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Der große Tag kam. Als Wichmann in den Morgenstunden in seinem einfachen Zimmer saß, trat Korts ein, im dunklen Anzug, im Haar die Zeichen des besonders sorgfältigen Kammstrichs.

Seine Augen leuchteten.

Er verhinderte die Mundwinkel nur mit Mühe, sich schon breit zu ziehen, ehe die bedeutende Nachricht ausgesprochen war.

»Ihnen kann man also gratulieren, Herr Teufelrobert?«

»Jawohl. Glückwunsch wird entgegengenommen.«

»Wer ist denn noch vom Glück heimgesucht worden?«

»Unser Chef ist Ministerialdirigent geworden und Casparius Regierungsrat.«

»Das freut mich.«

»Heute findet die Feier im Kollegenkreise statt. Ich lade Sie hiermit, auch im Namen des Kollegen Casparius, gebührend dazu ein. Wir treffen uns alle um sechs Uhr abends in der Weinstube.«

»Wer kommt denn?«

»Orient und Okzident; alles vom Assessor bis zum Ober, und natürlich Fräulein Hüsch. Der müssen Sie übrigens auch gratulieren. Sie ist eine Gehaltsgruppe höher gerutscht.«

»Ausgezeichnet. Dann kann ich ja meine Tätigkeit als Kreditinstitut ohne Skrupel etwas einschränken.«

»Grevenhagen und Nischan sind eingeladen. Vielleicht lassen sie sich mal blicken, aber das wird kurz und schmerzlos vorübergehen. Nischan ist sitzengeblieben, er spuckt natürlich Gift und Galle. Grevenhagen ist ihm jetzt endgültig übergeordnet, wie sich das der Abstufung der Intelligenz entsprechend gehört. Übrigens, wissen Sie schon das Neueste? Es wird ein drittes Referat geschaffen. Ein Ministerialrat Thugut kommt in unsere Abteilung herüber, älterer Herr, er ist ungefährlich. Boschhofer muß doch eine Mehrzahl von Untertanen haben. Nur so als Punkt über der Pyramidenspitze Grevenhagen zu schweben steht ihm schlecht. Es wird also künftig drei Referate geben, zwei davon unter Grevenhagenscher Dirigentschaft, mit Nischan als Zwischeninstanz im Orient, und ein drittes selbständiges mit Thugut, und über allem thront Boschhofer.«

Als Korts das Zimmer verlassen hatte, fing Wichmann an, 25 Buchstaben auf ein Blatt Papier zu malen. In Reihenfolge mußte er gratulieren? GrevenhagenHüschCasparius. Er hatte schon als Junge immer den weniger schmackhaften Teil der Speisen zuerst gegessen. Also auf zu Grevenhagen! Für seine eigene Karriere hatte der Mann ja gesorgt.

Fräulein du Prel war auf die Gratulationscour heute schon eingestellt. Die Maschine war gedeckt, die Züge des Mädchens aber schienen offener und heiterer als sonst. Grevenhagen stand neben seinem Schreibtisch und nahm kurz und förmlich die Glückwünsche entgegen, die durch die einander ablösenden Glieder in der Kette der Gratulanten ebenfalls kurz und förmlich vorgebracht wurden. Wichmann war sehr bald in seinem Zimmer zurück und beschloß, Fräulein Hüsch aufzusuchen. Casparius, der Freund, hätte ja an diesem Tag auch zu ihm kommen können.

Die Bibliothekarin war allein und freute sich über Wichmanns Aufmerksamkeit.

»Ja, wissen Sie … endlich! Es war auch Zeit. Ich hab’ schon nicht mehr gewußt, wie ich aus den langfristigen, mittelfristigen, kurzfristigen Krediten noch hinausschauen soll. Fünfzig Reichsmark mehr im Monat ist auch nicht viel, aber doch wenigstens das Dringendste. Stellen Sie sich übrigens vor, Grevenhagen hatte mich doch wirklich nicht vorgeschlagen, sondern die Sache kaltschnäuzig auf Boschhofer geschoben. ›Die Bibliothek Abteilungssache‹, hat er geschrieben. Was soll man dazu sagen?«

»Was sagen Sie selbst dazu?«

»Ich? Hab’ meine Meinung schon vom Herzen. Ihm glatt ins Gesicht gesagt. Das ist immer das beste.«

»Und sich mit ihm verkracht?«

»Aber wieso denn? Das ist gar nicht möglich. Er ist wie Glas, an dem alle Tropfen ablaufen. Eine ganz dämliche Bemerkung über Dienstpflichten und Dienstauffassung hat er allerdings gemacht.«

»Ihr Urteil über Grevenhagen und Boschhofer hat sich immerhin etwas geändert.«

»Nicht von fern. Grevenhagen tanzt doch besser als Boschhofer und überhaupt – nein, da kennen Sie mich schlecht. Ich hab’ doch noch Geschmack. Sehen Sie, es gibt einen kitschigen Spruch: ›Gemeine Naturen zahlen mit dem, was sie tun, edle mit dem, was sie sind‹– und wenn nun Grevenhagen zehnmal nichts täte, er ist doch ein Mensch, der was vorstellt. Finden Sie nicht auch?«

»Typisch weibliches Urteil. Sie lassen sich ruhig schlecht behandeln, wenn nur Ihre Kavaliersideale in irgendeiner Richtung befriedigt werden. Ist mir sehr interessant.«

»Ein Glück, daß wir Frauen für das männliche Geschlecht immer interessant bleiben. Der Baier hat mir übrigens geschrieben.«

»Der Baier? Unser Baier?«

»Jawohl, unser Baier. Da staunen Sie auch, nicht? Ich glaube, ich habe den Brief da« – Fräulein Hüsch suchte in ihrer Tasche und zwischen Akten und Illustrierten –, »nee, schad’, ich hab’ ihn doch zu Hause gelassen – also den müßten Sie lesen! Der ist nun wieder mir interessant!«

»Eine Liebeserklärung?«

»Die sonderbarste, die ich je bekommen habe! Er fühlt sein Seelenleben durch meine Gegenwart gefährdet. Meine Knie sind Sodom und meine Augen Gomorrha! Es sei ihm unerträglich, er müßte sich wegmelden, und im übrigen soll ich mich vor dem Pöschko in acht nehmen. Der sammle Material gegen mich. Mir ja schnurzegal.«

»Rührend.«

»Nicht? Ich hab’ den armen Baier auf sein Geständnis hin gestern halb wahnsinnig gemacht. Er hat sich gewunden wie ein Wurm. Seine Augen sind an langen Stielen herausgewachsen, dann ist er ruckartig verschwunden. Zum Piepen! Ja, die Liebe! So einfach ist’s damit nicht. Viel schwieriger als mit den Beförderungen. Finden Sie nicht auch?«

»Aus Mangel an Erfahrung verlasse ich mich auf Ihr Urteil. Ist es das höchste Gefühl für eine Frau, einen Mann verrückt zu machen?«

»Na, umgekehrt vielleicht nicht? Wenn man sie untereinander hörenkönnte. Die Herren der Schöpfung – wenn die von uns niederen weiblichen Kreaturen erzählen und wie sie uns Armen die Köpfe verdreht hätten, ohne auch nur den Finger zu rühren! Oder wie raffiniert wir seien und wie sie doch so gar nicht auf uns hereinfallen – na! Ich muß ja lachen!«

»So ungefähr stellen Sie sich unsere Klubgespräche vor?«

»Im Klub machen sie’s ein bißchen versteckter, wenn sie uns durch den Kakao ziehen, dafür um so boshafter. Glücklicherweise ändert das an den Tatsachen sehr wenig, und sie möchten uns eben doch gern küssen. – Ich hätte übrigens jetzt heiraten können.«

»Wieder einmal?«

»›Wieder einmal‹ ist liebenswürdig. Sie glauben also, daß ich schon Anträge hinter mir habe? Stimmt sogar. Aber diesmal ist es der erste Heiratsantrag, den ich als Berufstätige erhalten habe. Wenn ich ihn annehme, bin ich den ganzen Krempel hier los. Der Bewerber ist ein guter Mann, Geld hat er auch. Aber er ist langweilig. Nein, ich kann nicht mit ihm leben, ich kann’s einfach nicht. Wenn ich nur an die Familie denke! Sich womöglich noch die Kleider selber nähen vor lauter Solidität und Kinder kriegen und sonnabends die Schwiegermutter zum Kornkaffee? Also das ist nichts für mich. Ich hab’ ihm endgültig abgesagt.«

»Warten Sie lieber, bis Korts Generaldirektor wird.«

»Korts ist ja kleiner als ich, und tanzen kann er auch nicht. Wie soll ich ihn denn küssen? Stellen Sie sich das doch vor! Höchstens wie so ein Siegesengel, der ihm mit den Lippen von oben herunter auf die Stirn haucht. Das ist weniger mein Fall. Kennen Sie Schildhauf näher?«

»Etwas aus dem Klub.«

»Können Sie den Mund halten?«

»Ich vermute es fast.«

»Also dann will ich Ihnen sagen – aber behalten Sie’s für sich, er darf niemals erfahren, daß ich Ihnen so was erzähle – aber dem sein Kuß – so was hab’ ich noch nicht erlebt. Als wenn er mich anbeißen wollte. Schauen Sie – da – ich hab’ noch eine ganz blutige Stelle an der Lippe.«

»Bemerkenswert, Gnädigste. Und er ist 1,79 groß.«

»Hi – hä, wenn ich nur sicher wäre … aber …« Lotte Hüsch brachte den Satz nicht zu Ende und sprang zu einem anderen Thema über.

»Kommen Sie heute abend zur Beförderungsfeier?«

»Ich will mich nicht drücken.«

»Das zeugt von Charakter. Es wird ziemlich blöde werden. Man kann aber schlecht wegbleiben. Grevenhagen ist auf den Abend schon vergeben, kommt aber für ein paar Minuten entweder zu Anfang oder zum Schluß. Hoffentlich sitzt der Nischan uns nicht dabei wie die Klette am Pelz. Wir haben ihn anstandshalber einladen müssen.«

Wichmann war überrascht, wie ruhig er von nun an den Tag über blieb. Der äußere Zwang zur kollegialen Anerkennung des Glückes der anderen färbte auch auf seine Stimmung ab. Als Casparius zu ihm gekommen war, ein bißchen verlegen, hatte er ihm aus der Empfindung des Augenblicks heraus ehrlich versichern können, daß er froh sei, des Freundes besseres Recht nicht durch sein meteorgleiches Erscheinen auf der Liste gefährdet zu haben.

»Ich hätte mir eine so rasche Ernennung nie in den Kopf setzen sollen, Kasper. Es mußte ja ein Irrtum bei der Sache sein. Das wird sich eben herausgestellt haben. Punktum, lassen wir’s, und denken wir daran, wie sich Frau Anna Maria freuen wird. Was schenkst du ihr denn vom ersten Regierungsratsgehalt?«

»Ein Ringle hab’ ich gesehen, Aquamarin, das g’fiel mir. Kommscht du mit, wenn ich’s dann kauf?«

Wichmann schaute einen Augenblick trübe vor sich hin, aber als der Freund auf diesen Gesichtsausdruck aufmerksam werden wollte, riß er sich rasch zusammen. »Ist’s noch nicht Zeit zur Tafelrunde in der ›Stillen Klause‹?«

»Ja, gehen wir. Heut abend kommscht du dann gleich vom Dienscht mit uns?«

»Wenn ihr mich in meinem schoflen Bürohabit in eurem erlauchten Kreise dulden wollt?«

»O mein, Wichmann, deine Anzüg’ sind alle so beneidenswert neu und tadellos ang’messe … daß du in deinem ›Bürohabit‹ noch wie ein Gent unter uns wandelscht. Zwei Schwestern lasse sich halt in keiner Weise verleugnen.«

Als es Nachmittag geworden war, verließ das Trio – bestehend aus Korts, Casparius und Wichmann – zuerst das Amtsgebäude. Heute war es Korts, der den beschwingtesten Schritt hatte, seine Augen glänzten, und seine Haltung war die eines Eroberers, der über unterworfenes Land zu neuen Eroberungen schreitet. In der Weinstube wurden die Herren von dem Oberkellner mit einem Lächeln empfangen, das gute Vorbereitung und vielleicht sogar irgendeine angenehme Überraschung verhieß. In dem Nebenzimmer war die Tafel für zehn Personen schon gedeckt.

»Wollen wir die Tischordnung festlegen?«

»Ha – nei … ’s setzt sich jeder grad so, wie’s kommt. Nur daß mir unserer Lotte Hüsch den Ehrenplatz an dem obere End lasse wolle – und Sie kommen natürlich an ihre grüne Seite, Robert Herr Teufel, wie Sie sich’s durch Ihre Karriere verdient habe. I darf Sie net so viel angucke, sonscht wird mir ganz schwindlig beim Anblick der Höhe, auf der Sie mit Ihre siebenundzwanzig Jährle schon wandeln. I muß mich direkt seelisch anseilen, damit mich’s net vor Erstaune in die Tiefe hinabnimmt.«

»Sie brauchen keine Angst mehr zu haben, Kasper. Regierungsrat ist Regierungsrat. Eher bebt die Erde als die Pensionsgrundlage, auf der Sie jetzt stehen.«

»Den kindlichen Glauben hat meine Frau auch noch. Hoffen wir, daß wir damit durch alle Fährnisse durchsteuern können.«

»Was heißt Fährnisse?«

»Ha no … ich hör’ in meinen Träumen als doch den Musa singe! Wehe – wehe – Verderben! Aber erst wolle mir noch einmal kontrolliere, was für ein Wein uns und unseren Gästen für heute abend zugedacht ischt.«

Die Besprechung mit dem Kellner ergab, daß alles in Ordnung war, und sein Schmunzeln, das immer deutlicher wurde, verriet noch mehr. Er winkte den Herren, nahm sie in den Schankraum mit, zu dem sonst kein Zutritt gegeben wurde, und wies auf ein Dutzend Flaschen Auslese, Jahrgang 1921, hin, die hier bereitstanden. »Das hat ein Herr Dr. Grevenhagen bestellen und bezahlen lassen. Und zwei Kisten Zigarren extra. Feines Kraut. – Wenn ich fragen darf – was ist der Herr?«

»Ministerialdirigent. Nobel, nobel … wie’s sein muß.«

»Er gehört zu den Beförderten und muß also spendieren!«

»Ha, dann müsse mir ihm ja mindeschtens des untere Tafelende frei lasse.«

»Wenn wir schon mit dem Freilassen anfangen, wollen wir lieber gleich die ganze Tischordnung machen«, plädierte Wichmann.

»Um Vorschläge wird gebeten!«

Der Festausschuß stand nachdenklich bei dem langgestreckten gescheuerten Tisch.

»Also am Kopfende beim Fenster die Lotte«, bestimmte Wichmann, »links von ihr als Tischherr Robby, soviel steht fest – und rechts von der Dame wirst du plaziert, Kasperl, dann haben wir die drei Glücklichen auch gleich beieinander. Am unteren Ende Grevenhagen mit den Würdenträgern – rechts von ihm Nischan, links Meier-Schulze – und dazwischen das nicht beförderte Gerümpel minderen Werts: Borowski, Loeb – und meine Wenigkeit.«

»Du hascht heut einen wirklichen Opfergeischt, Wichmann. Dazwischen hinein willscht du sitze?«

»Mit selbstpeinigender Demut und gewissen Absichten – laß mich nur.«

»Na nu? Ha, laß dich nur net störe auf deine Schleichweg. Schad, wenn mir die Tischordnung früher g’wußt hätte, hätt’ mer Kärtle mache könne – einen Dirigenten – einen Napoleon als Oberregierungsrat – den braven Kaschperl, der ich bin, und unser schönes Annerl – Wichmann, was wischperscht du denn da?«

Der Angerufene stand beim Ober und redete mit Flüsterworten und für andere unverständlichen Handbewegungen auf ihn ein. Der Kellner grinste jetzt verständnisvoll. Er war ohne Zweifel bereit, alles zu bewerkstelligen, was Herr Dr. Wichmann, Stammgast des Lokals und Ursache des zunehmenden Beamtenbesuchs, nur irgend verlangen konnte.

Wichmann kam zu den Kollegen zurück. »Nur ein paar kleine Wünsche rechtzeitig an den Mann gebracht.«

Der Einzug der Festteilnehmer begann.

Nischan erschien mit allen Referatsangehörigen, zugleich kam Fräulein Hüsch. Die Begrüßungen, nachträglichen Gratulationen, Lobsprüche für das gewählte Lokal schwirrten durcheinander. Meier-Schulze war der erste, der sich den Platz anweisen ließ. Er studierte die Speisekarte.

»Aber … meine Herren, Sie haben sich ja angestrengt. Vier Gänge! Suppe – Braten – Speise – Käse – Rheinwein – und die Stube hier ist ja wirklich nett –, man könnte an Straßburg oder Posen denken und an die gute alte Friedenszeit.«

»Da denke Sie nur dran. Leider fehlt die Gänseleberpastete. Die wird durch Phantasie ersetzt.«

»Herr Ministerialrat Nischan – dürfen wir Sie hierher bitten?« Wichmann begann das Gewirr der Teilnehmer zu ordnen.

»Hach nee, hach nee, den Platz woll’n wir mal für den Herrn Dirigenten frei lassen! Ich will nicht den Ehrenplatz einnehmen. Bin ein ganz bescheidener Untertan. Herr Grevenhagen kommt doch?«

»Er wird es versuchen, obwohl er schon versagt war für den Abend.«

»Hach so, ja – große Herren sind immer sehr in Anspruch genommen – aber lassen wir den Stuhl frei für seinen Geist …«

»Dann bitte zu meiner Rechten, Herr Ministerialrat?«

»Wenn’s sein muß …«

Der Tisch stand in der Mitte des länglichen Raumes, von Stühlen umsäumt. Die Tür befand sich an der einen Breitseite und führte in die nächste Gaststube.

Fräulein Hüsch hatte schon zwischen ihren Kavalieren Platz genommen und lächelte zu Wichmann hinüber, der sich neben dem Ministerialrat Nischan niederließ. Die übrigen drei Herren zögerten etwas. Schließlich kam Regierungsrat Loeb und nahm Platz rechts neben dem Assessor; Loeb hatte eine sportliche Figur und feste Haltung und unterschied sich auffallend von seinem Kollegen Nathan, dessen Nacken den Kopf immer etwas vorgebeugt trug, und dessen Haar sich trotz seines jugendlichen Alters schon lichtete.

Das Menü war rasch verzehrt. Bei der Reisspeise mit Himbeersoße wachte Fräulein Hüsch auf.

»Herr Wichmann! Warum haben Sie eigentlich eine Meile Abstand zwischen sich und mich gelegt? Ham Sie Angst vor mir? Ich werde Ihnen doch nicht unsympathisch geworden sein, weil ich vorgerückt bin? ›Mensch – ärgere dich nicht!‹«

»Sie sprechen wie ein alter Personalchef, Gnädigste …«

»Das wär’ ein Beruf für mich, die nötigen Redensarten dazu hab’ ich jetzt schon oft genug gehört – aber kränken Sie sich nicht, Herr Wichmann! Unglück im Spiel – Glück in der Liebe! Übrigens, Liebe – ich hab’ heute eine Eifersuchtsszene erlebt. Ihretwegen. Können Sie erraten, welche Dame mich beschuldigt, Ihr Herz gestohlen zu haben?«

»Ich bin völlig ahnungslos.«

»Das ist’s ja eben, so sind die Männer. Sie haben ja keine Vorstellung von dem, was Sie anrichten, und kein Gewissen. Was machen Sie, wenn die Leiche der kleinen Sauberzweig eines Tages über Ihren Aktenstößen liegt?«

»Malerisch gruppiert? Es würde mir nichts übrigbleiben, als die Hausverwaltung anzurufen.«

»Wirklich Steinklumpen!« Fräulein Hüschs Augen rollten. »Wär’s Ihnen nicht einmal einen Strauß Astern wert?«

»Ach ihr guten Geister …«

»Dämmert Ihnen doch was? Das Mädchen glaubt, ich sei schuld, daß Sie ihre Vase nicht mehr geduldet haben.«

»Sie haben sie hoffentlich getröstet?«

»Aber klar.«

»Ich möchte wissen, wie, Fräulein Hüsch«, rief Nischan zum oberen Ende der Tafel hinauf. »Haben Sie gesagt, die Konkurrentin um Herrn Dr. Wichmanns Herz sei eine ganz andere?«

Wichmann hätte seinen Tischnachbarn ohne Skrupel erschlagen können.

»Wieso andere? Ich habe ihr gesagt, daß es sich bei dem Herrn Assessor um einen Mönch handelt, um einen heiligen Antonius!«

»Das hat sie geglaubt?«

»Klar. Wir Frauen sind immer wieder so dumm, an den Charakter der Männer zu glauben. Das Mädchen war furchtbar traurig, daß Sie nicht zum Regierungsrat ernannt worden sind, Herr Wichmann. Rührend! Kein anderer Mensch betrauert Sie so.«

»Ich bin’s auch gar nicht wert.«

Borowski konnte es nicht lassen, den Mund aufzutun. »Wenn Sie das selber einsehen? Dann ist alles in Butter!«

»In Himbeersoße, Herr Borowski.« Wichmann goß sich von dem roten süßen Saft nach. »Sie kriegen mich nicht hoch.«

»Sie haben ganz recht, Herr Wichmann, setzen Sie sich zur Wehr!« unterstützte der Ministerialrat Nischan. »Die Herren im Referat Grevenhagen sind noch immer schnell genug aufgerückt! Kaum ist der Casparius bei ihm, hat er’s auch schon geschafft – und jetzt werden wir hoffentlich alle solchen Segens teilhaftig werden unter dem höheren Schutz. Ich hebe mein Glas auf den abwesenden Herrn Ministerialdirigenten!«

Wichmann hatte immer ein unangenehmes Gefühl, wenn August Nischan von Grevenhagen sprach; er hätte es ihm am liebsten verboten, den Namen in den Mund zu nehmen.

Der Kellner schenkte aus einem Steinkrug nach, Wichmann bekam den Rest, und der Ober blinzelte dabei dem Assessor zu.

Käse, Butter und Brot machten den Beschluß der Mahlzeit. Der Flaschenwein erschien, den Korts und Casparius zusammen mit Fräulein Hüsch zum allgemeinen Besten stifteten. Man begann zu rauchen. Wichmann hatte 6-Pfennig-Zigaretten. Vielleicht würde er künftig mit der Marke heruntergehen müssen.

Die Herren plauderten wieder durcheinander. Der Assessor nahm sich August Nischan aufs Korn. Er wollte ihn erst zum Reden und bei sich fortsetzendem Weingenuß zum vertraulichen Schwätzen bringen. Zur Ausführung seines Plans gehörte einige Selbstüberwindung, und Wichmann stieß auch auf Schwierigkeiten, da Nischan nie über kurze Bemerkungen hinauszubringen war und an alkoholischer Flüssigkeit ziemlich viel zu vertragen schien.

Während Wichmann seine Versuche fortsetzte, hörte er mit halbem Ohr die Diskussion, die zwischen Loeb und Nathan quer über den Tisch entbrannt war.

»Ihre Überschätzung des Körperlichen, Herr Loeb …«

»ist nichts als die Erkenntnis der natürlichen Einheit von Leib und Seele. Die generationsweise fortgesetzte einseitige Überspannung des Intellekts führt zur Erkrankung wie eine einseitige Ernährung …«

»ich sehe die Erkrankung der Menschheit lediglich in der Überschätzung des Körperlichen und in der Anwendung der physischen Gewalt, durch die Millionen von Menschen erschlagen worden sind. Es ist mir nicht bekannt, daß ebenso viele bei uns oder irgendwo auf der Welt an übermäßiger Intelligenz gestorben seien.«

»Sie verdrehen das Problem, Herr Nathan. Der Krieg, von dem Sie sprechen, ist mit den Mordwerkzeugen geführt worden, die der von Ihnen so geschätzte Intellekt erdacht, und zwar, das muß man ihm lassen, gut erdacht hat. Die körperliche Tätigkeit ist auch bei der Kriegshantierung ins Hintertreffen geraten. Es ist keine Rede mehr davon, daß der stärkere Körper den schwächeren überwindet, und es findet auch keine nützliche Auslese auf diese Art mehr statt, sondern das Trommelfeuer entscheidet und das zu seiner Erzeugung notwendige Metallvorkommen. Der ganze Krieg ist wie die europäische Kultur überhaupt vom Intellekt überwuchert – auf eine ganz falsche Ebene gebracht, ein Gebäude auf wankendem Fundament.«

»Und dieses Fundament wollen Sie mit Dauerlauf wiederherstellen?«

»Ich will auch im geistigen Dauerlauf diejenigen hinter mir zurücklassen, mein Herr, die über der Beschäftigung mit Spitzfindigkeiten nicht bemerken, daß der Brand bereits an das Haus gelegt ist.«

»Sie scheinen von Herrn Musa gelernt zu haben. Obwohl ich von Herrn Musa nicht vermute, daß er über 1 000 Meter durchhält.«

»Da stimme ich Ihnen ausnahmsweise zu. Er ist ein typischer Schwätzer, was allerdings nicht ausschließt, daß er vielleicht einmal etwas Richtiges gelesen hat. Es wäre die Aufgabe des Judentums, sich auch auf diese Dinge zu besinnen.«

»Wenn Sie schon einmal vom Judentum reden wollen – dessen Existenz als solches ich durchaus leugne –, so ist seine Aufgabe nach meiner Auffassung gerade dadurch gegeben, daß seine Geschichte es von der Anwendung und der Idee der Gewalt immer mehr abgedrängt hat …«

»… und es dadurch von seiner Tradition abtrünnig geworden ist und dahinwelken wird wie der von den Wurzeln gehauene Stamm.«

»Mein Herr, wir leben nicht mehr in der Zeit der Richter und Makkabäer.«

»… sondern in der der Weltkriege.«

»Die Einzahl dieses Begriffes genügt mir durchaus. Ich hatte gehofft, daß dieser Krieg zur endgültigen Überwindung der Ansichten, wie Sie sie hier vorbringen, etwas beitragen könnte.«

»Und auch da haben Sie sich getäuscht, Herr Nathan.«

»Leider muß ich das aus Ihrem Munde hören.«

Wichmann war der Wechselrede mit wachsender Aufmerksamkeit und wachsendem Erstaunen gefolgt. Er hatte bis dahin nicht gewußt, daß Juden sehr verschieden und auch untereinander sehr verschiedener Meinung sein konnten. Loeb, den Fräulein Hüsch als ›Mann‹ bezeichnet hatte, trat im Umkreis des Dienstes für Wichmann wenig in Erscheinung. Er besuchte die ›Stille Klause‹ nicht und hielt sich von allen Klatschereien fern. Wichmann saß heute zum erstenmal mit ihm an einem Tisch und empfand Sympathien für diesen energischen und persönlich zurückhaltenden Menschen.

Als Loeb und Nathan ihren Wortstreit abbrachen, wandte sich die Aufmerksamkeit wieder Fräulein Hüsch zu. Auch Nischan war nicht mehr geneigt, auf seinen ausforschenden Nachbarn zu hören, sondern äugte nach der entfernten Dame, die, ebenso wie die Herren, fleißig rauchte und sprach.

»Ach … ich bitt’ Sie … Herr Korts … so empfindet doch kein moderner Mensch mehr. Einfach albern find’ ich das. Was wollen Sie mit Kranz und Schleier? Sie werden mir doch nicht erzählen, daß es in unserer Stadt eine Frau über achtzehn gibt, die noch unschuldig ist? Und dann dieser lächerliche Abglanz von Pascha und Haremsgewohnheiten und womöglich noch den Strohkranz, weil eine so dumm war, ein Kind zu kriegen. Das ist doch Quatsch! Wir leben nicht mehr zwischen Makartsträußen und Dämmerblau, sondern im Paddelboot und beim Tango. Die Beziehungen sind klar – ’n bißchen gewürzt mit Eifersucht und Sehnsucht, geb’ ich zu – und jedenfalls kann der Mann keinen Anspruch an die Frau machen, den er im um gekehrten Fall auch nicht erfüllt.«

»Oho, da ist denn doch noch ein leiser Unterschied.«

»Nur in Ihrer Einbildung, in Ihrer typisch männlichen Einbildung und Verkennung der Wirklichkeit. Was wollen Sie denn eigentlich? Ein Sportmädel im Badeanzug – und eine Schleierfee, die Silberglocken-Zügel zieht – das läßt sich nicht in einer Person vereinigen, und die Fee ist überlebt.«

»Billigen Sie einer Frau kein Geheimnis mehr zu?« fragte Wichmann.

»Geheimnis bleibt immer – das Geheimnis des Sex-Appeal – das ›gewisse Etwas‹– aber man ist sich doch dessen bewußt, worum ’s geht, und schwelgt nicht in unverstandenen Gefühlen. Auch die Liebe ist etwas Natürliches, und es kommt lediglich darauf an, daß man Geschmack hat und Niveau hält.«

»Sie bejahen weniger die Sehnsucht als die Erfüllung – und streichen damit vielleicht das Reizvollste der großen Leidenschaft aus unserem Erleben.«

»Große Leidenschaft? So was hat’s immer nur einmal unter Tausenden gegeben: Die Männer möchten natürlich gern, daß wir dahinschmelzen in Liebe. Sie vergessen aber dabei, daß sie selber auswechselbare Größen sind. Statt ›x‹ kann man auch ›y‹ in die Gleichung einsetzen.«

»Mit dieser Meinung sind Sie bisher immer durchgekommen?«

»Gott sei Dank, ja.«

»Und Sie haben diesen Vorgang auch bei Ihren Mitmenschen beobachtet?«

»Jedenfalls duelliert sich doch heute keiner mehr einer Frau wegen.«

»Darüber sind Sie schon einmal anderer Meinung gewesen«, bemerkte Korts.

Fräulein Hüsch kam nicht mehr zur Antwort, denn die Tür des rauchgeschwängerten Zimmers öffnete sich, und Grevenhagen trat ein.

»Aber bitte, meine Herren – behalten Sie doch Platz. Ich bin sehr verspätet und möchte gar nicht stören. – Meines Bleibens ist leider auch nicht lange.«

Er machte eine leichte Verbeugung vor Fräulein Hüsch, der ein Rot in die Schläfen stieg, und nahm den Platz am entgegengesetzten Tafelende ein. Die Dame schien zu bedauern, daß der eleganteste der Anwesenden sich so weit von ihr entfernt niederließ. Grevenhagen war im Smoking, er trug die Ordensschnalle mit vielen Bändchen, deren Bedeutung Wichmann nicht kannte, und an der linken Brustseite das Eiserne Kreuz 1. Klasse mit seiner strengdekorativen Wirkung und dem Fluidum, das von der Vorstellung besonderer Gefahr und besonderen Mutes für Wichmann seiner Schulerziehung gemäß immer ausging.

August Nischans Augen begannen einen verdächtigen Schimmer zu bekommen, und seine Sprechweise war schon etwas gehemmt.

»Wir freuen uns – alle, Herr Ministerialdirigent, Sie noch in unserer Mitte begrüßen zu können.«

Der Ober brachte auf Wichmanns Wink einige Flaschen der ›1921 Auslese‹ und stellte die beiden Zigarrenkisten geöffnet auf.

»Sie sind … zur rechten Minute gekommen, Herr Ministerialdirigent.« Es trat allgemeine Stille ein, da man annahm, daß Nischan eine Tischrede beginnen wolle. »Fräulein Hüsch … hat soeben einige … bedeutungsvolle Fragen … des menschlichen Lebens ventiliert … beleuchtet … zum Beispiel, ob sich ein moderner Mann noch einer Frau wegen schießt?«

Wichmann bereute tief, Herrn August Nischan vorzeitig Kognak in den Wein haben gießen zu lassen.

Grevenhagens Mundwinkel verzogen sich ironisch. »Bei so blutrünstigen Themen sind Sie bereits angelangt, meine Damen und Herren? Ich schließe daraus, daß Sie sich alle recht wohl fühlen, denn nur im Vollbesitze guter Laune und eines gesättigten Magens pflegt der Mensch von Untreue und Tod zu singen. Es würde mich natürlich sehr interessieren, wie Fräulein Hüsch zu der angeschnittenen Frage steht – damit ich rechtzeitig für Eimer und Scheuertücher sorgen kann, wenn der dicke rote Saft angeschossener männlicher Herzen über die Schwelle der Bücherei zu sickern beginnt.«

Die Tischrunde grinste oder lachte, je nach Temperament. Fräulein Hüsch gefiel es, daß sie so schnell wieder in den Mittelpunkt des Interesses gerückt war.

»Vorläufig keine Gefahr, Herr Ministerialdirigent«, erwiderte sie angeregt. »Ich begnüge mich mit Verwirrungen weniger aufregender Art. Ich gehör’ nicht mal zu denen, die Boxkämpfe sehen müssen diese modernen Turniere.«

»Es ist sicher ein Vorzug, gnädiges Fräulein, wenn sich eine Dame zur Friedenspalme bekennt, und ich freue mich, wenn Sie in diesem Sinne unter den Nationen der Referate 1 und 2 tätig sind. Auf Ihre Rolle als Mittlerin und unser aller kommende Zusammenarbeit erlaube ich mir das Glas zu heben!«

Grevenhagen grüßte mit dem Weinglas Fräulein Hüsch. Nischan äugte umher. Der Assessor verrichtete Stoßgebete, daß der halb Betrunkene vorläufig schweigen möge.

»Damen können wirklich eine ungemein verbindliche Rolle spielen«, sagte Nischan. »Ungemein verbindend. Wie war das doch mit der Palme … oder dem Zweig … Herr Nathan? ›In den Händen … in den Händen … ‹«

»Friedenspalmen in der Hand,

wandeln wir zum Abendland.

Orient zum Okzident,

und es nimmt ein gutes End’!«

»Ach, so war das … nein, Nathan … es war doch keine Palme, es war doch ein Zweig …«

Nischans Bemerkung ging glücklicherweise in der allgemeinen Zustimmung unter.

Eugen Casparius klopfte ans Glas.

»Sehr verehrter Herr Ministerialdirigent! Herr Ministerialrat! Meine verehrte Kollegin, liebe Kollegen! Eine Konstellation, die sich seit vierhundert Jahren nicht mehr gezeigt hat, ischt endlich wieder Ereignis geworden: Orient und Okzident haben sich vereinigt, und es ischt ein Reich geschaffe, in dem die Sonne der Arbeit und der von ihrem Licht zum Leuchten gebrachte Mond, nämlich die Kollegialität, nicht untergehen wird. Wir sind alle reichlich verschieden, unser stolzer Loeb läuft auf den Zehen über 3 000 Meter, der Herr Nathan aber läuft mehr mit dem Intellekt und auf den Versen, Fräulein Hüsch ist fürs Wochenend und den Badeanzug, wogegen Kollege Wichmann eine heimliche Mönchskutte trägt; Robert Korts ist schneidig wie sein Name und stürmt uns voran, ich aber mit meinem gute Schwäbisch mach ein bißle langsamer, und nur hin und wieder überrasch’ ich die Welt mit einem Schlag, teils indem ich Drillinge krieg’, teils indem ich erstaunlicherweise auf einmal Regierungsrat bin. Ich will mir ehrliche Mühe geben, die in mich gesetzten Erwartungen nicht zu enttäuschen. Wenn auch mein eignes Geischtl da hob’ in mein Kopf nicht immer für alle Ansprüche ausreicht, so weiß ich mich doch jetzt und künftig geborgen und geleitet zum Wohl des Vaterlandes von dem Herrn Ministerialrat Nischan, der mich väterlich herangezogen hat, und der das Orchester mit den diversen Geigen, Bässen und Harfen zum Vollklang bringen wird, indem ein jedes Instrument zur Geltung kommt und die Harmonie dem Werke dient. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, mit mir auf Herrn Ministerialdirigenten Grevenhagen anzustoßen, dessen Wein wir soeben trinken und dessen Zigarren uns schon aus jenen Kischten verführerisch in die Nase duften.«

Die Herren standen auf, um bei ihrem Chef zu defilieren. Als erster ließ Nischan das Glas mit Grevenhagen anklingen, er tat es ein klein wenig unsicher, und Grevenhagen, der Erfahrung im Beobachten von Alkoholwirkungen verschiedenen Grades besitzen mochte, lächelte – nicht nur konventionell, er lächelte mit einem kleinen Amüsement, das vielleicht nur Wichmann bemerkte. Nach dem Ministerialrat Nischan und dem Oberregierungsrat Meier-Schulze mußte der Assessor mit seinem Glas zu Grevenhagen herantreten. Der Ministerialdirigent hatte sich ihm zugewandt. Wichmann war sehr ernst. Für ihn bedeutete die Sitte des Grußes mit dem Glas heute mehr als für die anderen. Er fühlte sich wieder gefangen in den Banden einer Anerkennung, die er innerlich nicht mehr hatte leisten wollen. Wenn er Grevenhagen neben den anderen sah, überlegen und stolz, kam er nicht los von dem bewundernden Gefühl, das ihn bei dem ersten Zusammentreffen mit diesem Mann beseelt hatte. Er dachte heute auf eine sehr gegenständliche Art daran, daß Justus Grevenhagen im Krieg, daß er verschüttet, verwundet und gefangen gewesen war. Grevenhagen hatte in seinem Leben schon etwas mehr riskiert als zwanzigtausend Mark und eine Beförderung.

Wichmann wollte die Ehre des anderen nicht antasten. Es wäre bübisch gewesen. Marion – du liebst ihn doch auch – trotz allem, trotz allem.

Wichmanns und Grevenhagens Glas sangen in einem lang schwingenden, dunklen Ton zusammen. Den Jüngeren überkam dabei die Ahnung, daß eine wortlose Frage mitgeklungen habe.

Der Ministerialdirigent rauchte noch eine Zigarre im Kreise seiner Mitarbeiter, dann entschuldigte er sich. Er war zu einem Regimentsabend verabredet.

Als er gegangen war, verlor der Abend an Spannung und damit an Stimmung. Ein Höhepunkt war überschritten.

Man lobte noch des Casparius Rede und Grevenhagens Wein, man lachte und schwatzte ohne viel Zusammenhang. Nathan suchte Versöhnung mit Wichmann, ohne zurückgestoßen zu werden, und Nischan wurde immer gesprächiger und hielt sich an den Assessor, der als einziger seine Ausführungen mit aufmerksamer Geduld anhörte.

»Wichmann – was sagen Sie denn jetzt?«

»Sehr gut, Herr Ministerialrat, sehr gut.«

»Ich hab’s immer gesagt. Was sagen Sie denn jetzt? Was braucht er das Ding da anzuziehen?« Nischan legte die Hand auf die linke Brustseite. »Ich häng’ mir nächstens auch ’ne Brosche um den Hals.«

»Tun Sie das, Herr Ministerialrat.«

»Ich sag’ Ihnen, Herr Wichmann, was braucht einer zu protzen? Er kann ja nicht dafür, wenn ihm der Poilu und der Tommy einmal nahe auf den Pelz gerückt sind – sich dafür dekorieren lassen wie ’n Preisochse, ist das ein Zeichen für Intelligenz?«

»Sprechen Sie nur weiter, Herr Ministerialrat.«

»Was sagen Sie denn dazu? Wer intelligent gewesen ist, war ganz woanders. Läßt man sich abschießen in einem Krieg, wo doch nur die Besten totgehen, und die anderen sitzen hinten?«

»Ja, die anderen haben hinten gesessen, ›den Eindruck hab’ ich also auch‹, um mit meinem Freund Casparius zu reden.«

»Ich weiß nicht, Wichmann, ich glaub’, ich bin tatsächlich besoffen … das kommt mir sonst nie vor … was ist denn das für ein Wein gewesen?«

»Kommen Sie, Herr Nischan, wir gehen ein bißchen nebenan … Da ist die Luft frischer.«

»Recht ham Sie. Sie sind patent, Wichmann! Boschhofer hat es Ihnen gleich angesehen.«

»Kommen Sie nur mit mir …«

Wichmann ließ bedeutungsvolle Blicke in der Runde spielen und bat die Kollegen auf diese Weise, ihn nicht zu stören. Die Herren freuten sich still und respektlos darüber, daß der Herr Ministerialrat so unerwartet schnell benebelt war, und ließen den Assessor gewähren.

Das Gastzimmer nebenan war fast leer. Wichmann brachte sein Opfer in eine Ecke, in der sein Gespräch von den beiden noch besetzten Tischen aus kaum mitgehört werden konnte.

»Der Nathan hat ja geschwindelt, Herr Nischan. Es ist keine Palme gewesen, sondern ein Zweig.«

»Ich hab’s doch gewußt. Ein Zweig … Zweig … Sau … sau …«

»Sau … sau … sauberes Mägdlein du. Fängt ein Lied an, Herr Nischan. Beim Nathan hat’s Sauberzweig geheißen. Das müssen wir wieder zusammenkriegen.«

»Müssen wir, Wichmann. Der Nathan … der Nathan … der will’s uns nicht mehr sagen. Hände zum Stein – zum Stein …«

»Ein Sauberzweiglein …«

»Sauber … Wichmann, du hast es – Phantastisch! Du hast es! Zum Schein … Sauberzweiglein! Was heißt denn das?«

»Es ist ein Rätsel, ein Preisrätsel, Herr Nischan, wie der Zettel, den Sie mir geschrieben haben: ›Boston nach der Pause.‹«

»Hehehe … hehehe … ich Ihnen? Großartig. Ich Ihnen?«

»Ja. Ich hätte Sie bald zum Tanz geholt. Können Sie gut tanzen?«

»Ich? Hehehe … wie’n Pudel. Sie wollten mit mir tanzen?«

»Bewahre. Sie haben mir doch den Zettel geschrieben. Frau Grevenhagen hat Ihnen das Papier gegeben.«

»Hat … hat sie … Woher wissen Sie denn das? Hat Sie’s Ihnen gesagt?«

»Ich weiß alles. Kommen Sie, ich habe Ihr Weinglas mitgebracht. Trinken Sie.«

»Nein, nein, ich bin schon besoffen. Lassen Sie mich.« Der überredete trank doch noch einen Schluck und leckte sich die Lippen. »Gutes Weinchen. Wichmann – Sie haben mit mir tanzen wollen?«

»Beinahe. Haben Sie die Schrift gesehen?«

»Wa … was für eine Schrift? Wichmann, erschrecken Sie mich nicht! Nachts durch die Tapete … eine kalte weiße Hand schreibt?«

Wichmann legte einen Zettel auf den Tisch und versuchte Marions Schriftzüge nachzuahmen. »Boston …«

Der Angetrunkene nahm ihm das Papier weg. »Schriften, Wichmann, das kann ich besser … gib her … ich mach’ dir jede Schrift nach …«

»Dann schreiben Sie doch mal. Boston nach der Pause …«

»Ich will etwas anderes schreiben. Marion … Marion.«

»Woher weißt du denn, wie sie das schreibt, August?«

»Marion …« Die dünnen, weit auseinandergezogenen Schriftzüge erschienen. »Wichmann … sst … ich weiß … das ist ein Witz gewesen … hehe …«

»Ein guter …?«

»Will ich meinen. Ein … guter … ich weiß jetzt wieder, Wichmann … das Täschchen ist heruntergefallen, Visitenkarte … hübsche Visitenkarte der hübschen Dame …«

Durch Wichmanns Gehirn schoß das Begreifen wie ein Blitz. Marion Grevenhagen hatte ihre Visitenkarte mit ihren eigenhändigen Zügen drucken lassen. Nischan hatte die Karte gesehen, als sie versehentlich aus der Tasche fiel. Nachher bat er um einen der Notizzettel aus Marions Block …! Nischan war ein Schweinehund.

»Herr Nischan … wer ist denn kürzlich am Vormittag bei Grevenhagen gewesen?«

»Assessorchen, ich weiß es nicht. Ich glaube, du horchst mich aus. Da, trink du selber mal von dem Wein, ich glaub’, da ist ein Pülverchen drin gewesen. Mir wird ja so schwer …«

August Nischan legte den Kopf auf den Tisch, raffte sich aber nach kurzer Zeit wieder auf.

»Ich will gehn, Wichmann. Tanz mit mir heim, mein Kind! Wir sind die beiden Sitzengebliebenen. Wenn ich denke – jetzt unter dem Grevenhagen – mir wird ja schlecht – ruhup … schlecht – was war das für ein Wein! Der Kerl hat mich vergiftet.«

»Aber nicht doch, Herr Nischan. Ein bißchen blau ist doch ganz schön? So überstehen Sie die Sache am ehesten. Seien Sie ruhig, ich bringe Sie mit Casparius zusammen nach Hause.«

Der Weg durch die nächtliche Stadt, im lauen Märzwind, wurde an diesem Abend einer der sonderbarsten, die Wichmann je gemacht hatte. Casparius und er hatten Nischan rechts und links untergehakt. Es wäre nicht nötig gewesen, denn der Ministerialrat ging mit geringen Schwankungen. Aber da er sich’s gefallen ließ, taten es die beiden Freunde zum Spaß. Nischan rülpste und schwatzte eine Mischung von Vernunft und Unsinn. Die Wahrheit, die über die Vorstellungswelt des Schleichers und Spießers dabei herauskam, war nicht erfreulich, sie war erschreckend fad. Wichmann kam es vor, als ob die Seele dieses Mannes selbst den Geruch ausströmte, der aus seinem Munde kam. Im Laternenschein sah der Assessor das schneckenhautfarbene Gesicht und die breit ausladenden Kiefer, die schmalen Lippen. In einer Mischung von Spott und Grauen schleppte er die verwirrte Kreatur über den Asphalt. Er trug Nischans Hut in der Hand. Die feinhaarigen Locken des anderen standen scheitellos in die Höhe. Zum erstenmal lernte Wichmann einen solchen Menschen kennen.

»Kasper … kann es so etwas geben?« fragte er, als die Freunde ihre Last abgeliefert hatten und allein durch stille Straßen schlenderten.

»Wichmann, was hascht du mit dem Mann g’macht? Des ischt doch net mit rechten Dingen zugange?«

»Mit echtem, rechtem Kognak.«

»Im Wein? Des hätt’ ich dir nicht zugetraut. Solche Sachen machscht du? Was war denn des für ein Zettel, von dem er jetzt allweil noch g’schwätzt hat?«

»Eine ganz große Gemeinheit, Kasper. Ich will ja vorläufig den Mund halten. Der Kerl kann Schriften nachahmen.«

»Wichmann, des klingt direkt kriminalistisch. Hör mir auf davon, daß ich mir mein Kindergemüt bewahren kann.«

»Komm, Kasper, wir gehen wieder ein Stück zurück, ich habe keine Lust, schon nach Hause zu gehen.«

»Willscht du net noch auf eine Stund zu mir kommen?«

»Heut nicht. Ich geh’ heim in die Kreuderstraße. – Wer weiß, wie lang ich noch da wohnen kann.«

»Was sind denn das jetzt wieder für geheimnisvolle Andeutungen? Ich will dir aber was sage, Wichmann, vielleicht ischt es ganz gut, wenn du von dort fortziehscht …«

»Warum?«

»Ich will’s dir sage, weil ich dein Freund bin. Die andern klatschen alle bloß hinten ’rum, des liegt mir net. Es ischt ein G’schwätz um dich im Gang. Die ganze Abteilung ratscht und tratscht, der Grevenhagen hätt’ dich von der Lischte abgesetzt, weil er eifersüchtig auf dich sei – du hättest ein Billetdoux von seiner Gemahlin erhalte …«

»Das kann nur der Nischan erzählt haben, denn der hat’s geschrieben.«

»Was geschrieben?«

»Das Billetdoux – mit verstellter Schrift. Das hab’ ich heute herausbekommen.«

»Wichmann – gut, daß du des sagscht. Da werd’ ich die Schandmäuler stopfen, bis sie gurgle und ersticke! Es ischt doch … nei …«

»Eine Hundsfötterei.«

»Ja. Aber ich möcht’ dir noch eins rate – schaff dir irgendein nettes Wochenendmädle an, wenn du noch nix derart bei der Hand hascht – damit das Gered einmal aufhört, bevor der Grevenhagen noch davon erfährt.«

»Ich hab’ kein Geld. Wir haben da Pech gehabt mit einem unnützen Verwandten, und ich muß zuschießen. Ab nächsten Monat leb’ ich von meinem Assessorengehalt.«

»Des ischt des Schlimmschte net, den Zustand kenn’ ich samt Frau und Drillinge. Da rechne mir einmal zusammen, wieviel weiter ’s bei euch Junggesellen langt. Was zahlscht denn bei der Geheimrätin?«

»65 Mark.«

»Vielleicht bleibscht du doch besser dort. Wenn du ein reines Gewissen hascht. Es braucht gar net so aussehen, als ob du’s nötig hättescht, den Schauplatz zu räumen. Wenigschtens net jetzt gleich. Sie wird scho ’runterlasse, die Eule, und du muscht denke, was du sonscht für Vorteile hascht – die Kleider in Ordnung gehalten und die Wäsche geflickt – bleib noch ein paar Monat, ’s wird sich schon no mache lasse. Du bischt Junggeselle, und das Geld muß ja nur für einen langen. Und über das Wochenendmädle reden wir noch. Die kaschtet dich nix. Mir gucke uns nach einem anständige Mädle um, wenn auch im Badeanzug, nach einer, die selber für sich zahlt. Vielleicht hat der Schildhauf was an der Hand, der kennt ja die halbe Stadt. Aber beileibe net eine, die er ablegt.«

Mitternacht war längst vorüber, als Wichmann endlich auf seiner Couch lag.

Er schaute im Lampenlicht noch einmal hinauf zu der strengen Komposition der Rembrandtschen ›Anatomie‹, überlegte dabei, daß ein wissenschaftlich denkender Mensch seine Gefühle und Willensregungen ebenso analysieren müsse wie der Verstand und das Messer des Arztes den Körper, und drückte dann auf den Knopf, der den elektrischen Strom dem menschlichen Befehl entsprechend ausschaltete. In der Dunkelheit, allen äußeren Eindrücken fern, begann er nachzudenken.

Seine Empfindungen für Marion Grevenhagen waren Gegenstand der Intrigen und des Klatsches geworden. Mit dieser Tatsache wollte er sich auseinandersetzen.

Bis dahin hatten seine Beziehungen zu dieser Frau einem Traum geglichen, in dem die Gefühle sich zu zauberhafter Kraft entwickeln und dennoch dem Gegenständlichen fern bleiben. Auch die Bosheit, die sich kundgetan hatte, war wie eine böse Macht im Märchen gewesen, unfaßbar und trotz der Beweisstücke seinem Bewußtsein so lächerlich und grausig wie zugleich unwahrscheinlich. Das Unverbindliche und doch Leidenschaftlich-Nahe seiner Empfindungen war nur in einer Ebene über oder unter der Wirklichkeit möglich gewesen. Aber die schimmernden Nebel, die es getragen hatten, hatten auch schon angefangen zu zerfließen. Zum erstenmal war sein bewußtes Sein von dieser Wahrnehmung herausgerufen worden, als er nach seiner Wanderung um den See des Abends in die Kreuderstraße zurückgekehrt war. Jetzt wurde die Wahrnehmung deutlich und unabweisbar wie das zunehmende Licht für einen unwillig Erwachenden. An den geliebten Körper, den er noch nie unverhüllt gesehen hatte, vermochte er nicht mehr zu denken, ohne daß sich die Grimasse des Nischan dazwischen drängte. Mit dem Erschrecken eines Nachtwandlers, der über einem Abgrund angerufen wird, begann Wichmann seine Wünsche, die Marions schönen Leib umspannten, als etwas Niedriges zu empfinden. Er wurde das Wissen nicht mehr los, daß ein Nischan kichern würde, wenn seine Lippen die ihren suchten. Er zweifelte an sich selbst und rannte mit seinen Gedanken an der Möglichkeit vorbei, daß die Lüste seiner eigenen Nerven etwas mit denen des verhaßten schleichenden Spießers gemein haben, ja seine Maske annehmen könnten. Wie ein Schwarm Fliegen um ein stinkendes Aas tauchten für ihn um die Gestalt Nischans weitere Vorstellungen auf: Fräulein Hüschs naiver Triumph über Männer, die sie verrückt machen konnte – das Geschwätz der Kollegen und der Laura Lundheimer um Grevenhagens angebliche Eifersucht. Es gab für Wichmann nur eine einzige Stellung, von der aus er zu kämpfen und das Geschmeiß der Feindschaft und Klatschsucht abzuwehren vermochte, das war das Bewußtsein, daß er sich selbst untadelig verhielt. Er hatte sich in eine solche Rolle des völlig reservierten Verehrers schon mit einer beachtlichen Gewandtheit und Disziplin hineingespielt, seitdem seine Göttin vom Sockel gestiegen war und, sehr raffiniert gekleidet, mit der geschmeidigen Schönheit der Katze und der Kraft des Sex-Appeal, abweisend und anziehend durch ihr Schweigen und die Sicherheit der großen Dame – einen Kredit von zwanzigtausend Mark bei dem Assessor nachgesucht hatte. Das Bild der Dame und ihres schweigend verehrenden Ritters mußte er für seine Phantasie beibehalten. Es war sein Schutzschild, den er noch stärker machen, mit dem er sich selbst, Marion und ihr ganzes Haus vor den schmutzigen Anwürfen behüten wollte. Aber die Phantasie genügte nicht mehr. Marion war ein Mensch geworden. Es gab das Wissen um sie, die Entfernung von ihr, Freund und Feind, Stolz und Infamie. Oskar Wichmann mußte sich mit Vorgängen in der Wirklichkeit auseinandersetzen.

Er wollte den Kampf aufnehmen und das elende Geschwätz zum Schweigen bringen. Der Assessor schaltete die Stehlampe noch einmal ein, er holte sich Bleistift und Papier und rechnete. Er wünschte, in der Kreuderstraße wohnen zu bleiben. Freund Casparius hatte den verborgenen Einflüsterungen von Wichmanns eigenem Herzen nur allzu stichfest, mit Wichmanns neuen Entschlüssen zu vereinbarende Gründe geliehen. Wenn der Assessor den Etat für das Abendessen um die Hälfte herabsetzte und die Kleiderrücklage kürzte, war ein erheblicher Betrag gewonnen. Man konnte auch mit der Geheimrätin verhandeln, eine Zeitung abbestellen und 4-Pfennig-Zigaretten rauchen. Aus dem Klub wollte er nicht austreten, aber der Reitsport war zu streichen – den ersetzte dann allenfalls das Paddelboot mit dem Wochenendmädle. Wichmann verzog die Mundwinkel, um sich selbst zu verspotten. Vielleicht kam Ende des Jahres doch noch die Ernennung zum Regierungsrat. Er konnte auch die letzte Reserve von eintausendfünfhundert Mark in monatlichen Raten zusetzen. Aber das lag nicht im Wesen seiner Erziehung und seines Charakters.

Als der Regierungsassessor am folgenden Donnerstag hinter dem Schatten des Ahornbaumes erleuchtete Fenster schimmern sah und sich im Gesellschaftsanzug zum Besuch des ›jour fix‹ bereit machte, fühlte er sich im Zustand einer Larve, deren Kruste sich härtet. Er mußte seine Blicke, jede Regung, ja, jeden Gedanken kontrollieren. Seine Muskeln strafften und seine Mienen schlossen sich, seine ganze Körperlichkeit gehorchte dem Bilde, das er sich von sich selbst machte. Der Diener bemühte sich heute noch um eine Note achtungsvoller um Herrn Dr. Wichmanns Garderobe.

Als ein Mann, der selbstgezogene Grenzen aus Selbstbewußtsein zu achten entschlossen ist, ging er durch die bekannten Räume. Er begrüßte die Hausfrau mit dem förmlichen Handkuß und ohne Verlegenheit, was ihn selbst in Erstaunen setzte. Frau Grevenhagen lächelte erfreut. Der Verehrer hatte einen Augenblick gefürchtet, daß sie von der Befangenheit des Schuldners gegenüber dem Gläubiger befallen werden könne, aber es war nicht an dem; Marion hatte vermutlich keine bürgerlichen Vorstellungen von dem Druck finanzieller Verpflichtungen. Sie war heiter, soweit ihre Natur das zuließ. Wie ein dunkles Wasser, in dem der lichte Himmel sich spiegelt, so mochte die Oberfläche ihrer Seele heute von angenehmen Vorstellungen erhellt sein. Wichmann sah die Hände, die an seinen heißen Schläfen gelegen hatten, aber es war ihm, als ob das, was er erblickte, nur das Abbild seines Traumes sein könne, nur kühles Wachs, was danach geformt worden war.

Die Stelle des abwesenden Hausherrn vertrat heute sein Vater, der alte Minister a. D. Die Geheimrätin hatte nicht zuviel gesagt, wenn sie ihn eine prachtvolle Erscheinung genannt hatte. Es gelang Oskar Wichmann, von ihm und von einigen älteren Herren – eben jenen, die am Kamin ihren Spaß an Lotte Hüsch gehabt hatten – in das gemeinsame Gespräch aufgenommen zu werden.

»Sie kennen ja die Gedankengänge meines Sohnes, Herr Dr. Wichmann. Er ist nicht sehr optimistisch in bezug auf die Wirtschaftsentwicklung.«

»Jawohl, Exzellenz, seine Diagnose für unsere Wirtschaft lautet auf Krankheit. Die Zahl der Arbeitslosen ist in den letzten Monaten auch tatsächlich über das saisonmäßig begründete Maß hinaus gestiegen.«

»Ah, Sie verfolgen diese Dinge? Haben Sie darüber eigene Aufzeichnungen?«

»Leider nicht. Ich verfolge diese Vorgänge auch nur aus privatem Interesse, auf gelegentliche Anregung von Herrn Ministerialdirigenten Grevenhagen, um unsere Arbeit auch im allgemeinen Zusammenhang zu sehen.«

»Mit dem Wahnsinn der Reparationspolitik graben unsere Gläubiger an den Grundmauern ihres eigenen Hauses«, mischte sich von Linck ein. »Haben Sie, Exzellenz, etwas über dies österreichische ›Kredit‹ gehört?«

Der Minister im Ruhestand zog die buschigen weißen Augenbrauen hoch.

»Nein …«

»Emmerich bietet einen Vergleich an auf der Basis von 6o:1 …«

»Das ist doch glatter Betrug!«

»Tja, was wollen Sie in einem solchen Falle machen? Die Frau soll noch Geld haben, geschützt durch Gütertrennung. Die Zeiten, in denen man sein Vermögen in den Konkurs warf und sich eine Kugel durch den Kopf schoß, sind vorbei. Die Anschauungen wandeln sich.«

»Die meinen nicht, Herr von Linck, dazu bin ich zu alt. Für mich ist die Solidität der Geschäftsgebarung eine Sache der persönlichen Ehre und das Eingehen von Verpflichtungen, die man später nicht erfüllen kann, eines Mannes unwürdig. Auf dieser Grundlage haben meine Vorfahren in der ganzen Welt Handel getrieben und Vertrauen genossen, und ich denke bei solchen Grundsätzen zu bleiben.«

Marion ging eben vorüber. Hatte sie die Worte gehört? Vielleicht waren sie aus einer Atmosphäre gesprochen, die nie in ihr Inneres drang, obwohl sie in dieser Luft leben mußte. Armes fremdes Kind.

Wichmann bereute es nicht, ihr geholfen zu haben.

Er verließ an diesem Abend das Haus Kreuderstraße 3 mit der Überzeugung, daß er seine Rolle gut gespielt hatte. Ja, er schlüpfte so vollständig in die Verkleidung, daß er selbst nicht mehr erkannte, was vorher gewesen war. Der Assessor Dr. Wichmann verkehrte im Hause Grevenhagen als ein fernstehender Bewunderer der schönen Hausfrau, als Mitarbeiter ihres Gatten. Es bedurfte jetzt nur noch, vor sich selbst und vor den anderen, der Bestätigung, daß sein Stolpern in der Karriere mit persönlichen Gefühlen seines Vorgesetzten nicht das geringste zu tun hatte. Dann war allen Gerüchten der Boden entzogen, und der Assessor entkam dem schleimigen Netz des Nischan, um in den Sommer hineinzusurren wie eine befreite Fliege.

Wichmann hatte sich schon an den Gedanken gewöhnt, daß man in Amtsstuben die Wahrheit nur mit den Methoden eines Detektivs erfahren könne. Er versäumte daher nicht, am nächsten Tag den Inspektor Baier aufzusuchen und ihn für den Wechsel des Mittelstürmers bei Nürnberg-Fürth zu interessieren. Das Thema »Ernennungen« schloß sich zwanglos an.

Baier nahm seine Brille von der Nase und verwahrte den Gegenstand behutsam im Futteral.

»Ja, wir sind die beiden im Referat Grevenhagen, die den kürzeren gezogen haben, lieber Herr Assessor. Ich bin es schon gewohnt. Man bekommt auch Übung im Verzichten und Zurückgesetztwerden, lieber Herr Assessor, und wenn ich nicht Pöschkos höhnisches Gesicht sehen müßte, wär’s mir jetzt schon egal. Meine besten Jahre hab’ ich doch hinter mir – mit dem Heiraten ist’s auch nichts mehr …«

»Aber warum, Herr Inspektor? Ein so gut aussehender Mann wie Sie in angenehmer und gesicherter Stellung …?«

»Ach, lieber Herr Assessor … das ist ein schwieriges Kapitel. Zu irgendeiner Emma oder Isa oder Bella möcht’s schon reichen. Aber ›Irgendeine‹ kommt doch für mich nicht in Frage. Ich bin ein Träumer, Herr Assessor, ich habe künstlerisches Gefühl und Empfinden für das Exklusive. Sehen Sie sich das Fräulein Hüsch an, das ist eine Dame. Wenn ich als Sohn eines Generaldirektors geboren wäre … aber ich habe kein Geld. Ich wäre der Mensch dazu, aber ich habe kein Geld. Ich weiß wieder nicht, wie ich die Reise nach Nürnberg zum ersten Fußballtreffen bezahlen soll.« Inspektor Baier holte ein kleines, sauber gehaltenes Kontobuch hervor. »Ich weiß es nicht. Vor dem 15. Mai zahlt mir die Hüsch die hundert Mark nicht zurück. Das Mädchen macht Ansprüche, Herr Assessor, Ansprüche! Nehmen Sie sich in acht! Ehe Sie nicht mindestens Ministerialrat sind, können Sie nicht mit ihr heiraten.«

»Zu jenem etwas fernen Zeitpunkt habe ich aber die Absicht, nach Ihrem Dafürhalten?«

»Herr Assessor, im Vertrauen, sie hat mir gesagt, daß Sie ihr das neue Bücherverzeichnis gemacht haben. Mir fiel ein Stein vom Herzen, daß es damit geklappt hat. Das Mädchen versteht zu organisieren.«

»Aber mit dem Heiraten und dem Ministerialrat ist’s für mich leider noch lange hin.«

»Ja, Herr Assessor, Sie tun mir leid. Sie waren doch der Favorit?«

»Das schien so.«

»Aber dem Personalchef ist aufgestoßen, daß Casparius sehr viel dienstälter ist, und er hat … Sie dann … Aber das darf ich Ihnen ja nun eigentlich nicht sagen.«

»Ich weiß es schon. Wenn Sie mir nur noch einmal bestätigen wollen, daß ich richtig informiert bin! Das Personalreferat hat bei der Abteilung rückgefragt und zur erneuten Stellungnahme aufgefordert, und dabei ist die Karre gekippt …«

»Ach, Sie wissen es schon? Ja, der Boschhofer hätte Sie gehalten, der kann den Casparius nicht so gut leiden, obwohl dem seine Partei auch zur Koalition gehört und der auch katholisch ist – aber doch ganz anders als der Boschhofer – ’s war also nicht Boschhofer, sondern Grevenhagen …«

»… der nicht darauf bestanden hat, daß meine Ernennung vorgehe.«

»Eben, eben! Und wenn Boschhofer nicht durch den Referenten gedeckt war, konnte er auch nichts machen. So ist Ihnen der Casparius um eine Nasenlänge vorausgekommen.«

»Na ja, sehen Sie … Ministerialdirigent Grevenhagen mit seiner Gewissenhaftigkeit war in einer schwierigen Lage. Casparius ist nur zu ihm abgeordnet. Es wäre Grevenhagen besonders übel angekreidet worden, wenn er diesen Mann mit seinem halben Dutzend Dienstjahren, einer Frau und drei Kindern meinetwegen hätte zurückstellen lassen. Es wird ihm sowieso dauernd der Vorwurf gemacht, daß er seine Mitarbeiter besonders schnell fördere. Mir selbst ist es lieber, daß Casparius die Planstelle bekommen hat.«

Das Telefon rief. Baier nahm den Hörer ans Ohr.

»Frau Lundheimer. Sie möchten sofort zu Boschhofer kommen, Herr Assessor.«

Wichmann machte sich auf den Weg. Auch der Amtmann Pöschko hätte heute mit der gemessenen Gangart des Assessors auf der rot belegten Treppe zufrieden sein können.

»Ach … mein lieber Herr Wichmann … Sie hatten mich während meiner Dienstreise sprechen wollen? Frau Lundheimer hat mich davon unterrichtet. Wo drückt der Schuh?«

»Ich möchte mir nur die Frage erlauben, Herr Ministerialdirektor, ob gegen meine Ernennung zum Regierungsrat Gründe vorgelegen haben, die in meiner Person oder in meiner Arbeitsleistung zu suchen sind, oder ob ich darauf hoffen kann, bei der nächsten Gelegenheit berücksichtigt zu werden?«

»Warum wollen Sie nicht darauf hoffen, lieber Wichmann?« Boschhofer war gut gelaunt. »Ich hatte angenommen, daß es schon diesmal klappen würde, aber Sie sind noch so jung, Maikäfer, der eben aus der Erde kommt, und ich kann auch nicht alles allein machen. Verstehen Sie mich? Herr Grävenhagen ist Beamter und nochmals Beamter. Er ist in alles verliebt, was mit dem Begriff ›Dienst‹ zusammenhängt, Dienstpflichten, Dienstauffassungen, Dienstalter … in Ihrem Falle ›Dienstalter‹ oder vielmehr fehlendes Dienstalter. Nur den Begriff des Dienstvorgesetzten oder die Person seines Dienstvorgesetzten scheint er abzulehnen. Vielleicht schätzt er es nicht, daß ich Sie schätze. Aber im nächsten Jahr liegt Ihr Fall schon anders. Ich hoffe, daß uns beim kommenden Etat einige neue Stellen bewilligt werden. Sie haben diese hübsche Ausarbeitung gemacht, ja, wirklich hübsch – ich habe nächstdem wieder etwas für Sie. Also sehen Sie nur vertrauensvoll in die Zukunft. Sie sind jetzt der einzige Assessor in unserer Abteilung. Es kann Ihnen nicht fehlen.«

»Ich danke, Herr Ministerialdirektor.«

In der Abteilung konnte sich das Gerücht verbreiten, daß Wichmann entweder zugunsten seines Freundes Casparius auf die Ernennung verzichtet habe oder ein Opfer der bekannten Feindschaft zwischen Boschhofer und Grevenhagen geworden sei.

Das Leben, das der Assessor in den folgenden Wochen und Monaten führte, war ohne Schwierigkeiten und ohne tiefere Gedanken. Er hatte seine Ausgaben der Höhe seines Gehaltes angepaßt. Einige kleine Änderungen des bisher Gewohnten genügten, die Grundzüge des bisherigen Lebensstandards wurden nicht berührt. Das Erstaunen des Kellners in der Weinstube über die plötzliche Untreue des Stammgastes war überwunden. Die im Hause der Geheimrätin eingenommenen billigen und sättigenden Mahlzeiten wurden häufiger. Oskar Wichmann mied die Oper und das Schauspiel und ging wöchentlich einmal in ein Kino zum Vergnügen der lebhaften blonden Studentin, die Schildhauf mit ihm bekannt gemacht hatte. Die Paddelausflüge, die Oskar Wichmann mit Dieta am Sonntag unternahm, fanden häufig die Gesellschaft von Schildhauf und Fräulein Hüsch, und obwohl Lotte mit sehr vielem unzufrieden zu sein pflegte, wurde sie von den Herren nicht als Last, sondern als Anregung empfunden. Dieta lachte stets. Sie hatte eine Bewegung, die Locken aus dem Gesicht zu werfen, die hübsch war. Ihre weiße Haut und ihre roten Wangen brauchten keine Schminke. Wenn sie im hellblauen Wolltrikot über den Strand lief oder mit Rauschen und Getöse im seichten Wasser Schaum aufsprühen ließ, schauten viele nach ihrer mädchenhaften Gestalt, und Oskar Wichmann wußte, daß er selbst, braun gebrannt und schlank, nicht übel neben ihr aussah. Der freie Tag verlief mit Spielereien, und es folgten ihm Nächte mit langem Schlaf. Wenn Wichmann auf der Couch die Augen schloß, spürte er noch den feuchten frischen Duft, der über der sonnigen Seefläche gelegen hatte, und lächelte ein letztes Mal über das kindlich-hemmungslose Vergnügen, mit dem Dieta in Sonne und Wasser hineinsprang. Die Ausflüge kosteten nie viel. Das Mädchen war von einer erstaunlichen Kargheit in ihren Ansprüchen und fand es selbstverständlich, daß man sich des Abends trennte und Schildhauf mit seiner Partnerin allein in die gepflegten Seerestaurants gehen ließ, während Dieta mit Oskar noch am Ufer lag und Brühwürfel zum Brot abkochte. O wie schön, rief Dieta, wenn die Sonne unterging, o wie fein, wenn ihr Kamerad eine neue Tour vorschlug, o wie herrlich, wenn ihre Freundin aus dem Paddelklub ein größeres Boot und ein Zelt zur Verfügung stellte, in dem das Paar die Sternennacht eng aneinandergeschmiegt verbrachte. Wie ist das nett heute gewesen, sagte Dieta, als sie am vollbesetzten Strande Ball gespielt hatten und über schöne Körper und mißgewachsene Leiber gestolpert waren. Ach, das ist wunderbar! seufzte sie am verborgenen Fleck zwischen Weiden und Brennesseln, und sie fing an, weiße Muscheln zu sammeln.

Wichmann hatte Seen, Bäche und Flüsse mit ihr befahren. Nur zu dem einen See, um den er an einem Märztag allein gewandert war, hatte er sie nie geführt. »Wollen wir nicht einmal …?« fragte das Mädchen, aber als Oskar Wichmann ablehnte, war sie auch wieder zufrieden und musterte nur mit einem überraschten Blick sein Gesicht, dessen Ausdruck ihr auf einmal fremd erschienen sein mußte.

Es war, als ob der junge Mann einige tiefere Schichten seiner Seele verschlossen und zugemauert habe und Gras und Kräuter an der Oberfläche wachsen lasse, die ihn selbst und andere über das Darunterliegende wegtäuschten. Die Mitarbeiter nahmen seine Einkehr in die üblichen Bahnen eines jungen Beamtendaseins mit dem Wohlwollen der Herde hin, die jedem Stück ihre Gewohnheiten aufzwingt. Frau Lundheimer lächelte gerührt bei der Bemerkung, daß sie den träumerischen Assessor mit einem wirklich reizenden und frischen Mädchen auf dem Rang des großen Kinos gesehen habe. Casparius lud Dieta am verregneten Sonntag mit ein, und das Vergnügen der Drillinge an dem heiteren und hellen Mädchengesicht war so groß, daß Frau Anna Maria fast eifersüchtig wurde.

»O wie süß!« rief Dieta. »Nein, wie süß!«

Als die Sommerhitze den Asphalt der Kreuderstraße weich schmolz und die Sonntagspaddler weiße Mützen trugen, begann man in der ›Stillen Klause‹ von der Eifersucht des Kollegen Korts auf Lotte Hüsch zu sprechen. Der Gastraum mit den weißgedeckten Tischen und den kleinen Blumensträußen war dumpfig kühl hinter herabgelassenen Jalousien, der Hackbraten schmeckte einmal ein wenig übergangen, und der Konsum an Zitronenlimonade nahm zu. Korts stand häufig der perlende Schweiß auf der Stirn, wenn er fertig gegessen hatte. Er sprach wenig, und das wenige, was er sagte, klang unverbindlich. Vor seinem Arbeitseifer war trotz der entnervenden Wärme niemand sicher. Da ein weiteres Aufrücken für ihn vorläufig nicht in Frage kam, waren seine Gedanken und Empfindungen in der wesentlichen Richtung seines Daseins nicht beschäftigt und irrten um Frau und sachliche Arbeit. Die Kollegen warteten auf irgendeinen Ausbruch der angestauten Empörung gegenüber Lotte Hüsch, aber sie warteten vergeblich. Es gab nichts als gelegentliche spitze Reden. Fräulein Hüsch verbrachte das Wochenende weiterhin mit dem Regierungsrat Schildhauf. Das ›Ekel Pöschko‹ und der dem Assessor verhaßte August Nischan traten wenig in Erscheinung. Wichmann erfuhr an sich selbst, daß es möglich war, in Höflichkeit verkapselte Feindschaften lange Zeit herumzutragen. Nur selten, wenn er in den warmen Frühsommernächten zu dem wieder belaubten Ahornbaum hinüberschaute, dachte er an die Keller und Gräber seiner Seele und verachtete die Oberflächenform seiner neuen Lebensart. Diese Augenblicke gingen schnell vorüber. Er vermochte Marion jetzt zu sehen wie ein schönes Bild, wie eine Landschaft, versunken und bewundernd, aber geschieden und ohne Hoffnung der innigen Vereinigung. Es verging kein zum ›jour fix‹ bestimmter Donnerstag im Monat mehr, an dem Oskar Wichmann nicht der schon mit Gewohnheit empfangene Gast der Kreuderstraße 3 war. Er kannte die alten Herren, die sich einzufinden pflegten, er kannte die Dame mit dem Pagenkopf und Herrn Musa, von dem sie ihre salonbolschewistischen Ansichten bezog; er vermochte von jedem der jungen Diplomaten und von dem Regierungsrat Schildhauf im voraus zu sagen, welche Anschauung sie zu einem angeschnittenen Thema vorbringen würden. Es war wie ein eingeübtes Stück, das man einander immer wieder vorspielte. Lotte Hüsch erzählte gern, daß der betagte, aber lebenslustige Professor Bergschmidt, den sie im Hause Grevenhagen kennengelernt hatte, ein Landhaus am Ammersee besaß und daß sie diesen Besitz, der in der Zeitschrift »Die Dame« abgebildet worden war, im kommenden Urlaub besichtigen wolle.

Still, unberührt und unergründet stand Marion zwischen ihren Gästen, mit dunklem Haar und dunklen Augen. Nie verriet ein Blick oder eine Bewegung, daß zwischen ihr und Oskar Wichmann etwas anderes sein könne als Huldigung und die Gnade einer schönen Frau. Nichts rührte sich unter der Decke der Konvention, und die Flammen schienen ohne Nahrung erstickt.

Zwei Freunde

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