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7. Gefühle

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Monika erschien pünktlich und ausgeschlafen bei mir. Ich hatte sie gebeten, wegen Roxanne nicht zu klingeln. Ich hatte alles, was ich brauchte, schon eingepackt und war froh, dass heute die Sonne wieder schien. Rebecca freute sich auf den Ausflug und war ganz zappelig.

»Hier ist es aber ziemlich dunkel«, meinte Monika, als sie sich bei mir ein wenig umgesehen hatte.

»Ja, nicht alle haben es so vornehm wie du«, spottete ich. Ich war nicht neidisch, obwohl ich auch gerne einen Garten zur Verfügung gehabt hätte. Ich hatte es ja gut bei Roxanne, und die Kinder wuchsen mir langsam ans Herz.

Kurze Zeit später verließen wir die Wohnung Richtung Bushaltestelle. Auf dem Weg dahin alberte Monika mit der kleinen Norma herum. Sie hatte ungefähr dasselbe Alter wie der kleine Johnny.

Mit dem Bus klappte es bestens und schon bald stiegen wir beim Park aus. Die Anlage war riesig und mittendrin stand eine große Glaskugel.

»Was ist da drin?«, fragte ich Monika.

»Ich glaube ein tropischer Garten. Aber ich habe es mir noch nie angesehen. Wollen wir reingehen?«

Wir schlenderten durch die üppige Vegetation des Parks bis zur Glaskuppel. Im Glashaus bewunderten wir eine Vielzahl tropischer Pflanzen. Dazwischen flogen bunte Vögel von Ast zu Ast. In den Teichen tummelten sich farbige Fische. Es war wirklich beeindruckend. Allerdings war es auch sehr warm und feucht. Nach einem Rundgang verließen wir das Gewächshaus wieder. Wir schlenderten lange durch die wunderschöne Parkanlage. Tausende von Blumen, Sträuchern und anderen Pflanzen säumten unseren Weg, bis wir zu einer großen Wiese kamen. Von der Parkbank aus genossen wir die herrliche Aussicht auf Down Town Vancouver.

»Sind alle Städte hier so imposant und schön wie diese?«

»Ich denke nicht. Vancouver ist äußerst attraktiv. Ich habe New York und London gesehen. Mehr noch nicht. Aber Vancouver ist schon sehr speziell«, schwärmte Monika.

»Warum, denkst du, ist das so?«

»Ich vermute, weil man hier alles hat. Du hast eine Down Town, die einigermaßen übersichtlich ist, also nicht zu groß. Dann ist die Stadt sehr grün, an jeder Ecke gibt es Parks. Du hast Süßwassergebiete von den Flüssen, die durch die Stadt strömen, und auch das Meer. Du hast Berge ringsherum, und die Natur beginnt gleich am Stadtrand. Das ist schon toll.«

»Ja, diese Dinge sind mir auch aufgefallen. Und die Leute sind alle sehr nett und kontaktfreudig«, ergänzte ich lächelnd.

»Ja, offensichtlich.«

Sie lächelte zurück und bat mich, ihr mehr von Josh zu erzählen. Ich wollte das aber eigentlich nicht. Alles wollte ich wirklich nicht preisgeben. Ich beschränkte mich wieder mal aufs Wesentlichste, und sie schien damit zufrieden zu sein.

»Hast du eigentlich deine Kontaktlinsen?«, fragte sie mich plötzlich, denn ich trug wieder die Brille.

»Ja, seit gestern. Ich kann sie noch nicht den ganzen Tag tragen. Ich habe gedacht, ich setze sie erst heute Abend ein, bevor wir zu dir fahren. Wir fahren doch zu dir, oder?«

»Ja, natürlich. So kannst du endlich Rita und Jo kennen lernen. Ich habe ihnen von dir und Josh erzählt. Sie freuten sich übrigens darüber, dass Josh endlich eine Freundin gefunden hat. – Er sieht gut aus. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass du die Erste sein sollst.«

Mir war nun klar, dass auch Monikas Familie anscheinend wissen musste, was damals passiert war. Es geschah ja nicht weit von ihnen entfernt. Ich überlegte lange, was ich ihr sagen sollte. »Hör zu, Monika, ich kann dir nur so viel sagen. Ich glaube auch nicht, dass ich seine erste Freundin bin, aber es ist wahr, dass er lange keine hatte.« Mehr wollte und konnte ich ihr nicht sagen.

»Aber warum denn?«, bohrte sie weiter.

»Ich kann dir das nicht sagen. Ich kenne Josh erst seit letztem Samstag. Das ist noch nicht einmal eine Woche.«

Ich sah sie leicht genervt an. Sie merkte, dass sie mich nicht weiter ausfragen durfte. Wir wechselten das Thema und sprachen über unsere Erfahrungen im Haushalt und mit den kanadischen Erziehungsmethoden. Sie erzählte mir, was sie schon alles hier erlebt und gesehen hatte. Dann wurde es langsam Zeit, die Kinder nach Hause zu bringen.

Roxanne begrüßte uns freudig und nahm die Kinder in Empfang. Sie fragte sie über den Tag aus, und Rebecca war gesprächig wie noch nie. Sie hätte Pommes frites und ein großes Stück Kuchen bekommen und erst noch ein Eis mit einer Figur drauf. Sie hielt diese Roxanne stolz vor die Nase. Auch die kleine Norma war zufrieden und rieb sich schon vor dem Abendessen die Augen.

»Es war anstrengend für die Kinder, aber sie waren beide sehr lieb. Sie werden sicher gut schlafen«, sagte ich zu Roxanne.

»Das glaube ich auch. Vielen Dank, Lisa, das hat ihnen gut getan. Und ich hatte viel Zeit, mal wieder meine Buchhaltung auf den neusten Stand zu bringen. Bleibt ihr zum Essen?«

»Nein, danke, wir wollen Hamburger essen gehen und dann gleich zu Monika. Du weißt doch, ich möchte auch noch Josh treffen.«

»Ach so, ja, wann wirst du nach Hause kommen?«

»Kurz nach acht, wenn Monika ins Training muss.« Ich sah Monika fragend an. Ich war mir nicht mehr sicher, ob sie acht Uhr gesagt hatte.

Sie nickte und sagte noch: »Meinst du nicht, dass Josh dich nach Hause bringen möchte?«

»Äh, ich weiß nicht. Er hat wahrscheinlich viele Hausaufgaben.«

Aber Roxanne meinte dann nur mit einem hinterlistigen Blick: »Na ja, ist egal, wann und mit wem du nach Hause kommst, Hauptsache, du bist morgen Früh wieder hier, nicht wahr?«

Wir schauten uns alle an und fingen gleichzeitig an zu kichern.

Ich zeigte Monika mein Zimmer, das ihr sehr gut gefiel. Nachdem ich mich umgezogen hatte und die Kontaktlinsen in mühsamer, tränenreicher Arbeit eingesetzt hatte, verabschiedeten wir uns von Roxanne und den Mädchen.

Auf dem Weg zum Wagen musterte Monika meine Augen und meinte: »Ohne Brille siehst du viel besser aus.«

Ich bestaunte den Wagen und fragte: »Hast du den die ganze Zeit zur Verfügung?«

»Ja, er hat Jo gehört. Er hat sich extra einen neuen gekauft.« Monika war sichtlich stolz.

Ich freute mich auf Josh und wurde zunehmend nervöser. Während des Essens sprachen wir nicht viel. Beide waren wir voll damit beschäftigt, den Hamburger ohne große Kleckerei in den Mund zu kriegen. Auch auf dem Nachhauseweg sagten wir kaum etwas. Ich war aufgeregt. Und Monika wurde vermutlich auch langsam nervös. Sie sollte ja heute ihren Roy wieder sehen.

»Kommst du noch mit rein? Ich würde dich gerne Jo und Rita vorstellen.« Monika versuchte, meinen Blick von Joshs Wagen zu lösen, der beim Nachbarhaus geparkt war.

»Äh, ja, natürlich, gerne.« Meine Güte war ich nervös.

Wir gingen hinein, und Jo begrüßte uns herzlich. Er war ein schlanker, kleiner, dunkelhaariger Mann. Er strahlte eine Herzlichkeit aus, die kaum zu übertreffen war. Der kleine Johnny streckte Monika seine Arme entgegen. Sie begrüßte ihn auf Schweizerdeutsch.

Jo gab mir die Hand und sagte: »Ich freue mich, dich kennen zu lernen. Komm, wir gehen zu Rita. Sie kocht gerade, da darf ich sie normalerweise nicht stören. Aber sie wird es mir diesmal wohl verzeihen.« Belustigt gluckste er vor sich hin und schob mich in die Küche.

Eine schlanke, zierliche Frau drehte sich zu uns um und ließ ihre großen Zähne in einem breiten, sympathischen Lächeln erstrahlen. Sie hatte dunkelbraunes, schulterlanges Haar, das ziemlich wirr war und anscheinend auch unbezwingbar. Sie streckte mir die Hand entgegen, nachdem sie diese mit dem Handtuch abgetrocknet hatte, und begrüßte mich ebenso herzlich wie Jo: »Du bist also Lisa«, meinte sie und musterte mich. »Ja, der gute Josh, ich freue mich für euch.« Sie schenkte mir einen »Ach-du-bist-also-diejenige-welche-Blick«, meinte es aber offensichtlich gut. »Möchtest du mit uns essen?«

»Nein, vielen Dank. Wir haben schon gegessen. Ich bin eigentlich nur hierher gekommen, um Josh kurz zu treffen.«

»Oh ja, natürlich. Aber besuch uns doch ein andermal. Du bist immer willkommen.«

»Das werde ich gerne tun, vielen Dank, Rita.«

Ich sah auf meine Uhr. Es war kurz vor sieben. Ich hatte nur noch eine halbe Stunde Zeit. Also verabschiedete ich mich von ihnen und versprach Monika, um halb acht zurück zu sein.

Ich rannte um den Zaun und ging zu Jesrys Haus. Ich sah Jesry durch das halb geöffnete Küchenfenster laut fluchend an irgendetwas herumhantieren. Er sah ziemlich verzweifelt aus. Ich schlich mich an. »Kann ich dir irgendwie helfen, Jesry?«, fragte ich ihn unschuldig.

Er erschrak und ließ beinahe die Pfanne fallen. Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen.

»Oh, hallo Lisa, ich habe wohl etwas zu lange gewartet. Es riecht ziemlich verbrannt, nicht wahr?« Er wedelte mit der freien Hand im Rauch herum.

Ich rümpfte meine Nase, denn es roch wirklich sehr streng. »Ist Josh da?«

»Oh, nein, er ist nicht da«, sagte er und schaute mich erwartungsvoll an.

Ich verstand nicht.

»Er ist nicht da? Aber sein Wagen steht doch vor dem Haus!« Ich drehte mich um und zeigte auf den Wagen. Als ich dann wieder in Jesrys strahlendes Gesicht sah, wusste ich, dass er mich soeben reingelegt hatte. »Oh, Jesry, wie kannst du nur?« Ich versuchte, ihm einen wütenden Blick zuzuwerfen.

»Tut mir Leid, Lisa. Mir war gerade danach. Ich mach dir gleich auf.« Glucksend verließ er die Küche und erschien bald darauf an der Haustür. In der einen Hand hielt er immer noch die Pfanne.

»Äh, was ist denn das?«, fragte ich und zeigte auf die verbrannten Plätzchen.

»Das sind Hamburger, sie sind nur etwas dunkel.«

»Abgesehen von der schwarzen Kruste sehen sie sonst ganz gut aus«, versuchte ich ihn zu trösten.

»Ja, ich werde das Verbrannte abkratzen. Ach ja, Josh ist oben in meinem Zimmer. Sagst du ihm, dass das Essen fertig ist?«

»Ja, mach ich.«

Schnurstracks ging ich nach oben. Im kleinen Korridor hatte sich schon viel Rauch gesammelt. Es stank fürchterlich. Leise öffnete ich Jesrys Zimmertür und sah Josh, tief über den Schreibtisch gebeugt. Es war ein wunderbares Gefühl, ihn wieder zu sehen. Er bemerkte offenbar, dass die Tür aufging und sagte, ohne von seiner Arbeit aufzuschauen: »Meine Güte, Jesry, bist du sicher, dass man das essen kann? Das stinkt ja furchtbar!«

Ich schlich mich zu ihm hin und sagte: »Es sieht gar nicht so schlecht aus!«

Erschrocken drehte er sich um, fing an zu lächeln und betrachtete mich erst einmal genau. Dann stand er langsam auf, nahm mich in die Arme und küsste mich. Dann nahm er etwas Abstand und musterte meine Augen. »Das sieht ja toll aus, wirklich!« Er hatte meine Linsen bemerkt.

Wir standen noch einige Zeit eng umschlungen da und genossen das Zusammensein.

Es war dann beinahe halb acht, als ich auf die Uhr schaute. »Josh, ich muss jetzt wieder gehen, Monika fährt mich gleich nach Hause.«

Fragend sah er mich an. »Warum musst du denn wieder gehen? Ich dachte, du hättest Feierabend!«

»Ja, habe ich, aber Monika muss gleich zum Training und da kann sie mich wieder nach Hause bringen. Oder hast vielleicht du Zeit, um mich heimzufahren?« Ich hoffte es sehr.

»Ja klar, keine Frage, ich bring dich heim. Ich habe extra mit meinen Hausaufgaben früh begonnen und bin beinahe fertig. Wir haben den ganzen Abend für uns! Ich weiß auch schon, wohin wir gehen.«

Wir küssten uns innig, bis Jesry hinaufrief: »Wenn ihr zwei Turteltauben endlich fertig seid, könnten wir essen. Es ist sonst nicht nur verbrannt, sondern auch kalt!«

Schleunigst machten wir uns auf den Weg in die Küche. Jesry hatte alle Krusten mühsam abgekratzt. So sah es jetzt ganz lecker aus.

»Isst du mit uns, Lisa?«, wollte Jesry wissen.

»Nein danke, ich habe schon gegessen.«

»Das sagst du nur, weil du das nicht essen möchtest«, sagte er mit einer beleidigten Miene.

»Nein, Jesry, Monika, und ich waren Hamburger essen. Hört zu, ich muss schnell rüber zu ihr, bevor sie mich suchen kommt. Ich bin gleich wieder zurück.«

Ich stand auf, ging durch den Garten zu Monikas Zimmertür und klopfte. Die Tür war so lottrig, dass es ziemlich laut klang. Sie öffnete und war bereits für das Training umgezogen.

»Monika, Josh wird mich nach Hause fahren.«

»Gut, ich wusste es doch. Dann geh ich jetzt besser.«

Als wir bei ihrem Auto standen, wünschte sie mir noch einen schönen Abend und stieg ein.

»Ja, das wünsche ich dir auch und viel Glück! Ich rufe dich wieder an.« Ich winkte ihr noch zu und ging wieder zurück zu den anderen.

Sie saßen immer noch in der Küche und witzelten über irgendeinen Lehrer, während sie die Hamburger verspeisten. Jesry musterte mich dauernd. Das wiederum fiel nicht nur mir auf, sondern auch Josh, worauf dieser ihn mit dem Ellbogen stupste. »Kannst du wohl aufhören, Lisa so anzustarren?«

Jesry erschrak ein wenig. Ich schmunzelte nur.

Er musterte mich weiter. »Ich starre Lisa nicht an! Es ist nur ... irgendetwas ist heute anders. Hilf mir mal, Lisa!«

Ich lachte. Sogar Jesry hatte etwas bemerkt. Josh grinste zu mir rüber und aß vergnügt weiter.

»Ich trage keine Brille mehr, Jesry.«

»Donnerwetter, genau, das ist es! Du hast tolle Augen, Lisa. Du solltest sie nicht ...« Weiter kam Jesry nicht.

Josh stopfte ihm in diesem Moment seinen Hamburger in den Mund und meinte: »Warum ist Cathy eigentlich nicht hier?«

Jesry bemerkte, vielleicht zum ersten Mal, dass Josh eifersüchtig sein konnte. Er beantwortete seine Frage kühl: »Sie wollte nach Hause. Ihr Vater ist etwas altmodisch.« Und zu mir: »Sie war fast die ganze letzte Woche hier. Er sieht das nicht so gerne.«

»Ja, ich weiß. Ich habe ihn im Supermarkt getroffen. Er hat Cathy gefragt, ob er ihr Bett verkaufen soll.«

Wir lachten alle darüber.

Wir lachten noch immer, als wir dann zum Wagen gingen.

Neugierig fragte ich: »Wohin fahren wir?«

»Das sag ich dir nicht, es ist eine Überraschung.«

Ich war gespannt.

Wir fuhren in die Down Town.

Vor einem hohen Wolkenkratzer hielt Josh an und bat mich auszusteigen.

»Das hier«, er zeigte zum Hochhaus empor, »ist das Landmark-Hotel. Da gehen wir jetzt hinein.«

Er nahm mich an der Hand und zog mich mit. Ein Hotel? Du lieber Himmel. Mir war nicht ganz wohl bei der Sache, als wir zum Lift spazierten. Er bat mich, den obersten Knopf zu drücken. Josh amüsierte sich anscheinend göttlich darüber, mir einen Schrecken eingejagt zu haben. Oben angekommen öffnete sich die Tür und wir standen mitten in einem wunderschönen Restaurant. In einem Drehrestaurant. Die ganze Stadt konnte man von hier oben überblicken. Es war unbeschreiblich. Die vielen Lichter! Fast in Trance setzte ich mich neben Josh an einen der kleinen Tische und konnte den Blick fast nicht mehr von der wunderschönen Aussicht abwenden.

»Na, gefällt es dir?«, fragte er mich und hielt meine Hand.

»Oh ja, es ist wunderschön hier oben.« Ich schaute ihm in die Augen und sagte noch leise: »Ich dachte schon, du wolltest ...«, ich konnte nicht mehr weitersprechen.

Er schüttelte nur den Kopf, schmunzelte und sah mir dann ernst in die Augen. »Lisa, du solltest eigentlich wissen, dass ich nichts tun würde, was du nicht willst!«

Beschämt schaute ich auf unsere Hände.

Der Kellner kam und wir bestellten etwas zu trinken.

Dann hielt mich Josh noch fester: »Hör zu, Lisa, wenn wir schon dabei sind ... ich möchte dich etwas fragen.«

Meine Gefühle und Gedanken spielten verrückt.

Josh wirkte nun ziemlich verkrampft. »Ich wollte dir doch am nächsten Samstag mein Haus zeigen, nicht wahr?«

»Ja, ist etwas dazwischengekommen?«

Er lächelte belustigt. »Nein, alles in Ordnung. Wir haben allerdings den ganzen Tag für uns. Jesry und Cathy können erst am Sonntag kommen. Wir dachten, wir gehen dann hinunter nach White Rock. Dort findet am Sonntag der Sandburgenwettbewerb statt. Würde dich das interessieren?«

»Oh ja, das würde ich mir gerne ansehen.«

Ich war zufrieden, dass er nur das fragen wollte, aber dann kam noch was: »Das war noch nicht die Frage, die ich dir wirklich stellen wollte.«

Fragend schaute ich ihm in die Augen. Er versprühte wieder seinen ganzen Charme. »Ich wollte dich fragen, ob du ... am Samstag ... bei mir übernachten möchtest.«

Er fixierte mich erwartungsvoll. Er hatte doch eben gesagt, dass er nichts tun würde, was ich nicht auch wollte. Ich kam ins Grübeln. »Du meinst, damit du mich nicht extra nach Hause fahren musst?!«

»Äh, ... ja, auch deswegen. Und weil ich nicht alleine sein möchte. Ich würde gerne länger mit dir zusammen sein. Das Wochenende ist schon kurz genug, nicht wahr?«

Es klang ehrlich. Sein Charme begann mich zu fesseln, und ich musste dringend meinen Verstand walten lassen. »Josh, ich weiß nicht, ob das gut ist.«

Er runzelte seine Stirn. »Warum nicht? Vertraust du mir nicht?«

»Doch, ich vertraue dir. Aber, es hat mit mir zu tun. Ich vertraue meinen Gefühlen noch nicht so ganz!«

»Wie meinst du das?« Er wusste wirklich nicht, wovon ich sprach, und sah mich verwirrt an.

Ich versuchte, es ihm zu erklären: »Kannst du dir nicht vorstellen, dass ich vielleicht mehr will, als du selbst?«

Komischerweise hatte ich überhaupt keine Hemmungen, darüber zu reden.

Seine Stirnrunzeln verzogen sich und er schaute beschämt auf unsere Hände.

»Nein, daran habe ich wirklich nicht gedacht.«

»Josh! – Ich würde gerne bei dir übernachten!«

Sein Gesicht hellte sich auf. Er war sichtlich erleichtert. Wir saßen eng umschlungen da und blickten auf den immer dunkler werdenden Horizont. Während unseres Gesprächs hatte ich vieles von der Aussicht verpasst. Und das wollte ich nun nachholen.

Als wir uns vor meiner Wohnung verabschieden wollten, erzählte ich ihm von der Nachbarin, die uns vermutlich auch heute beobachten würde.

Josh lachte still und meinte: »Dann sollten wir ihr doch etwas bieten, meinst du nicht auch?«

Er nahm mich in die Arme und küsste mich so sehr, dass mir schwindlig wurde. Josh löste sich von mir und verneigte sich dann vor dem Nachbarhaus, als wäre dort sein Publikum und er der Schauspieler auf der Bühne. Wir konnten uns kaum erholen vor Lachen, während wir um die Ecke liefen außer Sichtweite der Alten.

Josh rang nach Luft und sagte grinsend: »So, die wird uns so schnell nicht mehr beobachten.«

Wir schauten uns lange an. Meine Gefühle für ihn wurden immer stärker. Wie lange sollte das noch so gehen? »Josh, ... meine Gefühle für dich werden immer stärker. Ich glaube, das wird nicht ganz ungefährlich am Wochenende.« Schuldbewusst musterte ich ihn.

»Du kannst ja im Gästezimmer schlafen. Ich könnte es von außen verriegeln und ...«

Ich versetzte ihm einen Tritt. Wie konnte er sich nur darüber lustig machen.

Er verzerrte sein Gesicht, sagte dann aber: »Hör zu, Lisa, ich weiß nicht, was am Wochenende passieren wird. Ich möchte einfach, dass du weißt ..., dass ich dich ... unheimlich gern hab. Seit das mit Maria geschehen ist, habe ich das Gefühl der Liebe vermisst. Doch dies zwischen uns ist mehr als eine Geschwisterliebe. Und gewiss gehört da auch mehr dazu. Aber erst wenn beide das wollen. Ich habe keine Angst davor. Ich möchte, dass unsere Gefühle stimmen.«

Ich war erstaunt über seine Offenheit. Er war unglaublich!

»Ja, das möchte ich auch. Aber der Verstand sollte auch dabei sein, Josh.«

»Wie meinst du das?«

»Ich meine die Verhütung. Machst du dir darüber keine Gedanken?«

»Doch, natürlich. Ich würde dafür sorgen«, sagte er ernst.

»Das musst du nur fürs Wochenende tun. Danach ist das Problem gelöst. Ich habe mir die Pille verschreiben lassen.«

»Das hast du getan? Bist du sicher, dass du sie verträgst? Cathy hat mir da allerlei erzählt.«

»Ach, hat sie das?! Wie denn das?«, fragte ich schnippisch.

»Na ja, sie hatte arge Schwierigkeiten mit der Pille, anfangs, als sie begann, mit Jesry auszugehen. Sie vertröstete ihn immer wieder aufs Neue. Der arme Kerl drehte fast durch.«

»Wie lange musste er sich denn gedulden?«

»Ungefähr drei Monate!« Josh begann zu lachen.

Ich konnte es mir auch nicht mehr verkneifen. Wenn man sich Jesry in dieser Situation vorstellte, musste man einfach lachen.

Als wir uns wieder beruhigt hatten, umarmten wir uns noch einmal und küssten uns innig. Wir verabschiedeten uns, und Josh stieg in seinen Wagen.

Er rief mir noch zu: »Ich hole dich am Samstag um neun ab. Vergiss die Zahnbürste nicht!«

Ich winkte ihm nach und atmete tief durch. Das also war geklärt.

Sehnsuchtsort Vancouver

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