Читать книгу Robbi, der Heuler vom Wattenmeer - Lothar Streblow - Страница 11
Gewitter
ОглавлениеDer Wind hatte aufgefrischt; kühl strich er um Robbis Flanken. Inzwischen waren die Möwen mit wüstem Geflatter zurückgekehrt und pickten hastig nach allerlei Gewürm. Sie trösteten Robbi nicht. Er heulte noch immer, ohne Unterlaß. Und er bemerkte nicht, wie der Himmel sich allmählich veränderte. Blauschwarze Wolken türmten sich zu finsteren Gebirgen und schoben sich mehr und mehr vor die Sonne. Es wurde dämmerig. Aus der Ferne tönte ein dumpfes Grollen.
Robbi hob vorsichtig den Kopf und schnupperte mit seiner kleinen Nase in den Wind, der ihm Sandfahnen ins Gesicht wehte. Aber sonst war da nichts. Nur eine große Strandkrabbe strebte eilig dem nahen Priel zu und verschwand darin. Robbi sah, daß das Wasser stieg und schon die Prallhänge netzte. Und das Wasser war unruhig. Die Wellen im Priel trugen winzige Schaumkronen. Bald würde die Flut kommen und das Watt überspülen. Und Robbi war noch immer allein.
Plötzlich zerriß ein langhallendes Dröhnen die Stille des Watts. Robbi sah sich erschrocken um und blickte seewärts. Gewitter kannte er noch nicht, diesen unheimlichen Lärm. Eine Böe peitschte ihm seinen Schnurrbart um die Wangen. Dann schlug etwas anderes auf ihn ein. Dicke Regentropfen trommelten auf sein Fell, zerplatzten auf seiner Nase und spritzten ihm in die Augen.
Aber es wurde noch schlimmer. Ein wahrer Wolkenbruch ergoß sich über seinen kleinen Körper, rann in aufschäumenden Rinnsalen über den Sand.
Wasser von oben war neu für Robbi. Sein Fell troff vor Nässe. Er fand Regen scheußlich, und er wäre gern ins Wasser geflüchtet. Doch er traute sich nicht. Ein unwirklich gelbliches Licht faserte durch die treibenden Wolkenfetzen, Blitze zuckten grell über die aufgewühlten Wasser des Priels und das im Regen bleigrau wogende Meer. Robbi duckte sich instinktiv auf die Sandbank. Der endlos rollende Donner machte ihm Angst. Robbi heulte laut auf. Und für Augenblicke übertönte sein Geheul die Gewalt des Unwetters.
Inzwischen war er völlig durchnäßt. Wie ein winziges, pitschnasses Häufchen Elend lag er flach im Sand, kaum sichtbar im strömenden Regen. Rings um ihn rauschte und gurgelte das Wasser, mischte sich schon mit überschlagenden Wellen. Und Robbi heulte verzweifelt in die tobenden Elemente.
Dann sah er durch die windgepeitschten Regenschleier etwas Dunkles auf den gischtsprühenden Wogen. Ein runder Kopf teilte die schäumenden Wasser, kam näher und näher. Dann robbte ein massiger Körper spritzend über die schon handbreit überflutete Sandbank direkt auf ihn zu.
Es war Robbis Mutter. Gewitter machten ihr nichts aus; das kannte sie. Liebevoll stupste sie ihr Kind vor die Nase, immer wieder. Robbi war glücklich, seine Mutter wieder bei sich zu haben. Jetzt hatte er keine Angst mehr. Wohlig genoß er das zärtliche Tätscheln ihrer Flossen.
Er hatte noch einmal Glück gehabt. Durch das Gewitter waren die fremden Eindringlinge rechtzeitig von der Sandbank verscheucht worden. Seine Mutter, die, wie alle erfahrenen Seehunde, Boote von Robbenfängern und Touristenboote genau unterscheiden konnte, hatte sich in der Nähe aufgehalten und sein Heulen gehört. Sie wußte also, daß er noch auf der Sandbank lag. Und sie hatte das Segelboot davonfahren und die Möwen zurückkehren sehen, die ihr und dem Seehundrudel durch ihr Warngeschrei vorhin die Gefahr längst signalisiert hatten. So hatte sie Robbi noch rechtzeitig erreichen können, bevor die auflaufende Flut ihn hilflos abgetrieben hätte.
Robbi hatte wirklich Glück gehabt, ein für Robbenbabys seltenes Glück. Unter den wachsamen Augen seiner Mutter schwamm er nun mit ihr der Flut entgegen.