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„Guten Morgen!“ Stephanie öffnete die Tür zum Stationszimmer. Eine Kollegin erwiderte ihren Gruß gähnend, während die Nachtschwester die Übergabe vorbereitete. „Wieder fit?“ Stephanie nickte und vertiefte sich in die Aufzeichnungen. Keine außergewöhnlichen Ereignisse in der letzten Nacht, aber sie musste erst einmal über eine Reihe neuer Patienten informiert werden, denn während sie selbst krank im Bett lag, hatte es einen fast vollständigen Wechsel in der Belegung gegeben. Eine halbe Stunde später ging die Nachtschwester müde nach Hause, während Stephanie und zwei Kolleginnen begannen, die Patienten zu wecken.

Stephanie war froh, wieder gesund zu sein und durch die Arbeit unter Menschen zu kommen. Sie nahm sich fest vor, jetzt endlich etwas zu unternehmen, um Leute kennen zu lernen. Sicher wussten ihre zum Teil gleichaltrigen Kollegen Möglichkeiten, wo man zwanglos andere Menschen treffen konnte. In einer ruhigen Minute setzte sie ihren Vorsatz gleich in die Tat um und ging auf Britta, eine etwa gleichaltrige Kollegin, mit der sie sich recht gut verstand, zu. „Britta, ich muss dich mal was fragen. Ich wohne jetzt fast zwei Monate hier, und ich kenne außer euch einfach keinen Menschen hier. Wenn sich das nicht bald ändert, dann halte ich es vermutlich nicht lange hier aus. Hast du nicht eine Idee ...?“ Britta hatte eine: „Klar, komm doch heute Abend einfach mit mir. Wir treffen uns jeden Mittwoch mit ein paar netten Leuten, trinken Tee, essen Kekse, machen Musik und unterhalten uns so nebenbei über interessante Themen aus dem Buch der Bücher.“ „Dem Buch der Bücher??“ „Klar, dem Buch der Bücher – der Bibel.“ Britta grinste breit, aber freundlich. „Ich weiß nicht ...“ Stephanie suchte nach einer Ausrede. So etwas hatte sie sich eigentlich nicht vorgestellt. Auf der anderen Seite – Britta war wirklich eine nette Kollegin, mit der sie sich auch gut verstand. „Da kann ich doch nicht einfach so mit reinkommen. Ihr seid doch bestimmt eine Art geschlossene Gesellschaft“, fiel ihr schließlich ein. Britta musste laut lachen. „Geschlossene Gesellschaft! Das ist gut, das hat noch keiner gesagt!“ prustete sie. „Nein, wenn wir alles sind, DAS sind wir bestimmt nicht. Im Gegenteil. Wir freuen uns über jedes neue Gesicht. Du bist herzlich eingeladen!“

Stephanie gingen die Argumente aus. „Und was seid ihr dann?“ Ihre Neugierde siegte doch über die Skepsis. Britta machte jedenfalls den Eindruck, als würde sie wirklich gerne zu diesem Abend gehen. Und die Einladung klang auch echt und überzeugend. „Wir sind ein Hauskreis.“ „Hauskreis. Aha.“ Stephanie schaute Britta fragend an. Was war das nun schon wieder? „Ja, wir sind ein paar junge Leute aus zwei Gemeinden, sich einmal in der Woche abends treffen, um über das interessanteste aller Bücher zu reden. Aber keine Angst, wir reden auch noch über andere Dinge.“ Der letzte Satz beruhigte Stephanie ein bisschen. „Gemeinden? Meinst du damit Kirchen?“ „Ja, richtig. Freikirchen, um genau zu sein.“ „Hier in Berchtesgaden?“ „Nein, hier gibt es leider noch keine …“ „Wie – hier gibt es keine?“, unterbrach Stephanie. „Hier stehen mindestens zwei Kirchen mitten in der Stadt.“ „Stimmt schon, aber beide sind katholische Kirchen. Die dritte etwas außerhalb ist eine evangelische. Eine Freikirche gibt es hier leider noch nicht. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.“

Stephanie war ein bisschen verwirrt und traute sich nicht, noch weiter zu fragen. Britta hingegen machte Nägel mit Köpfen. „Ich hole dich um halb acht zu Hause ab, okay!?“ Stephanie nickte, noch nicht ganz überzeugt, aber auf die Schnelle fiel ihr keine Ausrede ein. Britta merkte ihre Unsicherheit und stieß sie freundschaftlich in die Seite. „Hey, das wird wirklich gut. Da sind lauter liebe, nette Leute – so wie ich“, grinste sie, bevor sie sich das Medikamenten–Tablett schnappte und sich auf Austeilrunde begab.

* * *

Pünktlich um 19.30 Uhr klingelte es an Stephanies Haustür. Sie zog ihre Jacke über und wickelte sich einen Schal um den Hals, schloss die Tür ab und stieg in Brittas Kleinwagen. „Wohin fahren wir eigentlich?“ Das hatte sie heute Morgen in der Verwirrung ganz vergessen zu fragen. „Nach Salzburg.“ „Salzburg? Das ist in Österreich ... „Richtig. Genauer gesagt, nach Anif, das liegt direkt vor der Stadt.“ „Wieso müssen wir so weit fahren, um zu so etwas wie einer Kirche zu kommen?“ „Es ist überhaupt nicht weit. Dichter als Bad Reichenhall zum Beispiel. Ich sagte ja, hier gibt es leider noch keine Freikirche.“ „Ist das irgendein Unterschied – Freikirche und Kirche?“ Stephanie wollte wissen, worauf sie sich eigentlich eingelassen hatte. „Ja und nein“, versuchte Britta zu erklären. „Ja, weil eine Freikirche eben nicht zu den evangelischen oder katholischen Kirchen, also den großen und eher bekannten Kirchen, gehört. Nein, weil es um dieselbe Sache geht.“ Viel schlauer war Stephanie jetzt auch nicht, aber sie entschloss sich, alles einfach auf sich zukommen zu lassen. Ihre Mutter hatte sie früher manchmal vor Sekten gewarnt, die auf Seelenfang gingen. Britta machte allerdings nicht den Eindruck, als ob sie sich von irgendjemandem hatte „fangen“ lassen, sondern sie schien sehr freiwillig in diese Freikirche zu gehen. „Sekte scheidet aus“, entschied Stephanie im Stillen.

Während des Gespräches hatte sie gar nicht gemerkt, dass sie schon die Grenze hinter sich gelassen hatten. Erst, als Britta den Wagen in einer Nebenstraße parkte, registrierte sie, dass es nun ernst wurde. Sie sah sich um, konnte aber nirgends etwas entdecken, das einer Kirche ähnelte. Dies schien eine reine Wohngegend zu sein. Schon ging Britta zielstrebig auf eins der Häuser zu und öffnete die Gartenpforte. Plötzlich war Stephanie sich ganz sicher, dass sie in dem Kreis nichts verloren hatte. Das war ihr zu privat. „Britta, ich ...“ Britta schien Gedanken lesen zu können. „Nichts da, ich habe dich schon angekündigt.“ Sie schob Stephanie in den Hauseingang, öffnete die Tür, die nicht verschlossen war, und schon standen sie in der Wohnung. Aus dem Wohnzimmer drangen fröhliche Stimmen, und jetzt öffnete sich die Tür, ein neugieriger kleiner Hund beschnupperte die beiden Gäste sofort schwanzwedelnd und ein junger Mann begrüßte die beiden Frauen herzlich. „Hallo, ich bin der Max. Du bist bestimmt Stephanie. Herzlich willkommen!“ „Danke“, murmelte Stephanie nur leise. Ihr war mulmig zumute. Da drin saßen fast 10 völlig fremde Leute, die sich alle kannten – und sie kam als Außenstehende in einen Kreis, von dessen Zielen sie keine Ahnung hatte und bei dessen Themen sie garantiert nicht würde mitreden können.

Es blieb keine Zeit mehr, sich auszumalen, was alles Peinliches passieren könnte, denn im nächsten Moment fand sie sich in einem sehr gemütlich eingerichteten Wohnzimmer wieder, ließ sich von Britta auf das Sofa schieben, nahm dankend eine Tasse Tee entgegen und wartete darauf, dass alle sie anstarren und ihr Fragen stellen würden. Doch nichts dergleichen geschah. Außer dem einen oder anderen freundlichen „Hallo Stephanie“ passierte erst einmal gar nichts. Die jungen Leute widmeten sich wieder ihren Gesprächen, tranken schweigend Tee oder blätterten in den verschiedensten Büchern. Jemand zupfte leise an einer Gitarre, und eine junge Frau rief ihm irgendetwas zu, woraufhin der Gitarrist eine Melodie intonierte. Langsam konnte Stephanie ein wenig entspannen. Vielleicht war es ja wirklich ganz nett hier. Der erste Eindruck war zumindest schon mal nicht schlecht.

* * *

Es war beinahe 23 Uhr, als Britta und Stephanie ins Auto stiegen. Stephanie schwirrte der Kopf. Der Abend war wirklich schön gewesen, sie hatte sich wohl gefühlt, und das Gefühl des Fremdseins war schnell verflogen. Max und Heidi, das Ehepaar, dem das Häuschen gehörte, waren sehr nett, und auch die anderen jungen Leute hatten einen bleibenden Eindruck bei Stephanie hinterlassen. So etwas hatte sie noch nie erlebt, dass in so gemütlicher Atmosphäre und unter viel Fröhlichkeit und auch Gelächter über Gott geredet wurde. Das letzte Mal, dass sie eine Kirche betreten hatte, war bei der Konfirmation ihrer jüngeren Schwester gewesen. Das war viele Jahre her. Sie hatte nie das Bedürfnis verspürt, ohne Grund zu irgendetwas Kichenähnlichem zu gehen. Dort war es immer nur kalt, dunkel und so still, dass man kaum zu atmen wagte. Während der Zeit ihres eigenen Konfirmanden-Unterrichts nahm sie gerade so oft am Gottesdienst teil, dass sie noch die Zulassung zur Konfirmation bekam, und sie konnte sich kaum erinnern, sich irgendwo mehr gelangweilt zu haben als in diesen Stunden.

Aber das hier war völlig anders. Nichts, absolut nichts hatte Ähnlichkeit mit dem, was sie bisher mit Kirche verbunden hatte. Selbst die Lieder, die an diesem Abend gesungen wurden, waren frisch, peppig und sogar Englisch. Sie erinnerte sich dunkel an Liedzeilen wie „Großer Gott, wir loben dich“, die sie damals hatte auswendig lernen müssen und die sie ebenso schnell wieder vergessen hatte. Hier hieß das dann „Lord, I lift your name on high“ – und wenn man es genauer betrachtete, ähnelten sich die Textzeilen sogar ein bisschen – nur das eine war altes Deutsch, das andere neues Englisch. Mehr Gemeinsamkeiten konnte sie allerdings nicht feststellen.

Dann schlug ein junger Mann aus der Runde, Konrad, ein Buch auf. Erst als er ein paar Zeilen vorgelesen hatte, merkte Stephanie, dass es wohl eine Bibel sein müsste. Richtig, deshalb waren sie ja hier, erinnerte sie sich an Brittas Einladung auf Station. Auf die Idee wäre sie nie gekommen – der bunte Einband erweckte eher den Eindruck eines Romans. Sie schaute sie vorsichtig in der Runde um und merkte plötzlich, dass die verschiedenen Bücher, die sie zu Anfang registriert hatte, auch Bibeln waren – und fast alle sahen anders aus. Sie traute sich nicht zu fragen, ob es da Unterschiede gäbe – alle gingen so selbstverständlich damit um, als hätten sie nie etwas anderes getan. Konrad nannte einen Namen und ein paar Zahlen, und alle blätterten in ihren Bibeln und fanden offensichtlich die Seite, die er meinte. Britta schob ihr ihre aufgeschlagene Bibel herüber und zeigte mit dem Finger auf eine Stelle, und so konnte Stephanie mitlesen, was Konrad vorlas.

Ja, es war ein interessanter und eigentlich schöner Abend gewesen. Trotzdem – ihr war ein bisschen komisch zumute. Alle waren wirklich sehr nett gewesen, aber dennoch hatte sie hatte sich ein Stückweit ausgeschlossen gefühlt. Das, über das die anderen redeten, war ihr fremd; und wenn es auch interessant klang, so wollte sie doch den nötigen Abstand wahren. Ein bisschen auf Distanz zu bleiben, schien ihr sicherer sein.

„Wir sind zu Hause“, riss Britta sie aus ihren Gedanken. „Schlaf gut, wir sehen uns morgen. Hast du Frühdienst?“ „Ja, leider“, antwortete Stephanie mit einem Blick auf die Uhr. „Ich auch. Da können wir uns ja gegenseitig aufmuntern. Gute Nacht.“ „Gute Nacht! Komm gut nach Hause.“ Stephanie stieg aus dem Wagen, schlich die Treppe zu ihrer Wohnung hoch und spazierte ohne große Umwege ins Bett.

* * *

Jana versuchte, den Wecker auszuschalten, aber das penetrante Geräusch, das sie aus dem Schlaf gerissen hatte, ließ sich nicht abstellen. Genervt öffnete sie schließlich die Augen. Das Klingeln kam aus dem Wohnzimmer vom Telefon. Sie warf einen Blick auf den Wecker. 9 Uhr 13. Und das am Samstagmorgen. Wer um alles in der Welt war diese Nervensäge? Das Klingeln hörte einfach nicht auf, und so warf Jana die Bettdecke zur Seite und machte sich auf den Weg ins Wohnzimmer. „Hallo?“ bellte sie in den Hörer – der Anrufer sollte ruhig merken, dass er störte. Doch am anderen Ende meldete sich niemand mehr. Jetzt war sie so richtig geladen. „Wenn dieser Unmensch schon so dreist ist, mich zu dieser nachtschlafenden Zeit aus dem Bett zu holen, soll er wenigstens den Mut haben, so lange zu warten, bis ich aufgestanden bin!“ schimpfte sie halblaut vor sich hin, während sie in der Küche die Kaffeemaschine anstellte. Kaum hatte sie das Wasser eingefüllt und das Kaffeepulver in die Filtertüte geschüttet, klingelte der Apparat wieder. Schnell drückte sie den „Ein“–Schalter der Maschine, dann nahm sie das schnurlose Telefon von der Halterung.

„Schlafstudio Berghüser!“ Jana war immer noch sauer, dass ihr jemand das Ausschlafen vermasselt hatte, und konnte sich diese Anspielung nicht verkneifen. „Und dies ist der telefonische Weckdienst. Sie wollten geweckt werden!“ hörte sie eine vergnügte Stimme am anderen Ende der Leitung. „Mensch, Frau Harmsen! Aber nicht mitten in der Nacht! Seit wann gehörst du zu den Frühaufstehern?“ „Es ist halb zehn in Deutschland – Zeit fürs Frühstück“, grinste Stephanie hörbar. Sie kannte Janas Schlafrhythmus recht gut. Aber sie wollte endlich ihre Neuigkeiten loswerden, außerdem hatte sie Spätdienst und musste um 12 Uhr auf Station sein. „Wenn man dich auch nie erreicht! Wo treibst du dich denn immer rum abends?“ „Musst du alles wissen?“ Jana hatte ihre gute Laune mit einer Tasse schwarzem Kaffee geweckt. Bei aller Störung – ihrer besten Freundin konnte sie nicht wirklich böse sein. „Aber was ist so wichtig? Hast du einen Mann kennen gelernt?“ „Du denkst auch wohl an nichts anderes! Nein, ich habe auch keinen Bedarf. Der Letzte reicht mir fürs Erste.“ Jana kannte Carsten und natürlich die ganze Geschichte bis in alle Einzelheiten. „Obwohl“, hörte sie Stephanie dann nachdenklich sagen, „der hat sich vor ein paar Tagen auf meinem AB verewigt. Ich hab’ aber nicht zurück gerufen. Ich will das einfach nicht mehr.“ „Gratuliere!“

Jana wusste, wie es einem nach einer solchen Trennung ging. Auch sie kannte das Gefühl in diesem Zustand. „Nee, Jana, Männer – nein danke. Jedenfalls im Moment. Aber weißt du, wo ich am Mittwochabend war?“ „Nee, woher? Etwa Ski laufen?“ „Klar, am Abend bei Vollmond! Du lebst zu lange in der Großstadt! In – und vor allem auf – den Bergen ist es abends wirklich dunkel“, klärte sie Jana scherzhaft auf. „Ich war bei einem Hauskreis.“ „Bei einem – was?“ „Hauskreis. Das sind ‘ne Menge Leute in unserem Alter, zu irgendwelchen Freikirchen gehören.“ So ganz genau hatte Stephanie gar nicht verstanden, was genau das war – aber es klang einfach zu gut, um Jana zu irritieren, denn selbstverständlich konnte Stephanie sich die Reaktion ihrer Freundin an fünf Fingern abzählen. Diese kam dann auch prompt: „Freikirche? Seit wann gehst du zur Kirche? Und was ist eine Freikirche?“ „Das kann ich dir auch nicht so genau erklären, hab’ ich selber noch nicht so richtig verstanden. Auf jeden Fall war es ganz anders als die Kirche bei uns. Und soll ich dir was sagen: Das war richtig gut!“ „Willst du jetzt etwa fromm werden?“ Jana war überhaupt nicht begeistert. „In der Kirche verbieten sie dir doch nur alles, was Spaß macht.“ „Also, hier hat mir niemand irgendetwas verboten. Außerdem war ich ja überhaupt nicht in der Kirche. Nur bei diesem Hauskreis.“

„Und was habt ihr da gemacht?“ „Tee getrunken, Lieder gesungen und über irgendwas aus der Bibel diskutiert.“ „Bibel. Du??“ Jana prustete vor Lachen. „Sorry, aber die Vorstellung ist zu witzig! Dieses alte Märchenbuch!?“ „Du kannst lachen, Jana, aber die Leute dort scheinen das wirklich ernst zu nehmen, was darin steht.“ „Aber du hoffentlich nicht!“ Jana bekam langsam Angst, dass Stephanie es ernst meinen könnte. Bisher waren beide sich immer einig gewesen, dass Kirche und alles, was damit zu tun hat, total verstaubt war und in der heutigen Zeit nichts mehr verloren hatte. „Ich weiß nicht, Jana, eigentlich nicht. Aber andererseits machen die allesamt nicht den Eindruck, als würden sie spinnen. Eine von ihnen ist meine Kollegin. Britta, von der ich dir schon erzählt habe. Sie ist wirklich nett, gar nicht weltfremd, und spinnen tut sie ganz bestimmt nicht.“ „Ist das nicht die, die nicht mit ihrem Freund zusammen in einem Zimmer schläft?“ erinnerte Jana sich an ein früheres Gespräch.

Brittas Freund Oliver war Assistenzarzt in Innsbruck, lebte aber seit kurzem in den USA, wo er einen Teil seiner Facharztausbildung absolvierte. Britta hatte kurz nach Stephanies Arbeitsbeginn auf Station von ihrem Besuch über Weihnachten bei Oliver erzählt und dabei erwähnt, dass sie im Gästezimmer übernachtet habe. Dieses für Stephanie ungewöhnliche Detail hatte sie seinerzeit Jana erzählt. „Genau die“, antwortete Stephanie jetzt, „aber die ist echt schwer in Ordnung.“ „Naja, aber meinst du nicht, dass genau das das Ergebnis dieser Kirche ist?“ „Kann sein, aber auf der anderen Seite ist es schließlich ihre eigene Entscheidung. Ich würde das sicher anders entscheiden, aber das muss sie doch selber wissen.“ „Stimmt schon“, gab Jana zu, „trotzdem: lass dich bloß nicht einwickeln.“ „Keine Sorge, ich weiß, was ich will. Aber die Leute waren wirklich nett, und ich will endlich Kontakt. Was ist dabei, wenn Leute zur Kirche gehen?“ „Nichts, so lange sie dich nicht mitschleppen wollen.“ „Davon hat jedenfalls keiner was gesagt. Und wenn – wer weiß, vielleicht würde ich es mir sogar mal anschauen.“ „Anschauen! Steph, du redest schon bayerisch! Die sind doch alle katholisch da und glauben an Maria oder so ähnlich – und noch ein paar Heilige.“ „Also, katholisch sind sie jedenfalls nicht. So viel habe ich verstanden. Und von Maria hat auch keiner was gesagt. Eher von Jesus.“ „Der war doch der Sohn von Maria.“ So viel wusste Jana noch aus dem Konfirmandenunterricht. Sie konnte sich absolut nicht vorstellen, jemals wieder freiwillig eine Kirche zu betreten. Nicht mal zum Ansehen. Hoffentlich würde Stephanie sich nicht doch einwickeln lassen. Diese Britta mochte ja nett sein – in Janas Augen war sie aber doch ein bisschen weltfremd. „Keine Angst, Jana“, unterbrach Stephanie ihre düsteren Vorahnungen, „ich habe absolut nicht vor, Nonne zu werden oder irgendwelche komischen Ansichten anzunehmen. Aber ich möchte anderen auch ihre Meinungen lassen und vielleicht auch wissen, warum sie diese Meinung haben. Immerhin müssen sie sehr überzeugt sein, wenn sie sonntags in die Kirche gehen anstatt auszuschlafen.“ „Ja, das müssen sie wirklich sein.“ Jana war ebenso überzeugt, dass ihr eine solche Peinlichkeit niemals passieren würde. Sie würde auf ewig den Spott ihres gesamten Freundeskreises auf sich ziehen. „Willst du denn wieder zu diesem – wie hieß der Kreis noch mal?“ „Hauskreis.“ „Gut, also willst du wieder dahin gehen?“ „Weiß ich noch nicht. Vielleicht. Es war echt ganz nett – und wenn ich mich entscheide, da nicht wieder hinzugehen, will ich wenigstens wissen, warum ich mich dagegen entscheide.“

Jana war verwirrt. Was war mit ihrer Freundin los? Stephanie hatte immer genau gewusst, warum sie von Kirche nichts wissen wollte. Zu verstaubt, zu viele Verbote, zu langweilig, zu unwissenschaftlich – sie als Medizinerin glaubte nur, was die Wissenschaft beweisen konnte. Die Märchen aus der Bibel gehörten nicht dazu. Und jetzt? Das, was Stephanie am Telefon erzählt hatte, klang anders. Noch nicht direkt befürwortend, aber sie hatte diese Frommen doch tatsächlich verteidigt! Jana konnte es nicht fassen. Bayern schien der Freundin nicht gut zu bekommen – oder war es die Einsamkeit? Jana beschloss, so bald wie möglich mindestens eine Woche Urlaub zu nehmen und nach Berchtesgaden zu fahren. Stephanie musste auf andere Gedanken kommen und wieder normal werden.

Neues Leben für Stephanie

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