Читать книгу Neues Leben für Stephanie - Lisa Holtzheimer - Страница 10
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Оглавление„Könnte es nicht zur Abwechslung mal schneien?“ Jana hatte halblaut vor sich hin gemurmelt, und ihre Kollegin sah sie zweifelnd an. „Naja, immer nur dieser Nieselregen und graue Wolken, das geht ja langsam auf’s Gemüt.“ Die Kollegin grinste, aber sie musste Jana Recht geben. Wenn sie selbst sich zwar auch nicht nach Schnee sehnte, so hätte sie auch nichts dagegen, wenn sich die Sonne wenigstens ab und zu mal am Hamburger Himmel blicken lassen würde. „Aber du fährst ja bald in den Schnee.“ Jana nickte gedankenverloren. Das war ein kleiner Zusatzbonus. Sie hätte ihre beste Freundin überall besucht, ob nun am Nordpol, in Afrika oder eben in Berchtesgaden. Aber dort lag auch jetzt noch Schnee – mehr als genug, wie sie aus Stephanies zahlreichen Berichten wusste. Wie gerne würde sie der Freundin jetzt eine kurze eMail schreiben. Aber Stephanie war bisher nicht elektronisch ausgerüstet. Aus Computern hatte sie sich nie etwas gemacht, und auch als Jana vor einigen Jahren auch zu Hause einen Internetanschluss bekam, hatte Stephanie nur mit dem Schultern gezuckt. „Was soll ich damit“, war ihr einziger Kommentar, als Jana sie dafür begeistern wollte. „Die gute alte Post funktioniert immer noch tadellos, und dich sehe ich sowieso fast täglich.“
Damit war es seit ein paar Monaten vorbei. Jana beschloss, Steph noch einmal zu bearbeiten, denn die „gute alte Post“ bemühten sowohl Stephanie als auch Jana nur äußerst selten. Dafür umso mehr die Telefongesellschaft. Nur gut, dass es inzwischen Flatrates gab und die Telefongespräche nicht mehr nach Zeit abgerechnet wurden. Die Freundinnen wären arm geworden dabei …
Das Klingeln des Telefons holte Jana in die Wirklichkeit zurück. Noch dieser eine Anruf, dann war Feierabend. Und dann nur noch bis zum Ende der Woche. Am Freitag würde sie direkt aus dem Büro zum Flughafen fahren, um ein paar Stunden später in Salzburg zu landen.
Auf dem Heimweg stoppte Jana an einer Pizzeria und nahm sich einen Salat mit nach Hause. Sie hatte keine Lust mehr, in der Küche zu stehen und sich etwas zu essen zu machen. In ihrem Wohnzimmer blinkte der neue Anrufbeantworter und sagte ihr, dass er drei Nachrichten für sie hatte. Das Gerät zeichnete jetzt sogar die Anrufzeit mit auf, und so erfuhr Jana, dass ihre Mutter in der Mittagspause versucht hatte, sie zu erreichen. „Warum ruft sie nicht im Büro an?“ fragte sich Jana zum hundertsten Mal. Es war ihrer Mutter nicht beizubringen, wenigstens bei wichtigen Dingen dort anzurufen. Der zweite Anrufer gehörte zu der Sorte Mensch, die immer noch Angst haben, dass technische Geräte beißen – er hatte vor einer halben Stunde aufgelegt, ohne eine Nachricht zu hinterlassen.
Knapp 30 Sekunden danach vermeldete eine ihr gut bekannte Stimme: „Mensch, wenigstens hast du wieder einen Hausdiener, der mit mir spricht! Leider konnte der mir auch nicht sagen, wann du nun in Salzburg einfliegst. Wäre schön, wenn du mich gleich mal anbimmelst.“ Tatsächlich, sie hatte Stephanie zwar sofort gesagt, an welchem Tag sie kommen würde, hatte aber glatt vergessen, die Uhrzeit nachzuliefern. Sie warf ihre Jacke über den Sessel, holte sich eine Gabel aus der Küche und machte es sich auf dem Sofa gemütlich. Während sie den Salat auspackte, drückte sie die Kurzwahltaste, auf der Stephanies Nummer gespeichert war.
* * *
Es war stockdunkel im Zimmer. Michael tastete nach dem Klingelknopf. Nur ungern rief er mitten in der Nacht die Schwester, weil deren Erscheinen sicherlich seine Mitpatienten aufwecken würde. Aber die Schmerzen in seinem Bein waren kaum noch auszuhalten. Die Tür wurde leise geöffnet und Stephanie schaltete die Nachtbeleuchtung ein. Ein kurzer Blick in Michaels Gesicht genügte, um zu wissen, was er brauchte. „Schmerzen?“ Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Michael nickte. „Irgendwas in meinem Bein brennt wie Feuer. Kann man das irgendwie löschen?“ Dass er selbst in einer Situation mit starken Schmerzen seinen Humor nicht verlor, beeindruckte Stephanie. „Ich will mal sehen, was die Feuerwehr sagt“, lächelte sie, „ich melde mich gleich noch mal.“
Die Krankenakte von Michael Aschmann erlaubte nach dem Zeitraum, der seit der letzten Schmerzmittelgabe vergangen war, schon wieder eine Dosis, und so zog sie eine Spritze mit dem Mittel auf und stattete Michael einen weiteren Besuch ab. Bei diesem Anblick verzog der zwar das Gesicht, meinte dann aber, dies sei wohl das kleinere Übel, und war froh über die Aussicht, in ein paar Minuten wieder schlafen zu können. „Vielen Dank. Jetzt fühle ich mich zwar wie ein Nadelkissen, aber wie ein sehr müdes.“ Stephanie musste lachen. „Gute Nacht, Herr Nadelkissen. Schlafen Sie gut für den Rest der Nacht.“ Sie grinste und schlich wieder leise zur Tür. Bevor sie die Nachtbeleuchtung wieder löschte, winkte sie spontan noch einmal in Richtung Fenster.
Zurück im Stationszimmer trug sie die Medikamentenverabreichung in die Krankenakte ein und warf dann einen Blick auf die Uhr. 2 Uhr 43. Noch gut drei Stunden, bis die Frühschicht kam. Und noch 4 Dienst-Tage bis zu ihren freien Tagen. Fröhlich vor sich hin pfeifend, erledigte sie die noch anstehenden Aufgaben im Dienstzimmer, wusch ein paar Tassen ab, die der Spätdienst vergessen hatte, stellte die Medikamente für den Frühdienst zusammen und setzte sich dann mit einem Buch in die Ecke. Zeit zum Lesen hatte man in solchen Nachtdiensten – die meisten Patienten schliefen durch, nur einige Frischoperierte benötigten manchmal die Hilfe der Schwestern. Aber eine Nachtwache war lang. Stephanie hatte schon halbe Bibliotheken in den Nächten verschlungen. Es dauerte nicht lange, und sie war ganz in ihren Roman eingetaucht.
Als jemand plötzlich gegen das Buch klopfte, erschrak Stephanie beinahe zu Tode. Vor ihr stand Britta, die Frühdienst hatte und sich fast vor Lachen kugelte. Sie hatte sich unbemerkt ins Dienstzimmer geschlichen und konnte es sich nicht verkneifen, die Freundin zu ärgern. „Britta, du Untier! Gleich kriege ich einen Herzinfarkt, dann darfst du mich hier auch noch pflegen.“ „Naa“, gab Britta in tiefstem Bayerisch zurück, „des ist die falsche Station. Es sei denn, sie operieren dir vorher das Herz raus, dann bist du auf der Chirurgie richtig.“ Stephanie schüttelte grinsend-resigniert den Kopf. Jetzt merkte sie die Müdigkeit in sich hochsteigen, und ihre Schlagfertigkeit war schon schlafen gegangen.
So nach und nach kamen auch die anderen Schwestern zum Frühdienst, und Stephanie gab in der Dienst-Übergabe einen kurzen Bericht über das, was in der Nacht vorgefallen war, bevor sie sich ihren Rucksack schnappte und nur noch ein Ziel hatte: ihr Bett zu Hause.
* * *
Nur langsam wurde Stephanie bewusst, dass sie nicht vom Radio träumte. Ihr Handy, das auf dem Nachttisch lag, dudelte eine Melodie rauf und runter – am anderen Ende hatte jemand sehr viel Geduld. Im Halbschlaf streckte sie die Hand aus, versuchte aus der Anzeige im Display den Anrufer zu erkennen, erkannte eine Hamburger Vorwahl und machte sich nicht weiter die Mühe, die lange Zahlenreihe auseinanderzupflücken. „Hallo?“ meldete sie sich verschlafen, um als nächstes aufrecht im Bett sitzend zu fragen: „Woher hast du meine Telefonnummern?“
Carsten hatte ihre Mutter bestochen, die ihren Ex–Fast–Schwiegersohn sehr mochte und immer noch nicht verstehen konnte, warum ihre Tochter sich von ihm getrennt hatte. Ein wenig hoffte sie auf eine Erneuerung der Beziehung und damit verbunden auf Stephanies Rückkehr nach Hamburg. Carsten wollte wissen, warum Stephanie nach seinem letzten Anruf nicht zurückgerufen hatte. „Mensch, ich bin hundemüde, ich hatte Nachtdienst, und du hast nichts Besseres zu tun, als mich aus dem Schlaf zu klingeln und mir Vorwürfe zu machen. Was soll das?“ Carsten holte zu einem längeren Redeschwall aus, was Stephanie dazu veranlasste, das Telefon ein Stück vom Ohr weg zu halten. „Carsten, hast du vergessen, was wir ausgemacht hatten? Keinen Neuanfang. Es endet sowieso wieder in einer Katastrophe.“
Carsten schien das anders zu sehen, und als er Stephanie seine nächste Idee unterbreitete, war sie hellwach. „Wie bitte?? Besuchen? Nee, tut mir Leid, aber das kannst du vergessen.“ Ihr Ex–Freund hatte Urlaub und wollte nächste Woche nach Südbayern kommen. „Ist ja nett, dass du mir wenigstens gerade noch vorher verrätst, dass du über meine Zeitplanungen verfügen möchtest“, antwortete sie gereizt, „aber ich muss dich enttäuschen. Ich kann dir natürlich nicht verbieten, nach Bayern zu kommen – von mir aus auch nach Berchtesgaden, aber ich werde dich nicht treffen!“ Sie legte einen solchen Nachdruck in diese Aussage, dass Carsten zum ersten Mal während dieses Gesprächs zu verstehen schien, dass sie ihn wirklich nicht sehen wollte. Er hatte sich eigentlich vorgestellt, doch noch einmal zu versuchen, die Beziehung zu erneuern. Stephanie würde bestimmt wieder eine gute Stelle in Hamburg bekommen, davon war er überzeugt. In den Monaten der Trennung hatte er gemerkt, dass sie ihm mehr bedeutete, als er sich lange eingestehen wollte, und mit einem Besuch in Berchtesgaden wollte er ihr zeigen, dass er sich für ihr Leben interessierte.
Stephanies kategorische Absage traf ihn. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er im Grunde immer noch eine Chance gesehen, für ihn war die Trennung mehr auf Zeit angelegt, während Stephanie einen echten Schlussstrich gezogen hatte. Nicht umsonst hatte sie ihr gesamtes Leben umgeworfen und einen totalen Neuanfang gemacht. Leicht war ihr das nicht gefallen, und sie war fest entschlossen, sich nicht umstimmen zu lassen. Mindestens ein Jahr wollte sie durchhalten, um sich selbst erst einmal die Chance zum Einleben zu geben – wenn dann immer noch keine Aussicht auf Eingewöhnung bestand, dann konnte man das Ganze noch einmal neu überdenken. Aber nicht vorher. Und gerade begann sie zu merken, dass sie vermutlich nichts mehr neu überdenken würde nach Ablauf des ersten Jahres – langsam fasste sie mehr und mehr Fuß, hatte eine echte neue Freundin gefunden, und auch ihre Arbeitsstelle war ein echter Glückstreffer. Das alles wollte sie sich von Carsten nicht wieder kaputt machen lassen.
„Nein, Carsten“, unterbrach sie seinen erneuten Ansatz abrupt, „ich möchte mich hier in jeder Hinsicht neu orientieren, und ich möchte nicht, dass du hier auftauchst. – Nein, es gibt keinen anderen Mann, aber es gibt auch noch mehr im Leben als Männer. Es tut mir Leid, wenn ich dir das jetzt so knallhart sage, aber alles andere belastet uns beide nur unnötig.“ Darauf fiel Carsten nicht mehr viel ein, das er entgegnen konnte. Er wollte Stephanie nicht bedrängen, hatte es wirklich ernst gemeint. Doch in diesem Moment verstand er, dass seine Hoffnungen sich in Luft aufzulösen schienen. Sehr schnell verabschiedete er sich und beendete das Gespräch. Stephanie legte sich wieder hin, aber an Schlaf war nicht mehr zu denken. Auch, wenn es ihr mit der endgültigen Trennung wirklich ernst war, wühlte sie dieses Gespräch doch wieder auf.
Gleichgültig war Carsten ihr noch lange nicht – dazu war alles noch nicht lange genug her. Fast sechs Jahre waren sie ein Paar gewesen, hatten zwar getrennte Wohnungen, aber sich so gut wie täglich gesehen. Sechs Jahre lassen sich nicht einfach auslöschen, und schließlich war Carsten ein anständiger, freundlicher und aufmerksamer Bankkaufmann und wirklich kein Hallodri. Aber sie war sich darüber im Klaren, dass eine Beziehung zwischen ihnen keine wirkliche Aussicht auf Zukunft hatte. Und sie wollte sich und ihm ersparen, die ganze Geschichte noch einmal durchzumachen. Nein, es war besser so und auf jeden Fall eine richtige Entscheidung. Wie gut, dass es bis zu Janas Besuch nur wenige Tage waren. Die Vorfreude darauf half ihr, die unguten Gefühle in Bezug auf Carsten zu überdecken. Am liebsten hätte sie Jana umgehend angerufen, aber die war natürlich im Büro um diese Zeit – und solche Gespräche dauerten länger, als Janas Chef es gerne sah.
Sie warf einen Blick auf den Wecker. 14 Uhr 14. Eine Stunde länger hätte sie gerne noch geschlafen, aber ein neuer Versuch lohnte sich nicht mehr. Also stand sie auf, füllte die Kaffeemaschine, bevor sie unter die Dusche stieg, um sich den Schlaf abzuspülen. Die gewonnene Zeit konnte sie nutzen, um endlich mal den Brief einer anderen Freundin zu beantworten, der schon lange auf ihrem Schreibtisch lag und sie jeden Tag vorwurfsvoll anschaute. Wenn Jana da war, würde sie sowieso nicht zum Schreiben kommen, und dann wären wieder mindestens zwei Wochen vergangen. Frisch geduscht mit ebenso frischem Kaffee schnappte sie sich einen Stift und Briefpapier. „Hallo, liebe Anja, ...“.