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Kapitel 3
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Der Anruf von seinem Kollegen kam kurz vor Mitternacht. Er sei in seiner Lieblingsbar und ob es Thomas nichts ausmache, vorbeizukommen, er würde gerne mit ihm reden. In der Bar angekommen fand er einen halbbetrunkenen Michael vor, der ihn dankbar umarmte.
„Schon gut, schon gut“, sagte Thomas, dem das sichtlich unangenehm war,
„Was gibt es denn so dringend zu besprechen?“
Mit einem Schlag schien Michael nüchtern:
„Hast du irgendjemandem erzählt, dass ich mit ihr auf einen Drink gehen will, wenn sie raus ist?“
„Was ist das denn für eine Frage? Natürlich nicht!“, sagte er überrascht.
„Auch ihr nicht?“, fragte Michael.
„Ihr auch nicht. Geschweige denn, dass ich überhaupt mit ihr geredet hätte, ohne dass du dabei gewesen wärst“, antwortete er.
Irgendwas war gewaltig faul, dachte Thomas. Sein Kollege hatte ihn noch nie privat angerufen. Sie waren, trotz eines guten Arbeitsverhältnisses, auch noch nie privat zusammen in einer Kneipe gewesen. Es musste irgendetwas passiert gewesen sein und da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen:
„Was ist bei dem Gespräch mit ihr passiert? Hat sie überhaupt geredet?“
Michael schaute ihn lange an, als wolle er abschätzen, wie viel er ihm sagen könne, bevor er meinte:
„Sie sagte am Ende des Gesprächs zu mir, dass das mit den Drinks für meine Karriere keine so gute Idee sei.“
Thomas konnte sich nicht mehr halten und brüllte los vor Lachen. Als er endlich wieder zu Atem kam, wischte er sich eine Träne aus den Augen und sagte:
„Da hat sie wohl Recht!“
Doch erst jetzt bemerkte er den Blick seines Kollegen. Eine Mischung aus Verärgerung, Zweifel und Furcht.
„Also hast du es ihr doch erzählt, um mich zu verarschen!?“, schrie dieser ihn an.
„Michael, ich habe es ihr nicht gesagt! Ich schwöre es!“, sagte Thomas.
„Aber woher wusste sie es dann?“, meinte Michael.
„Vielleicht hat uns jemand gehört und es ihr gesagt?“, schlug Thomas vor.
„Wir waren alleine in unserem Büro. Die Tür war geschlossen. Wie hätte uns jemand hören können?“, meinte Michael aufgebracht und fuhr fort:
„Bevor ich das Gebäude verlassen habe, bin ich die Liste durchgegangen, in die man sich eintragen muss, wenn man einen Gefangenen besucht. Außer mir stand da niemand und die Aufseher können wohl kaum wissen, was wir in unserem Büro besprechen… Woher konnte sie es wissen?“
Thomas überlegte, wie er ihm glaubhaft versichern konnte, dass er es ihr nicht erzählt hatte, denn er war es nicht gewesen. Ihm war auch nicht ganz verständlich, warum sein Kollege so einen Aufstand machte. Vielleicht hatte es doch jemand gehört, wäre doch auch egal – außer es steckte noch mehr dahinter.
„Michael, was genau ist passiert, als du mit ihr gesprochen hast?“, fragte er voller Vorahnung. Doch als Michael allmählich anfing zu berichten, verschlug es auch ihm, einem erfahrenen Polizisten, die Sprache.
„Gerne würde ich dir auch die Tonbandaufnahme vorspielen,“ beendete Michael die Erzählung „doch diese enthält nur Rauschen.“
„Hattest du vielleicht vergessen, den Aufnahmeknopf zu drücken?“, fragte Thomas wenig hilfreich.
„Natürlich habe ich den Knopf gedrückt! Es hat ja auch aufgenommen, nur ist nichts zu hören!“, konterte Michael.
„Vielleicht liegt es ja daran, dass das Gerät zu sehr von Kleidung bedeckt war?“, überlegte Thomas.
„Ich hatte es, so wie heute Mittag bei dem Gespräch mit der Waisenhausleiterin, in meiner Hosentasche und diese Aufnahmen sind super. Obwohl das Gespräch auch noch draußen stattgefunden hat!“
Sie verstummten. Egal wie Thomas es drehte und wendete, keiner hätte sie hören und es ihr sagen können. Er nahm sich auch das Diktiergerät und machte ein paar Testaufnahmen, sowohl in, als auch außerhalb der Hosentasche, es funktionierte einwandfrei. Gerne hätte er einfach gesagt, sie sei halt verrückt und so sei es eben, aber wie konnte sie das mit den Drinks wissen? War es einfach nur eine Vermutung, die ins Schwarze getroffen hatte, weil sie gemerkt hatte, dass Michael von ihr angetan war? Das Diktiergerät war einfach nur ein Zufall und es hatte halt zu dem Zeitpunkt irgendeine Macke? Und wie passte der Autopsie Bericht zu ihrer Geschichte, dass sie Anna ‚indirekt‘ getötet hatte? Ach ja, der Autopsie Bericht, von dem wusste Michael noch gar nichts!
„Kurz nachdem du gegangen warst,“ brach Thomas das Schweigen, „kam der Bericht der Gerichtsmediziner rein. Anna ist ohne Gewalteinwirkung gestorben. Vergiftungen, oder sonstige äußerliche Einflüsse, können ebenfalls ausgeschlossen werden. Es war wohl ein natürlicher Tod durch Herzversagen.“
Michael saß für einige Zeit nur da und sagte nichts. Letztendlich meinte er jedoch:
„Dann werden wir sie wohl gehen lassen müssen.“
„Das werden wir wohl.“, antwortete Thomas „Soll ich sie vor der Entlassung noch fragen, woher sie von den Drinks wusste? Ich könnte bei der Gelegenheit auch noch einmal dein Diktiergerät ausprobieren.“
Michael nickte fast unmerklich.
Nach mehrmaligem Überprüfen des Diktiergeräts, machte sich Thomas auf den Weg zu ihrer Zelle. Er klopfte kurz und ging dann hinein. Sie war bereits wach und saß erwartungsvoll auf ihrem Bett.
„Guten Morgen, Nele“, sagte er.
„Guten Morgen, Thomas“, sagte sie.
Erschrocken sah er sie an:
„Woher weißt du, wie ich heiße?“
Sie lächelte sanft und meinte:
„Manche Dinge weiß man halt.“
Bestimmt hatte Michael ihr seinen Namen gesagt, dachte er, oder er hatte sich ihr doch mit Vornamen vorgestellt gehabt. Doch dann hörte er sie sagen:
„Michaels Diktiergerät funktioniert wunderbar, nicht wahr? Nur wenn ich in der Nähe bin geht es nicht. Du kannst es gerne noch einmal ausprobieren, sobald ich entlassen werde, aber ich verspreche dir, es liegt nicht an dem Gerät. Ich bevorzuge es, wenn Gespräche unter vier Augen bleiben.“
Sie lächelte ihn an, als sei dies die normalste Unterhaltung der Welt.
„Das war aber nicht alles, weshalb du gekommen bist, oder?“, fragte sie ihn daraufhin.
Als Thomas seine Fassung wieder fand, sagte er:
„Wer auch immer dir bereits erzählt hat, dass du heute entlassen wirst, kriegt aber so was von Ärger!“
Sie lächelte ihn an, verständnisvoll und wissend, und sagte in einem sanften Ton:
„Du weißt genauso gut wie ich, dass es mir noch niemand gesagt hat. Verstehe bitte, dass du, bevor ich dir eine Antwort auf die Frage, wegen der du wirklich hier bist, geben kann, einsehen musst, dass es Dinge auf dieser Welt gibt, die du noch nicht wahrgenommen hast.“
Sie wusste, weshalb er hier war, wie er heißt, dass sie entlassen wird, dass das Diktiergerät nichts aufgenommen hatte, obwohl es ihr niemand zuvor gesagt haben konnte. Er konnte keine Erklärung finden, die mit irgendeiner Logik, die er bis jetzt kennengelernt hatte, zu vereinbaren war.
Von daher fragte er, auf sämtliche Antworten gefasst:
„Was war es dann, was Anna getötet hat?“
„Das, mein Lieber,“ sagte sie traurig lächelnd „ist eine Frage, auf die ich ebenfalls eine Antwort suche.“