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Denken sollte Pflichtfach werden

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In einer funktionierenden Demokratie ist es erlaubt, alles zu tun, zu lassen, zu schreiben und öffentlich zu denken, was nicht per Gesetz verboten ist. Das lernt man schon in der Schule, und das ist gut so. Weniger gut ist, dass man – wie Figura zeigt – nicht gleichzeitig lernt, dass man nicht alles, was erlaubt ist, auch machen soll und darf. Denn für die Folgen ist im Sinne des Soziologen Max Weber nicht die Gesinnungsethik zuständig, sondern die Verantwortungsethik.

Die Schulverantwortlichen aller Länder sollten raschestens zur Kenntnis nehmen, dass die großen Probleme auf der Welt weder via iPhone mit zweimal Tastendrücken noch mit spektakulären Provokationen lösbarer werden, sondern nach wie vor über den mühevollen Weg des verantwortlichen Denkens. Und wir hier im Lande sollten schleunigst mit dem 40-jährigen parteigesteuerten Schulversuchsgerangel und der Massenproduktion von identischen Schulkinderversuchskaninchen aufhören. Als neues Pflichtfach sollte vielmehr selbstständiges Denken mit den Sparten Nachdenken, Bedenken, Überdenken in den Lehrplan aufgenommen werden. Anderenfalls werden die ständig beschworenen Begriffe Menschenwürde, Toleranz, Respekt und das ach so christliche Abendland endgültig zu sinnentleerten Mantras verkommen.

Menschen haben zu allen Zeiten über das Denken nachgedacht. Für Buddhisten ist der Mensch das, was er denkt, da seine Gedanken die Farbpalette seines Weltbilds sind. Die Farben, welche ihm zur Verfügung stehen, werden maßgeblich von subjektiv-kulturellen Traditionen bestimmt. Wie bereits die den Buddhismus ergänzende Lehre des Konfuzianismus erkannte, ist Lernen, ohne zu denken, eitel, und Denken, ohne zu lernen, gefährlich.

Und da es in der Zivilisation darum geht, das im Menschen schlummernde Gefährliche zum Wohl der Gemeinschaft zu überwinden, förderte man im antiken Griechenland die »Liebe zur Weisheit« mit einer neuen Disziplin: der Philosophie. Mit ihr erhoffte der Mensch seine Existenz nicht nur zu deuten, sondern sie zu verstehen. Der Humus für den bis heute keimenden Samen des systematisch strukturierten Denkens.

Spätestens damit wurde dem denkenden Menschen klar, dass das methodisch betriebene Denken zwar eine Reflexion über vieles ermöglicht, aber dass diese Fülle an Erkenntnis oft der Gesundheit nicht zuträglich ist. Denken, wie George Steiner postuliert, macht traurig. Wie schon Aristoteles erkannte, hat das in den Akademien gelehrte Denken für sich allein keine Wirkung. Die für ihn daraus zu ziehende traurige Erkenntnis war, dass Denken und Sein von einem unüberwindlichen Widerspruch bestimmt werden. Womit die altjüdische Melancholie über die Vertreibung aus dem Paradies und den anhaltenden Versuch, in dieses wieder Einlass zu finden, ihre abendländische Prägung fand.

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