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Kapitel 8
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Es war der dreiundsechzigste Tag ihrer Reise und Nele war am Ende ihrer Kräfte angelangt. Morgen Früh würde sie sich weigern auch nur noch einen Schritt zu gehen. Joggen, essen – sofern man trockenes Brot und Wasser Essen nennen konnte – schlafen, joggen, essen, schlafen… Sie hatte es satt! Noch dazu schrie mittlerweile jeder Muskel in ihrem Körper vor Schmerzen und sie sehnte sich mehr und mehr nach einem warmen Bad. Saubere Kleidung schien für sie ein Luxus, von dem sie vor langer, langer Zeit einmal kosten durfte, der ihr aber nun verweigert wurde. Umso größer war ihr Verlangen danach, ihn zurück zu bekommen.
Sie hatte es schon vor einiger Zeit aufgegeben, ihre Blasen zu zählen. Ihre Schuhe schienen für solche Gewaltmärsche nicht gemacht zu sein, denn sie lösten sich immer weiter auf, was wiederum die Blasensituation nicht verbesserte. Zudem kam noch diese Hitze dazu. Es war Hochsommer und ihre Kleidung klebte an ihr, als würde sie sich in eine zweite Schicht Haut umwandeln wollen. Die Tage waren dementsprechend lang, die Nächte kurz. Sie liefen nun schon seit vielen Stunden durch die sich wenig verändernde Landschaft. Die Berge waren zwar nicht mehr zu sehen, doch umso mehr Wiesen und brachliegende Felder gab es um sie herum. Keine Häuser, keine Dörfer, keine Menschen, keine Tiere, nichts: Nur Landschaft und Stille. Um diese ertragen zu können, hatte sie angefangen in ihrem Kopf Lieder zu summen. Da sie sich aber nur an wenige Melodien erinnern konnte, wurde das nach einer Weile sehr langweilig. Von daher konzentrierte sie sich auf ihre Atmung, um zu verhindern, dass sie völlig aus der Puste kam.
Sie lief und lief, immer ihrem Weggefährten hinterher. Sein nebelartiges Wesen war ihr mittlerweile vertraut geworden, dennoch hatte sie das Gefühl, ihm immer weniger trauen zu können. Hier war sie also, schweißgebadet, stinkend, voller Schmerzen, in einer Welt, die sie nicht kannte und mit einem Mann, dem sie nicht traute. Super gemacht! Und wem hatte sie das zu verdanken? Sich selbst und ihrem Drang nach Erklärungen. Wäre sie doch einfach im Internat geblieben und nicht zur Hütte gefahren.
Sie hätte die Schule beenden können, es wäre ja auch nur noch ein Monat mit Prüfungen gewesen, und dann eine Lehre gemacht, um selbst Geld zu verdienen. Vielleicht bei der Polizei? Aber so… Selbst wenn sie nun zurückgehen würde, würde sie überhaupt ihren Abschluss bekommen? Könnte sie die fehlenden Prüfungen noch nachholen, als wäre nichts gewesen? Wohl kaum. Außerdem wusste sie, tief in ihrem Inneren, dass, egal wie sie sich entschieden hätte, sie keine Wahl gehabt hätte, in diese Welt zu kommen. Er hätte sie geholt, ob sie gewollt hätte oder nicht, und es war wohl besser, dass sie freiwillig mitgegangen war.
Die Sonne neigte sich langsam der Erde zu und ließ die Schatten um sie herum immer länger werden. Bald würde es dunkel werden und morgen früh würde sie wieder weiter laufen, egal ob sie wollte oder konnte.
Sie merkte, wie der Boden unter ihren Füßen allmählich steiler wurde, es ging bergauf. Der düstere Mann wollte wohl das Lager auf der Spitze eines Hügels aufschlagen. Dies schien ein vernünftiger Plan zu sein, auch wenn es wohl keine gefährlichen Tiere gab; deshalb lief sie widerstandslos hinter ihm her. Als sie oben ankamen, war die Sonne bereits untergegangen. Sie ließ ihren Blick über die dunkle Gegend schweifen. Sterne glitzerten am Nachthimmel und der Mond leuchtete sanft. Doch in der Ferne, dort am Horizont, waren noch weitere Lichter zu sehen. Konnte es tatsächlich sein oder spielten ihr ihre Augen einen Streich? Waren es wirklich viele kleine Lichter?
„Lichter einer Stadt?“, fragte sie laut, ohne eine Antwort zu erwarten.
Doch diesmal bekam sie überraschenderweise eine, wenn auch nicht ausgesprochen:
Eine Erinnerung des schwarz gekleideten Mannes flackerte vor ihrem inneren Auge auf. Bilder einer bunten Zeltstadt. Sie wusste, dass sie sie morgen erreichen würden.