Читать книгу Auf den Punkt gebracht - Lotte Tobisch - Страница 11
Nachlese zum Wahlkampf
ОглавлениеMerkt wirklich niemand, dass die viel beschworene westlich-abendländische Kultur viel mehr von innen als von außen bedroht ist? Glaubt wirklich noch jemand, dass sie mit Zäunen gerettet werden kann? Es braucht wahrlich keine gelehrten Betrachtungen, sondern nur ein bewusstes Zuhören und Hinschauen, um zu sehen, wie die einfachsten Regeln für ein leidliches Funktionieren des Zusammenlebens während der letzten Jahre total zerbröselt sind.
So ist die Gedanken- und Redefreiheit des Andersdenkenden zu einem Mörderangriff mutiert, der im politischen Alltag mit Hass, Wut und Niedertracht in Trump-Höhe bekämpft werden darf. Ein Vorbild für den neuen Common Sense im Umgang miteinander. Und die EU? Was macht sie? Sie wackelt hin und her wie ein Schlafwandler auf dem Dachfirst zwischen Brexit und Exit-Drohungen, zwischen Ölkartellen und Gurkenkrümmung und dem Versuch, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. »Nicht Skythen und Chazaren bedrohen unsre Zeit, nicht fremde Völker: Aus eignem Schoß ringt los sich der Barbar, der ohne Zügel alles Große herabstürzt von der Höhe, die es schützt, zur Oberfläche eigener Gemeinheit.« (Grillparzer, gekürzt)
Dass ausgerechnet die seit 1951 13. [!] Direktwahl eines österreichischen Staatsoberhauptes durch das Bundesvolk derart in die Hosen gehen konnte, wie sie 2016 im In- und Ausland wahrgenommen wurde, könnte einen wirklich abergläubisch machen. Über sieben Monate Wahlkampf waren vonnöten, bis Alexander Van der Bellen diesen Spießrutenlauf für das höchste Amt im Staat für sich entscheiden konnte. Das hatte so manches Erfreuliche, aber auch Unerfreuliches zur Folge. Da fiel es mir schwer, nicht an den von Oswald Spengler vorhergesagten Untergang des Abendlandes zu denken.
Mit dem Denken fällt mir immer wieder sogar etwas »Denkwürdiges« ein. Zum Beispiel jene prophetischen Worte Grillparzers in seinem Historiendrama Ein Bruderzwist in Habsburg, die darauf hinweisen, dass Gesellschaftsordnungen eher durch innere Schwächen als durch äußere Bedrohungen gefährdet sind.
Warum das immer so war und immer so sein wird, ist schwer zu sagen. Vielleicht hat es damit zu tun, dass der Mensch von außen kommende Schicksalsschläge leichter erträgt als selbst verschuldetes Leid, da er den Gedanken der Mitverantwortlichkeit für das, was um ihn geschieht, wie der Teufel das Weihwasser scheut. Und das ist in einer Demokratie, in der alle Mitverantwortung tragen sollten, ein ernst zu nehmendes Problem, führt doch die Angst, Verantwortung tragen zu dürfen, im Handumdrehen zu einem politisch folgenschweren Freiheitsverlust.
Denken wir daran, wenn wir das nächste Mal mit einem gesellschaftlichen Problem konfrontiert werden.