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BUENOS DÍAS ODER BUENAS NOCHES?

ODER: WO IST DENN DA DIE LOGIK, BITTESCHÖN?

Während Lena ihr WG-Zimmer bezieht, macht Tom immer noch Urlaub in Nerja. Vormittags geht er an den Strand, natürlich in Shorts und Badeschlappen, mittags zieht er sich ins Hotel zurück, macht ein Mittagsschläfchen während der heißesten Stunden des Tages, und nachmittags geht er am liebsten shoppen. Die kleinen Läden mit ihrem großen Warenangebot haben es ihm angetan. Er liebt es, Haushaltswarenläden zu durchstöbern, Fotogeschäfte, auch Elektronikläden. Besonders begeistern ihn die chinos [tschinos]. Das sind Billigläden und Ein-Euro-Shops, die von Asiaten, Chinesen, Vietnamesen, so genau kann Tom das nicht erkennen, geführt werden. Manche sprechen ungefähr so schlecht Spanisch wie Tom, vielleicht hält er sich deshalb gern dort auf. Überall blinkt und glitzert es und die Neonfarben sind schrill bis schockierend, es riecht nach Plastik und Chemie, aber Tom freut sich über all die kleinen Entdeckungen, die in diesen Läden möglich sind. Der Nachtportier in seinem Hotel hat ihn zwar ausdrücklich gewarnt, als Tom ihm von seiner Leidenschaft für die chinos erzählte. Er solle gut aufpassen, in diesen Läden geschähen seltsame Dinge. Kunden würden in Hinterzimmer verschleppt und später fände man sie irgendwo mit einer dicken Narbe und allenfalls einer einzigen Restniere. Increíble das Ganze, wirklich unglaublich!

Chino oder nicht, woran sich Tom langsam gewöhnt, ist, dass alle kleineren Läden am Nachmittag geschlossen haben, und zwar sehr lange. Die meisten machen gegen 14 Uhr zu und dann erst um 16:30 oder 17 Uhr wieder auf. Das findet er nun wiederum wirklich unglaublich. Natürlich haben sie dann abends mindestens bis 20 oder 21 Uhr auf, aber dieser Rhythmus ist schon sehr gewöhnungsbedürftig. Siesta nennt sich das, und Tom hat eigentlich gedacht, das hätte es vielleicht vor ungefähr hundert Jahren gegeben. Aber heute? Andererseits, die Hitze ist ja mittags wirklich mörderisch. Zumindest wenn man Urlaub hat, kann man sich glatt dran gewöhnen, sich dann aufs Ohr zu hauen, und erst gegen Abend langsam anfangen, wieder lebendig zu werden.

Nur mit den Grußformeln kommt er irgendwie noch nicht richtig zurecht. Er geht nachmittags in den minimercado, sagt buenos días und wird mit buenas tardes zurückgegrüßt. Das merkt er sich. Am nächsten Tag geht er um 13 Uhr, also eindeutig Nach-Mittag, in die Bar auf einen schnellen Kaffee, sagt buenas tardes, und wenn der Kellner ihn überhaupt grüßt, dann mit buenos días. Wo ist denn da die Logik bitteschön? Und abends, wenn er – wohlgemerkt um halb zehn – in ein Restaurant zum Essen geht, heißt es beim Hineingehen buenas tardes und erst beim Hinausgehen buenas noches [buenas notsches]. Verstehe einer diese Spanier!

Und das Beste passierte dann gestern Vormittag, als er sein Hotel verließ. Er grüßte den Portier mit buenos días. Und was sagte der? Adiós [adjos], sagte er, und hasta luego [asta luego]! Pffft!

Was ist da schiefgelaufen?

Eigentlich ist es ganz einfach. Wegen der Grußformeln muss man sich nun wirklich nicht verrückt machen. Sie wechseln mit den Essenszeiten. Also: bis 14 Uhr (Mittagessen) sagt man buenos días. Das bedeutet sowohl »Guten Morgen« als auch »Guten Tag«. Danach buenas tardes, »Guten Tag« oder auch »Guten Abend«, und zwar wiederum bis zum Abendessen, also bis etwa 21:30, 22 Uhr. (Manche Leute sagen übrigens nur buenas nachmittags, abends oder nachts. Das ist einfach eine Kurzform, denken Sie an Moin oder Tach. Dabei fehlt schließlich auch die Hälfte.)

Wenn Tom abends das Restaurant betritt, sagt er buenas tardes. Beim Rausgehen, wenn das Abendessen in Verdauung übergehen kann, heißt es buenas noches, »Guten Abend« und »Gute Nacht«. Der Gruß wird, anders als das deutsche »Gute Nacht«, nicht nur vor dem Schlafengehen verwendet, sondern kann auch so etwas wie »einen schönen Abend noch« heißen.

Und wie ist das nun mit den Abschiedsformeln wie adiós und hasta luego (bis bald)? Wieso werden sie als Grußformeln verwendet?

Vielleicht ist die beste Erklärung diese: Spanier sind sehr kommunikativ und in der Regel immer bereit für eine kurze Unterhaltung. Ein freundliches hola, buenos días oder buenas tardes ist quasi schon eine halbe Aufforderung zu einer Unterhaltung. Besteht aber gar keine Zeit für eine Unterhaltung, weil jemand weg muss, schnell irgendwohin muss oder einfach nur gerade beschäftigt ist, dann blockt er ein potenzielles Gespräch ab und beugt einem beginnenden Pläuschchen vor, indem er nicht eine Gruß-, sondern eine Abschiedsformel als Gruß benutzt. Will heißen: »Hallo und tschüss, bin eigentlich auch schon wieder weg, bald mehr.«

Was können Sie besser machen?

Ganz einfach: an die späten, im Vergleich zum Rest Europas um etwa zwei Stunden verschobenen Essenszeiten denken und die Grußformeln daran anpassen. Grobe Formel: Um 14 und 22 Uhr ist jeweils ein Gruß-Wechsel fällig. Das wär’s auch schon.

Natürlich können Sie sich darauf beschränken, immer nur hola zu sagen, zu jeder beliebigen Tages- oder Nachtzeit, ohne etwas falsch zu machen. Nur für den Fall, dass Ihnen das irgendwann langweilig wird, haben Sie nun die entsprechenden Mittel an der Hand.

Noch ein Wort zur siesta: In heißen Gegenden hat eine lange Pause in der größten Mittagshitze natürlich Sinn. Es ist einfach gesünder, sich zwischen 14 und 17 Uhr nicht im Freien aufzuhalten, wenn man nicht muss. Die langen Schließungszeiten der kleineren Geschäfte sind Tradition, jeder weiß es, jeder ist daran gewöhnt und hat sich darauf eingestellt. Und wer unbedingt mittags einkaufen gehen will, kann das ja in den großen, klimatisierten supermercados tun. Sie haben durchgehend geöffnet, meist bis 22 Uhr abends. Ebenso die Shoppingmalls, in Spanien heißen sie hipermercados oder grandes superficies (wörtlich: große Oberflächen), sie befinden sich meist in Gewerbegebieten außerhalb der Innenstädte und haben oft geradezu gigantische Ausmaße. Viele Spanier erledigen hier den Wocheneinkauf, manche machen auch ein Samstagsvergnügen aus der Shoppingtour: Ein Tag mit der Familie im híper [iper], was kann es Spannenderes geben! Aber während der Woche kaufen viele Spanier immer noch bevorzugt in den kleineren Läden im Viertel ein, Brot in der panadería, Fisch in der pescadería [peskaderia], Fleisch in der carnicería [karnitheria], Obst in der frutería etc. Oder auch auf den Märkten, die meistens in festen Hallen untergebracht sind und vormittags geöffnet haben. Die mercados sind ein Augen-, Ohren- und Gaumenschmaus, den Sie sich als Spanientourist auf keinen Fall entgehen lassen sollten. Meistens gibt es im Markt und um den Markt herum auch gute Restaurants, die mittags die marktfrischen Zutaten zu leckeren Gerichten verarbeiten.

Im Arbeitsleben spielt die siesta dagegen heute keine große Rolle mehr. Die wenigsten privaten Firmen sperren mittags zwei bis drei Stunden zu. Das ist ein Relikt aus früheren Zeiten und allenfalls noch in Behörden auf dem Land oder in kleineren Städten anzutreffen. Und das ist den allermeisten Spaniern auch recht so. Stellen Sie sich das vor: Die lange Mittagspause teilt den Arbeitstag in zwei völlig voneinander getrennte Einheiten. Deshalb nennt man einen Tag mit langer Mittagspause auch jornada partida (zweigeteilter Arbeitstag). Und wenn Sie an Aspekte wie Familienfreundlichkeit, Feierabend etc. denken, ist klar, warum die meisten Menschen einen kompakten Arbeitstag mit kurzer Mittagspause bevorzugen. Was natürlich Auswirkungen auf kulturelle Eigenheiten wie etwa das typisch spanische dreigängige Mittagsmenü hat. Die siesta ist sozusagen der natürliche Feind von Hektik und Stress. Ihre Abschaffung macht Platz für Fast Food, Übergewicht und Herzinfarkt. Okay, das ist jetzt ein bisschen übertrieben. Und außerdem: Der Trend zur Abschaffung der siesta ist, zumindest im Berufsleben, sowieso nicht aufzuhalten. Spanier sind EU-Bürger, sie können nicht drei Stunden Mittag machen und in der Zeit unerreichbar sein, während alle anderen EU-Angestellten in ihren Büros sitzen und schwitzen, oder auch frieren, je nach Gegend und Jahreszeit.

Und um den Bogen zum Thema »Grußformeln« zurückzuschlagen: Ein Büro-Mittagsgruß wie das deutsche »Mahlzeit« existiert in Spanien nicht.

Übrigens: In Spanien ist es auch nicht üblich, sich vor dem Essen »guten Appetit« zu wünschen. Es gibt diese Floskel und Sie können sie auch verwenden, wenn Sie möchten. Sie ist aber nicht obligatorisch: ¡Que aproveche! [ke_aprowetsche] oder ¡Buen provecho! [buen prowetscho] – es möge munden!

Fettnäpfchenführer Spanien

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