Читать книгу Fettnäpfchenführer Spanien - Lisa Graf-Riemann - Страница 15
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HOLA, SOY LENA ROTH
ODER: WER SCHÜTTELT WEM DIE HAND?
Nach ihrem wunderbaren Abendessen haben sich Lena und Tom bei einem letzten Absacker in der Bar voneinander verabschiedet. Tom wird noch ein paar Tage in Nerja bleiben und dann nach Madrid weiterreisen. Lena fährt am nächsten Tag mit dem Bus nach Alicante. Dort hat sie sich für einen Intensivkurs an einer renommierten Sprachenschule angemeldet. Über die Schule hat sie eine Adresse für eine Wohngemeinschaft zusammen mit anderen Studentinnen bekommen.
PISO COMPARTIDO – DIE WG
WGs heißen in Spanien pisos compartidos (geteilte Wohnungen). Sie sind nicht nur für Studierende oder Sprachstudenten ideal. Wenn die Mitbewohner Spanier sind, ist es die beste Art, sich mit der Sprache, den kulturellen Eigenheiten, dem Tagesrhythmus und der Kochkunst Spaniens vertraut zu machen. Anzeigenportale für WGs und Mitbewohner im Internet sind: www.segundamano.es und www.pisocompartido.com.
Nun ist Lena auf dem Weg zu der Wohnung, um sich das freie Zimmer anzusehen und die chicas (Mädels) der WG kennenzulernen. Sie geht durch Straßen, die von Palmen gesäumt sind. Altbauten stehen neben neueren Gebäuden, aber alle Fassaden sind hell, gepflegt, mit hübschen kleinen Balkonen. Sie genießt das südliche Flair und überhört fast den Lärm des Straßenverkehrs, der Busse, der Mopeds in den Gassen. Aha, da ist es: Calle de Colón número 79. Wie? Lena zögert. Hier stehen ja gar keine Namen an den Klingeln, nur irgendwelche Abkürzungen. Lena ist ein bisschen ratlos. Sie sieht noch einmal auf den Zettel, den die nette Dame in der Schule ihr gegeben hat. Moment, was steht hier, 3o izda.? 3o wird wohl dritter Stock heißen, aber was heißt denn izda.? Egal. Genau diese Abkürzung findet Lena jedenfalls unter einer der Klingeln in der dritten Reihe und deshalb klingelt sie dort. Und wirklich summt gleich darauf der Türöffner und Lena fährt mit dem Aufzug in den dritten Stock. Als sich die Aufzugstür öffnet, entdeckt sie auf der linken Seite eine geöffnete Wohnungstür, in der eine Frau in Jeans und Trägertop steht und ihr ein freundliches hola zuruft. Lena gibt ihr die Hand und stellt sich vor: »Hola, soy Lena Roth.« »Abi«, antwortet die Frau mit dem dunklen Pferdeschwanz und erwidert Lenas Gruß mit unangenehm laschem Händedruck und grinst dabei ein wenig verlegen. Jedenfalls kommt es Lena so vor. Sie folgt Abi in die Küche, wo auch die beiden anderen Frauen sitzen, die in der WG wohnen. Abi stellt sie vor und Lena gibt wieder jeder die Hand – Mensch, haben die hier alle einen schlaffen Händedruck! – und hat irgendwie den Eindruck, dass sich die Mädels nicht so richtig wohl fühlen mit ihr. Sind die Spanierinnen etwa schüchtern? Oder hat es etwas mit ihr zu tun?
Abi zeigt Lena das freie Zimmer, das mit seinem Bodenbelag aus Steinfliesen sehr kühl wirkt. Das kleine Zimmer ist möbliert, das Bett ein schmales Metallgestell, aber es hat einen kleinen Schreibtisch, ist hell, geht nicht auf die Straße hinaus und der Preis ist okay. Außerdem kann Lena von hier aus zu Fuß zur Schule gehen. Ja, das wird sie nehmen. Wenn die drei Mädels nur nicht so zurückhaltend und reserviert wären.
STEINFLIESEN
Steinfliesen, baldosas, mögen uns auf den ersten Blick nicht sehr wohnlich erscheinen. In einem Land mit sehr warmem Klima sind sie jedoch, vor allem im Sommer, kein Nachteil. Auch Fensterläden oder Rollläden übrigens nicht, mit denen man zumindest die ärgste Mittagshitze aussperren kann. Traditionell werden Häuser in den heißen Gegenden, vor allem am Land, ganztägig verdunkelt. Zusammen mit den Steinfußböden wirkt das manchmal fast gespenstisch, wenn man sich in so einem Haus bewegt. Tritt man dann jedoch über die Schwelle hinaus in die Hitze, trifft einen schier der Schlag und man versteht, warum so konsequent verdunkelt wird.
Was ist da schiefgelaufen?
Das Auffinden der richtigen Wohnung hat ja noch geklappt. Es ist nämlich tatsächlich so, dass an spanischen Häusern keine Namen stehen. Dabei geht es vor allem um den Schutz der Privatsphäre. Lena wusste glücklicherweise – zumindest verriet es ihr der Zettel, den sie in der Sprachenschule erhalten hatte –, in welchem Stock sich die WG befindet. Wichtig ist bei Adressen außerdem, ob das Appartement eine Nummer oder einen Buchstaben (A, B, C) hat, nach dem Sie dann auf dem Klingelschild suchen müssen. 1o, 2o, 3o usw. bezeichnen das Stockwerk. Das Erdgeschoss heißt piso bajo [piso bacho] oder planta baja [planta bacha]. Izda. steht für izquierda [ithkjerda], links, dcha. steht für derecha [deretscha], rechts.
Auch dass Lena sich vorgestellt hat, war prima. Allerdings hätte der Vorname völlig ausgereicht, sie befand sich ja nicht auf einer Behörde oder an einer neuen Arbeitsstelle. Unter jüngeren Leuten gibt es in Spanien sowieso kein »Sie« und so gut wie keine Nachnamen. Und außerdem mehr Kosenamen als vollständige Vornamen, aber davon im nächsten Info-Kasten mehr.
Das war aber nicht das eigentliche Problem. Was die Verlegenheit unter den Mitbewohnerinnen hervorgerufen hat, war das Händeschütteln, zu dem Lena sie genötigt hat. Dabei haben sie sich sehr unwohl gefühlt und das mit ihrem laschen Händedruck auch zum Ausdruck gebracht. Mit Schüchternheit hat das nichts zu tun. Eine Begrüßung mit Handschlag wirkt in Spanien sehr steif und kommt im Grunde nur in formellen Situationen vor. Im Geschäftsleben zum Beispiel oder wenn man einer »Chef«-Person vorgestellt wird, die sich in der Hierarchie über einem selbst befindet. Unter Freunden, im privaten Umfeld, unter jungen Leuten, unter Gleichaltrigen und Gleichgestellten überhaupt kommt es praktisch nicht vor, dass man sich die Hand zur Begrüßung gibt. Das schafft nur eine Distanz, in der man sich unbehaglich fühlt, und erschwert das Warmwerden miteinander.
Was können Sie besser machen?
Was macht man denn nun bei einer lockeren, freundschaftlichen Begegnung mit Leuten? Auf jeden Fall nicht Händeschütteln. Aber was dann?
Das erfährt Lena, als es klingelt und Abis Freundin Pili in der Tür steht. Das gibt ein großes »Hola, hola«, alle springen auf und umringen Pili, dann wird sie reihum begrüßt, aber nicht per Hand-schlag, sondern per Umarmung und Küsschen links und Küsschen rechts. Und in ihrem Überschwang landet Pili zum Schluss auch bei Lena, erfährt, dass sie die neue Mitbewohnerin ist, und: Küsschen, Küsschen. Und auf einmal ist nur noch Lena ein wenig verlegen. Ein bisschen mehr Distanz fände sie jetzt gar nicht schlecht. Sie kennt Pili ja gar nicht. Aber alle anderen plappern munter drauflos und fühlen sich ganz offensichtlich so wohl wie Fische im Wasser.
ABKÜRZUNGEN UND KOSENAMEN
Abi, Pili … vielleicht wundern Sie sich über diese lustig klingenden Namen, die natürlich Abkürzungen sind. Abi kommt von Alba, was übrigens Morgendämmerung bedeutet, und Pili kommt von Pilar, was Pfeiler bedeutet. Pfeiler? Das kommt wiederum von Santa María del Pilar, Heilige Maria vom Pfeiler. Klingt für uns merkwürdig, ist im katholischen Spanien ein üblicher und ganz normaler Frauenname. Und für jeden Namen gibt es eine Kurz- oder Koseform: Trini = Trinidad, Maria Trinidad (»Dreifaltigkeit«), Loli = Lola = (María) Dolores (»Schmerzen«), Merche = Mercedes (»Gnaden«), Paco = Francisco (Franz), Nacho = Fernando (Ferdinand), Quique = Enrique (Heinrich), Chema = José María (Josef Maria) usw.
Später dann, als die ganze Meute beschließt, in die Bar nebenan zu gehen und noch etwas zu trinken, beobachtet Lena, dass nicht nur Frauen untereinander, sondern auch Männer und Frauen sich freundschaftlich mit Küsschen (besitos) begrüßen. Das erste Küsschen wird links (also auf die rechte Wange des Gegenübers), das zweite rechts (also auf die linke Wange) gegeben. Wobei die Küsschen eigentlich gar nicht richtig auf der Wange landen, sondern in die Luft gehaucht werden. Zwei Männer dagegen küssen sich nicht zur Begrüßung, sondern umarmen sich und klopfen sich auf die Schulter. Überhaupt fällt Lena auf, dass Spanier sich viel mehr berühren als wir in Deutschland. Zur Begrüßung, wie gesehen, aber auch beim Reden. Wenn man jemanden unterbricht, legt man ihm die Hand auf den Arm, oder man stellt sich zu einer Gruppe dazu und berührt den Nächststehenden an der Schulter. Das wirkt alles ganz natürlich und unverkrampft.
Und so ist es auch. Vornehme Distanz ist eventuell etwas für Businessmeetings oder Bälle in Adelskreisen, jedenfalls nichts für die Eckkneipe, in der man sich mit Freunden trifft.
Tipp: Eilen Sie nicht mit ausgestreckter Hand auf Menschen zu, sondern warten Sie ab, welche Art von Begrüßung das Gegenüber für passend hält. Und sollten Sie sich scheuen, Küsschen zu verteilen, dann werden Sie es in Spanien bald schaffen, diese Scheu zu überwinden. Sie müssen ja nicht »echt« küssen, sondern lediglich Ihre Wange in die Nähe der Wange Ihres Gegenübers bringen. Also die Küsschen nur andeuten, nicht wirklich küssen! Das dabei entstehende Geräusch wird lautmalerisch mit muamua umschrieben, nicht mit »schmatz, schmatz«. Nur nicht den steifen Deutschen auspacken, der einen Stock verschluckt hat und mit ausgestrecktem Arm Distanz herstellt. Das mögen Spanier nicht so gern.
Und wenn Sie sich mit dem Du schwer tun, dann warten Sie einfach ab, was die anderen tun. Wenn man Sie duzt, dürfen, ja sollen Sie ebenfalls duzen. Auch hier gilt: locker werden. Das rasche Duzen ist eher ein Angebot an Nähe und Sympathie, keineswegs eine Respektlosigkeit. Manche meinen sogar, das spanische tú (du) würde irgendwann die Funktion des englischen you erfüllen und das usted (Sie) in Zukunft ganz überflüssig machen.