Читать книгу Palu, der Panda - Lothar Streblow - Страница 8
Fremde Gestalten
ОглавлениеSchneeflocken wirbelten aus grauen Wolken, verhüllten die Landschaft. Berge und Täler versanken unter einer dicken weißen Decke. Seit Tagen schon blieb die Sonne verborgen. Und selbst gegen Mittag drang nur ein trübes Dämmerlicht bis in die Höhlung des Baumstumpfs.
Palu gähnte schläfrig, wollte weiter dösen im warmen Dunst. Doch etwas störte ihn: ein bohrendes Hungergefühl. Sein kleiner Magen knurrte vernehmlich. Noch träge vom Schlaf wälzte er sich herum und suchte zwischen dem dichten Fell seiner Mutter nach Milch. Und er trank gierig.
Er brauchte lange, bis er satt wurde, brauchte jeden Tag mehr. Und seine Mutter hielt geduldig still. Kaum aber rollte er sich zufrieden zur Seite, um in ihren Armen weiterzuschlafen, schob sie ihn behutsam von sich weg und stand auf. Auch sie hatte Hunger, Und schmackhaftes Futter fand sie nur im nahen Bambusdickicht.
Unwirsch blinzelte Palu in den trüben Tag. Allein bleiben wollte er nicht. Mißmutig rappelte er sich auf und folgte seiner Mutter, tappte mühsam durch den tiefen Schnee. Diesen Weg kannte er schon.
Nur sah das Bambusdickicht heute ganz anders aus. Die Schneelast hatte den oberen Teil der Stengel niedergedrückt. So waren dschungelartige Gänge entstanden, dick überzogen mit verharschtem Schnee. Und ehe Palu herankam, verschwand die Pandabärin in einem der verschneiten Gänge.
Palu schnaufte. Bevor seine Mutter nicht satt war, würde sie nicht wieder herauskommen. Das wußte er inzwischen.
Sie futterte immer ungeheure Mengen. Und erkennen konnte er sie nicht. Ihr schwarzweißes Fell war eine gute Tarnung im Dämmerschatten zwischen Schnee und Bambus.
Schnuppernd senkte Palu seine Nase. Gerade wollte er den tief eingedrückten Spuren folgen, da hörte er ein eigenartiges Geräusch. Ein Stück entfernt am Rand des Bambusdickichts bewegte sich etwas, kaum erkennbar im Schneetreiben. Es war ein Schneehuhn, das hastig aufflatterte.
Neugierig beobachtete Palu den abstreichenden Vogel. Und unweit darunter im hohen Schnee entdeckte Palu noch etwas anderes, viel größeres. Und das sah bedrohlich aus.
Mit seinem plumpen, mit gelblichen langen Haaren dicht bewachsenen Körper und seinen kurzen Beinen wirte das massige Tier von hinten wie ein gewaltiger Bär. Aber es war kein Braunbär; die hielten Winterschlaf. Und als das fremdartige Tier seinen großen Kopf mit der Ramsnase ihm plötzlich zuwandte, erkannte Palu die beiden spitzen Hörner.
Es war ein Takin, ein alter, einzelgängerischer Takinbulle. Auch der Takin hatte den jungen Panda entdeckt.
Palu bekam einen mächtigen Schreck. Ein so riesiges Tier war ihm noch nie begegnet. Und er hatte keine Ahnung, daß der Takin sich auch nur für Bambus interessierte. So schnell Palu mit seinen kleinen Beinen in dem hohen Schnee laufen konnte, rannte er in das Bambusdickicht. Und erst als er seine Mutter gemächlich futternd zwischen dem Bambus sitzen sah, stoppte er seinen Lauf.
Schwer atmend setzte Palu sich neben sie, schmiegte sich an ihren weichen Pelz. Bei ihr fühlte er sich sicher. Immer wieder aber blickte er ängstlich zurück. Aber es war nichts zu erkennen. Und es war auch nichts zu hören. Das verschneite Bambusdickicht verschluckte jedes Geräusch von draußen. Und das behagliche Schmatzen seiner Mutter wirkte beruhigend.
Endlich schien die Bärin genug zu haben. Ohne große Eile erhob sie sich von ihrem Sitzplatz im Schnee, leckte sich sauber und danach Palu zärtlich über die Nase und stapfte auf ihrer Fährte zurück. Und Palu blieb dicht hinter ihr, suchte ihren Schutz. Er hatte immer noch Angst vor dem großen fremden Tier.
Als sie das Bambusdickicht verließen, blickte Palu furchtsam in die Richtung, wo er das mächtige gehörnte Wesen vorhin gesehen hatte. Doch der Takin war inzwischen ein Stück weiter gewandert; er stand halb verdeckt hinter einer kleinen, kahlen Birkengruppe nahe dem Bachufer. Und die Bärin lief wie üblich hinunter zum Bach.
Mit einem Mal hob sich im Schneetreiben ein dunkler Schatten ab. Der Takin trat hinter den Birken hervor und musterte mißtrauisch die beiden heranstapfenden Pandabären, beruhigte sich aber gleich wieder.
Auch die Bärin warf nur einen kurzen Blick auf die massige Gestalt und trottete unbeirrt weiter. Sie kannte den alten Takinbullen. Schon lange lebte er mit ihr im gleichen Revier, auch wenn sie sich selten begegneten. Sie störten einander nicht. Und Bambus gab es hier für beide genug.
Gemächlich zogen die beiden Pandabären an dem Takin vorbei. Jetzt begriff Palu, daß von dem fremden Tier keine Gefahr drohte. Und andere Gefahren kannte er noch nicht, außer dem kalten Wasser am Bach. Doch diesmal verhielt Palu sich vorsichtiger.
Kaum spürte er unter der frischen Schneedecke die vereisten Steine, blieb er stehen. Aus sicherem Abstand sah er zu, wie seine Mutter rutschend und schlitternd über das eisglatte Ufer tappte. Und als sie mit den Vorderpfoten ins Wasser platschte und Palu ein paar Spritzer abbekam, zog er sich unwirsch quiekend einige Schritte zurück.
Mit einem Schnaufer setzte er sich in den Schnee und wartete. Sein kleiner Magen knurrte. Und die scharfe Schneeluft machte Durst. Aber Palu wußte inzwischen: Milch gab es erst wieder in der Baumhöhle.