Читать книгу Auf den Punkt gebracht - Lotte Tobisch - Страница 13
Wir hetzen der Freizeit hinterher
ОглавлениеEs ist so weit: Demnächst wird unser liebstes Spielzeug, das Automobil, das Versprechen seines Namens, auto-mobil, endlich einlösen. Wie uns schon jetzt die Waschmaschine, der Geschirrspüler, der Rechner und die gesamte Internetpalette das Selbstarbeiten und -denken ersparen, so wird demnächst das Lenken beim Autofahren ebenfalls obsolet sein − und dem Lenker damit zusätzliche Freizeit beschert werden.
»Die Zeit, die ist ein sonderbar’ Ding«, stellt die Marschallin im Rosenkavalier fest. »Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar nichts. Aber dann, auf einmal, da spürt man nichts als sie.« Und so ist es auch. Denn je mehr Zeit die Menschen für sich zur Verfügung haben, desto mehr geht sie ihnen ab, hetzen sie ihr hinterher, bis zur Erschöpfung. Und falls sie dann doch einmal einen Zipfel der davongelaufenen Zeit zu fassen bekommen, müssen sie erkennen, dass es nicht ihre Freizeit ist, der sie nachgehetzt sind, sondern dass diese längst vom professionellen Freizeitnutzungswirtschaftssystem geschluckt wurde, dessen Daseinszweck und Zauberwort »Shoppengehen« heißt. Wie sagt die Marschallin am Schluss des Monologs? »Und man ist dazu da, dass man sie erträgt.« Doch in dem Wie liegt der ganze Unterschied.
Wäre es nicht paradox, wenn man die in Gang gesetzte Automatisierung aller Lebensbereiche nach Lust und Laune entautomatisieren könnte? Lassen sich selbstständig handelnde Systeme und Maschinen so mir nichts dir nichts vom Menschen ins Handwerk pfuschen, hat doch dieser ihnen die Lösung seiner Aufgaben und Probleme auf Gedeih und Verderb überantwortet? Was ist dagegen zu sagen, wenn sich die mittlerweile sich vertausendfachenden Windräder über den Feldern und Gewässern unermüdlich und vor allem selbstständig in den Wind drehen?
Eigentlich nichts, außer dass einem beim Stellen dieser Fragen ein wenig mulmig wird. Es könnte sein, dass die selbst denkenden Automaten in einer unmittelbaren Zukunft nicht so freiwillig wie wir auf die Freiheit ihrer Selbstbestimmung verzichten werden. Oder hat der von Automatismen umgebene Mensch vergessen, was uns die Kunst bereits zu Beginn der Automatisierung gelehrt hat? Man denke an Goethes Zauberlehrling, der den harmlos dienlichen Besen zum nicht mehr gehorchenden Automaten verfremdet.
Ein Vierteljahrhundert nach Entstehung dieses epochalen Werkes über Segen und Fluch der für den Menschen arbeitenden Automaten schuf der Pädagoge Friedrich Fröbel die Wortkomposition »Freizeit«. Sie bezeichnete jene selbst zu gestaltende Zeit, die er den ihm anvertrauten Zöglingen aus pädagogischer Einsicht »zur Anwendung nach ihren persönlichen und individuellen Bedürfnissen« freigab − eine Befreiung von Auferlegtem zum Zwecke autonomer Entfaltung. Jene Voraussetzung, um den von uns geschaffenen Automaten der Zukunft die Stirn bieten zu können.