Читать книгу Robbi, der Heuler vom Wattenmeer - Lothar Streblow - Страница 10
Gefährliche Gesellschaft
ОглавлениеIn den folgenden Tagen ließ die Mutter Robbi immer öfter allein auf der Sandbank, allerdings nur für kurze Zeit. Er wußte ja, was er durfte und was nicht. Er sollte sich ausruhen und sonnen, weil Sonnenbäder sehr wichtig waren für seine Gesundheit.
Eigentlich hatte Robbi auch nichts dagegen. Jagen brauchte er ja noch nicht. Und seine Milchquelle kam immer pünktlich zu ihm. So konnte er sich Faulheit leisten. Nur zu lange durfte es nicht dauern.
An diesem Tag aber dauerte es lange, für Robbi viel zu lange. Die Sonne schien warm, und der laue Wind wehte ihm kleine Sandkörnchen ins Gesicht. Nur fern über der See stand eine dicke schwarze Wolkenwand. Die Köpfe der Seehunde im Priel waren weit fort. Und sie entfernten sich immer weiter. Auch die anderen Seehunde waren nicht zu sehen, keiner lag mehr auf der Sandbank.
Das beunruhigte Robbi. So was war noch nie passiert. Alleinsein mochte er gar nicht. Einsamkeit war überhaupt das Schlimmste für einen kleinen Seehund. Und Robbi war ja noch ein Baby. Traurig blickten seine großen Augen über den leeren Sand, wo nur ein paar aufgeregte Möwen kreischten.
Robbi wußte noch nicht, daß ihre schrillen Schreie ein Warnsignal bedeuteten. Ein Klagelaut drang aus seiner Kehle. Dann heulte er, daß es weithin übers Watt schallte. Und er hörte nicht auf mit Heulen. Doch seine Mutter kam nicht zurück.
Dafür kam etwas anderes: etwas, das Robbi noch nie gesehen hatte. Von weitem sah das Ding aus wie ein großer weißer Vogel. Und es flatterte auch ein wenig, nur sehr sonderbar. Es kam immer näher, kam den Priel heraufgeschwommen und stieß knirschend gegen die Sandbank, auf der Robbi lag. Er wunderte sich. Es war wohl doch kein Vogel.
Plötzlich ließ das seltsame Ding knatternd seinen großen weißen Flügel fallen. Nun lag es ganz nackt da. Etwas Hartes scheuerte über den nassen Sand. Fremdartige, langbeinige Gestalten sprangen heraus, bewegten sich langsam auf Robbi zu, blieben dann aber stehen. Und Robbi hörte Stimmen, fremde, sehr eigenartige Stimmen, die er nicht verstand.
„Es ist ein Heuler“, sagte eine tiefe Stimme. „Ein echter Heuler. Sonst läge er nicht so allein auf der Sandbank.“
„Das habe ich schon von weitem gehört“, erwiderte eine forsche Knabenstimme. „Aber ihr wolltet mir ja erst nicht glauben.“
„Stimmt“, sagte die tiefe Stimme wieder. „Ich habe das anfangs für einen Witz gehalten.“
„Das ist aber ein niedlicher Witz“, mischte sich jetzt eine helle, freundliche Stimme ein. „Ganz entzückend! Die großen Augen! Und der Mund sieht aus, als ob er lachte. Ein süßes Tierchen. So richtig zum Liebhaben.“
„Und solche süßen Tierchen hat man hier noch vor kurzer Zeit abgeschossen!“ sagte die forsche Knabenstim me.
„Werdet nicht sentimental“, brummte der Mann mit der tiefen Stimme. „Laßt uns lieber überlegen, was wir jetzt machen.“
„Mitnehmen natürlich!“ forderte die forsche Stimme. „Heuler soll man in der Seehundstation abliefern.“
„Das sagst du so leicht“, knurrte der Mann ärgerlich. „Diese süßen Tierchen haben ein ziemlich scharfes Gebiß. Damit können sie schon recht kräftig zuschnappen. Und ich habe keine Lust, mich beißen zu lassen.“
„Dann hätten wir gar nicht erst herfahren sollen“, wandte die Frau mit der hellen Stimme ein. „Ich habe euch doch auf der Karte deutlich gezeigt, daß wir hier im Seehundschutzgebiet sind.“
„Eben!“ sagte die forsche Knabenstimme heftig. „Ich wollte aber mal einen Seehund draußen im Meer sehen. Und unser Segelboot macht keinen Krach.“
„Außerdem hat er tatsächlich geheult“, bestätigte der Mann.
„Wahrscheinlich haben wir ihn durch unsere Herumkurverei im Schutzgebiet erst zum Heuler gemacht!“ sagte die Frau gar nicht mehr freundlich. „Sicher haben wir dadurch seine Mutter verscheucht. Und auch die anderen Seehunde. Einige haben wir ja von fern im Wasser gesehen. Nur der Kleine konnte noch nicht folgen. Aber ihr wolltet ja nicht auf mich hören.“
„Hmmm“, räusperte sich die forsche Knabenstimme ziemlich bedrückt. „Daran habe ich natürlich nicht gedacht. Und was nun?“
„Ich weiß nicht“, murmelte der Mann. „Viel Zeit haben wir ohnehin nicht mehr. Das Gewitter kommt immer näher. Und das möchte ich nicht auf See erleben.“
„Dann laß uns schnell heimfahren“, sagte die Knabenstimme ängstlich.
„Na gut“, erklärte die helle Frauenstimme. „Das scheint mir jetzt auch das beste zu sein. Auf jeden Fall aber müssen wir den Heulerfund melden; das Kleine muß gerettet werden. Ohne seine Mutter würde es hier draußen verhungern. Und wir wären schuld an seinem Tod.“
Aber die tiefe Stimme schnaubte wütend: „Das hätte mir gerade noch gefehlt! Damit wir noch im nachhinein eine Strafanzeige bekommen. Doch jetzt los ins Boot!“
Robbi sah, wie die fremdartig langbeinigen Gestalten in das seltsame Ding kletterten und mit dem großen weißen Flügel davonfuhren. Und er war sehr traurig. Er hätte gern ein wenig mit ihnen gespielt. Dann wäre er nicht mehr so einsam gewesen. Jetzt aber war er wieder allein auf der leeren Sandbank. Und er heulte seinen Kummer weit hinaus übers Meer.