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Kapitel 4

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München-Stadelheim, 14. Oktober 2019, nachmittags

Ein Krüppel.

Sie haben mir wirklich einen Krüppel geschickt! Ich wollte es nicht glauben, dachte, der Tratsch, der seit ein paar Wochen draußen die Runde macht, sei nichts weiter als dämliches Geschwätz, mit dem meine Leute davon ablenken wollen, dass sie ohne mich ziemlich aufgeschmissen sind. Doch als ich den Besucherraum betrete, sitzt da tatsächlich ein Hänfling in einem Rolli und lächelt mich treuherzig an. Ein scheiß Labrador auf Rädern.

»Hallo!«, ruft er mir überschwänglich entgegen. Wie kann man nur so ekelhaft gut gelaunt sein, wenn man dem Mann gegenübertritt, dem man künftig auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sein wird? Er sollte vor Angst zittern und nicht einen auf Kindergeburtstag machen.

»Adriano Panucci, der Capo hat mich nach München beordert, ich soll den Contabile ersetzen. Es ist mir eine große Ehre, Sie endlich kennenzulernen, Boss«, stellt er sich vor.

Stronzo! Wessen Boss ich bin und wen ich mit meiner Kohle rumhantieren lasse, bestimme ich immer noch selbst. Glaubt der Kerl, mit der Schleimerei kann er bei mir punkten?

Eine reinhauen kann ich ihm für diese Frechheit natürlich keine. Onora lo zoppo, einen Krüppel zu schlagen zeugt von Ehrlosigkeit. Aber nicht nur das. Jene, die verwundet aus einem Einsatz für die Famiglia hervorgehen, genießen hohes Ansehen. Habe ich noch nie kapiert, ist doch kein Verdienst, einen Job zu vermasseln. Denn das hat er wohl, sonst säße er nicht in dem Rolli. Aber irgendwas außer dem Namen Panucci muss an der halben Portion ja dran sein, glaubt zumindest der Capo. Oder? Hat er mir diesen Gnom als eine Art Botschaft geschickt? Dass wir jetzt in einem dieser Besucherräume sitzen, die normalerweise den Treffen mit den Anwälten vorbehalten sind und uns ohne Anstandswauwau unterhalten können, beeindruckt mich jedenfalls wenig. Wahrscheinlich hat der Knabe beim Wachpersonal einfach die Mitleidskarte gezogen. Ich mustere ihn abschätzig und lehne mich lässig an den wackligen Tisch, neben zwei Stühlen das einzige Möbelstück in dem kargen Raum.

»Wie ist das passiert?«, frage ich und rucke mit dem Kopf in Richtung Rolli.

»Rückenmarksläsion aufgrund einer Schussverletzung«, sagt er aalglatt.

Vai a cagare! Glaubt der echt, ich frag jetzt nach, was das ist? Ob er wohl noch ficken kann?

»Seitdem habe ich meine Zeit genutzt, um mich weiterzubilden …«

Jetzt erzählt mir der Streber glatt was von einer Business School und haut mir einen Haufen Zertifikate um die Ohren, die mir so was von am Arsch vorbeigehen. Wahrscheinlich hat der Capo den nicht hergeschickt, weil er so gut ist, sondern weil sie die Nervensäge in Padolfi satthatten.

Tosh brauchte jedenfalls keine dämlichen Diplome, der hat einfach aufgepasst, wie der alte Finanzmanager die Dinge gehandhabt hat, und den Rest hat er sich selbst beigebracht. Das wichtige Zeugs hat er eh von mir gelernt. So ein blöder Angeber war Tosh auch nicht. Na ja, das wäre ihm allerdings auch nicht so gut bekommen.

Dieses magere Bürscherl könnte Tosh jedenfalls niemals das Wasser reichen. Unwillkürlich sehe ich meinen Schützling vor mir, an dem Tag, als er Teil der Famiglia wurde. Es ist Tradition, dass sich das Blut eines Anwärters mit dem seines Mentors mischt. Meist fügen sich die beiden einen kleinen Schnitt in die Handflächen zu und legen sie aufeinander. Wie in einem lächerlichen Karl-May-Film. Pah! Das reichte mir nicht. Mit einem entzückenden, japanischen Filetiermesser zeichnete ich ein hübsches Muster auf Toshs nackten Oberkörper, bis er blutüberströmt vor mir stand. Keinen Mucks hat er gemacht. Trotzdem war da nichts als pure Dankbarkeit in seinen Augen, als ich ihm den Siegelring der Famiglia an den Finger steckte. Dann kam das übliche Geseier über Treue und Ehre, aber Tosh hat noch einen draufgesetzt und todernst hinzugefügt, dass er sein Leben für mich geben würde.

Was er schlussendlich auch getan hat. Komisch, dass bisher niemand auf den offensichtlichen Grund dafür gekommen ist, warum Tosh auf diese Zyankalikapsel gebissen hat: Wer auch immer ihn umgebracht hat, Tosh wusste, dass er sterben würde, und er wollte nicht riskieren, vorher etwas auszuplaudern, was mich in eine ähnlich dumme Lage bringen könnte. Zum Beispiel, indem er zugibt, dass ich Domenicos Tod befohlen habe. Sein Mörder wird mich schon nicht umsonst da rausgelockt haben, der dachte, er kann mir Toshs Geständnis präsentieren und mich direkt des Verrats bezichtigen. Aber Tosh hat sich lieber auf die Zunge, beziehungsweise auf die Zyankalikapsel gebissen, als mich zu verpfeifen.

Auf Tosh konnte ich mich echt hunterpro verlassen. Das einzige Mal, dass er nicht sorgfältig gearbeitet hat, war, als er diesen Computerfuzzi um die Ecke gebracht hat, und ich hinter ihm aufräumen und den Selbstmord inszenieren musste. Andererseits war ihm zu diesem Zeitpunkt sein Mörder vielleicht schon dicht auf den Fersen, durchaus möglich, dass Tosh einfach nicht mehr dazu gekommen ist, die Sache ordentlich zu Ende zu bringen.

»Ich würde mich wirklich über eine Chance freuen«, trällert Adriano.

Hat er das aus einem Bewerbungshandbuch? Wie werde ich Mafiaboss in zehn Schritten, oder was?

»Ich könnte Sie auch hier herausholen, Boss, sobald ich mir einen Überblick verschafft habe.«

»Soso. Ich dachte, du bist schon eine Weile im Gespräch für diesen Posten. Wäre es da nicht angebracht gewesen, sich im Vorfeld einen Überblick zu verschaffen?«, schnauze ich ihn an.

Verlegen kratzt er an einem eitrigen Pickel auf seiner Wange herum. »Ja, das wäre mir auch lieber gewesen, damit Sie gleich sehen, wie nützlich ich Ihnen sein kann, aber ohne Ihren Segen will keiner mit mir reden …«

Sehr gut. Das würde ich auch niemandem geraten haben.

»Also, soll ich Sie …?«

»Nein.« Ich bin doch nicht auf diesen Wicht angewiesen, wenn ich hier rauswill. Nein, ich muss erst wissen, wer Tosh auf dem Gewissen hat. Denn ich könnte meinen Arsch darauf verwetten, dass es dem Mörder in Wahrheit darum ging, der nächste Padre von München zu werden. Doch dazu sitze ich zu fest im Sattel. Es sei denn, jemand setzt dem Capo in Padolfi den Floh ins Ohr, dass ich für Domenicos vorzeitiges Ableben gesorgt habe.

Aber scheinbar ist ja niemand in der Lage, Toshs Mörder zu schnappen, weder die Bullen noch meine Leute. Am meisten hatte ich mir ja von Dr. Walther und dem Schneider versprochen. Ärger ohne Ende hatten wir schon mit denen. Aber diesmal haben sie auf ganzer Linie versagt. Stattdessen hockt der Walther plötzlich mausetot in seiner Wanne. Stupido! Als ob es irgendwen interessieren würde, wo der alte Trottel seinen Schwanz reinsteckt. Seine Frau sicher nicht.

Jedenfalls ziehe ich es vor, hierzubleiben, bevor ich nicht weiß, mit wem ich es zu tun habe. Die Geschäfte kann ich auch von hier aus leiten. Klar, ein paar Dinge laufen im Moment nicht ganz rund, aber Toshs Mörder soll ruhig glauben, er hätte mich schon außer Gefecht gesetzt.

Aber warum kommt der Scheißkerl nicht aus seiner Deckung? Wer ist es? Na ja, dieser Milchbubi, der frisch aus Padolfi hergerollt ist, ist schon mal raus.

»Na schön, du darfst mir zeigen, was du als Geldwäscher so draufhast.«

»Ehrlich?« Adriano strahlt. »Toll! Ich werde Sie nicht enttäuschen, Boss.«

Ach ja? Na, das werden wir ja sehen. Aber ich brauche eh jemanden für die Finanzen, und um ein paar Scheinchen zu waschen, muss man ja nicht latschen können. Vielleicht ist diese Schießbudenfigur echt dafür geeignet.

Wenn Adriano aber versagt, gebe ich seinem Rolli so einen kräftigen Schubs, dass er erst in Padolfi wieder zum Stehen kommt. Soll er dem Capo sein Scheitern erklären. Ich bin dann jedenfalls fein raus, denn ich habe den ja nicht ausgesucht.

»Das Gesundheitsamt hat das Blue Parrot mit irgendwelchen fadenscheinigen Ausreden dichtgemacht. Wenn ich rauskomme, will ich, dass der Laden wieder brummt«, befehle ich.

Kakerlaken in der Küche sind etwas, was zuverlässig die Gäste vertreibt. Was recht ärgerlich ist, denn das Blue Parrot ist seit Jahren ein Garant dafür, dass nichts in München passiert, von dem die Famiglia nichts mitbekommt. Dass Dr. Walther mal eben Harakiri begehen kann, ohne dass wir auch nur ahnen, dass da was im Argen ist, zeigt doch, wie sehr wir das Restaurant brauchen.

»Äh …«, sagt Adriano unsicher.

»Du wolltest doch eine Herausforderung, oder, Kleiner?«

»Ja ja, klar, das ist super! Ich … hm … mir fällt sicher was ein, sobald ich mir das Blue Parrot angesehen habe.«

»Du kannst jederzeit herkommen, und um einen Rat bitten«, sage ich generös.

»Danke, Boss! Das bedeutet mir so viel. Das mache ich ganz bestimmt. Sie sind so nett!«

Nett?! Vaffanculo! Die in Padolfi wollten ihn loswerden. Eindeutig. Hat dem die Kugel auch noch das Hirn zermatscht?

»Darf ich gleich was fragen, Boss?«, fragt Adriano und legt schon los, ohne meine Zustimmung abzuwarten: »Silvers verfügte doch über ein ansehnliches Privatvermögen, was ist denn damit …«

»Silvers hatte Familie«, unterbreche ich ihn.

Mehr muss ich nicht sagen. Für die Angehörigen verstorbener Mitglieder zu sorgen, ist Ehrensache. Außerdem ist Toshs Kohle bei der kleinen Mayra erst mal sehr gut aufgehoben. Nicht nur, dass sie sich um den ganzen Kram mit der Beerdigung und der durchgeknallten Mutter gekümmert hat, obwohl die Sache mit dem Grab natürlich sentimentale Mädchenscheiße war. Ich würde ihr sogar zutrauen, Toshs Mörder zu finden. Wenn sie mal einsehen würde, dass ich es nicht war. Aber seit Tosh unter der Erde ist, ist die Frau scheinbar völlig durch den Wind. Wahrscheinlich muss sie nur mal wieder kräftig durchgevögelt werden – ein neuer Stecher kann bei den Weibern ja Wunder bewirken. Eine Aufgabe, der ich mich durchaus annehmen würde, sobald ich hier rauskomme.

Wie auch immer. Solange die Chance besteht, dass sie Vernunft annimmt, haben alle Weisung, die Finger von ihr zu lassen. Marco und Hugo weichen von sich aus nicht von ihrer Seite. Mir nur recht. So kommt auch Toshs Mörder nicht an sie ran. Nur, falls der Killer auf die Idee verfallen sollte, Tosh könnte im Bett was ausgeplaudert haben. Als ob!

»Darf ich gehen, Boss?«, fragt Adriano unsicher.

»Geht das denn?«, spotte ich und er wird tatsächlich rot. »Verschwinde. Ich erwarte exzellente Arbeit.«

»Naturalmente! Danke, Boss!«

Er wendet und rollt hinaus, während ich mir eine Zigarre anzünde und darüber nachdenke, was Adrianos Auftauchen für mich bedeutet.

Ich muss unbedingt mehr Druck machen. Ich kann nicht ewig hier drinhocken. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sie jemanden aus Padolfi herschicken, aber einen Krüppel, der der Contabile werden soll? Sieht so aus, als fürchten die Bosse in Italien, ich könnte die Lage hier nicht mehr im Griff haben.

Leider kann ich unmöglich die Hälfte der Famiglia aus dem Weg räumen, in der Hoffnung, dass der Verräter dann schon dabei sein wird – also ich kann natürlich schon, aber das lassen sie mir dann doch nicht durchgehen. Toshs Mörder zu erledigen, wenn der sich sogar Chancen auf meinen Posten ausrechnet, wird möglicherweise heikel genug.

Dann dieser Nachfolger von Dr. Walther, der hat mir gerade noch gefehlt. Ich habe wirklich Besseres zu tun, als nach Flecken auf der blütenweißen Weste dieses italienischen Adeligen zu suchen. Aber es hilft ja nichts. Es wird höchste Zeit, wieder ein bisschen mitzumischen.

Vico - Il Conte

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