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Kapitel 6
ОглавлениеStarling »Star« Harald riß seinen Spind auf, um ein Handtuch zum Duschen zu holen. Er fühlte sich verdammt mies. Zwei Tage hintereinander hatte er bei seinen Sparringskämpfen große Probleme gehabt. Scheiße. An der Innenseite der Spindtür hing ein vergilbter Zeitungsausschnitt. Star mit fünfzehn Jahren, den Arm um Anthony geschlungen. Der zukünftige Schwergewichtler und sein Manager, Officer Anthony Della Porta von der Philadelphia Police lautete die Überschrift. Es war erst vier Jahre her, aber es schien wie eine Ewigkeit.
Star hatte sich beim Sparring schwer gefühlt. Seine Arme waren früh sauer geworden, und das war keine vorübergehende Erscheinung gewesen. Er konnte seinen rechten Cross nicht plazieren. Es war erbärmlich. Stars Blick fiel auf sein Bild im Spiegel an der Spindtür. Seine Haare waren ein schweißnasses, kurzgeschorenes Nichts, seine Augen blutunterlaufene braune Schlitze. Seine Nase, noch nicht gebrochen, war breit, und ein Hauch Schnurrbart bedeckte seine Oberlippe. Er war zu fett; er lag bei ungefähr 215, und er müßte bei ungefähr 200 liegen. Verdammt. Er hatte gut ausgesehen, wie Ali. Jetzt sah er nicht so gut aus. Der Kampf gegen Harris rückte näher, aber wenn er so weiterboxte, würde Star auf der Strecke bleiben. War er bereit für ganz oben, einen Kampf über volle acht Runden? Seinen ersten Profikampf?
Star griff nach dem Waschlappen, den Anthony früher jeden Tag gegen einen frischen ausgetauscht hatte. Er fühlte sich innerlich leer. Vor einem Jahr war Anthony ermordet worden, und jedesmal, wenn Star den verdammten Spind öffnete, fühlte er sich beschissen. Anthony war tot, und Star war nichts geblieben. Kein Manager, kein Sparringspartner, kein Freund. Nach Anthonys Tod hatte er sich selbst gemanagt. Brachte es nicht über sich, einen neuen Manager zu suchen. Er hatte dieselben Trainer behalten und schwer geschuftet, die beschissenen Fights angenommen, die einem die Promoter andrehten, wenn sie dahinter her waren, daß man einen Manager anheuerte, mit dem sie nach Belieben umspringen konnten. Star hatte alle Kämpfe durchgezogen; 32 Siege gingen auf sein Konto, 30 durch K.o., nur zwei Niederlagen.
Scheiße. Star wischte sich mit der Hand die Stirn, seine Handbandagen flatterten. So konnte er nicht weitermachen. Er mußte sich um zuviel Geschäftliches kümmern, ihm blieb . zuwenig Zeit fürs Training. Star wußte nicht, was tun. Anthony hätte es gewußt, er war wie ein Vater zu ihm. Spielte keine Rolle, daß Star schwarz war und Anthony Italiener. Anthony war bei einem Jugendprogramm des Polizeisportclubs auf ihn aufmerksam geworden, hatte ihm das Boxen beigebracht und ihn von da an auf seinem ganzen Weg begleitet. Ihn für Amateurkämpfe in Philadelphia, Jersey und New York gemeldet. Sogar in Tennessee und Kentucky. Ihn gegen Klasseboxer und Schläger aufgestellt, auch gegen hinterhältige Schweinehunde, die sich was in die Handschuhe schoben, damit Star lernte, wie er sich gegen sämtliche Typen durchsetzen konnte, wenn er mal Profi wurde. Star kämpfte sich durch, erledigte alle, schickte Iren und Schwarze und Dominikaner zu Boden, sogar einen Schwarzen mit britischem Akzent.
Anthony trieb Sponsoren auf, weiße Schwachköpfe in Anzügen, und wählte einen Namen für das Syndikat, Starshine Enterprises. Es würde Star ein ordentliches Gehalt zahlen, zuzüglich fünfzig Prozent seiner Börse. Anthony verlangte nur zehn Prozent dafür, daß er Star managte. Ihm war nicht das Geld wichtig, ihm war Star wichtig. Anthony war der erste Mensch, der Star das Gefühl vermittelte, etwas wert zu sein, daß sein Name nicht nur ein schlechter Scherz war. Dann wurde Anthony umgebracht, erschossen. Star hatte von Anfang an gewußt, daß das Connolly-Dreckstück nur Ärger brachte. Er hatte nur nicht gewußt, wieviel Ärger.
»He, Star«, ertönte links von ihm eine tiefe Stimme, und Star sah hinüber. Da stand Leo Browning, der Manager von Kevin Richard, einem der älteren Schwergewichtler. Browning war fett, fünfzig Jahre alt und weiß, aber er trug einen Schlagring und gebärdete sich wie ein Schwarzer.
»Harris steht dir bevor, Mann«, sagte Browning mit seiner rauhen Stimme. Anthony hatte immer gesagt, Browning höre sich an wie Barry White, aber Star wußte nicht, wer Barry White war. »Hab gesehen, wie du gegen den Jungen geboxt hast, vorhin. Du bist cleverer, größer, hast eine größere Reichweite, und du bist schneller. Dir müßte nur einer richtig in den Arsch treten, Mann.«
»Halt die Schnauze«, antwortete Star, obwohl er wußte, daß der Typ recht hatte.
»He, ich weiß, Anthony hat dich echt gut gemanagt. Sich echt gut um dich gekümmert. Dich ganz nach oben gebracht. Du willst das doch jetzt nicht in den Sand setzen. Du bist Schwergewichtler, Mann. Du brauchst einen Manager. Du bist Boxer, du mußt boxen.«
»Erzähl mir nicht, was ich zu tun habe, du Arschloch.«
»Ich weiß, du glaubst, daß dich keiner so gut managen kann, aber da liegst du daneben. Ich kann’s. Ich kenne dein Talent. Ich weiß, wo du hin willst. Ich weiß, wie ich dich dahin bringen kann. Die Promoter, die kennen mich. Laß dich von mir managen, sonst kannst du den Kampf gegen Harris vergessen, die Promoter lassen dich im Regen stehen.«
»Quatsch. Im Vertrag steht, ich stehe ganz oben auf der Setzliste.«
»Die finden schon einen Weg, um sich da rauszuwinden. Du mußt die Nerven behalten. Als hätte sich nichts geändert. Das ist so, wie wenn der Präsident stirbt, weißt du, wie damals, als JFK bei dem Attentat ermordet wurde. Weißt du, wer JFK ist?«
Am liebsten hätte ihm Star in die Eier getreten. Er haßte es, wenn Weiße von oben herab mit ihm redeten. Anthony hatte das nie getan. Anthony wußte, daß er klug war. Anthony brachte ihm Respekt entgegen.
»Als JFK, der Präsident, erschossen wurde, mußte noch am gleichen Tag der Vizepräsident vereidigt werden. Am gleichen beschissenen Tag. Weißt du, warum? Die mußten der Welt zeigen, daß die Macht direkt in andere Hände übergeht, auch wenn ein großer Mann stirbt. Das Land war in guten Händen.« Mit seinen Krokodillederimitatschuhen schob sich Browning näher an ihn heran. »Weißt du, Mann, du bist total am Arsch wegen der Sache. Du mußt klarkommen, Mann. Ein Jahr bist du jetzt down, flennst nur rum wie ein Baby.«
Stars kurzgeschorener Kopf fuhr ruckartig herum. Er schätzte es nicht, wenn man so mit ihm redete.
»Du hast mich verstanden. Du brauchst einen, der dir sagt, was Sache ist, Mann, nicht diese Schleimscheißer, die dir nach dem Maul reden. Wenn du’s nicht auf die Reihe kriegst, daß Anthony umgelegt wurde, dann tu was dagegen. Ich sag dir, hör auf zu heulen und tu was. Aber versau die Sache mit Harris nicht, Mann. Mit Harris ist eine Menge Kohle drin. Mit Harris ist eine Karriere drin.«
»Verpiß dich!« Star stieß Browning gegen die Brust, und den fetten Scheißkerl hob es von den Füßen, so daß er rückwärts in die Spinde krachte.
Star stand unter der heißen Dusche. Wasser trommelte auf seine Schultern und lief über die Muskeln seines nackten Körpers. Seine Haut, ein üppiges, dunkles Kastanienbraun, glänzte wie die eines Vollblüters. Dicht unter der Haut zogen sich dicke Adern entlang und schlängelten sich über seine Unterarme. Mit zurückgeworfenem Kopf stand Star unter dem rauschenden Wasser und versuchte, nicht zu denken. Versuchte, nicht an Anthony zu denken oder an das Dreckstück, das ihn erschossen hatte. Oder an Browning mit den Alligatorschuhen.
Wenn du’s nicht auf die Reihe kriegst, daß Anthony umgelegt wurde, dann tu was dagegen.
Star drehte am Hahn und stellte das Wasser heißer. Er ließ das heiße Wasser auf seine Schultern prasseln. Seine Muskeln kribbelten, und seine Adern erweiterten sich auf Tunnelbreite. Star stellte sich vor, wie sein Blut als roter Strom durch die Adern schoß und zu seinen Muskeln brandete. Er fühlte sich größer, stärker. Vollgepumpt mit Blut.
Wenn du’s nicht auf die Reibe kriegst, daß Anthony umgelegt wurde, dann tu was dagegen.
Star drückte die Augen fest zu und drehte den Hahn, bis das Wasser so heiß war, daß er es gerade noch aushalten konnte. Dann noch heißer. Wasser versengte seine Bizepse und brannte Blasen auf seine Brust. Er öffnete den Mund, und dampfendes Wasser strömte hinein. Seine Zunge glühte. Star konnte was einstecken, alle sagten das. Schläge, unter denen die Knie anderer Männer weich wurden, unter denen sie zu Boden gingen, als beteten sie zu Gott. Aber das war ein Schlag, wie Star im Ring noch nie einen hatte einstecken müssen. Das war ein Schmerz, wie er noch keinen gespürt hatte. Er konnte ihm kein Ende setzen, und er konnte ihn nicht länger ertragen.
Wenn du’s nicht auf die Reihe kriegst, daß Anthony umgelegt wurde, dann tu was dagegen.
Heißes Wasser stürzte auf ihn herab wie Flammen vom Himmel, und plötzlich brüllte Star. Er hatte in seinem Leben nie einen Schrei von sich gegeben, nicht in allen seinen Kämpfen, aber jetzt brüllte er, ohne zu wissen, wo aus seinem Innern dieser Laut herkam. Er hörte ihn als Echo von den Wänden zurückkommen, so daß dieser beschissene Duschraum zu seinem Revier wurde. Er brüllte lauter und lauter, bis seine Haut brannte wie die Sonne. Er fühlte sich stärker und klarsichtiger als je zuvor. Star wurde im Feuer gehärtet wie Stahl.
Und da wußte er, was er zu tun hatte.