Читать книгу Auf den Punkt gebracht - Lotte Tobisch - Страница 28
Neues aus der Versuchsstation
ОглавлениеÖsterreich ist eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält.« Nicht nur wir, sondern auch Brüssel-Europa sollte sich dieses Wort Hebbels zu Herzen nehmen und am Desaster unserer letzten Wahlen erkennen, was bevorsteht, wenn sinnvolle Verbindungen zu Ringkämpfen um Machtpositionen missbraucht werden. Hier wurde schonungslos aufgezeigt, mit welcher Geschwindigkeit eine ehedem erfolgreiche Verbindung durch eine realitätsverweigernde Entwicklung über Nacht zertrümmert werden kann.
Es wäre nicht Österreich, wenn nicht, trotz des Debakels mit Zwangsrücktritt des Kanzlers, Reparaturversuche zum Weiterwurschteln unternommen würden. Darum können wir wohl getrost weiterhin, wenn schon nicht auf Neues, so doch auf die jährlich wiederkehrende Lawine von frisch erfundenen Reglementierungen etc. zum Zuschütten von Privatinitiativen hoffen. In Anbetracht der bedenklichen Wirtschaftslage, der zornigen jungen und der resignierenden alten Wähler, die sogar ihren geliebten Ex-Sozialminister mit seinen vergissmeinnichtblauen Augen nur noch auslachen, kann man nur beten, dass bald etwas geschieht, damit nichts Undenkbares passiert. Oder sollten wir wieder einmal die Versuchsstation für den Weltuntergang werden?
Österreich ist ein schönes, kleines Land mit weniger schönen, großen Problemen. Diese Dualität spiegelt sich seit Generationen im täglich wahrnehmbaren Zwiespalt zwischen Minderwertigkeitsgefühlen und Größenwahn. Mit Adolf Hitlers historischem Auftritt im 20. Jahrhundert bekam die Welt auf tragischste Weise die Auswirkungen dieser neurotischen Doppelgleisigkeit zu spüren. Doch ohne sie wäre derselben Welt der Heil bringende Ansatz von Sigmund Freuds Lehre entgangen. Österreich − ein kleines Land, das große Schatten wirft.
Um die in diesem psychisch instabilen Humus keimende Unerträglichkeit des Seins zu überwinden, entdeckte der Österreicher die Kunst als Mittel zum Verdrängen und Vergessen und förderte sie von Habsburg bis Heller mit derselben neurotischen Konsequenz, die ihn einst in ihre Arme trieb. Durch sie, die Holde, wurde das im wilden Kreis des Lebens umstrickte Österreich in eine »bessre Welt entrückt«.
Eine »Welt«, in der die weltoffene Gastfreundschaft mit spürbarer Reserviertheit gegenüber Gästen ihre kunstvoll zelebrierte Widersprüchlichkeit fand, galt und gilt es doch, diese »Insel der Seligen« argwöhnisch zu verteidigen.
Die österreichische Mischung von Genialem mit Banalem ist im Positiven wie im Negativen hochdramatisch, demzufolge der stets auf sich bedachte Österreicher eine Hochkultur des Genießens schuf, in der belastende Probleme mit Vorliebe nicht beizeiten gelöst, sondern aus der Not im letzten Augenblick »bewältigt« wurden und werden.
Dies in letzter Minute oft gewaltsame Bewältigenmüssen hat allerdings auch einen gesellschaftlich hohen Preis.