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Richter Galanters Atem riecht streng nach Binaca. In der feinen Wolle seines zweireihigen Anzugs hängt Zigarrenrauch. Seine Bewegungen sind bedachtsam, und seine Sprechweise ist formell, als versuche er, jede Silbe zu kontrollieren. So sicher, wie er, ein wenig rot im Gesicht, vor Armens Schreibtisch vor uns steht, weiß ich, daß Galanter getrunken hat. Das weckt wieder einmal eine quälende, blitzartig auftauchende Erinnerung an meinen Vater.

»Sie, die Referendare, können noch ein, zwei Wochen bleiben«, verkündet er.

»Wir hatten noch keine Zeit, darüber nachzudenken«, entgegnet Artie bissig von der Tür her.

»Ich führe diesen Ausbruch auf Ihre extreme emotionale Verfassung zurück, Mr. Weiss.«

Artie wendet den Blick von Galanter ab und schaut aus dem Fenster. Die Fahne des Gerichtsgebäudes weht auf Halbmast und flattert im Wind, der vom Delaware herüberweht.

»Schließen Sie die Fälle ab, an denen Sie gerade arbeiten. Fassen Sie die Berichte für den Richter ab wie vorher auch, und übergeben Sie sie mir. Verhandlungen, deren Beweisführung abgeschlossen ist, müssen neu verhandelt werden.« Galanter zieht einen funkelnden Montblanc-Füller aus der Brusttasche und macht einen Haken in einem ledernen Filofax. Er hält es in den Händen wie ein Meßbuch. Ich kann mir vorstellen, was darin steht.

Zu erledigen: Übernahme. Vor Mittag.

»Nächster Punkt der Tagesordnung. Das Büro muß geräumt werden. Wie lange brauchen Sie dazu, Eletha?«

Kochend vor Wut sitzt Eletha am Kopfende des Besprechungstisches. »Darüber muß ich erst mit Susan sprechen«, antwortet sie und kreuzt die schlanken Arme vor der Brust.

»Mit Senator Waterman? Schon erledigt. Sie sagte, es liege bei Ihnen. Packen Sie das Zeug zusammen, und lassen Sie es ihr nach Hause schicken, sie sieht die Sachen dort durch. Wie lange werden Sie dafür brauchen? Ich muß meinen eigenen Umzug organisieren.«

»Soll das heißen, Sie übernehmen dieses Büro?« erkundigt sich Eletha.

Galanter hebt so ruckartig das Kinn, als hätten sich die Falten seines Truthahnhalses in seinem Hemdkragen verklemmt. »Natürlich, das ist schließlich das Büro des Vorsitzenden. Ich möchte es in zwei Wochen bezogen haben. Übrigens, ich hörte, die Staatsanwälte benötigen eine zusätzliche Sekretärin, für Sie ist also ein Platz frei. Sprechen Sie mit Peter darüber.« Er macht ein weiteres Häkchen in sein Filofax, und Eletha atmet ein und aus, ein und aus.

»Richter«, werfe ich ein. »Ich hätte da eine Frage …«

»Natürlich. Sie habe ich ganz vergessen. Vielleicht wird unten noch eine zusätzliche Anwältin gebraucht. Bewerben Sie sich. Teilzeit wird allerdings ein Problem sein, Sie werden wohl eine normale Ganztagsarbeit annehmen müssen.«

»Nein. Ich hätte eine Frage bezüglich des Hightower-Falls.«

Er schürzt die schmalen Lippen. »Ich habe ihn neu zugeteilt. Das Todesurteil wird nicht vor Montag vollstreckt, bis dahin haben wir längst entschieden.«

»Wem wurde der Fall zugeteilt?«

»Diese Information ist streng vertraulich. Erwähnte ich bereits die Trauerfeier?« Er wirft einen fragenden Blick auf Ben, der an den Bücherregalen lehnt. Ben schüttelt dezent den Kopf.

»Ist nicht so vordringlich«, bemerkt Artie spitz.

Galanter deutet mit seinem Füller auf Artie. »Stellen Sie mich nicht auf die Probe, junger Mann. Mir ist Ihr Mangel an Respekt bereits aufgefallen.«

»Respekt?« Artie explodiert. »Wer sind Sie, daß Sie es wagen, von Respekt zu reden? Armen ist gerade gestorben, und Sie können es nicht abwarten, sein Büro zu übernehmen. Sie können nicht warten!«

»Artie!« sagt Sarah nervös.

»Hören Sie mal.« Galanter hebt die Stimme. »Dieses Gericht muß weiterarbeiten. Wir haben eine Verpflichtung der Öffentlichkeit gegenüber.«

»Zum Teufel mit Ihnen!« schreit Artie fast unter Tränen. Er stürmt aus dem Zimmer in sein Büro und schlägt heftig die Tür zu.

»Noch nie habe ich einen Rechtsreferendar mit einem solchen Benehmen erlebt! Noch nie!« sagt Galanter höchst aufgebracht.

»Richter Galanter.« Fast reflexartig hebe ich zu sprechen an. »Artie und Armen standen sich sehr nahe. Es ist sehr schwer für ihn. Für uns alle.« Meine Stimme gerät unfreiwillig ins Stocken, aber Galanters Blick ist starr auf die Tür zum Referendarsbüro geheftet. Tief, sehr tief in meinen Innern packt mich kalte Angst, aber ich verdränge das Gefühl. »Richter, Sie wollten eben über die Trauerfeier sprechen.«

Galanter, immer noch Gefangener seiner Wut, blickt auf mich herab. »Was sagten Sie?«

»Die Trauerfeier.«

»Die Trauerfeier? O ja.« Er atmet heftig aus und erlangt wieder die Kontrolle über sich. Er steckt den Füller in seine Brusttasche zurück. »Die Trauerfeier. Übermorgen, am Donnerstag. Im Festsaal des Gerichts. Die Uhrzeit steht noch nicht fest.«

»Haben Sie etwas über den Ablauf der Beerdigung erfahren?«

»Nein, keine Ahnung. Senator Waterman sagte, sie würde in dieser Sache noch anrufen. Eletha, geben Sie mir die Aktennotiz, die ich Ihnen geschickt habe.«

Eletha rührt keinen Muskel. »Aktennotiz? Welche Aktennotiz, Richter?«

Soviel hat Galanter nicht getrunken, daß ihm das Herausfordernde in ihrem Benehmen entgeht. Er neigt den Kopf leicht schräg. »Die über den neuen Sitzungsplan. Ich habe sie heute morgen per E-mail verschickt.«

»Ich war heute morgen sehr beschäftigt.«

»Ich auch. Holen Sie sie«, sagt er in abgehacktem Ton.

Eletha verläßt den Raum. Gleich darauf hört man, wie sie unnötigerweise mit den Schubladen ihres Schreibtisches knallt.

Galanter reicht mir ein paar Papiere. »Kopieren Sie das für mich, und kommen Sie anschließend gleich zurück.«

Ich nehme die Blätter und verlasse das Büro. Als ich die Tür zum Flur öffne, sehe ich, wie Eletha der Wand gerade den Stinkefinger zeigt.

Auf dem Weg zum Kopiergerät lese ich die Unterlagen durch. Es ist ein komplett neuer Sitzungsplan, in dem Armens Initialen neben seinen Fällen ausgestrichen sind, dafür wurden die Namen anderer Richter eingetragen. Armens sämtliche Fälle wurden so schnell neu zugeteilt, daß einem schwindlig werden könnte.

KOPIERBEREIT, blinkt die Kopiermaschine. Ich öffne den schweren Deckel, klatsche das Blatt auf das Glas und drücke auf den Knopf. Kalkweiß huscht das Licht der Maschine über mein Gesicht.

Selbstmord? Ich begreife es einfach nicht. Sie waren dabei, die Scheidung einzureichen, wenn Armen die Wahrheit gesagt hat. Plötzlich befallen mich Zweifel; ob Armen gelogen hat? Natürlich nicht. Wir haben hinterher in liebevoller Umarmung auf der Couch lange miteinander gesprochen. Er war ehrlich, ein wunderbarer Mann.

KOPIERBEREIT. Ich drücke den Knopf. Man bringt sich nicht um, nur weil man Armenier ist. Armen war ein Überlebender. Und er haßte Waffen, er wollte keine im Haus haben. Woher hatte er die Waffe?

KOPIERBEREIT, blinkt die Maschine erneut, aber ich bin nicht kopierbereit. Es ist soviel passiert. In einer einzigen Nacht haben wir einander gefunden und verloren. Ich starre auf das Glas über den schemenhaft sichtbaren Innereien der Maschine; ich sehe nur mein eigenes undeutliches Spiegelbild. Was war das für ein Geräusch gestern nacht, und spielt es irgendeine Rolle?

Ich wende mich um und schaue den Flur hinunter, aber er ist leer. Auf dem ganzen Stockwerk werden lediglich zwei Amtsräume von Richtern benutzt, unserer und der von Galanter; die anderen stehen leer. Es handelt sich um die Amtsräume der Richter, die ihre Büros näher an ihrem jeweiligen Wohnsitz in Wilmington und im nördlichen New Jersey haben. Auf dem gesamten Stockwerk arbeiten nur elf Menschen.

Jetzt nur noch zehn.

Ein sperriger Aktenschrank steht neben den Richteraufzügen an der Wand. Ein paar Schritte weiter nach links befindet sich die Tür zum Büro der Referendare. Rechts den Flur hinunter gelangt man zu Galanters Amtsräumen.

Alles sieht genauso aus wie immer.

Ich trete einen Schritt vom Kopiergerät zurück und spähe konzentriert auf den für die Regierung typischen braunen Teppich. Da ist nichts, keine Spur von irgendwas. Ich richte mich auf und komme mir blöd vor. Wonach suche ich? Nach schmutzigen Fußabdrücken? Nach Kleidungsfasern? Was geht mir bloß durch den Kopf? Kopfschüttelnd beschäftige ich mich wieder mit dem Kopierer.

PAPIER NACHFÜLLEN, signalisiert er. Die Worte blinken rot auf wie bei alten Flippern, wenn sie Tilt anzeigen.

Verdammt. Warum bin ich hier die einzige, die dieses Ding nachfüllt? Ich schaue in dem neben dem Apparat stehenden Schränkchen nach neuem Papier, aber es ist leer bis auf das aufgerissene Einwickelpapier des alten Päckchens. Nie legen die Referendare neues Papier in das Schränkchen, wenn sie das letzte herausgenommen haben. Heftig schlage ich die Schranktür zu und marschiere den Flur hinunter in Richtung Büro.

Bbbzzzzzz surrt die Sicherheitskamera, während ich wütend an ihr vorbeistapfe.

Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag. Ich mache auf dem Absatz kehrt und schaue zu der Kamera hinauf. Das schwarze, eckige Gerät starrt wie ein mechanischer, hoch über dem Richteraufzug hockender Geier zu mir herab.

Die Kamera ist ständig eingeschaltet, und die Flure werden von den Sicherheitsleuten der Regierung über Monitore überwacht. Sie sah alles, was letzte Nacht auf diesem Flur passierte, und hat vermutlich alles aufgezeichnet wie die Kameras bei den Geldautomaten.

Sie weiß, ob jemand die Amtsräume betreten und mich und Armen zusammen gesehen hat. Und sie weiß, wer es war.

Rosenmord

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