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So werden wir entmündigt

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Nun endlich wissen wir es: Es ist wissenschaftlich belegt, dass weder die Pommes noch die Gummibärli noch die für die ganze Familie nachgewiesenermaßen gesunde Kindermilchschnitte als Zwischendurchgenuss beim Fernsehfußballmatch dran schuld sind, dass viele Jugendliche und ihre Eltern immer fetter werden. Auch die gewohnten Biohühnerriesenburger für die Hauptmahlzeit haben nichts mit dem Übergewicht der ebenfalls wissenschaftlich nachgewiesenen 44 Prozent übergewichtiger Mitbürger in unseren Breitengraden zu tun. Denn nun ist endlich auch wissenschaftlich belegt, dass die Gewichtsentwicklung eines Menschen mehr oder weniger von der Qualität seiner Gene bestimmt wird.

Also wird dem Problem wohl nur mit einer neuen Antifettsuchtpille beizukommen sein, zumal der Erfolg der veralteten, mühsamen Abspeckmethode »Friss die Hälfte« nicht mehr eindeutig wissenschaftlich nachgewiesen werden konnte. Wenn man seinen Gedanken freien Lauf lässt, kann man in der Entschlüsselung des Fett-Gens wieder einmal eine effiziente Methode zur totalen Entmündigung der Menschen sehen. Cui bono? (Wem zum Vorteil?)

Es gilt selbstverständlich wie immer die Unschuldsvermutung.

»Da steh ich nun, ich armer Tor!/Und bin so klug als wie zuvor«. Diese geflügelten Worte am Beginn von Goethes Faust gewinnen im Alter an Bedeutung, zieht doch jede neue Erkenntnis eine Schleppe an Fragen nach sich, die nicht zu beantworten sind. Auch nicht, wenn man, wie ich, 90 und mehr Jahre geschenkt bekommt. Spätestens dann wird einem klar, dass die in der Kindheit hoffnungsvoll begonnene Suche nach dem Wie und Warum kein Ende nimmt. Wir müssen vorliebnehmen mit dem, was uns das Leben zukommen lässt: jene Gesamtheit aller Eindrücke, die das Alter von der Jugend trennt.

Aber während Lebenserfahrung auf subjektivem Wissen beruht, schaut ja das aufgeklärte Objektive zumeist verachtungsvoll auf das aufklärungsunwürdige Subjektive herab. Vor allem, wenn eine neu veröffentlichte Studie das bisher Geglaubte widerlegt.

Nun möchte ich keinen Zweifel daran lassen, dass die Wissenschaft der Menschheit viel Glück und Segen beschert hat. Doch dort, wo sich eine Weltanschauung selbst zu feiern beginnt, ist es mit der Objektivität schnell vorbei, und noch schneller, wenn Geld und Macht mitbestimmende Faktoren sind. Wissenschaft als Geschäft verstärkt die Neigung, eigene »Ergebnisse« schönzureden.

Daher plädiere ich für einen wohlüberlegten Umgang mit neuen wissenschaftlichen Studien. Doch Vorsicht scheint mir auch hier geboten, sind ja diese Studien nichts anderes als Grundlagen für weitere Studien. Wissenschaftlich haltbare Beweise habe ich dafür keine, doch rät mir meine über 90-jährige Lebenserfahrung dazu − und mit der bin ich bisher recht gut gefahren.

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