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Ein Eselchen wird geboren

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Erste Sonne, Tau, Düfte von allen Seiten, Kühle – ein Morgen, wie er nicht schöner sein kann. Ich hatte Besuch von einer mir sehr lieben Schwägerin, der Schwester meines Mannes, mit der ich von ihm sprechen kann, was ich mir immer so heiß wünsche. Ein „Weißt-du-noch“ nach dem andern kommt dann zutage, das geliebte alte Pfarrhaus in Sachsen, in dem er geboren ist, der große Garten, die alten Linden, der Friedhof gleich daneben, die kleine Kirche, in die wir zum Erntedankfest Obst und Gemüse schleppten, die langen, wunderbaren Radtouren... Ich freute mich schon auf das Frühstück mit diesem Besuch, wollte aber zuerst noch nach den Pferden sehen, die die Nacht auf der Waldwiese im elektrischen Zaun verbracht hatten und nun heimgeholt werden konnten. Der Tisch auf der Veranda war schon gedeckt und die Kaffeemaschine in Gang. Hoffentlich war keins der Pferde ausgerückt!

Sie waren noch alle innerhalb des Zauns. Aber außerhalb dieses Zauns, am Waldrand, entdeckte ich jemanden, der sich davongemacht hatte, Richtung Ponyhof, wohl weil dort Heimat und Geborgenheit warteten: unsere Eselin Schnütchen. Sie stand da und sah zu mir herüber, und dann legte sie sich hin.

Bei mir schlug es blitzartig ein: Sie fohlt! Ich rannte zurück, um Steffi zu holen, und bewunderte wieder einmal die Ruhe und Umsicht meiner jüngsten Tochter: Sie regte sich, im Gegensatz zu mir, überhaupt nicht auf, sondern ergriff das Fläschchen mit dem Holzteer, den Nagelknipser, den Filmapparat und rief nach Moritz, demjenigen ihrer kleinen Söhne, der zur Zeit als einziger zu Hause war. „Komm, heute kannst du was Wunderbares erleben!“

Ich rannte los. Steffi machte lange Schritte und hielt damit mein Tempo, ohne außer Atem zu geraten, während ich vor Aufregung schon keine Luft mehr bekam. Wir knieten am Waldrand neben Schnütchen nieder, und Steffi knipste sich in aller Seelenruhe die Fingernägel kurz, um helfen zu können desinfizierte sich die Hände, griff zu...

Moritz und ich hielten den Atem an. Jetzt – jetzt – jetzt – die Eselin lag auf der Seite, hob ein wenig das eine Hinterbein an – zwei kleine Hüfchen schoben sich zwischen ihren Schenkeln hervor, daraufgedrückt eine winzige Schnauze. Steffi hatte den Filmapparat in Stellung gebracht, schon lange war es ihr Wunsch, einmal eine Fohlengeburt zu filmen. Ich sah wie gebannt auf das sich entwickelnde Eselkind, da hörte ich meine Tochter ärgerlich schnaufen.

„Kein Film drin, so ein Pech“, murrte sie und legte die Kamera weg. Und dann griff sie vorsichtig und mit geschickten Händen zu.

Es ist ein Wunder, eins der größten Wunder dieser Erde, das die Natur uns schenkt. Aus einem Tier werden zwei – und das zweite ist das winzige, bis in die kleinste Kleinigkeit perfekte, entzückende Abbild des großen. Und kleine Tiere kommen vollendet hübsch auf die Welt, unbeschreiblich vollkommen, unbegreiflich schön. Neugeborene Menschen sehen oft kummervoll, runzlig und verdrückt aus – man nimmt sie trotzdem voll atemlosem Entzücken ans Herz–, schöner aber sind kleine Tiere. Moritz und ich fühlten es gleich stark, knieten beide vor dem Wunder, das sich da begab, und konnten es nicht fassen, während Steffi mit Seelenruhe den Nabel desinfizierte und die erste Hilfe beim Aufstehen leistete. Denn auch das haben Tiere dem neugeborenen Menschen voraus: Sie stellen sich sofort auf die eigenen Beinchen. Mühsam, mit vielen vergeblichen Anläufen und Pannen versuchen sie, auf vier Beine zu kommen; und stehen sie endlich, so suchen sie sofort die mütterliche Quelle, an die man die Babys auch erst heranführen muß. Freilich, saugen tun Kinder genauso begabt und geschickt wie sie, sonst aber ist das Tier ihnen hier weit voraus. Ich habe einmal auf die Uhr gesehen, als ein Fohlen geboren wurde: Anderthalb Stunden nach der Geburt galoppierte es schon, und der Mensch braucht ein Jahr, um erst einmal auf beiden Beinen zu stehen...!

Wir hatten, als das Eselchen geboren wurde, gerade einen neuen Hund, allerdings keinen jungen. Steffi hatte ihn aus Mitgefühl übernommen; er hatte die ersten drei Jahre seines Lebens an der Kette verbringen müssen. Solche Hunde sind schwierig umzugewöhnen – es ist ein Riesenschnauzer, kohlschwarz, wunderschön, aber ein gewaltiger Kerl, vor dem ich großen Respekt habe –, und er hatte vielleicht noch nie ein neugeborenes Tier erlebt. Was würde er zu Klein-Eselchen sagen? Lieber nahmen wir das vierbeinige Baby mit heim in die schützende Box.

Wir warteten, bis Mutter Schnütchen aufgestanden war, und dann hob Steffi das Tierkind auf die Arme, trug es, die Mutter hinter sich herlockend, über die Wiese dem Ponyhof zu. Ich sammelte alles, was umherlag, auf und gab auch Moritz etwas zu tragen, dessen hellblaue Augen noch immer vor Staunen weit aufgerissen waren.

Wir betteten das Eselchen auf Stroh und gaben seiner Mutter das erste heilige Brot, das jeder jungen Mutter zusteht, und dann ihr Wochensüppchen. Und nun sauste ich schnellstens zurück in mein Haus, um meiner Schwägerin das freudige Ereignis mitzuteilen.

„Und weil alles so gut und glatt gegangen ist, fahre ich dich heute zu Seelchen“, schloß ich, um ihr eine ganz große Freude zu machen. Zu Seelchen, das heißt: nach Langenburg. Dort spielt jenes Buch, das sie seit über fünfzig Jahren kennt und liebt, „Die Heilige und ihr Narr“. Ich selbst lese es auch immer wieder einmal, wenn ich Trost brauche, und sie dorthin zu fahren, bedeutet ein ganz großes Glück für sie.

Der Tag der Eselgeburt hatte leider ein etwas betrübliches Nachspiel. Gerade für diesen Tag hatte sich ein mir sehr wichtiger Besuch angesagt. Eine Frau wollte kommen, die mir auf meine Bücher hin liebe- und verständnisvoll geschrieben, mit der ich mich verabredet hatte und auf die ich mich sehr freute. Das alles vergaß ich über dem kleinen Wunder mit dem seidigen Fell und den langen, langen Ohren...

Steffi erzählte es mir am Abend. Ich schlug mir die Hand vor die Stirn. Wie konnte ich nur! „War sie sehr traurig?“

„Klar, war sie. Aber ich hab’ ihr den Esel gezeigt, und das hat sie getröstet“, sagte Steffi.

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