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Robbi und das Meer

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Die Flut kam, langsam, aber unaufhaltsam. Erst waren es nur winzig kleine Rinnsale, die in den Prielen strandwärts trieben, das weitverzweigte Adernetz mählich mit Wasser füllten. Dann begann es zu strömen, immer breiter werdend. Noch lagen die Sandbänke trocken. Aber das Wasser stieg weiter. Da und dort leckte es schon über die sandigen Ränder.

Robbi sah auf. Ein leises Erschrecken spiegelte sich in seinen großen Augen. Das war wieder etwas Neues, Unbekanntes. Und es drang auf ihn ein. Einzelne flache Wellen näßten sein Fell. Es wurde kühl an seinem kleinen Bauch. Unbeholfen platschte Robbi mit seinen winzigen Vorderflossen. Wasser spritzte ihm ins Gesicht und perlte von seinem Schnurrbart.

Beunruhigt blickte er zu seiner Mutter hinüber. Aber sie rührte sich nicht, sah ihn nur aufmerksam an, während die Wellen um ihren massigen Körper schwappten. Sie schien das alles nicht zu stören. Robbi beruhigte sich wieder.

Doch dann wurde es ihm unheimlich. Plötzlich spürte er keinen Sand mehr unter seinem Bauch. Sein kleiner Körper sank hilflos ab. Luftblasen stiegen gurgelnd auf. Und eine Welle klatschte über seinen Kopf.

Als er auftauchte, stieß seine Mutter ihn mit der Flosse erneut unter Wasser. Er kam hoch, schnappte verzweifelt nach Luft, versuchte sein Köpfchen über Wasser zu halten und ruderte instinktiv mit den Flossen. Und wieder bekam er einen leichten Flossenschlag, der ihn unter Wasser drückte – immer wieder. Robbi bekam panische Angst. Doch jedesmal unterstützte ihn seine Mutter rechtzeitig, damit er genug Luft holen konnte. So lernte Robbi schwimmen, auf eine etwas rabiate Weise. Doch das war notwendig, denn es mußte ja schnell gehen, damit er in der auflaufenden Flut nicht ertrank.

Und es gelang. Robbi schwamm. Zwar noch unbeholfen, aber er schwamm: zum ersten Mal in seinem Leben, schwamm auf den sanft schaukelnden Wellen. Es war ein seltsames Gefühl, und noch machte es ihm keinen Spaß.

Jetzt war auch seine Mutter dicht bei ihm, glitt neben ihm vorbei in das tiefere Wasser des Priels und schob sich unter seinen kleinen Körper. Und Robbi folgte ihr, ganz nah über ihrem Rücken und klammerte sich mit seinen winzigen Vorderflossen an ihr fest. So fühlte er sich sicherer. Und auch die anderen Seehunde kamen. Das Rudel blieb zusammen und schwamm gemeinsam der Flut entgegen.

Robbi beobachtete sie. Und er sah, wie ihre runden, dunklen Köpfe plötzlich im Wasser verschwanden und an anderer Stelle wieder auftauchten, nun ein zappelndes Etwas zwischen den Zähnen haltend. Nach der langen Ruhepause im Watt gingen die Seehunde auf Jagd nach Fisch.

Nur Robbis Mutter jagte nicht. Sie wachte über ihr Junges, ließ es keinen Moment aus den Augen. Erst wenn es etwas selbständiger geworden war, würde sie es für kurze Jagdausflüge allein lassen. So lange lebte sie von ihrer Speckschicht. Doch das alles wußte Robbi noch nicht.

Inzwischen war die Sonne hinter den Wolkenbänken hervorgekommen. Das Wasser schimmerte hell über dem sandigen Meeresboden. Robbi wurde neugierig. Er sah nach unten, spürte, wie die Wellen über seinem Kopf zusammenschlugen. Und er bemerkte, daß er unter Wasser viel besser sehen konnte als draußen. Schatten glitten unter ihm hinweg und seltsame Tiere. Er hätte gern damit gespielt, aber noch traute er sich nicht. Alles war so fremd. Und er brauchte die Nähe seiner Mutter.

Plötzlich verfing sich etwas in seinem Bart, klebte ihm an der kleinen Schnauze. Robbi erschrak. Aber es war nur ein abgerissenes Stückchen Blasentang. Und die nächste Welle bereits spülte es weg. Seine Schnauze kam frei. Er hatte wieder eine neue Erfahrung gemacht.

Robbi lernte noch eine ganze Menge an diesem ersten Tag. Er lernte, daß es große Wellen gab und kleine, daß man nur außerhalb des Wassers Luft holen konnte und daß man sehr vielen verschiedenartigen Dingen im Meer begegnete: lebendigen, die ihm auswichen, und anderen, denen man ausweichen mußte.

Diese Erfahrung war ein wenig schmerzhaft. Als Robbi wieder einmal einen Wellenkamm durchteilte, stieß er mit dem Kopf gegen etwas längliches Durchsichtiges. Das war sehr hart. Und es tat weh über seinem rechten Auge. Es war eine treibende Glasflasche. Und sie trieb achtlos weiter. Robbi sah ihr nach; dieses Ding mochte er gar nicht.

Stunden schon schwamm Robbi, festgeklammert auf dem Rücken seiner Mutter, durch die endlosen Weiten des Meeres. Ein paarmal rutschte er von ihrem naßglatten Fell ab, wenn er sich gegen den Druck einer größeren Welle nicht halten konnte. Dann mußte er selber schwimmen, zappelnd und noch ein wenig ängstlich. Doch seine Mutter hielt sofort an, wandte ihm ihren Kopf zu. Tröstend und zärtlich rieb sie ihre Nase an der seinen und ließ ihn dann wieder aufreiten. Erst wenn er Halt gefunden hatte, schwamm sie weiter.

Allmählich spürte Robbi ein beunruhigendes Gefühl in seinem Bauch. Sein Magen knurrte vor Hunger. Und er wollte trinken. Aber er sah keine Möglichkeit, an seine mütterliche Milchquelle zu kommen. Überall war nur Wasser, wellenbewegtes, endloses Wasser. Und darüber gleitende Wolken vor einem blaßblauen Himmel. Nirgendwo zeigte sich Land, nirgendwo eine trockene Sandbank für eine nahrhafte Rast.

Robbi mußte schwimmen, mit knurrendem Magen, immer weiter schwimmen. Und er wurde müde.

Robbi, der Heuler vom Wattenmeer

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