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Auf seiner Brusttasche prangt über dem funkelnden fünfzackigen Marshalstern eine Plastikplakette mit seinem Namen, R. ARRINGTON. Der Oberkörper in der offiziellen blauen Uniformjacke ist muskulös, die dunkle Haut sieht aus der Nähe betrachtet leicht pockennarbig aus. »Mittagspause!« sage ich zu ihm und lasse ein reichlich belegtes Thunfischsandwich mit einer gekühlten Flasche Snapple-Limonade Cha-Cha tanzen. »Das alles kann Ihnen gehören.«

Es scheint ihn nicht sehr zu beeindrucken. »Geht nicht, Grace.«

Das Sandwich und die Limonade hüpfen frustriert auf und nieder. »Ich will doch bloß zwei Minuten. Ich guck auf die Monitore, und schon bin ich wieder draußen.«

»Es sind zwanzig Monitore, Grace.« Er seufzt tief. Maryellen, die Kassiererin im Imbißladen des Gebäudes neigt den Kopf in unsere Richtung. Sie mag blind sein, aber sie ist nicht taub. Ich beschließe, leiser zu reden.

»Ach, kommen Sie, Ray. Sie sagten, nur ein Monitor würde unser Stockwerk aufnehmen. Wie lange kann das denn schon dauern, auf einen Monitor zu gucken?«

Er verschränkt die kräftigen Arme. »Na ja, vielleicht. Wenn Sie mir sagen, was dahintersteckt.«

Ich schiele kurz zu den Geschworenen hinüber, die hinter uns Zeitungen, Kaugummi und Sodagetränke kaufen. Die Eismaschine spuckt Riesenstücke in einen großen Pappbecher, und einer der Geschworenen spielt eifrig »Such den Deckel«, um den Deckel in der passenden Größe aufzuspüren. Er wird ihn nie finden; mir gelingt das auch nie, und ich habe ein Juraexamen. »Sagen wir so. Ich möchte die Sicherheitsvorkehrungen kontrollieren.«

»Gestehen Sie, Rossi.«

Ich überlege. Ray zählt zu den wenigen Marshals, die Armen mochte; er ist einer der wenigen Afro-Amerikaner, was meines Erachtens kein Zufall ist. »Ich sage Ihnen was. Bringen Sie mich rein. Wenn es was bringt, sage ich Ihnen warum.«

»Und was soll ich Ihrer Meinung nach den Marshals erzählen?«

»Welchen Marshals? Sie sind der Marshal.«

»Ich bin, korrekt gesagt, nur Sicherheitsbeamter. Zuständig ausschließlich hier am Gericht. Ich meine die Marshals, die die Monitore überwachen.«

»Sagen Sie, ich wäre die Verwaltungschefin des Gerichtsvorsitzenden und würde die Sicherheitsmaßnahmen kontrollieren.«

»Grace.« Seine düstere Miene ruft mir wieder schmerzlich ins Gedächtnis, woran ich lieber nicht denken will. Armen ist tot.

»Vergessen Sie es, ich erzähle denen schon irgendwas. Ich komme schon klar damit. Bringen Sie mich einfach da rein, ich zeige mich dann erkenntlich. Was immer Sie wollen.«

Plötzlich schnippt er mit den Fingern. »Da wüßte ich was.«

»Alles, was Sie wollen.«

»Sie könnten mich Ihrer reizenden Freundin vorstellen, der schönen Eletha Staples.«

»Eletha? Kennen Sie sie denn nicht?«

»Ich arbeite so lange hier wie sie, aber sie grüßt mich nicht einmal. Hat sie jemand?«

Ich denke an Leon, Elethas Freund, mit dem sie nichts als Ärger hat. »Nein.«

»Klasse!« Er reibt sich die Hände; es hört sich trocken und papieren an. »Mittagessen. Jetzt fange ich erst mal mit dem Mittagessen an, alles hübsch der Reihe nach. Regeln Sie das?«

»Abgemacht.« Ich stelle das Thunfischsandwich und die Limonade auf die Theke vor Maryellen. In der letzten Minute hat Ray zwei Schokoriegel in sich hineingestopft.

»Was möchten Sie heute, Grace?« fragt Maryellen. Ihre trüben Augen wandern ziellos durch den Raum.

»Ein Festtagsmenü«, antworte ich, und sie lacht.

Später, nachdem wir die Snackbar verlassen haben, führt mich Ray durch ein Labyrinth aus Korridoren in das Herz des Sicherheitstrakts des Gerichtsgebäudes. Hier hätte ich mich niemals allein zurechtgefunden, und als ich vor einem vergitterten Eingang stehe, wird mir klar warum.

Es ist ein Gefängnis.

Sechzehn Stockwerke von meinem Arbeitsplatz entfernt im gleichen Gebäude. Eine Gänsehaut überläuft mich. Ein Schild an der Gittertür verkündet: NUR ANWÄLTEN IST DER BESUCH VON GEFANGENEN GESTATTET.

Wir gehen einen weiteren Flur entlang, durchqueren einen Raum mit leeren Schreibtischen und öffnen eine Tür, die in ein kleines, von Leuchtstofflampen an der Decke hell erleuchtetes Zimmer führt. Eine fast nur aus Bildschirmen bestehende Wand dominiert den Raum und verleiht ihm eine futuristische Note. Es müssen an die fünfundzwanzig Schwarzweißmonitore sein, die das ganze Gerichtsgebäude im Visier haben.

Die Monitore in der linken Reihe überwachen die Treppenhäuser und Flure auf jedem Stockwerk des Gebäudes, und die großen Bildschirme in der Mitte gewähren stetig wechselnde Einblicke in die Gerichtssäle. In Saal 12 A weint eine junge Frau im Zeugenstand. In 13 A wird ein älterer Mann verurteilt. In 14 A sagt ein kleiner Junge als Zeuge aus.

»Das ist wie 'ne Seifenoper, was, Worrell?« sagt Ray freundlich zu dem hartgesichtigen Marshal, der die Bildschirme beobachtet. Der untersetzte Mann mittleren Alters trägt ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift US SICHERHEITSDIENST. Mich erinnert es eher an den Aufzug der Hell's Angels, aber ich hüte mich, das laut zu sagen.

»Aha«, macht der Mann und wendet seine Aufmerksamkeit den Fernsehbildern ganz rechts zu, die eine Übertragung aus den Gefängniszellen bringen. Jede Zelle ist numeriert und von einem Mann in Straßenkleidung besetzt, der vermutlich auf seinen Prozeß wartet. Zusammengesunken oder dösend hocken die Leute in den Zellen; ein schwarzer Teenager in einem übergroßen Sweatshirt ist auch darunter, fast noch ein Kind. Ich muß an Hightower denken.

»Das ist Grace Rossi, Worrell. Sie ist Anwältin, arbeitet für das Berufungsgericht. Sie möchte gerne …«

»Ich möchte die Monitore sehen«, sage ich mit gespielter Autorität. »Es handelt sich um eine Sicherheitsüberprüfung im Auftrag des neuen Vorsitzenden.«

Worrell lacht über einen der Gefangenen, einen Muslim, der sich zum Gebet niederkauert. »Sag's laut, Bruder. Du kannst es brauchen.« Ray schielt seitwärts auf den Monitor.

»Welcher Bildschirm zeigt den siebzehnten Stock?« erkundige ich mich.

»Der da.« Er deutet auf einen der Bildschirme. Aber unten am Monitor steht 15 B. Im gestochen scharfen Bild bleibt gerade eine junge Sekretärin stehen, um ihren Slip hochzuziehen. Worrell kichert. »Die Leute vergessen immer, daß der Große Bruder sie beobachtet.«

Natürlich vergessen sie es; ich habe es auch vergessen. Und wer immer unsere Amtsräume betreten hat, falls überhaupt jemand hineinging, hat es ebenfalls vergessen. Ich beobachte, wie das Bild auf 16 B flimmert. Der Flur vor dem Richteraufzug im sechzehnten Stock erscheint. An der Wand hängt eine imitierte Pergamentkopie der Verfassung. Jetzt kommt unser Stockwerk.

»Halleluja!« johlt Ray, sobald sich die Szenerie ändert, denn da steht Eletha, den Rücken der Kamera zugewandt, am Kopiergerät. Ihr Rock folgt geschmeidig den Kurven ihres Körpers, und ihrem Rücken sieht man nicht an, wie mitgenommen sie heute ist. »Mann, ist das nicht Spitze?« sagt er in dem Tonfall, den Männer gewöhnlich bei einem geglückten Paß im Football und bei heißen Corvettes draufhaben.

Worrell grunzt. »Ganz okay.«

Ray verpaßt ihm einen kräftigen Stoß. »Hör mal, ›ganz okay‹. Scheiße, Mann! Sie ist mehr als okay, sie ist absolut klasse. Und sie gehört mir, mir allein. Stimmt's, Grace? Grace?«

»Stimmt«, bestätige ich, völlig vertieft in den Anblick auf dem Bildschirm. Die Szene zeigt Eletha, wie sie den Flur entlanggeht und in unseren Büros verschwindet. Bingo. Die Kamera muß gesehen haben, wer gestern nacht in die Amtsräume ging, von wo auch immer er kam. »Wo ist das Band?«

Worrell sieht mich verständnislos an. »Welches Band?«

»Na das Band. Das Band, das die Kamera gestern aufgezeichnet hat.«

»Wir zeichnen nicht auf.«

»Was?«

»Es gibt kein Band, Lady.«

»Das verstehe ich nicht.« Bestätigung heischend sehe ich Ray an.

»Das hätte ich Ihnen gleich sagen können, Grace«, meint er trocken.

Ich kann es nicht glauben. »Überall wird aufgezeichnet. Sogar im Supermarkt.«

»Die haben das nötige Geld dafür. Hier aber ist die amerikanische Regierung zuständig. Sie können froh sein, daß wir die verdammten Richter kriegen.«

Ray verzieht verlegen das Gesicht. »Unten zeichnen wir auf. Die Monitore am Überwachungspult zeichnen das Treppenhaus und die Tiefgarage der Richter auf. Nur hier wird nicht aufgezeichnet.«

»Aber irgend jemand behält doch die Monitore bei Nacht im Auge, oder nicht?«

Hochgradig amüsiert, lehnt sich Worrell in seinem knarrenden Stuhl zurück. »Na, nun raten Sie mal.«

»Wir sollten besser gehen«, drängt Ray.

»Immer mit der Ruhe. Es gibt keine Nachtschicht?« Meine Stimme klingt wie die einer empörten Kundin.

»Wir haben einen Typ, der die Flure abklappert«, antwortet Worrell, »damit hat sich's. Einen Marshal. Die Regierung hat kein Geld für einen Typen, der die ganze Nacht nur Fernsehen guckt.« Als er sich wieder den Monitoren zuwendet, entspannt sich sein Gesicht.

»Na gut. Wer hat gestern nacht die Flure kontrolliert?«

»McLean, glaube ich.«

»McLean? Ist das der Große mit dem Schnurrbart?« Der Böse von den beiden Marshals, die die Stereotypen des bösen und des guten Bullen verkörpern, mit denen ich jeden Morgen konfrontiert werde.

Worrell nickt. »Habt ihr eigentlich sonst nichts zu tun?«

»Gehen wir, Grace.«

»Klar. Vielen Dank.« Ich bin enttäuscht. Soviel zur schnellen Aufklärung. Wir marschieren gerade zur Tür, da bricht Worrell unvermutet in heiseres Gelächter aus.

»Ach du Scheiße, das ist vielleicht eine Nummer.«

Ray wirft einen raschen Blick auf den Bildschirm, und sofort verfinstert sich sein Gesicht. »Den Kerl würde ich mir gerne mal vorknöpfen. Er ist nicht verrückt, er weiß genau, was er tut. Er verarscht uns.«

Ich wende mich um. Einer der Gefangenen macht mitten in Zelle sieben einen Kopfstand. »Du lieber Gott.«

»Was ist das für ein Land«, sagt Worrell. »Dieser Idiot kriegt ein weiches Bett für die Nacht, und wissen Sie, wer das berappt? Sie und ich. Die Steuerzahler. Für ihn schmeißen sie Geld raus. Für uns haben sie nichts übrig. Sprechen Sie darüber mal mit Ihrem Chef, ja, Lady?«

Ich antworte nicht. Ich kenne den Mann in der Zelle. »Ray, gehen wir.«

Rosenmord

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