Читать книгу Fettnäpfchenführer Spanien - Lisa Graf-Riemann - Страница 13

TOM UND LENA GEHEN ESSEN

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ODER: ¡HOLA, CAMARERO!

»Okay, okay, Lena«, sagt Tom, »ich muss dir recht geben. Jetzt so im noch von Mama gebügelten Hemd, schicker Hose und geputzten Halbschuhen fühle ich mich fast wie ein Minister, und es ist ein gutes Gefühl, nicht wie der letzte Ballermanntourist auf Restaurantsuche zu gehen. Aber nun wird es auch wirklich Zeit, dass ein feines Lokal am Horizont auftaucht.« Tom hat sich mit einer Packung Kartoffelchips, die patatas fritas heißen, genauso wie die Pommes frites, über seinen Heißhunger hinweggerettet. Lena hat ihn überreden können, sich noch schnell umzuziehen, denn wenn die Spanier sich schon für die Strandpromenade so herausputzen, dann erscheinen sie im Restaurant bestimmt nicht in Shorts und Sandalen. Es ist mittlerweile fast 22 Uhr, da kehren Hunger und Durst zurück. Die beiden entscheiden sich für das Restaurante Casa Pepe, in dem sie zuvor den Kellner beim Tischdecken gestört hatten. Es sah sehr angenehm aus. Nun ist es fast voll. Die Stimmung scheint gut, die Gäste unterhalten sich lautstark, Gelächter, Geschirr- und Gläserklappern. Alles fröhlich, alles lustig. Das ist ganz nach Toms Geschmack, denn »hier rührt sich was!«.

»Da hinten ist noch ein Tisch frei. Los, den nehmen wir, bevor ihn uns noch jemand wegschnappt!« Und schon stürmt Tom los. Lena bleibt gar nichts anderes übrig, als ihm hinterherzulaufen. Tom winkt ihr vom eroberten Platz aus zu, als habe sie auf dem Weg die Orientierung verloren. Na ja, denkt sie, dann ist bestimmt auch der Kellner schon auf uns aufmerksam geworden.

Sie sitzen nun beide am Tisch, der Kellner hat alle Hände voll zu tun in dem gut besuchten Lokal. Sie warten.

»Also die Karte könnte er uns aber schon langsam mal bringen.« Tom beginnt schon wieder ungeduldig zu werden. Er hat Durst, er hat Hunger und er fühlt sich übersehen. »Wie ruft man denn den Kellner?«, fragt er Lena, aber die zuckt nur mit den Achseln. Das habe sie noch nicht herausgekriegt und in ihrem Spanischbuch stünde nichts darüber, das wüsste sie. Dezente Handzeichen zeigen keine Wirkung, denn der Kellner kommt selten in ihre Nähe, und wenn, wirkt er äußerst beschäftigt. Als er das nächste Mal vorbeihastet, ruft Tom laut und etwas unwirsch »¡Hola!«, denn das heißt doch »Hallo«. Der Kellner dreht sich kurz zu ihm um, ruft ebenfalls »¡Hola!« und hastet weiter. Einige Gäste lachen über die Szene. Tom und Lena fühlen sich unbehaglich. Der Kellner kommt nun doch mit der Karte zurück und nimmt die Getränkebestellung auf. Lena bestellt ein Viertel Rotwein und Tom bestellt ebenfalls Rotwein, ebenfalls ein Viertel.

Die Speisekarte ist umfangreich und Tom sucht vergeblich nach einem englischen oder deutschen Teil. Schon die Einteilungen erscheinen ihm seltsam: Primeros, Segundos. Heißt das nicht »erster, zweiter«? Ach so: erster Gang, zweiter Gang! Aber das ist Tom für den ersten Abend alles zu kompliziert. Als der Kellner einen halben Liter Rotwein in einer Glaskaraffe bringt – zwei Viertel macht ein halbes, der Mann kann rechnen –, bestellt Tom kurzerhand das menú número uno (1), das erspart ihm die beschwerliche Auswahl, und Lena nimmt menú número dos (2). Die beiden lassen sich von den Gerichten, die sie bestellt haben, ohne sie zu kennen, einfach überraschen. Und die Überraschung ist durchaus angenehm. Das Essen ist lecker, ebenso der Wein. Tom isst seinen Teller bis auf den letzten Krümel leer, die Vorspeise, den Hauptgang und den Nachtisch, da pickt er sich sogar noch ein paar Rosinen aus Lenas Schälchen. So, alles aufgegessen, dann scheint morgen wenigstens die Sonne. Ob’s den Spruch hier im Sonnenstaat Spanien auch gibt? Egal, Tom ist endlich satt und bestellt zufrieden noch einen halben Liter Wein nach. Nur das Mineralwasser, das er bestellt hat, schmeckt ihm überhaupt nicht. Es hat aber auch jeden Rest von Kohlensäure eingebüßt und schmeckt schal und abgestanden. Aber sonst ist Tom mit der Welt nun wieder einigermaßen im Reinen.

Was ist da schiefgelaufen?

Der erste Fauxpas war, in einem gut gefüllten Lokal auf den letzten freien Tisch zuzurennen und ihn selbst zu erobern. Wenn Sie als Gast ein Lokal betreten, wird der Ober oder Kellner – in Spanien sind es meist Männer – Ihnen gern einen Tisch zuweisen, wenn Sie ihm sagen, wie viele Personen Sie sind. Im Fall von Tom und Lena: dos personas. Sind alle Tische belegt, und Sie rechnen damit, dass demnächst einer frei wird, weil die Herrschaften schon bei Eis und Karamellpudding sitzen, dann wäre es sehr unhöflich, sich neben diesen Tisch zu stellen und abzuwarten, bis er frei wird. Sie wissen ja jetzt, wie wichtig den Spaniern die Privatsphäre ist.

Mit Fettnäpfchen Nummer zwei sorgte Tom im Restaurant zwar für Heiterkeit, erzielte aber nicht den erwünschten Effekt. ¡Hola! ist ein Gruß und sonst nichts. Einen Ober locken Sie damit nicht an den Tisch.

Nummer drei: Teller leer essen, damit auch am nächsten Tag die Sonne scheint. In Spanien gibt es nicht nur kein ähnliches Sprichwort – wahrscheinlich, weil die Sonne sowieso öfter und kräftiger scheint, als von den meisten Spaniern gewünscht. Es ist auch keine Tugend, seinen Teller so spiegelglatt zu putzen wie eine Katze, die ihr Lieblingsfutter bekommen hat. Damit hinterlässt man in Spanien eher einen kleinlichen, pedantischen, leicht zwanghaften Eindruck.

EIN MENÚ DEL DÍA (TAGESMENÜ) …

... besteht aus einem ersten Gang (Primero; 1o), z. B. einer Suppe, einem Salat, einer warmen oder kalten Vorspeise, einem Hauptgang (Segundo; 2o) und einer Nachspeise (Postre). Achten Sie auch auf das Kleingedruckte am Ende der Karte. Das erklärt nämlich, was im Preis inbegriffen ist und was nicht. Wenn da steht: Incluye pan y vino, dann sind Brot und ein Glas Hauswein inklusive. Die All-inclusive-Variante heißt: Incluye bebida, pan, postre y café. Sie bekommen also ein Getränk Ihrer Wahl (Wasser, Limonade, Wein), Brot, Nachtisch und Kaffee zum Pauschalpreis.

Apropos Kaffee: Mit café ist immer café solo, Espresso, gemeint. Wenn Sie etwas anderes haben wollen, cortado [kortado] etwa, Espresso mit Milch, oder den großen Milchkaffee, café con leche [kafe kon letsche], den Spanier eigentlich nur morgens trinken, dann müssen Sie das dazusagen.

Das menú del día wird meistens mittags angeboten und ist übrigens kein spezielles Touristenmenü, sondern das, was auch die Spanier in der Mittagspause gerne bestellen. Weil es einfacher und preiswerter ist, als à la carte zu essen, schneller geht und trotzdem schmeckt.

Was können Sie besser machen?

Statt wie Wilhelm der Eroberer einen Tisch zu kapern, an dem noch jemand sitzt oder den Belagerungszustand durch aufdringliches Warten neben dem Tisch zu demonstrieren: Setzen Sie sich lieber ganz entspannt an die Theke, nehmen Sie ein Getränk, einen aperitivo, zu sich oder warten Sie im Eingangsbereich des Lokals, wenn dort Platz ist. Nur keine Hektik. Es wird alles gut werden.

Wie ruft man denn nun den Kellner? Mit ¡Hola! erntet man allenfalls einen Gegengruß, denn es heißt tatsächlich »Hallo« im Sinne von »Guten Tag«. ¡Camarero! zu rufen, wäre auch nicht sehr fein. Am besten Sie rufen: ¡Por favor! (Bitte!), dann ist klar, dass Sie auf sich aufmerksam machen möchten und offensichtlich einen Wunsch haben. Natürlich können Sie dem Kellner flankierend dazu noch ein Handzeichen geben, sollte er gerade in Ihre Richtung sehen. Wundern Sie sich auch nicht über Gezischel oder Pfeifen im Speiseraum, wenn es gerade einmal heiß hergeht. Sind die Kellner gestresst und überfordert und die spanischen Gäste sehr ungeduldig oder hungrig, dann versuchen sie schon einmal mit einem lauten ¡Psssssst! den Ober auf sich aufmerksam zu machen. Achtung: Sie sollten diese Methode, die Herrn Knigge niemals gefallen hätte, als nicht einheimischer Gast nicht nachahmen!

PULSAYVOY

In einigen Restaurants und Lokalen in Spanien, vor allem in Madrid, findet man runde Döschen auf den Tischen installiert, auf denen Pulsayvoy steht, was so viel wie »Drückundichkomme« heißt. Darauf sind drei Knöpfe, die man drücken kann: Nummer eins ruft den Kellner, Nummer zwei bestellt Getränke nach und Knopf drei fordert die Rechnung an. Diese Wünsche kann der zuständige Kellner auf einer Art Armbanduhr an seinem Handgelenk ablesen und einem bestimmten Tisch zuordnen. Vielleicht gehört das »Psssst!« in den (weniger feinen) Restaurants also bald der Vergangenheit an.

Noch ein Wort zu den Getränken. Wein können Sie offen als halben (medio litro) oder ganzen Liter (un litro) bestellen, natürlich auch eine 0,75-Liter-Flasche (una botella [una boteja]). Spanier sind meist Weinkenner und bevorzugen zu einem guten Essen auch einen guten Wein, oder mehrere, je nach Speisenfolge.

Sind Sie zu mehreren, dann ist es üblich, die Getränkewünsche untereinander abzusprechen. Also: Wer trinkt Weißwein, wer möchte lieber Roten? Dann wird ein Liter bestellt oder auch zwei, mit entsprechend vielen Gläsern. Auch Mineralwasser wird als Liter- oder Halbliterflasche bestellt. Es ist in Spanien übrigens immer automatisch ein stilles Wasser (agua mineral sin gas). Möchten Sie ein kohlensäurehaltiges Wasser, müssen Sie dies extra bestellen: agua mineral con gas. Da die Trinkwasserqualität nicht überall gleich gut ist, ist eine Bestellung von Leitungswasser (agua del grifo) nicht immer empfehlenswert.

An dieser Stelle auch noch etwas zum Brot (pan). Weißbrot wird in Spanien unaufgefordert zu jedem Essen gereicht. Es muss auch nicht extra bezahlt werden, was manche deutschen Reisenden richtiggehend euphorisiert und zu übermäßigem Brotkonsum animiert. Worüber sich die Spanier dann wieder wundern.

Wie macht man das mit dem Brot am Tisch nun richtig, wenn man in Spanien is(s)t? Man bricht mit der Hand kleinere Stücke davon ab und isst diese wie eine (trockene) Beilage zu den Speisen. Was man mit dem Brot nicht tun sollte: es mit Essen, mit Käse etwa, belegen. Wenn Sie Käse bestellt haben, zum Beispiel eine Tapa mit manchego, einem Hartkäse aus Schafmilch, der aus der Region Castilla-La Mancha stammt, essen Sie den Käse mit Messer und Gabel und dazwischen, separat und stückchenweise, etwas Brot. Nicht zusammen wie ein belegtes Brot. (Mehr zum spanischen Käse in Kapitel 23.)

Sie sollten sich auch nicht schon zur Vorspeise mit dem gesamten Brotvorrat auf dem Tisch vollstopfen. Anders als zuweilen in Deutschland bleibt das Brot hier bis zum Nachtisch auf dem Tisch stehen.

Was man außerdem in Spanien mit Brot nicht tun sollte: es mit Messer und Gabel zerschneiden, ganze Scheiben in den Mund schieben oder von einer ganzen Scheibe oder einem größeren Stück abbeißen. Das Brotkörbchen oder -tellerchen steht übrigens links neben dem Essteller, in Höhe der Gläser. Wenn überhaupt Soße auftunken, dann dafür ein Brotstück auf eine Gabel spießen und die Soße kosten, nicht den Teller damit blank wischen! Übrige Brotstücke, Krümel oder harte Rindenstücke immer ins Brotkörbchen zurücklegen, nicht auf den Tisch legen. Soweit zum Brot.

Und noch ein letzter Tipp in diesem Kapitel: Nicht immer alles bis zum letzten Krümel aufessen, vor allem nicht, wenn Sie privat eingeladen sind. Denn dann denken Gastgeber und Gastgeberin, dass Sie nicht satt geworden sind – oder, schlimmer, dass Sie nicht satt zu kriegen sind! Sie werden also angesichts eines blanken Tellers immer genötigt werden, noch ein bisschen mehr zu nehmen, noch einen Teller und noch einen. Wenn Sie das NICHT möchten, lassen Sie einfach einen kleinen Rest auf Ihrem Teller liegen und versichern Sie auf Nachfrage, es habe sehr fein geschmeckt, aber nun seien Sie wirklich satt: Gracias, estaba delicioso, pero estoy satisfecho (wenn sie ein Mann sind)/satisfecha (wenn Sie eine Frau sind) [grathias, estawa delithjoso, pero estoi satisfetscho/satisfetscha].

Mit Getränken läuft es ganz genauso. Sobald Sie Ihr Weinglas ausgetrunken haben, wird Ihnen Ihr Gastgeber oder Ihre Gastgeberin nachschenken oder eine neue Flasche Bier aufdrängen. Vermeidungsstrategie ist auch hier: einfach einen Rest im Glas belassen.

Und auch in gehobenen Restaurants gilt oder galt es zumindest als unfein, alles bis auf den letzten Rest aufzuessen. Das wirkt gierig und ausgehungert. Eben so, wie niemand gerne wirken möchte.

LA MANCHA

Die Region La Mancha ist Ihnen wahrscheinlich noch von einem anderen manchego, nämlich dem fahrenden Ritter Don Quijote de La Mancha, der gegen Windmühlen kämpfte, bekannt. Die wohl bekannteste spanische Literaturfigur stammt von Miguel de Cervantes, dem spanischen Nationaldichter. Er ist mit Goethe vergleichbar, aber viel lustiger zu lesen. Nebenbei hat Cervantes mit dem »Quijote« den ersten Roman der Weltgeschichte geschrieben. Wenn Sie einmal durch die weiten Ebenen von Castilla-La Mancha reisen, treffen Sie heute noch auf die historischen Windmühlen und ihre Hightech-Verwandten, die modernen Windkraftanlagen.

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