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Ein Kind als Möbelstück
ОглавлениеAls sie einander liebten, wollten sie beide ihn haben. Und das blieb auch so, als ihnen die Liebe verkümmerte und sie sich trennten. Jeder erhob Anspruch auf ihn. Aus Mutterliebe zum Fünfjährigen, sagte sie, und er: aus Vaterliebe. Man begann zu streiten, immer erbitterter, wie um ein Familienerbstück. Und einmal nahm der Vater bei einem Besuch das »Streitobjekt« einfach mit in seine italienische Heimat. Das war vor mehr als vier Jahren, und seither wurde prozessiert, bis jetzt endlich Recht gesprochen wurde. Dazu lese ich: »Die Mutterliebe hat gesiegt.«
Es wird also ein kleiner Bub von knapp zehn Jahren zurückkommen in die alte, fremde Heimat. Allein und ohne seine Freunde, seine Lehrer, ohne die gewohnte Umgebung und Sprache. Im Vorschulalter dorthin gebracht und gleich in die Schulpflicht integriert, schaffte er es, zu vergessen, ein neues Zuhause zu finden. Aber jetzt? Ein Schulkind, das mit dem Lesen und Schreiben auch begonnen hat, Erlebtes zu reflektieren? Die ohne Rücksicht auf Verluste sich durchsetzende sogenannte Mutterund Vaterliebe sind Wegbereiter für falsche Heilsverführer, die sich den Kindern als Fels in der Brandung anbieten. Bei Goethe gibt’s den schönen Satz im Tasso: »So klammert sich der Schiffer endlich noch am Felsen fest, an dem er scheitern sollte.«
Am Anfang einer in Liebe geschlossenen Partnerschaft steht das Wörtchen Ja. Dabei kommt es nicht so sehr auf gesellschaftlich Tradiertes und Normiertes an, sondern auf die dem Partner versprochene Bereitschaft, Glück und Unglück im Rahmen einer Lebensgemeinschaft zu teilen. Wer diese Entscheidungsfrage mit einem Ja beantwortet, entscheidet sich gegen das Nein. Das heißt, dass dem Nein durch das Ja kein Einlass in diese Gemeinschaft gewährt wird beziehungsweise gewährt werden sollte.
Denn das Ja gilt nicht nur für den Partner, sondern im gleichen Maße für einer Partnerschaft entstammende Kinder. Und die sind bei einer Trennung der Eltern die wahren Verlierer des Zerbrochenen.
Daraus können prägende Verletzungen entstehen, die in Aggressivität, Angst, Depression und Trotz zum Ausdruck kommen. Nicht selten wird im Rahmen eines sozialen Sichzurückziehens auch das Lernen verweigert oder die Schule gar abgebrochen.
Kinder möchten nicht als dritte Streitpartei missbraucht werden, sie möchten, dass man mit ihnen offen und vor allem ehrlich spricht, dass Richtlinien miteinander vereinbart und eingehalten werden und dass ihr Bedürfnis nach Liebe und Geborgenheit erfüllt wird. Was sie keinesfalls benötigen, ist ein Genderstreit zwischen Vater und Mutter über die sozialpolitisch wichtigere Person für die Erziehung der noch Unmündigen.
Kinder möchten von Vater und Mutter ehrlich und im gleichen Maße geliebt werden, um ihre Liebe loyal erwidern zu können. Wer das unterbindet, hat von der Liebe eines Kindes nichts verstanden.