Читать книгу Das große Lise-Gast-Buch - Lise Gast - Страница 10

Mützchen wird entlastet

Оглавление

Regine erwachte. Sie lag so unbequem, ganz zusammengerollt, obwohl der Diwan lang genug für sie war. Aber sie hatte gestern abend Hannesles Baukasten ans Fußende unter das Deckbett gestellt, damit sie sich nicht ausstrecken konnte. Ein paarmal war sie schon nachts aufgewacht, wenn sie sich daran stieß. Jetzt war es Morgen, man sah es am hellen Licht, das durch die Fenster drang.

Sie wollte ja zeitig aufstehen, deshalb hatte sie sich diesen merkwürdigen Wecker gestellt. Mützchen würde es nie erlauben, das wußte sie. Aber Mützchen konnte sich ruhig daran gewöhnen, daß sie jetzt eine große und tüchtige Tochter hatte. Alle Mütter sind müde und möchten manchmal länger schlafen, als sie dürfen. Nun würde Regine die Jungen frühmorgens versorgen.

Sie tappte schlaftrunken ins Bad und steckte ihr Gesicht in das Waschbecken. Brrrr! Aber munter machte das. Nun hieß es nur, leise sein. Wie ein Dieb in der Nacht schlich sie durch den Flur, horchte an der Schlafzimmertür – alles still – und öffnete sie ganz behutsam. Gleich bei der Tür auf der Kommode stand der Wecker. Ha, sie hatte ihn! Nun leise, leise wieder zugemacht.

Jetzt war alles gewonnen – oder doch die Hauptsache. Regine sprang schon viel unbefangener als vorhin die Treppe hinauf zum Bodenraum, wo in einer Mansardenstube die größeren Jungen schliefen. Hier mußte man herzhafter zu Werke gehen.

„Hallo! Aufgewacht! Es ist schon halb fünf!“ rief sie und pochte. Drinnen ertönte mißmutiges Gemurmel. „Seid ihr wach, oder muß ich noch einmal kommen?“

„Wir sind schon wach“, kam es verschlafen zurück. Regine huschte wieder treppab. Nun schnell das Wasser aufgestellt, das war das wichtigste. Jürgen und Dieter mußten eine warme Suppe haben, wenn sie solch einen langen Tag vor sich hatten.

Sie hatte alles mit den Jungen besprochen, schon Tage vorher, gestern aber ernsthaft. Mützchen sollte jetzt immer bis sieben Uhr schlafen dürfen. Wenn sie erst einmal sah, daß das ging – und es würde natürlich gehen, das war klar –, dann würde sie auch einwilligen. Nur durften die Jungen sie nicht im Stich lassen. Das taten sie auch nicht. Keine fünf Minuten waren vergangen, als sie auch schon erschienen. Dieter, noch im Schlafanzug, fuhr sich gähnend durchs Haar – er arbeitete abends meist noch lange in seinem Zimmer oben –, Jürgen munter und vergnügt in der Trainingshose. Sie waren vierzehn und fünfzehn Jahre alt. Jürgen nickte Regine einen kurzen Gruß zu und lief dann hinaus. Er konnte auf seinen Waldlauf sommers und winters nicht verzichten.

„Ach du lieber Himmel!“ rief sie plötzlich und stürzte zum Tisch hinüber und schlug dem Wecker auf den Kopf. Er hatte eben zu rasseln begonnen. Hoffentlich hatte es Mützchen nicht gehört! Ihn herauszuholen, das genügte selbstverständlich nicht, man mußte ihn auch hier zum Schweigen bringen. Morgen würde sie daran denken.

„Du bist ein Hauptkerl! Paß auf, jetzt ist sie doch aufgewacht. Sie hört durch drei eichene Bohlen, besonders das, was sie nicht hören soll“, behauptete Dieter und kramte nach seinem Handtuch, das hinter der Küchentür hing.

Regine öffnete die Tür spaltbreit und lauschte hinaus. Nein, gottlob nichts. Nun schnell die Suppe gekocht und die Brote zurechtgemacht.

So ganz ohne Panne ging es an diesem ersten Morgen doch nicht, aber Regine gab sich die größte Mühe, alles wieder auszugleichen. Sie war immer noch bange, daß die Jungen nicht einverstanden bleiben würden mit ihrem Plan, aber sie zeigten sich gutmütig und verständnisvoll. Regine stand am Gartentor und winkte ihnen nach, als sie davonradelten. Der Morgen war himmlisch schön, bei solchem Wetter war es wahrhaftig keine Strafe, so früh hinauszufahren.

Sonst aber – ach ja! Sonst schon! Das ganze liebe Jahr um halb sechs Uhr los, fünfzehn Kilometer, wie Herr Burger gesagt hatte, bergauf, bergab – ein passender Omnibus fuhr nicht, und zur Bahn war es auch so weit, daß man lieber die ganze Strecke mit dem Rad fuhr und das Fahrgeld sparte. Denn Geld war knapp im Westphalschen Haus wie in allen, wo es viele Kinder gibt.

Regine war, als die beiden hinter der Krümmung der Chaussee verschwunden waren, ins Haus zurückgeschlüpft. An der Schlafzimmertür blieb sie wieder horchend stehen. Drinnen rührte sich etwas. Sollte Mützchen aufgewacht sein?

Nein, das war Hannesle. Der süße kleine Kerl – aber wenn er jetzt loslegte mit der für seine vier Jahre viel zu tiefen Brummbärenstimme, dann machte er ihr einen Strich durch ihre ganze Rechnung. Regine hielt den Atem an und öffnete zum zweitenmal an diesem Morgen ganz, ganz leise die Tür. Drei Schritte barfuß, bis zum Bett des kleinsten Vetters, sie kannte den Weg ja so gut. Immer legte sie ihn schlafen und holte ihn wieder heraus – richtig, er rührte sich. Regine war genau in dem Augenblick bei ihm, als er sein tiefes „Mützchen“ herausdröhnen wollte, und hielt ihm den Mund zu. Dann lud sie ihn kurzerhand auf den Rücken. Er gehorchte, halb schlafend, und schmiegte sich an sie.

„So, mein Hannesle, warte, Regele trägt dich auf den Diwan! Dort kannst du schön weiterschlafen“, schmeichelte sie. Im Kinderzimmer schlief außer ihr noch Gottfried. Der ließ sich aber weder durch kaltes Wasser noch durch Kanonenschüsse wecken, ehe er richtig ausgeschlafen hatte. Regine brauchte gar nicht leise zu sein, als sie Hannesle auf den Diwan plumpsen ließ.

„So, jetzt kommt aber der olle Baukasten weg. Nein, mein Hannesle, den kannst du jetzt nicht kriegen. Jetzt wird noch einmal geschlafen, hörst du? Na warte, jetzt wacht Mützchen aber bestimmt nicht auf!“

Sie lachte und stopfte dem Kleinen die Bettdecke ringsum fest. Wenn er wirklich nicht wieder einschlief, war es auch nicht so schlimm, dann schnarchte er eben mittags etwas länger – nur hier festhalten durfte er sie nicht, und das versuchte er natürlich sofort.

„Regele, erzähl, bitte, bitte! Erzähl mir was!“

„Nachher“, flüsterte Regine, „nachher, Hannesle. Regele muß erst aufräumen, was von den Jungen noch alles herumliegt – und Frühstück machen. Was denkst du, was Mützchen sagt, wenn alles noch aussieht wie Kraut und Rüben!“

Sie mußte aber doch noch ein bißchen bleiben, und es hockte sich so gut hier, den Kleinen, der sich an sie herangekuschelt hatte, im Arm.

Nein, sie schlief schon nicht wieder ein! Ganz leise machte sie sich nach einer Weile los und schlüpfte hinaus. Jetzt schien die Sonne voll in die kleine, helle Küche hinein, und das Feuer brannte noch. Regine wusch sich nun richtig und ging dann mit einem fröhlich-eiligen und herzklopfenden Eifer daran, den Kaffeetisch zu decken und das Brot zu schneiden. Dabei behielt sie den Wecker im Auge, Mützchen und Onkel Hannes mußten natürlich zur rechten Zeit geweckt werden, sonst war es das letzte Mal, daß sie früh aufstehen durfte. Bald war Regine mit allen Vorbereitungen fertig, und sie hatte sogar noch eine Viertelstunde Zeit. Da begann sie ihren ersten Brief an Axel. Am Abend wollte sie ihn zu Ende schreiben, mit lustigen Zeichnungen zwischen den Zeilen.

Alles klappte wunderbar. Mützchen machte ganz große Augen, als Regine sie weckte. Sie konnte ihr nur ganz kurz guten Morgen sagen und in Stichworten erzählen, was los war. Draußen brummte schon das Milchauto, mit dem sie nach Niederhausen in ihre Schule fuhr. Mit vor Aufregung roten Backen kletterte sie hinauf, als es vor dem Schulhaus hielt.

Mützchen hatte gar keine Zeit gehabt, zu schelten.

Natürlich holte sie es mittags nach, als Regine wiederkam. Aber sie schalt liebevoll und lustig, ja, und dankbar. Es hatte ihr wahrhaftig gutgetan, einmal länger zu schlafen. Onkel Hannes hörte sich das Hin und Her seiner Frauen, wie er jetzt stolz zu sagen pflegte, eine kleine Weile in seiner ruhigen Weise an, ehe er eingriff. Dann aber nahm er Regines Partei.

„Sie kann ruhig einmal eine Zeitlang früh aufstehen, damit du Ruhe hast“, entschied er schließlich. „Sieh doch, was sie für rote Backen hat! Und nachmittags legt sie sich dann ein bißchen mit Hannesle hin. Ja, das tust du aber, Regele, sonst ziehe ich meine Erlaubnis zurück!“

Man kam am Ende überein, daß die beiden mit dem Nachtdienst, wie Onkel Hannes das Frühaufstehen nannte, abwechseln sollten. Immer jedes eine Woche lang. Regine fand auch bei den Jungen Unterstützung. Es habe alles großartig geklappt. Regele war froh, daß sie wenigstens das erreichte.

Es war schön hier in Grüningen im Schulhaus, schön und fröhlich. Regine hatte ein wenig Angst gehabt, sie gab sich das jetzt zu. Angst vor dem Heimweh nach ihrem kleinen Dachzimmer mit Axel, nach Axel natürlich in erster Linie! Aber es war eine überflüssige Angst gewesen. Westphals waren herzlich und vergnügt und gar nicht kleinlich, sie hatten die kleine Verwandte lieb und bereitwillig aufgenommen, nicht nur in ihr Haus, sondern gleich an ihr Herz, „der Einfachheit halber“. Ach, und das Schulhaus lag so schön zwischen dem Spielhof und dem dreieckigen Garten mit den blühenden Bäumen und den vielen, vielen Sträuchern am Zaun entlang, mit dem Flieder, der jetzt bald aufbrechen würde, und der mit Klematis und Glyzinien bewachsenen Laube, in der man Schularbeiten machen oder auch lesen konnte, während die Bienen summten!

Onkel Hannes war still, aber in einer freundlichen Art still. Um so lebhafter war Mützchen. Klein und lachlustig, ein richtiges Mützchen. Eigentlich kam der Name von ihrer Vorliebe für Kaffee. Einer der Jungen hatte sie einmal „Kaffeemützchen“ genannt. Das aber war zu lang, und es blieb bei Mützchen. Mützchen war nun einmal ein Mützchen, süß und vergnügt und so richtig etwas zum Liebhaben.

„Aber den Abwasch mache ich noch mit fertig. Nein, Mützchen, sonst ist ja alles für die Katz?“ bettelte Regine, als sie sich schließlich geeinigt hatten. „Überhaupt, so eine Kleinigkeit!“

Sie setzte es durch. Klipp, klapp, räumte sie die Teller und Bestecke ein und erzählte dabei von der Schule, und dann lief sie hinüber zum Hannesle, der nach Tisch in Gottfrieds Bett im Kinderzimmer schlafen sollte, rückte das Bett an ihren Diwan und erzählte die am Morgen versprochene Geschichte. Darüber fielen ihr nun auch die Augen zu, sie war müde, aber glücklich müde.

Regine hatte kaum geschlafen, so meinte sie, als jemand sie an der Schulter rüttelte. Ganz benommen versuchte sie, die Augen aufzureißen. Dieter stand vor ihrem Diwan. Er guckte auf sie herunter, ein wenig mitleidig.

„Regele, wach auf, es ist Besuch da!“

Heute war Mittwoch nachmittag, keine Schule. Hannesle schlief, das sah sie als erstes. Dann aber sah sie Dieters Gesicht und wurde sogleich munter.

„Was denn für Besuch? Was ist denn los?“

„Ein Onkel. Du, Regele, ich weiß nicht – gehorcht habe ich nicht, aber die Tür stand auf. Vielleicht ist es besser, du weißt Bescheid.“

„Was gibt’s denn?“ fragte Regele erschrocken. Dieters Stimme klang so ernst.

„Er will dich mitnehmen. Er sagt, er kennt dich. Kennst du einen Onkel Henry?“

„Ja!“ Regele hatte plötzlich runde Augen. „So ein eleganter Mann in einem dunkelroten Wagen?“

„Ja, der Wagen steht draußen. Regele...“

„Das ist doch auch ein Onkel von euch – oder nicht? Ach nein, höchstens um die Ecke herum. Er ist der Vetter meines Vaters. Wenn es stimmt, heißt das! Aber es kann sein, daß es stimmt.“

Sie hatte nie von der Begegnung auf der Autobahn erzählt. Axel hatte ihr doch so eindringlich gesagt gehabt, daß sie mit keinem fremden Menschen sprechen durfte. Jetzt erzählte sie, und Dieter saß nachdenklich auf dem Fensterbrett, hörte zu und sagte nichts. Er sah in diesem Augenblick seinem Vater sehr ähnlich.

„Ich gehe aber nicht mit, ich will nicht fort!“

„Du, Regele. Er ist übrigens wirklich dein Onkel“, sagte Dieter nach einer Weile. Regine hatte erzählt, daß die Wirtin des Rasthauses und auch Herr Burger das nicht ganz hatten glauben wollen. „Und es geht ihm anscheinend sehr gut. Er hat eine große Fabrik irgendwo im Ruhrgebiet.“

„Axel hat mir das auch erzählt.“ Es klang sehr kläglich. Dieter mußte lachen.

„Eine Fabrik ist noch kein Charakterfehler und ein Mercedes 220 erst recht nicht“, sagte er und lachte ein wenig. Genauso lachte Onkel Hannes manchmal. „Und er sagte...“ Dieter hielt inne.

„Was sagte er denn noch?“ fragte Regine ganz leise. Sie merkte, jetzt kam etwas Wichtiges, etwas, das Dieter ernst war.

„Er sagte, er hätte keine Kinder. Seine Frau ist gestorben. Daß so ein Mann gern eine kleine Nichte bei sich haben möchte, das kann ich verstehen.“

„Ja, aber ich will doch nicht“, piepste Regine ganz angstvoll. Sie hatte sich aufgesetzt. Die Locken hingen ihr wirr ins Gesicht. Ganz verscheucht hockte sie da, sie tat Dieter irgendwie schrecklich leid.

„Du denkst doch wohl nicht, daß wir dich los sein wollen?“ sagte er ganz schnell. Er sagte es so tief überzeugt, daß es Regine sogleich wieder ein wenig getroster zumute wurde.

„Nein? Dann brauch’ ich wohl auch nicht fort“, sagte sie ganz erleichtert. „Ich muß doch nur fort, wenn Onkel Hannes und Mützchen – wenn sie auch – wenn sie auch wollen, daß ich mitgeh’, nicht nur Onkel Henry.“

„Sicher nicht. Komm, mach dich zurecht! Wir gehen dann hinunter. Sie trinken Kaffee im Wohnzimmer. Ich wollte dir nur vorher ein bißchen was andeuten, damit du nicht womöglich vor lauter Schreck gleich ja und amen sagst.“

„Wirklich? Wirklich deshalb?“ fragte Regine jetzt schüchtern. Vor Dieter hatte sie immer noch eine leise Scheu. Er war auch nett zu ihr, aber so ein bißchen von oben herab, überlegen, ganz anders, als Axel es je gewesen war. Na, aber Axel war schließlich ihr Bruder. Jetzt war Dieter wirklich nett, fand sie.

„Danke, du“, sagte sie eilig und fuhr in die Sandalen, die sie unter Hannesles Bett vorgeangelt hatte. „Ja, gut, daß ich Bescheid weiß. Und das sag’ ich dir, wenn ihr mich nicht los sein wollt, ich gehe nicht. Mit dem schon gar nicht!“

„Und warum nicht?“ fragte Dieter lächelnd. Er hatte Regines Augen gesehen. Die funkelten ein bißchen.

„Der ist – hach, der denkt, wenn er kommt, muß jeder andere zurücktreten. Auf der Straße beim Überholen – ich sage dir, er war stinkwütend, als er nicht gleich vorbeikam. Und dann im Lokal! Zuerst er und dann erst die andern, so ungefähr. Als ob er der Kaiser von China wäre!“

„Soso. Denk mal! So kommt er mir auch vor“, sagte Dieter und lächelte noch mehr. Dann tat er etwas, was er noch nie getan hatte, er gab Regine einen kleinen Puff mit dem Ellbogen, als er so neben ihr herging.

Eigentlich nicht gerade liebevoll, aber Regine spürte genau, wie es gemeint war.

„Du bist gar nicht so dumm, wie andere Leute aussehen“, brummte er dabei. Regine guckte ihn an.

„Vielen Dank, du Affe. Du meinst mit den andern wohl dich selbst?“

Im Wohnzimmer war fein gedeckt. Mützchen hatte die bunten Tassen genommen und das gestickte Tischtuch, und es roch wunderbar nach starkem Kaffee. Auf dem Tisch stand in der Mitte der große Porzellanteller mit Kellerkuchen. Da hatte Mützchen also doch noch welchen! Gestern abend erst hatte sie es lachend und energisch abgeleugnet, noch welchen zu haben. Die Jungen wollten immer noch einen Betttröster, wenn sie schlafen gehen sollten. Sie machten Mützchen arm mit ihrer Bettelei. Aber gestern hatten sie es nicht erreicht! Regine lachte vor sich hin, während sie daran dachte.

„Na? Da kommt ja ein recht vergnügtes kleines Fräulein“, sagte Henry Habernoll und nahm ihre Hand, während sie vor ihm einen kleinen Knicks machte. Dann setzte sie sich auf den Platz zwischen Onkel Hannes und Mützchen, der für sie freigehalten worden war. Auch Dieter setzte sich. Jürgen und Gottfried waren nicht da.

„Freilich, Regele ist immer vergnügt“, sagte Mützchen stolz und goß ihr Milch ein. „Komm und nimm von hier! Nein, das andere Stück! Ich habe noch mehr draußen!“

„Für Hannesle?“ fragte Regine leise. Mützchen nickte. Regine blinkte einen Blick aus den Augenwinkeln zu Dieter hinüber. Er mußte auch lachen.

Es war an sich gar nichts Besonderes. Aber Onkel Henry fühlte deutlich: Hier war irgend etwas, was diese Menschen verband. Er ahnte nichts davon, wie Eltern und Kinder in einem vergnügten Krieg miteinander leben können, sich aus den Augenwinkeln verständigen und bei aller Uzerei im Grunde so einig sein können.

„Darf ich? Bitte!“ sagte er und hielt Onkel Hannes sein Etui hin. „Raucht Ihr Sohn auch schon?“ Er sah Dieter an. Regine verschluckte sich an ihrer Milch.

„Danke, nein“, sagte Dieter höflich mit undurchdringlichem Gesicht. Onkel Hannes gab Herrn Habernoll Feuer. Mützchen goß noch einmal Kaffee ein.

„Zur Zigarette“, sagte sie und wollte aufstehen, um noch ein bißchen frischen aufzubrühen. Regine hielt sie zurück.

„Bitte laß mich! Ich kann es wirklich gut tun“, sagte sie. Aber die Herren wollten keinen Kaffee mehr. Sie wollten nur noch ein wenig sitzen und rauchen.

„Dann darf ich wohl abräumen?“ fragte Regine ein wenig unbehaglich. Onkel Henry hatte doch eine unheimliche Art, seinen Willen durchzusetzen. Mützchen, die sonst mit ihrem berühmt guten Kaffee alle Besuche zu mindestens drei Tassen überredete, manchmal auch vier oder fünf, hatte sich wieder hingesetzt. Sie würde doch nicht, wenn Onkel Henry nun darum bat, Regine mitzunehmen, auch nachgeben?

Nein. Es wurde nicht einmal davon gesprochen, solange Regine dabei war. Gegen fünf Uhr begleiteten Mützchen und Onkel Hannes den Gast zum Wagen, und sie standen noch ein wenig und schwatzten miteinander, bevor der Mercedes geräuschlos anzog und entglitt. Regine hatte sich mit Hannesle in den hintersten Winkel des Gartens verzogen, und als sie nach ihr riefen, antwortete sie nicht. Sie hatte doch zu große Angst, daß der Onkel sie womöglich mitnehmen würde.

„Wo warst du denn?“ fragte Mützchen erstaunt, als sie zurückkam und Regine begegnete.

„Im Garten. Ist er fort?“

„Ja. Du solltest ihm doch noch auf Wiedersehen sagen“, meinte Mützchen.

„Lieber nicht. Lieber auf Nichtwiedersehen“, sagte Regine und sah Mützchen von unten her an, daß diese ganz entsetzt guckte. Regines Augen sahen regelrecht bedrohlich aus.

„Was hast du denn?“

„Ach, er soll mich nicht wegholen!“ stieß Regine hervor. „Gerade jetzt, wo wir alles so schön eingerichtet haben, wo ich dir den Nachtdienst abnehmen kann und...“

„Ach, du guter kleiner Kerl“, sagte Mützchen und lachte, „nein, er soll auch nicht. Und jetzt lauf und hole Feldsalat, wir wollen ihn heute abend zu den Bratkartoffeln essen. Magst du?“

„Ich will aber auch mit!“ brummte Hannesle.

Und Regine lachte: „Klar, du kommst mit. Und barfuß darfst du auch laufen, gelt, Mützchen? Und in den Bach reinplanschen! Das wird prima!“

Das große Lise-Gast-Buch

Подняться наверх