Читать книгу Der Weg über die Southwark Bridge - Lisa Janssen - Страница 6

2. Kapitel

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Die Verlobungsfeier bei den Wentworths war alles andere als klein. Neben den engsten Freunden und Verwandten, wie Mr Wentworth es angekündigt hatte, gesellten sich einige der einflussreichsten Männer der Stadt, bekannte Künstler, Architekten, Musiker und Politiker. Matthew war den Umgang mit diesen Leuten gewohnt, verkehrten sie doch alle in regelmäßigem Abstand auch bei ihm zu Hause. Mr Collins hatte zusätzlich ein paar wichtige Kunden seiner Bank eingeladen, vielleicht um ihnen zu demonstrieren, dass Matthew ein würdiger Nachfolger seiner selbst war, wenn er eines Tages die Leitung von Collins & Sons übernehmen würde. Susan Wentworth sah hinreißend aus und man sprach davon, dass sie beide eines der schönsten Paare waren, die es zurzeit in London gab. Matthew hatte unzählige Hände zu schütteln, Glückwünsche entgegen zu nehmen und dabei gute Miene zu bösem Spiel zu machen. Mr Wentworth sprach von Matthew in den höchsten Tönen und nahm es sich nicht seinen zukünftigen Schwiegersohn hinter sich her zu ziehen und ihm jeden vorzustellen, der ihnen entgegenkam. Matthew ließ alles über sich ergehen, er hatte auch keine andere Wahl. In der Nähe der Eingangstür erblickte er schließlich Susan, als er sich für einen kurzen Moment von dem eifrigen Mr Wentworth losreißen konnte. Sie stand abseits von dem Trubel und nippte an einem Glas Champagner. Er schlängelte sich durch die Menschenmasse in der Eingangshalle hindurch und stellte sich neben sie. Er schwieg zunächst, nahm ebenfalls einen Schluck und betrachtete die Vielzahl an Menschen, die gekommen waren, um ihn und Susan zu feiern. Doch das Verlobungspaar stand steif nebeneinander. Schließlich brach Matthew das Schweigen.

„Wir sollten zumindest versuchen, wie ein glückliches junges Paar zu wirken, was meinen Sie.“ Sie antwortete nicht, nippte weiter an ihrem Champagner und hielt das Glas so fest in ihren Händen, als wäre es der einzige Halt, der ihr noch geblieben war.

„Schließlich wollen wir Ihrem Vater nicht seine Feier ruinieren.“ Sie wandte sich zu ihm um und ihre grauen Augen wirkten kalt und abschätzig.

„Mein Vater hat mich nicht einmal nach meiner Meinung gefragt“, gab sie kühl zurück. Er verstand sie, ihn hatte auch niemand gefragt.

„Gab es einen anderen Mann in Ihrem Leben?“, fragte er vorsichtig. Wieder schwieg sie für ein paar Minuten und Matthew dachte schon er wäre zu intim gewesen und damit sei ihre erste richtige Unterhaltung beendet.

„Sir William Dalton.“ William Dalton gehörte zu Londons einflussreichsten Männern, aber ihm wurde Spielsucht und Trunkenheit nachgesagt, woraufhin sein guter Ruf sehr gelitten hatte. Dalton war auch Kunde bei Collins & Sons gewesen, aber Mr Collins hatte ihn des Hauses verwiesen, als er schwer betrunken eine seiner Sekretärinnen unter den Rock gegriffen hatte, als die ihm eine Auskunft verwehrte. Dalton gehörte zu den Männern, die nur noch selten zu den großen Gesellschaften eingeladen wurden, doch bei den Frauen war er immer noch begehrt. Er hatte ein jugendliches Aussehen und in seinen dunklen Augen sahen sie stets die Lust eines Mannes, die andere Gentlemen zu verbergen versuchten. Dalton war ein Frauenschürze, ein Herzensbrecher und doch hatte er Susan Wentworth den Kopf verdreht und ihr weisgemacht, er würde sie mehr lieben als jede andere Frau auf der Welt. Dass eine so berechnende Frau wie Susan ihr Herz an einen Casanova verloren hatte, erstaunte Matthew und im Stillen konnte er Mr Wentworth verstehen, der nie die Liaison seiner Tochter mit diesem Mann erlaubt hätte.

„Und Sie?“, fragte sie zurück. Mein Herz gehört Polly Perkins, dachte er, aber es widerstrebte ihm, ihren Namen zu nennen, aus Angst, er würde sie in Verruf ziehen und weil er dann deutlich gemacht hätte, dass seine Liebe genauso tragisch war wie die von Susan zu William Dalton. Doch die Entscheidung wurde ihm abgenommen, als sein Vater ihn vom anderen Ende der Halle aus zu sich winkte.

„Entschuldigen Sie mich bitte.“ Er ließ sie in ihrem Kummer zurück, den sie gekonnt hinter ihrer Maske aus Vollkommenheit und Stolz verbarg.

„Matthew, ich möchte dir jemanden vorstellen“, begann sein Vater und Matthew wusste, dass es eine jener Unterhaltungen werden würde, die ihm auf seinem Weg zur Geschäftsleitung von Collins & Sons noch öfter begegnen würden.

„Matthew, das hier ist John Rennie junior. Mr Rennie, mein Sohn Matthew.“ Matthew schüttelte einem alten Mann, den er auf Ende 70 schätzte, die Hand. Der Mann hatte für sein Alter einen erstaunlich festen Händedruck und einen freundlichen Gesichtsausdruck. Er stützte sich mit der Linken auf einen Gehstock, dessen Kopf eine silberne Schlange zierte.

„Mr Rennie, es freut mich Sie kennen zu lernen. Ich bewundere Ihre architektonischen Meisterleistungen und jedes Mal, wenn ich die London Bridge überquere, muss ich an Sie denken.“ Rennies Lächeln wurde noch breiter und seine kleinen grauen Augen verschwanden dabei fast vollständig unter den vielen Falten, die sein Gesicht durchfurchten.

„Mein Anteil an dieser Brücke ist nur mäßig Mr Matthew, es war mein Vater, der sie entworfen hat. Ich habe nur sein Werk vollendet.“ Sein Lächeln wurde traurig. „ Ich habe sie fertiggestellt, in der Hoffnung, er würde sie eines Tages sehen und stolz auf mich sein. Leider ist es nie so gekommen und inzwischen dürfte es zu spät sein. 60 Jahre sind seitdem vergangen.“ Matthew kannte die mysteriöse Geschichte um John Rennie senior, der eines Tages spurlos verschwunden war. Monatelang hatte man ganz London durchkämmt auf der Suche nach dem begabten Architekten, aber nicht die geringste Spur hatte man gefunden. Man war zunächst von Entführung ausgegangen, doch es traf nie eine Lösegeldforderung bei seiner Familie ein. Dann glaubte man an einen Unfall, aber auch seine Leiche ward nie gefunden, weder in den Straßen noch in der Themse. Die Presse hatte die ganze Geschichte angeheizt und so viel über die Angelegenheit geschrieben, dass selbst die Polizei am Ende nicht mehr wusste, was wahr war und was nur der Feder eines Journalisten entsprungen war.

John Rennie junior verlagerte sein Gewicht auf den anderen Fuß und zuckte vor Schmerz leicht zusammen.

„Die Gicht“, erklärte er, „mein Arzt verbietet mir eigentlich all diese Köstlichkeiten, die Sie hier anbieten und auch vom Alkohol soll ich mich fernhalten, aber was hat ein Mann in meinem Alter denn noch vom Leben außer einem guten Glas Whisky und ein paar hübschen Frauen.“

„Das ist wohl war Mr Rennie“, sagte Matthew lachend.

„Sie sind ein hübsches Paar, Sie und Miss Wentworth“, sagte er und nickte mit dem Kopf zu Susan hinüber, die sich inzwischen mit Mrs Bird, einer Witwe und guten Freundin der Familie unterhielt.

„Das sagt man mir häufig in letzter Zeit. Dann muss es wohl wahr sein“, antwortete Matthew und versuchte zu lächeln, doch es wollte ihm nicht so recht gelingen. Rennies Blick schien ihn zu prüfen und Matthew hatte das Gefühl, der alte Mann würde direkt in seinen Kopf gucken und dort sehen, was er eigentlich fühlte. Er blickte hastig zur Seite und sein Blick fiel auf den wunderschön geschnitzten Holzstock. Die silberne Schlange an seinem Ende sah so echt aus, dass Matthew fast den Eindruck hatte, sie würde sich vor seinen Augen bewegen.

„Ein Erbstück meines Vaters“, erklärte Rennie, der seinen Blick bemerkt hatte, „es war ein Geschenk der Southwark Bridge Company für seinen Entwurf der Southwark Bridge. Wundervolle Arbeit nicht wahr? Muss ein Vermögen gekostet haben.“

„Mr Rennie, ich muss mich noch um ein paar meiner Gäste kümmern“, wandte sich jetzt Thomas Collins an den alten Mann. Er hatte sich während des Gesprächs vornehmlich zurück gehalten, um seinem Sohn den Vortritt zu lassen.

„Mr Collins, vielen Dank für die Einladung. Und nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich einmal in die roten Zahlen rutschen sollte.“ Rennie lächelte und schüttelte ihm die Hand. Mr Collins gab das Lächeln zurück, aber Matthew wusste, dass Witze über das Bankgeschäft seinen Vater nie zum Lachen brachten. Matthew starrte weiter gedankenversunken den Schlangenkopf auf dem Handstock an.

„Sie sollten sich um Ihre Verlobte kümmern Mr Matthew“, sagte Rennie plötzlich und zwinkerte ihm zu. Doch Matthew zog es nicht zu seiner Zukünftigen hinüber, sondern er verschwand möglichst unauffällig durch die Tür zum Dienstbotentrakt. Er hörte ein paar laute Stimmen aus der Küche, doch niemand bemerkte ihn. Das Personal war voll und ganz mit der Bewirtung der Gäste beschäftigt. Der Flur führte in einen Hinterhof, der von der Straße aus über einen schmalen Durchgang zwischen den Häusern zu erreichen war. Vor ihm auf einem umgestülpten Eimer saß Bernie und rauchte eine Zigarette. Neben sich hatte er einen Teller mit einem halb aufgegessenen Sandwich liegen.

„Mr Matthew, ich feiere meine eigene kleine Party. Haben Sie das junge Stubenmädchen mit den zwei geflochtenen Zöpfen bemerkt? Ist ganz süß die kleine, hat mir ein Sandwich gebracht.“ Matthew trat auf ihn zu und setzte sich auf einen Holzstumpf, der vermutlich im Winter zum Holzhacken verwendet wurde.

„Wo sind die anderen Kutscher?“

„Drei von denen hatten sich gerade mächtig in der Wolle. Haben Karten gespielt und einer war wohl ein schlechter Verlierer. Die sind gerade drinnen und verarzten den armen Kerl, bevor sein Herr nach Hause will. Und ein paar sind vorne auf der Straße, schauen nach den Pferden. Ich hab auf Sie gewartet Mr Matthew. Hab ihr den Brief übergeben.“ Er zwinkerte ihm zu und biss dann herzhaft in sein Sandwich.

„Danke Bernie. Was hat sie gesagt?“, fragte er nervös. Der Kutscher musste ein paarmal hart schlucken und sich räuspern bevor er antworten konnte.

„Sie hat gesagt, Sie sollen nicht kommen.“ Damit hatte Matthew gerechnet. Vorgestern war die Anzeige über die Verlobung im Daily Courant erschienen. Was mochte Polly gedacht haben? Natürlich hatte sie damit gerechnet, aber es schwarz auf weiß vor Augen zu haben, musste sie sehr getroffen haben.

„Ich werde trotzdem zu ihr gehen“, sagte er bestimmt. Bernie zuckte mit den Schultern.

„Hab ich ihr auch gesagt, dass Sie nicht auf sie hören werden. Aber Mr Matthew, von Mann zu Mann, wenn ich so offen sein darf, lassen Sie es gut sein. Miss Wentworth ist wirklich keine schlechte Partie, es hätte Sie durchaus schlechter treffen können. Ich geb ja zu, die Frau guckt immer als wenn sie gerade ein paar saure Gurken gegessen hätte, aber ansonsten.“ Er nahm den letzten Bissen und wischte sich mit dem Hemdsärmel über den Mund.

Bernie war eine ehrliche treue Haut und das schätzte Matthew an ihm. Seine Eltern und sein Bruder sahen in ihm den Kutscher, für Matthew war er ein Vertrauter geworden. Vielleicht lag es an den vielen Ausflügen, die sie nach Whitechapel unternommen hatten, an die heimlichen Besuche bei Polly, die Bernie für sich behielt. Matthew konnte ihm vertrauen.

„Susan Wentworth hat ihr Herz auch an einen anderen verloren“, erzählte Matthew.

„Hätte mich auch schwer gewundert, wenn es anders gewesen wäre. Aber so sind die Zeiten.“ Bernie kramte eine weitere Zigarette aus der Hosentasche.

„Haben Sie noch Streichhölzer?“, fragte er mit der Zigarette zwischen den Zähnen. Matthew holte eine kleine Schachtel aus der Innentasche seines Fracks. In diesem Moment öffnete sich die Tür zum Dienstbotentrakt und ein junges Mädchen mit geflochtenen Zöpfen, in der Hand einen Bierkrug, trat in den Innenhof. Als sie Matthew auf dem Holzstumpf sitzen sah, erschrak sie sosehr, dass sie beinahe das Bier verschüttet hätte. Matthew erhob sich mit einem Grinsen in Richtung Bernie.

„Dann lass ich Sie beide mal allein“, raunte er ihm zu.

„Du hättest dich ruhig etwas mehr um sie kümmern können“, schimpfte Mr Collins mit ihm, als sie in der Kutsche auf dem Nachhauseweg saßen.

„Lass ihn Thomas, es ist schon schwer genug für ihn“, versuchte seine Frau ihn zu beruhigen.

„Er muss endlich erwachsen werden und sich den Herausforderungen des Lebens stellen. Und dazu gehört nun mal auch, sich eine Frau zu nehmen.“ Matthew schwieg und starrte aus dem Kutschenfenster. Die Gaslampen draußen auf den Straßen brannten schon eine ganze Weile. Es war spät geworden und das war ein Zeichen, dass der Abend vollends gelungen war. Mr Wentworth und seine Frau konnten beruhigten Gewissens sagen, dass sie der Londoner Gesellschaft einen unterhaltsamen Abend geboten hatten.

„Hörst du mir zu Matthew!“, polterte Mr Collins.

„Er denkt an Polly Perkins“, warf Charles, sein jüngerer Bruder, mit einer hämischen Grimasse in die aufkommende Stille.

„Halt die Klappe Charles“, fuhr Matthew ihn an.

„Wie zwei junge Buben! Matthew ist das wahr, was dein Bruder sagt? Schlag dir die kleine Dirne aus dem Kopf.“

„Thomas!“ Mrs Collins starrte entsetzt zu ihrem Mann beim Gebrauch dieses obszönen Wortes.

„Ich werde Susan Wentworth heiraten, keine Sorge Vater“, erwiderte Matthew während er immer noch aus dem Fenster starrte. Mr Collins ließ es dabei auf sich beruhen und lehnte sich jetzt deutlich entspannter in seinem Sitz zurück.

Der Weg über die Southwark Bridge

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