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LENA IM ANFLUG AUF SPANIEN
ODER: EIN LAND, VIELE KULTUREN
Lena sitzt im Flugzeug von Frankfurt nach Málaga. Nebel über dem Rollfeld vor ihr, Regentropfen haften außen am Fenster. Sommer sieht anders aus, findet Lena und zieht den Reißverschluss ihrer Fleecejacke hoch. Bloß weg, denkt sie, genau wie die anderen rund zwölf Millionen deutschen Spanienurlauber jedes Jahr. »Spanisch in 30 Tagen« verspricht das Buch auf ihrem Schoß. Bis Tag 13 ist sie schon gekommen, hoffentlich bringt das kein Unglück. Lena hat sich an einer Sprachenschule für einen Intensivkurs Spanisch angemeldet, erster Schritt und Sprungbrett in die große weite Welt für Lena, frisch gebackene Sozialwirtin aus Frankfurt mit Berufswunsch Entwicklungshilfe.
»Señores pasajeros, bienvenidos a bordo – willkommen an Bord«, begrüßt der Iberia-Flugkapitän die Passagiere. Er sagt noch viel mehr und Lena ist ziemlich geschockt. Sie versteht kein Wort aus diesem schnell abgefeuerten, undeutlichen Wortbandwurm. Erst in der englischen Begrüßung versteht Lena, dass sie in Málaga ein strahlend blauer Himmel und angenehme 28 Grad Celsius erwarten, während sie bei Nieselregen und gefühlten 10, aber gemessenen 14,5 Grad Celsius in Frankfurt abgeflogen sind. Wunderbar, so soll es sein. Der dunkelhaarige, schlanke Businessman auf dem Gangplatz in ihrer Sitzreihe mit dem markanten Profil lenkt Lena sofort von ihrem Spanischkurs ab. Er ist bestimmt Spanier und bei ihm könnte sie ihre Sprachkenntnisse ja gleich einem Praxistest unterziehen. Als er ihr mit einem sympathischen Lächeln den bestellten Orangensaft aus den Händen der Stewardess weiterreicht, ist es soweit: »Perdone, sind Sie Spanier?«, fragt Lena ihn. Und er? Sagt weder Ja noch Nein, sondern: »Catalán. Katalane«. Und als Lena ihn ansieht wie ein Kälbchen, wiederholt er es auch noch einmal: »Ich bin Katalane.« Ja, aber er spreche doch Spanisch?, will Lena wissen und ihre Reisebekanntschaft, die sich als Xavi Creus, gesprochen [schawi kre_us] vorstellt, erklärt ihr mit Bestimmtheit, dass seine Muttersprache Katalanisch sei. »Catalán«, sagt er.
ZUR AUSSPRACHE
Die Aussprache des Spanischen ist nicht schwierig, aber manche Wörter werden doch anders geschrieben als ausgesprochen. Daher haben wir in diesen Fällen eine ganz einfache Umschreibung, zugeschnitten auf deutsche Sprecher, als Aussprechhilfe verwendet. Was zwischen eckigen Klammern gefettet erscheint, sind die betonten Silben. Der Unterstrich bedeutet hier, dass Sie ein spanisches »eu« nicht wie ein deutsches »oi«, z. B. in »Euro«, sprechen, sondern e und u getrennt: euro [e_uro], Creus [kre_us]. (Siehe hierzu auch den Wissenskasten »Spanische Aussprache« in Kapitel 2.)
Catalán? Das kennt Lena! Diese Sprache hat sie bei ihrem letzten Urlaub auf Mallorca kennengelernt. Es hörte sich manchmal an wie Spanisch und manchmal ein bisschen wie Französisch. Verstanden hat sie so gut wie nichts und sie dachte sich: Müssen die denn jetzt wirklich ihren Dialekt auch im Gespräch mit Ausländern sprechen, die schon froh sind, wenn sie buenos días, por favor und gracias herausbringen?
»Ja«, sagt Lena, »in Deutschland gibt es auch ziemlich viele Dialekte: Hessisch, Schwäbisch, Bairisch … Und manche kann man kaum verstehen, selbst wenn man Deutsche ist. Aber zum Glück bemühen sich die meisten, hochdeutsch zu sprechen, besonders ausländischen Touristen gegenüber. Bis auf ein paar Almbäuerinnen, aber bei denen gehört das dazu zum Klischee, wie die lila Kuh zur Schokolade«. Xavi, der fesche Katalane, hört Lena interessiert zu, aber auf seiner Stirn bildet sich eine steile Zornesfalte. Lena hat sogar den Eindruck, als käme plötzlich ein wenig Farbe in seinen hellen Teint, der auffällig mit dem tiefschwarzen Schatten am Kinn kontrastiert. Was hat er denn?, überlegt Lena. Flugangst? Er nippt von seinem stillen Mineralwasser.
»Sie sprechen aber doch auch Hochspanisch – oder wie nennt man das bei Ihnen?«, setzt Lena noch einmal nach.
»Castellano [kastejano]«, sagt er. »Castellano, also Spanisch, war die erste Fremdsprache, die ich in der Schule gelernt habe. Dann Englisch, ein wenig Französisch und ein wenig Deutsch.«
Moment, die Landessprache Spanisch als erste Fremdsprache? Wie krass ist der denn drauf?, denkt Lena. »Sie sprechen aber wirklich super Deutsch. Ich wäre ja froh, irgendwann so gut Spanisch babbeln zu können.« Irgendwie scheint ihr Sitznachbar aber die Lust an der Unterhaltung verloren zu haben, holt eine Zeitung aus seinem Aktenkoffer und verschanzt sich dahinter. El País heißt seine Zeitung. Das ist Spanisch, meinetwegen auch castellano, freut sich Lena und versteht sogar, was El País bedeutet: »Das Land«.
Später, beim Imbiss, erkundigt Xavi sich bei Lena noch nach ihrem Reiseziel und ob sie Urlaub in Spanien mache. Sehr höflich und nett, aber Lena merkt deutlich, dass die Luft raus ist. Xavi wünscht ihr zum Abschied einen schönen Aufenthalt in Spanien und das war’s dann auch. Schade eigentlich.
Was ist da schiefgelaufen?
Welche Laus ist Lenas Mitreisendem denn da über die Leber gelaufen? Es war nicht die Flugangst, sondern hatte durchaus etwas mit Lenas freimütig geäußerter Unkenntnis oder der etwas unbedachten Einschätzung der spanischen Wirklichkeit zu tun.
Eine der Grundregeln für das Verständnis Spaniens und der Spanier lautet: Verwechsle nie die Regionalsprachen mit Dialekten! Zum einen weil sie keine Dialekte sind, zum anderen weil man mit dieser Fehleinschätzung die stolzen Katalanen, Basken und Galicier direkt ins Mark trifft und sich damit extrem unbeliebt machen kann.
Katalanisch ist eine eigenständige romanische Sprache, die mindestens so alt ist wie das heutige Spanisch – español oder auch castellano, Kastilisch, genannt – und von etwa dreizehn Millionen Menschen im Nordosten Spaniens gesprochen wird, von der französischen Grenze bis nach Valencia und Alicante. Außerdem im südfranzösischen Département Pyrénées Orientales, das auch als Nordkatalonien bezeichnet wird, in der Stadt Alghero (katalanisch L‘Alguer) auf Sardinien/ Italien, auf den Balearen, also auch auf Mallorca, wie Lena richtig erkannt hat, und im Zwergstaat Andorra, einem unabhängigen Fürstentum in den östlichen Pyrenäen. Katalanisch wird auch als Brückensprache zwischen Spanisch und Französisch bezeichnet. Manchmal ist es näher am Spanischen (katalanisch: bon dia, spanisch: buenos días), manchmal näher am Französischen. So heißt blau auf Spanisch azul, auf Katalanisch aber blau, ähnlich dem französischen bleu.
Und wie ist es nun mit den Dialekten?, werden Sie jetzt vielleicht fragen. Gibt es in Spanien auch noch Dialekte? Ja, die gibt es, aber sie spielen praktisch keine Rolle. Am bekanntesten ist das Andalusische, das sich vor allem durch das Weglassen von Buchstaben auszeichnet. Zum Beispiel wird das Schluss-s im Süden des Landes und auf den Kanaren gerne verschluckt, sodass aus der Bestellung »dos cafés« schon mal »do café« wird. Aber nur gesprochen! Geschrieben werden auch alle verschluckten Buchstaben.
Ansonsten gilt, dass Dialekte eher auf dem Land verbreitet sind. Städter bemühen sich meist um eine akzentfreie Schriftsprache. Ein anderes Thema ist wiederum die Umgangssprache, der Slang, der in Spanien auffällig viele »schmutzige« Wörter enthält. Darüber erfahren Sie später in Kapitel 20 noch mehr.
EIN LAND, FÜNF SPRACHEN
Fünf? In Spanien sollten doch alle Spanisch (español) oder Kastilisch (castellano), wie es auch genannt wird, sprechen, denken Sie. Und so ist es ja im Grunde auch. In den Regionen gibt es aber weitere Amtssprachen neben dem Kastilischen. Das sind: Katalanisch (català) vor allem im Nordosten Spaniens, Baskisch (euskara) im Baskenland und Galicisch (galego) in Galicien, im äußersten Nordwesten des Landes.
Während Galicisch und Katalanisch romanische Sprachen sind (wie Spanisch, Französisch, Italienisch etc.), ist das Baskische mit keiner anderen europäischen Sprache verwandt, also eine sehr alte, isolierte Sprache, die sich da im gebirgigen Grenzland an den Ausläufern der Pyrenäen erhalten hat und heute etwa 750.000 Sprecher zählt. Wenn Sie Baskisch hören oder lesen, verstehen Sie kein Wort.
Galicisch, das 3,5 Millionen Menschen sprechen, ist mit dem Portugiesischen verwandt und hat selbst auch Sprachenstatus, ist also kein Dialekt.
Katalanisch zählt 9 Millionen Sprecher unter anderem in Katalonien, Andorra und auf den Balearen – wo mallorquí, Mallorquinisch, gesprochen wird, eine Unterart des Katalanischen. Auch die Provinz Valencia spricht eine Varietät des Katalanischen, das valencià, Valencianisch, das in Valencia ebenfalls den Status einer Amtssprache hat. (Zum Valencianischen folgt ein Wissenskasten in Kapitel 9.)
Wenn Sie bis hierher gut mitgezählt haben, haben Sie erst vier Sprachen gezählt. Und die Nummer fünf? Ist Aranesisch, aranès, gesprochen im Val d’Aran, dem Aran-Tal in den Pyrenäen, von gerade mal 3.000 Seelen. Tendenz fallend.
Und wenn Sie sich jetzt fragen: ¿Están locos, los españoles? (Ja, spinnen die Spanier denn?), dann heißt die Antwort: Nein. Die Sprachenvielfalt auf der Iberischen Halbinsel ist einfach eine Realität, nur hat der Rest Europas davon bisher wenig Notiz genommen. Die eiserne Unterdrückung durch den diktatorischen Zentralstaat während der Franco-Ära, die 46 Jahre dauerte (1939–1975), hat den Wunsch nach politischer und kultureller, auch sprachlicher Eigenständigkeit nicht kleiner, sondern größer werden lassen.
ANDORRA
Das Principat d’Andorra (Fürstentum Andorra) gibt es schon seit über 700 Jahren. Es ist der größte unter den sechs Zwergstaaten Europas und liegt in einem Hochtal der Pyrenäen. Es wird von zwei Fürsten regiert: dem Bischof von Urgell in Katalonien und einem Kofürsten, dem Präsidenten von Frankreich. Andorra ist bekannt als Steueroase, aber auch als Wintersportregion. Die Hauptstadt heißt Andorra la Vella. Alleinige Amtssprache ist Katalanisch.
Was können Sie besser machen?
Akzeptieren, dass Spanien ein Land der Regionen ist, in dem es eine große kulturelle und sprachliche Vielfalt gibt. Katalanen fühlen sich in erster Linie als Katalanen, Basken als Basken, Galicier als Galicier und Andalusier als Andalusier. Und erst in zweiter Linie als Spanier. Wenn Sie das verstanden haben und Ihren Respekt vor den Regionalsprachen und -kulturen zum Beispiel durch ein paar Brocken in der jeweiligen Sprache zum Ausdruck bringen, dann haben Sie viel von der »spanischen« Mentalität und Lebensart verstanden. Und sie werden auf Basis dieses Grundverständnisses keinen Ressentiments mehr begegnen, wenn Sie das Gespräch mit Ihrem Gegenüber dann doch lieber auf Spanisch oder Englisch fortsetzen wollen. Man erwartet von Ausländern nicht, dass sie Katalanisch oder gar Baskisch sprechen. Man möchte lediglich in seiner eigenen kulturellen Identität wahrgenommen werden.