. Ist er da?«

»Nein, leider nicht. Er ist nach Hause gefahren. Hast du da schon probiert?«

»Ja, er ist aber nicht dort.«

»Dann ist er bestimmt einkaufen gegangen. Er erledigt das meistens am Montag. Versuch es doch später noch mal.«

Ich war enttäuscht. »Glaubst du, Josh ist am Mittwochabend bei dir? Ich könnte vielleicht dann kurz vorbeischauen.«

»Warte mal«, ich hörte Papier rascheln, »ja, ich glaube, dann wird er hier sein. Am Donnerstag müssen wir früh raus. Die haben uns eine Extrastunde reingequetscht!«

»Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob es klappen wird, aber wenn du ihn morgen siehst, sagst du’s ihm trotzdem? Nur falls ich ihn heute nicht mehr erreichen sollte.«

»Ja, mach ich! Soll er dich anrufen?«

Ich wusste nicht, ob ich Jesry vertrauen konnte. Ich kannte ihn nur als ausgekochtes Schlitzohr. »Sag ihm, dass er mich nur morgen Abend erreichen kann. Tagsüber bin ich außer Haus.«

»O. k., mach ich.«

»Danke, Jesry, bis Mittwoch, bye.«

»Bye, Lisa.«

Nach dem Abendessen zog ich mich früh in mein Zimmer zurück und wollte lesen, als mir einfiel, dass ich ja Josh noch einmal anrufen wollte. Wie konnte ich das nur vergessen! Ich ging also noch einmal zum Telefon. Carl war im Badezimmer und Roxanne studierte ihren neuen Einsatzplan.

»Kann ich nochmals versuchen, Josh anzurufen?«

»Ja, natürlich. Du musst doch nicht jedes Mal fragen, Lisa.«

»Ich dachte wegen der Gebühren.«

»Ach nein, es ist egal, wie viel man telefoniert, hier kostet es immer eine Monatsgebühr. In der Stadt kannst du herumtelefonieren, so viel du willst. Es kostet nicht mehr«, erklärte sie lächelnd.

»Diese Einrichtung finde ich gut. Das sollte es in der Schweiz auch geben«, meinte ich und begann Joshs Nummer zu wählen. Wieder war er nicht zu Hause. Er konnte doch jetzt unmöglich immer noch beim Einkaufen sein. Vielleicht saß er in seinem Zimmer, machte Hausaufgaben und wollte nicht gestört werden. Ich machte mir ein wenig Sorgen. Hoffentlich war ihm auf dem Nachhauseweg nichts passiert. Ich versuchte mir dann einzureden, dass alles in Ordnung wäre, und legte den Hörer wieder auf.

Roxanne sah mich fragend an: »Ist er nicht zu Hause?«

»Nein, vermutlich ist er einkaufen gegangen«, sagte ich und wusste, dass dies wohl doch nicht der Grund sein konnte.

»Einkaufen? Lebt er denn alleine?«

»Ja, meistens schon, darum ist er oft mit Jesry zusammen. Heute ist er aber auch dort nicht. Ich versuche es morgen wieder. Gute Nacht, Roxanne.«

Ich mochte nicht noch mehr erzählen. Ich freute mich auf den kommenden Mittwoch. Aber zuerst freute ich mich auf morgen. Ich war auf unseren Einkaufsbummel gespannt.

Am nächsten Morgen ging es Norma wieder besser. Ihre Nase lief zwar noch und sie hustete ein wenig, aber sonst war sie munter. Carl war während des Frühstücks die ganze Zeit am Nörgeln. Er hätte im Moment zu viel zu tun und müsse erst noch für einen erkrankten Arzt einspringen. Diese Chance ergriff er natürlich trotzdem gerne, da er endlich beweisen durfte, wie viel er schon gelernt hatte. Er sah mich dann auf einmal etwas böse an und sagte: »Du solltest in Zukunft mit den Kindern nicht mehr im Regen spazieren gehen. Du siehst ja, was dann passiert!«

Ich glaubte nicht richtig gehört zu haben und wendete mein Gesicht Roxanne zu, die ebenfalls etwas verdattert dreinblickte. Dann sagte ich ihm, dass es mir Leid täte, aber ohne Margarine hätte ich keinen Kuchen backen können. Und der habe ihm ja auch geschmeckt. Ich meinte es ernst, tat aber so, als würde ich scherzen. Das mochte er gar nicht. Er schaute noch düsterer drein und Roxanne schlichtete: »Lisa hat Recht, Carl, dir hat ja der Kuchen auch geschmeckt. Oder etwa nicht? Hast du nicht gesagt, sie könne jeden Tag einen backen?« Vorsichtig lächelte sie ihn an. »Zudem geht es Norma wieder gut, wie du ja sehen kannst.«

Alle blickten die Kleine in ihrem Hochstuhl an und sahen, wie sie ganz fürchterlich mit einem Toast manschte. Danach war die Stimmung wieder gut.

Kurz nach 11 Uhr gingen wir los. Weil es nicht regnete, beschlossen wir, zu Fuß zu gehen. Roxanne sagte, es wäre nicht weit. Nach einer halben Stunde Fußmarsch erreichten wir endlich die Shopping Mall. Es war ein riesiges Einkaufszentrum, mit einem Postbüro, einem Drugstore, einer Bank, mehreren Restaurants und einem großen Warenhaus. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ich fand es herrlich. Roxanne genoss es, mit mir shoppen zu gehen. Die Kinder fielen irgendwann in den Schlaf und bemerkten nicht einmal die Spielzeugabteilung im Warenhaus.

In einer Ecke entdeckte ich ein kleines Uhrengeschäft, das Schweizer Uhren verkaufte, auch wurden Schweizer Taschenmesser angeboten. Ich fragte Roxanne, ob der Inhaber ein Schweizer sei. Sie wusste es nicht und meinte, ich solle doch fragen. So wichtig war mit dies allerdings auch wieder nicht und wir gingen weiter.

Erschöpft setzten wir uns in ein kleines, nettes Café. Wir tranken Kaffee und Rebecca bekam ein Eis, unter der Bedingung, Norma ab und zu daran lutschen zu lassen. Zum Glück hatte ich am Morgen die ganze Hausarbeit erledigt, sonst hätte ich dies am Abend noch tun müssen. Ich wollte dann die Zeit nutzen, um endlich einen Brief nach Hause zu schreiben.

Schwer bepackt machten wir uns gegen halb fünf Uhr wieder auf den Rückweg, wobei wir einen anderen Weg nahmen. Ich musste ja noch zum Optiker.

Die Untersuchung und das Auswählen der Linsen dauerte nicht mal eine Stunde. Roxanne wartete ungeduldig. Als sie mich dann sah, stand sie auf und musterte meine Augen. »Du siehst gut aus. Siehst du jetzt besser?«

»Ja, ich sehe alles viel schärfer. Ich muss mich allerdings zuerst daran gewöhnen, dass ich keine Brille mehr zum Hochschieben habe.«

Wir machten uns auf den Heimweg und redeten noch lange über das Anpassen und Einsetzen der Linsen. In Gedanken war ich ab und zu bei Josh. Würde er überhaupt bemerken, dass ich keine Brille mehr trug? Ich fragte Roxanne nach ihrer Meinung.

»Ich glaube, wenn er so schöne Augen im Kopf hat, wie du sagst, dann sollte er es schon sehen. Männer nehmen üblicherweise keine Notiz von solchen Dingen. Sie sehen nicht mal, wenn du eine andere Haarfarbe hast!«

Zu Hause angekommen betrachtete ich mich nochmals im Spiegel und fand auch, dass ich so besser aussah. Roxanne hatte Recht, was die Männer betraf. Carl merkte nicht, dass ich keine Brille mehr trug.

Nach dem Essen ging ich in mein Zimmer. Doch schon kurz darauf klopfte es an meiner Tür. »Lisa, ein Anruf für dich, es ist Josh!«, verkündete mir Roxanne durch die Tür.

Mein Herz klopfte bis zum Hals. Ich sprang auf und rannte mit einem flüchtigen »Danke« an Roxanne vorbei zum Telefon.

»Hi, Josh!«

»Hi, Lisa, wie geht es dir?«

»Jetzt gut, ich dachte schon, du hättest mich vergessen. Ich habe dich gestern zweimal zu erreichen versucht. Wo warst du denn?«

»Ich war einkaufen. Das musste sein, sonst verhungern nicht nur die Katzen. Danach war ich unter der Dusche. Vielleicht hast du gerade diesen Moment erwischt.«

»Ja, offensichtlich. Hat dir Jesry was ausgerichtet?«

»Ja, er hat mir gesagt, dass du erst morgen kommen kannst. Stimmt das denn oder hat mich dieser Idiot mal wieder verarscht? Autsch!« Ein Gelächter ertönte aus dem Hörer. Es stammte zweifellos von Jesry. »Jesry hat mir soeben einen dicken Wälzer an den Rücken geschmissen.«

Ich hörte ein Gepolter. Es schien, als hätte Josh sich revanchiert. »Bist du noch dran, Lisa?«

»Ja, aber vielleicht möchtest du mich erst anrufen, wenn ihr eure Rangelei beendet habt.«

»Tut mir Leid. Er nervt im Moment ziemlich«, flüsterte er in den Hörer.

»Josh, bist du morgen bei Jesry?«

»Ja. Wann kommst du denn?«

»Das weiß ich noch nicht. Es wird schon spät werden.«

»Ich freue mich, dich zu sehen.«

»Ich auch. Bye, Josh.«

»Bye, Lisa.«

Glücklich legte ich den Hörer auf und wünschte Roxanne eine gute Nacht. Und jetzt wollte ich endlich einen langen Brief nach Hause schreiben. Aber worüber sollte ich denn berichten? Über die Familie, über die Stadt, den Flug, die Ankunft? Oder über Josh? Nein, alles, was mit Josh zusammenhing, wollte ich noch nicht erwähnen. Meine Mutter würde sich vielleicht nur unnötig Sorgen machen. Und da war noch so ein seltsames Gefühl. Tief in meiner Seele spürte ich, dass ich dieses Geheimnis noch bewahren wollte. Aber warum? Dies sollte ich erst Monate später erfahren.

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