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Kapitel 9

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München-Altstadt, 18. Oktober 2019, abends

Nachdem ich mir die Cortone Akten noch mal angesehen habe, ist es definitiv zu spät, um sich auf die Suche nach einem Trainingspartner zu machen, der sich spontan auf einen kleinen Übungskampf einlassen würde. Wahnsinnig gerne würde ich mich wieder mal bis zur Erschöpfung verausgaben, vielleicht sogar ein kleines Stückchen darüber hinaus. Mit einem weiteren Blick auf die Uhr seufze ich – morgen! Und nachdem Dad aus unerfindlichen Gründen immer noch nicht geruht, Italien zu verlassen, um mir in dem riesigen, leeren Bungalow Gesellschaft zu leisten, beschließe ich, Sonjas Salon aufzusuchen, anstatt allein zu Hause herumzusitzen. Wenn ich es schaffe, irgendwo auf andere Gedanken zu kommen, dann wahrscheinlich dort.

Ich kenne Sonja seit vielen Jahren. Sie kam in unser Haus, kurz nachdem mein Vater beschlossen hatte, dass ich den Tod meiner Mutter vielleicht überwinden würde, wenn wir weit weg von Italien ganz neu anfangen würden. Sonja besuchte uns, da Dad ein Gemälde schätzen lassen wollte, und er war sofort mehr als angetan vom Kunstverstand der jungen Galeristin.

Seitdem haben wir uns häufig getroffen. Dass wir noch eine ganz andere Leidenschaft teilen, merkten wir erst Jahre später, als ich das erste Mal den Club The Prison betrat und mich unversehens der Kunstsachverständigen im Outfit einer Domina gegenübersah. Ich bin mir bis heute nicht sicher, wessen Schock größer war.

Neben ihrer Galerie führt Sonja seit ein paar Jahren einen verschwiegenen Salon und es wird wirklich höchste Zeit, dass ich mich da mal wieder blicken lasse. Auch wenn mir gerade nicht unbedingt der Sinn nach Intimitäten steht. Aber die handverlesenen Gäste, die lockere Atmosphäre und der niveauvolle Umgang mit ungewöhnlichen sexuellen Vorlieben machen einen Besuch in Sonjas Salon zu einem einzigartigen Erlebnis. Ich könnte bei einer Session zusehen – oder mir einfach nur ein paar Drinks genehmigen und mich unter Gleichgesinnten entspannen.

Außerdem muss ich mich vor Sonja nicht verstellen. Sie kannte mich als verstörten Knaben, sie kannte mich als jungen, wilden Dom, der sich auf der Suche nach sich selbst fast verloren hätte, und sie kennt den Juristen ohne Privatleben, der all diese Phasen zum Glück hinter sich gelassen hat.

Zu Hause tausche ich den Anzug gegen eine schnörkellose Lederhose und ein schwarzes Seidenhemd und verberge den oberen Teil meines Gesichts hinter einer schlichten schwarzen Maske. Nicht, um unerkannt zu bleiben. Ich habe Schneider nicht angelogen, ich habe nichts zu verbergen. Den Versuch, mich mit meiner Vergangenheit als Master zu diffamieren, kann man sich getrost sparen, das stört mich wenig. Nein, die Maske trage ich, damit mir niemand meine Traurigkeit ansieht. Und weil sie mir ausgezeichnet steht, natürlich.

In Sonjas Salon nehme ich nach einer angeregten Unterhaltung mit der Hausherrin ein wenig abseits Platz, genieße einen hervorragenden schottischen Whiskey und beobachte das Geschehen. Eine junge Frau im Katzenkostüm bewegt sich ebenso geschmeidig an die Bar wie das Tier, das sie darstellt. Der Rückweg mit einem langstieligen Glas mit tonnenweise Obst als Dekoration ist schwieriger zu bewältigen, doch sie bringt das Kunststück fertig, schafft es sogar, neben ihrem Herrn auf die Knie zu gehen, der ihr das Glas ohne hinzusehen abnimmt. Kein Wort fällt, aber die Art, wie er genau wusste, wann sie wo sein würde, zeigt mir, dass er sein Kätzchen keinen Augenblick aus den Augen verloren hat. Und die stolze Neigung ihres Kopfes verrät, dass sie weiß, dass sie es gut gemacht hat.

Ich lächle und mein Blick wandert weiter zu einem jungen Mann, der zu Füßen seines Masters sitzt und hingebungsvoll dessen Daumen mit seiner Zunge liebkost. Die Leidenschaft, mit der er sich dieser Tätigkeit widmet, zaubert automatisch ein Bild in meinen Kopf, wie der junge Sub ganz andere Körperteile seines Masters verwöhnt.

»Herr?«

Überrascht hebe ich den Kopf und erhasche einen Blick auf eine Frau, deren langer, schlanker Körper in einem raffinierten Neckholder-Kleid aus schwarzer Spitze steckt, ehe sie vor mir auf die Knie sinkt. Sie neigt den Kopf und ihr langes, blondes Haar fällt wie ein Wasserfall nach vorne.

Ich warte, doch der Mut scheint sie verlassen zu haben. Seltsam genug, dass sie mich angesprochen hat. Ob Sonja dahintersteckt?

»Wie heißt du?«, frage ich sanft.

»Nina, Herr.«

Die richtige Antwort wäre natürlich gewesen, dass sie auf jeden Namen hört, den ich ihr zu geben wünsche. Die richtige Antwort für jeden Herrn hier, außer mir. Sonja hat sie hergeschickt.

»Nina«, sage ich leise. »Was für ein schöner Name für eine schöne Frau.« Ich verteile keine sinnlosen Komplimente. Sie ist schön. Und genau mein Typ. Groß, schmal und biegsam wie ein junger Baum. »Warum bist du heute hier, Nina?«, frage ich und stelle mein Glas beiseite.

Meine tiefe, leise Stimme scheint sie zu beruhigen. Ein wenig stockend erzählt sie, dass sie München für einige Wochen verlassen musste, um ihre kranke Mutter zu versorgen. Irgendwo tief im Bayerischen Wald, wo sie niemanden hat, der ihre Neigungen teilt.

Die Versuchung ist groß. Sie ist schön, willig und ausgehungert nach allem, was ich bereit bin zu tun. Rein und makellos würde sie aussehen, alle Spuren verblasst, ganz so, als hätte noch nie jemand mit ihr gespielt.

»Ich kann dir nicht geben, was du suchst, Nina.«

»Ich bin nicht anspruchsvoll, Herr.«

»Das solltest du aber sein.« Ich seufze. »Das ist ein wunderschönes Geschenk, das du mir da anbietest. Ich bin es nicht wert, es anzunehmen.«

Sie zuckt zusammen, ob wegen der unpassenden Wortwahl für einen Herrn oder wegen der Zurückweisung, vermag ich nicht zu sagen.

Ich will ihr nicht wehtun, jedenfalls nicht auf die Art, auf die ich es gerade tue. Aber dieser Hauch von Verzweiflung in ihrer Stimme, dieser sehnsüchtige Unterton, der in ihren Worten mitschwingt, warnt mich, dass Nina mehr sucht als ein aufregendes Spiel. Und so sicher, wie ich ihre Wünsche in dieser Nacht erfüllen könnte, so wenig könnte ich ihr doch geben, was sie eigentlich braucht.

Sie sucht Zuneigung. Aufmerksamkeit könnte ich ihr schenken. Ein paar Stunden lang. Für eine Nacht voller Lust und Schmerz, die alle ihre Bedürfnisse befriedigt – alle, außer der Sehnsucht nach Liebe.

Ich würde sie am nächsten Morgen fortschicken und die Demütigung für sie nur schlimmer machen. Aber ich hätte keine Wahl. Denn die Frau, die alles war, was ich brauche, gab es nur ein einziges Mal auf dieser Welt.

Ich beuge mich zu Nina herunter, lege behutsam zwei Finger an ihr Kinn und zwinge sie so, mich anzusehen. Ihre Augen sind groß und blau wie zwei Gebirgsseen in der Mittagssonne.

»Es gibt irgendwo einen Herrn, dessen Herz schneller schlagen wird, wenn er dich sieht, dessen Brust weit wird vor Stolz, wenn er deine Unterwerfung empfängt. Gib dich nicht für weniger her. Ich wünschte, ich könnte dieser Herr sein, aber ich bin es nicht, Nina.«

Ihre Lippen zittern, und ich neige mich noch weiter vor und küsse sie. Einen Augenblick ist sie wie erstarrt, dann erwidert sie den Kuss. Sie küsst, als hätte sie jahrelang keine anderen Lippen auf den ihren gespürt. Sie schmeckt süß, und einen Moment verfluche ich mich für meine verdammte Anständigkeit, dann löse ich mich von ihr und schicke sie fort.

Ich atme tief durch, dann greife ich wieder nach meinem Glas und kippe den teuren Whiskey in einem Zug hinter. Das brauche ich jetzt, bevor ich mir meinen Rüffel bei Sonja abhole.

Vico - Il Conte

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