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In Rekordzeit verfrachte ich Maddie in die Schule und rase über die Schnellstraße Richtung Stadtmitte. Mein VW-Kombi rattert an weit schnelleren Wagen vorbei. Die Nachrichten von Radio-KYW bestätigen wieder und wieder Armens Selbstmord. Ich schlucke den aufsteigenden Schmerz hinunter und trete aufs Gaspedal.

Die Türen des Gerichtsgebäudes sind von Presseleuten blockiert, die bereits an Ort und Stelle sind und sich wie die Geier auf die Neuigkeit stürzen. Ich komme nicht hinein. Überall tummeln sich Reporter; die Fernsehleute, zurechtgemacht mit dickem aprikosenfarbenem Make-up, stehen wartend bereit. Kameramänner ziehen schwarze Kabel zwischen einer Gruppe von Demonstranten hindurch, die ebenfalls bereits auf dem Schauplatz erschienen ist. Es müssen vierzig Leute sein, die in schweigendem Protest im Kreis marschieren. Kein Wort kommt über ihre Lippen. Aber ihre Schilder schreien vor einem sengend blauen Himmel nach Gerechtigkeit: HIGHTOWER.

Ich muß unbedingt in das Gebäude hinein.

»Möchten Sie eins?« fragt mich ein älterer Mann in einem karierten, kurzärmeligen Hemd. In einer Hand, an der der Daumen fehlt, hält er ein rosa Flugblatt; sein Gesicht ist wettergegerbt wie das eines Farmers. »Steht was über meine Töchter drauf.«

»Ihre Töchter?« Überrascht blicke ich auf.

Er nickt. »Haben Sie Kinder?«

»Ja. Eine Tochter.«

»Wie alt?«

»Sechs.« Ich möchte nicht mit ihm reden. Ich kann jetzt nicht an Hightower denken. Ich möchte hinein.

»Mag sie Snoopy?«

»Nein, sie liebt Madeline. Ihre Puppe.«

Die tief um seine Augen eingegrabenen Falten mildern sich in einem Lächeln. »Wie meine Kleine, Sally. Sie mochte auch Puppen. Sie hatte eine Barbie und eine Schwester von Barbie. Wie hieß doch gleich diese Schwesterpuppe?« Er starrt auf ein Paar blitzblank funkelnde braune Schuhe hinunter und kratzt sich zwischen dem grauen Haarkranz am Kopf. »Meine Frau wüßte es«, sagt er mit leiser werdender Stimme.

»Skipper.«

»Richtig!« Er lacht. Es klingt belegt, ein Raucher.

Ich nutze die Gelegenheit. »Ich muß weiter.«

»Natürlich. Sie müssen arbeiten.« Er drückt mir das Flugblatt in die Hand. Von einem Schwarzweißfoto blicken mich zwei hübsche Mädchen an, die auf einem rissigen Holzgeländer sitzen. In Schreibmaschinenschrift steht darüber SHERRI UND SALLY GILPIN. Einen Moment lang bin ich wie betäubt. Ich wußte, wie sie gestorben waren, aber ich wußte nicht, wie sie gelebt hatten. Die Jüngere, Sally, hat wie Maddie einen unregelmäßig verlaufenden Wirbel in ihrem Haar, der unfreiwillig verrät, daß sie es haßte, gekämmt zu werden; sie wurde erwürgt, das Leben wurde aus ihr herausgepreßt. Was sagte Armen gestern abend? Wir retten ein Leben.

»Gehen Sie jetzt lieber, wir möchten nicht, daß Sie durch unsere Schuld entlassen werden«, sagt der Mann. »Gott schütze Sie.«

Aus der Fassung gebracht, nicke ich und bahne mir unter Schwierigkeiten den Weg durch die Menge. Einige der stumm protestierenden Frauen sehen mich an: derbe, kräftige Frauen mit unscheinbaren Gesichtern ohne Make-up. Ich weiche ihren Blicken aus und stoße die schweren Glastüren in die geschäftige Eingangshalle des Gerichtsgebäudes auf. Verstohlen stecke ich das Flugblatt in meine Handtasche und halte den Marshals hinter dem Überwachungspult vor den Aufzügen kurz meinen in Plastikfolie eingeschweißten Berechtigungsausweis hin. Zwei Minuten später öffne ich die schwere Tür in die Amtsräume.

Eletha sitzt an ihrem Schreibtisch und starrt auf einen blauen Monitor, auf dem die virtuelle Darstellung eines Gerichtsgebäudes, erstellt von einem der Kinder des Programmierers, aufleuchtet.

Unter dem Bild Steht: ORDNUNG IM GERICHT! WILLKOMMEN IM TEXTVERARBEITUNGSSYSTEM DES THIRD CIRCUIT! Die Tür fällt hinter mir ins Schloß, Eletha scheint es nicht zu hören.

»El?«

Langsam dreht sie ihren Stuhl. Ihre Augen sind verschwollen, und sie schwankt beim Aufstehen. »Grace.«

Ich gehe zu ihr, und sie bricht in meinen Armen fast zusammen, ihr knochiger Körper sackt wie ein baufälliges Haus in sich zusammen. »Alles ist gut, Eletha. Es wird alles wieder gut«, sage ich, obwohl mir völlig anders zumute ist.

Ich reibe ihren Rücken. Ihr Körper bebt unter hohem, stoßweisem Schluchzen. »Nein, nein, nein«, ist alles, was sie herausbringt, wieder und wieder, und ich halte sie fest, während sie weint. Angesichts ihrer offen gezeigten Trauer fühle ich mich merkwürdig weit entfernt. Es überläuft mich eiskalt, als mir bewußt wird, daß ich mich verhalte wie meine Mutter, nachdem mein Vater verschwand; nichts hat sich geändert, reich mir das Salz.

Ich setze Eletha behutsam auf ihren Stuhl und ziehe ein paar Papiertücher aus einer geblümten Schachtel. »Hier.«

»Es ist furchtbar. Einfach furchtbar. Armen, mein Gott.« Sie betupft ihre tränennassen Augen mit einem Kleenex.

»Ich weiß.«

»Ich kann es nicht glauben.«

Ich auch nicht. Aber ich sage nichts.

»Ich wollte dich gleich anrufen, als ich heute morgen ins Büro kam, aber ich konnte es nicht.« Wieder füllen sich ihre Augen mit Tränen.

»Schon gut.«

»Susan rief mich an. Heute früh. Dann die Polizei. Und Galanter. Gott, wie ich diesen Mann hasse!«

»Susan hat Armen gefunden, stimmt das?«

»Sie kam aus Washington zurück, und da lag er.«

»Wann kam sie nach Hause, kurz vor Tagesanbruch?«

»Vermutlich. Ich weiß es nicht.« Sie schnaubt laut in das Papiertuch.

»Wer hat Galanter benachrichtigt?«

»Ich weiß nicht, warum?«

»Ich begreife es nicht. Ich war bis fünf Uhr mit Armen zusammen.«

»Dann habt ihr beide aber noch lange gearbeitet.«

»Richtig.« Ich weiche ihrem Blick aus; Eletha ging um zwei. Plötzlich fällt mir ein, daß ich ein Geräusch gehört oder zu hören geglaubt hatte. Um wieviel Uhr war das? »Eletha, bist du noch einmal ins Büro zurückgekommen, nachdem du heute nacht nach Hause gegangen bist?«

»Nein, warum?«

»Als ich mit Armen in seinem Büro war, dachte ich, ich hätte hier draußen jemanden gehört.«

»Wen denn?«

»Keine Ahnung.«

»Kam denn niemand in Armens Büro?«

»Nein. Ich habe jedenfalls niemanden gesehen.«

Sie schüttelt den Kopf; sie trägt heute kein Make-up. »Die Referendare, die Staatsanwälte, alle haben bei einer Revision, bei der es um die Todesstrafe geht, eine Menge zu tun. Vielleicht hat einer von ihnen Unterlagen vorbeigebracht.«

Genau in diesem Augenblick geht die Tür auf, und Sarah und Artie kommen herein. Beide sehen aus, als hätten sie geweint; Sarahs schmerzerfüllte Miene erinnert mich nur allzu deutlich an das Gesicht, das mir heute früh aus meinem Spiegel entgegenstarrte. Sie löst sich von Artie und stürmt in das Vorzimmer.

»Ist Ben da?« schreit sie und rennt so schnell an uns vorbei zum Referendarsbüro, daß ihre kurze Strickjacke fliegt. »Wo, zum Teufel, steckt Ben?«

»Ich weiß es nicht«, antworte ich. »Du, Eletha?«

»Er hat nicht angerufen.«

Mit der geballten Faust hämmert Sarah an den Türstock. »Verdammt noch mal! Ich will ihn sehen, diesen kleinen Wichser!«

»Sar, hör auf«, sagt Artie. Wie betäubt geht er zu Eletha und legt den Arm um sie. »Das bringt Armen nicht zurück.«

Mit großen Schritten marschiert Sarah zum Telefon, das auf Elethas Schreibtisch steht, und gibt, ohne jemanden eines Blickes zu würdigen, sieben Zahlen ein. »Ich rufe dieses Arschloch schon den ganzen Morgen lang an. Nimm ab, du kleiner Wichser!«

»Immer mit der Ruhe, Sarah«, versuche ich sie zu besänftigen.

Ihre blauen Augen starren mich kalt an. »Was soll das heißen, immer mit der Ruhe?« Sie knallt den Hörer auf.

»Sehen Sie, es trifft uns alle schwer.«

»Ben nicht, er ist der Auslöser. Er setzte Armen wegen des Hightower-Falles unter Druck, damit er die verdammte Stelle am Obersten Bundesgericht bekommt. Er hat ihm sogar diesen Zeitungsartikel vorgehalten, den, in dem es um die Rechte des Opfers geht. Er wußte, Armen würde dadurch in Konflikt geraten. Es war ihm egal, wie sehr er ihn damit quälte.«

»Sie reden Unsinn«, stößt Eletha zwischen Schluchzern hervor.

Sarahs Blick wandert von ihr zu mir. »Grace, Sie waren heute nacht mit ihm zusammen. War er sehr durcheinander?«

»Nein.« Ich möchte das Thema wechseln. »Ich dachte, ich hätte ein Geräusch gehört …«

»Was?« sagt Sarah. »Was für ein Geräusch?«

»Keine Ahnung, ein Geräusch eben. Als wäre jemand hier, vor seinem Büro. Ungefähr um drei oder kurz danach.«

»Haben Sie jemanden gesehen?«

»Nein.«

»Und was ändert's, wenn Sie ein Geräusch gehört haben?«

»Nichts«, antworte ich. »Sofern Sie es waren oder Artie. Wart ihr es?«

Artie schnaubt. »Um drei? Da haben wir geschlafen.« Er merkt es sofort. »O Scheiße.«

Sarah funkelt ihn an. »Sehr klug von dir, Weiss.«

Es stimmt also, die beiden haben was miteinander. Ich verstehe Sarah nicht; sie schläft mit Artie, dabei ist sie verrückt nach Armen. Und Artie und Armen stehen einander so nah. Standen einander so nah.

»Ach, was macht das jetzt noch für einen Unterschied?« Artie zuckt die Achseln. »Ist mir egal, wenn es alle wissen, es ist doch nichts dabei.« Er sieht mich und Eletha an, seine Augen sind voller Schmerz. »Ich liebe sie, okay? Wir bumsen wie die Karnickel, okay? Könnt ihr damit leben?«

»Bestimmt«, antworte ich. Eletha nickt unsicher.

»Na also, Sar, die Welt ist nicht untergegangen.«

Sarah ignoriert ihn und drückt auf die Wahlwiederholung. »Wichtig ist jetzt, Ben aufzutreiben.«

Ich verlasse die unter starker Anspannung stehende Gruppe, weil ich Armens Büro sehen möchte, bevor die anderen hineingehen. Allein. Ich verharre in der Tür und versuche, mich zusammenzureißen. Aber der Anblick versetzt mir einen heftigen Stich. Mein Blick wandert über die exotischen Brokatkissen, die fremdartigen Urkunden und die armenischen Bücher mit den abgewetzten Schutzumschlägen aus Papier. Das Zimmer riecht noch nach ihm; fast spüre ich seine Gegenwart. Ich kann nicht glauben, daß er sich umgebracht hat. Warum habe ich nichts bemerkt? Warum habe ich es nicht kommen sehen?

Ich gehe in das Zimmer hinein und berühre die Papiere auf dem Besprechungstisch. Alles ist so, wie ich es in Erinnerung habe, abgesehen von ein paar Unterlagen zum Fall Hightower, die er mit nach Hause genommen hat, um noch daran zu arbeiten. Die Papiere sind über den ganzen Tisch verteilt; der Laptop steht an der Tischkante. Sogar die Hundehaare auf dem Gebetsteppich sind noch dieselben. Sie erinnern mich an Bernice. Wo war sie letzte Nacht, als er sich umgebracht hat? Wo war ich? In tiefem Schlaf?

Plötzlich gibt es draußen im Vorzimmer einen Tumult, gefolgt von Geschrei. Ich eile durch die Tür und sehe Artie, der Ben gegen die Wand stößt und dabei ein Gruppenfoto von den Mitarbeitern des Berufungsgerichts in Gefahr bringt.

»Artie, aufhören!« schreie ich, aber Eletha ist bereits zur Stelle. Sie tritt vor Ben und schirmt ihn mit ihrem Körper ab.

»Er verdient es!« Arties Brust unter dem dicken Sweatshirt hebt und senkt sich schwer. Er steht über Ben gebeugt, der zu husten beginnt, kack-kack-kack, ein Altmännerhusten, und sich den Kopf an der Stelle reibt, die gegen die Wand schlug.

»Aufhören!« befiehlt Eletha mit autoritärer Stimme. Für einen Moment kehrt wieder Ordnung ein; Eletha hat die Befehlsgewalt übernommen, und wir befinden uns in den Amtsräumen eines Richters. Der König ist tot, lang lebe die Königin. Der Moment verstreicht.

»Wo warst du?« brüllt Sarah Ben an, der sich hochrappelt und fast lustspielreif hinter Eletha versteckt.

»Zum Teufel, Sarah. Man hat mir einen arbeitsintensiven Fall zugeteilt, ich mußte die ganze Nacht arbeiten, und irgendwann bin ich eingeschlafen. Brauche ich dazu deine Erlaubnis?«

»Du hast die ganze Nacht gearbeitet? Woran?«

»Am Fall Germantown Savings. Ich wollte ihn abschließen.«

»Du hast das Telefon nicht gehört?«

»Nein.«

»Zum Teufel, das ist doch gelogen!« Sarah macht ein Gesicht, als würde sie da weitermachen, wo Artie aufgehört hat, und Eletha sieht aus, als würde sie gleich schlappmachen, ihre Kraft ist verbraucht.

»Okay, Sarah«, sage ich entschlossen, »bremsen Sie sich. Sie wollen mit Ben reden. Warten Sie damit, bis Sie ruhiger geworden sind.«

Ihre Augen blitzen vor Wut. »Spielen Sie wieder mal die Mami?«

»Ja, das kommt ganz von selbst durch. Gehen Sie jetzt in Ihr Zimmer. Auszeit bis zur Pressekonferenz.« Ich zeige auf das Referendarsbüro.

»Pressekonferenz?« fragt Eletha. »Wer hält eine Pressekonferenz ab?«

Ich werfe einen Blick auf die Uhr über der Bürotür. »Susan. In fünfzehn Minuten.«

Elethas Augen drohen erneut überzufließen. »Wie kann sie das tun? Armen ist noch nicht mal kalt.«

»Es fällt ihr auch nicht leicht«, hebt Sarah zur Verteidigung an, »aber sie ist der Meinung, sie müßte eine Erklärung abgeben. Sie glaubt, die Öffentlichkeit hätte ein Anrecht darauf.«

Ich spüre, wie mein Herz schneller schlägt. »Sie will erklären, warum er Selbstmord beging?«

»Das hat sie mir jedenfalls am Telefon gesagt.«

»Das ist seine Sache, das geht die Öffentlichkeit nichts an«, bemerkt Ben und streicht seine Krawatte glatt.

Eletha sieht ebenso überrascht aus wie ich. »Und woher weiß sie es? Er hat keinen Abschiedsbrief hinterlassen.«

»Sie ist seine Frau, Eletha«, sagt Sarah betont.

Seine Frau. Das Wort trifft mich im Innersten. Wäre er nicht gestorben, hätten sie die Scheidung eingereicht. Heute.

Wir versammeln uns um das alte Fernsehgerät mit dem Plastikgehäuse im Referendarsbüro und sehen Senator Susan Waterman, wie sie ihren Platz auf dem Podium einnimmt. Ich unterdrücke einen Anflug von Eifersucht und suche in ihrem Gesicht nach einem Hinweis auf das, was sie gleich sagen wird. Ihre gleichmütige Miene verrät nichts. Sie wirkt wie ein müder Abklatsch ihres intellektuellen Images; ihre altmodisch langen, glatten dunkelblonden Haare sind zu einem lockeren Haarknoten zusammengefaßt, ihr kleines, ebenmäßiges Gesicht ist blaß und bildet einen telegenen Kontrast zu ihrem pechschwarzen Strickkostüm.

»Meine Damen und Herren«, beginnt sie. Unbeeindruckt von dem Sperrfeuer der elektronischen Blitzlichter, hebt sie flüchtig den Blick vom Podium. »Mein Mann, Armen Gregorian, Vorsitzender des Berufungsgerichts des Third Circuit, starb heute morgen hier in Philadelphia durch eigene Hand. Er liebte diese Stadt, auch wenn sie sich ihm gegenüber nicht immer freundlich verhalten hat. Auch wenn sich die Presse ihm gegenüber nicht immer freundlich verhalten hat, besonders nicht in letzter Zeit.« Ihr funkelnder Blick trifft die gesamte Presse, die für diese Spezialität während ihrer Wahlkampagne die nicht sehr schmeichelhafte Bezeichnung »Susans strenger Blick« aufbrachte.

»Das sind alles Wichser«, schimpft Sarah, aber selbst ihre Stimme klingt matt.

Susan trinkt einen Schluck Wasser. »Mein Mann hinterließ keinen Abschiedsbrief; um seine Handlung zu erklären, aber mir ist sie kein Rätsel. Es kursieren bereits Gerüchte, Grund sei die Kritik in der Presse an seinen liberalen Ansichten gewesen, aber ich versichere Ihnen, das ist nicht wahr. Armen war aus härterem Holz.« Sie bringt ein verkniffenes Lächeln zustande, mit dem sie die Presseleute in dem überfüllten Saal zugleich rügt und freispricht.

»Ferner geht die Behauptung um, Ursache sei dieser Fall, in dem er über Leben und Tod zu richten hatte. Der dadurch ausgelöste Streß und die Belastung seien zu groß gewesen. Jeden anderen hätte das gebrochen, aber nicht Armen Gregorian. Er war aus härterem Holz.« In schweigender Huldigung hebt sie den Kopf. Eletha, die neben mir sitzt, drückt meine Hand.

»Oberflächlich betrachtet, hatte mein Mann alles, was man sich im Leben nur wünschen kann«, fährt Susan fort. »Er war Vorsitzender des Gerichts, und wir führten eine wunderbare, glückliche Ehe, die uns beiden stets Trost und Unterstützung bot.«

Was redet sie da? Die beiden standen kurz vor der Scheidung.

»Aber mein Mann war Armenier. Den Völkermord an den Armeniern bezeichnet man als den vergessenen Genozid. Fast seine gesamte Familie wurde umgebracht. Seine Mutter überlebte, beging aber später Selbstmord. In diesem Monat – im April – gedenken die Armenier ihrer tragischen Geschichte.« Sie blickt über den Saal hinweg. »Wie die Überlebenden des Holocaust, die später durch eigene Hand starben, war auch mein Mann ein Opfer des Hasses. Lassen Sie uns einen Augenblick innehalten und schweigend Armen Gregorians gedenken und uns daran erinnern, daß uns die Macht des Hasses vernichten kann, wenn wir nicht dagegen ankämpfen.« Die Kamera verweilt auf ihrem gesenkten Kopf.

Sarah beginnt zu schluchzen, und Artie nimmt sie fest in den Arm.

Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück; mir ist, als würde mich ein gigantisches Gewicht nach hinten drücken. Armen sprach mit mir über den Völkermord, wenn auch nicht über seine Mutter. Trotzdem, würde er aus diesem Grund Selbstmord begehen? In dieser Nacht? Er beschäftigte sich in Gedanken nicht nur mit dem Völkermord, sondern auch mit dem Fall Hightower. Und mit mir. Mir ist nach Weinen zumute, aber die Tränen kommen nicht.

Auch Ben weint nicht. Mit einem wissend-sachlichen Blick betrachtet er Sarah und Artie, die sich aneinander schmiegen.

Seine dunklen Augen sind staubtrocken.

Rosenmord

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