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Prolog

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Padolfi, 17. August 1993, nachts

Ich mag klare Regeln. Regeln, wie sie innerhalb der Famiglia gelten. Der Capo schafft an, und wer nicht gehorcht, verliert ein Körperteil, im schlimmsten Fall sein Leben. Nicht immer gibt der Boss sich mit einem Finger oder einem Auge zufrieden, weshalb so mancher Missetäter der Ansicht sein dürfte, der Verlust des Lebens wäre barmherziger gewesen. Nun ja, nicht meine Sache. Ich entscheide nicht, ich führe aus.

Matteo Cortone hat sein Leben jedenfalls verwirkt. Ebenso wie seine Frau und die zwei Bälger, die er in die Welt gesetzt hat. Matteo hat den Eid gebrochen, ist zur Konkurrenz übergelaufen. Stronzo! Glaubt er wirklich, der Chef der Ulivieris würde einem Verräter eine bessere Position anbieten als der eigene Capo? Pah!

Ich nehme meine Zukunft lieber selbst in die Hand. Ich werde meine Chance bekommen. Das wusste ich in dem Moment, als mir befohlen wurde, diese scheußliche Sprache zu lernen, die sich anhört, als belle ein alter Hund den Mond an. Das Land, in dem sie gesprochen wird, ist reizlos, kalt und nass, sagt mein Lehrer. Aber was jucken mich das Wetter und Männer, die Bier statt Grappa trinken? Hauptsache, ich bleibe nicht ewig ein Handlanger, nur gut genug, um jene aus dem Weg zu räumen, die es geschafft haben, die Bosse zu verprellen. Mir steht der Sinn nach mehr.

Aber erst muss ich beweisen, was in mir steckt. Indem ich meinen eigenen Onkel beseitige. Ich habe keine Gewissensbisse deswegen – warum sollte ich? Ein Gewissen – was soll das überhaupt sein? Etwas, auf das man gut verzichten kann, will es mir scheinen.

Es war unter der Würde des Capos, mich persönlich von seinen Wünschen zu unterrichten. Noch! Aber den richtigen Mann für diesen Auftrag hat er auf jeden Fall gewählt. Deswegen werde ich die Sache auch allein durchziehen, obwohl das riskant ist. Aber lautlos und schnell zu arbeiten war schon eine Spezialität meines Papàs, und ich war ein gelehriger Schüler.

Sorgfältig kontrolliere ich meine Ausrüstung. Benzinkanister, Seile, meine Lieblingsmesser. Die Thompson habe ich zu Hause gelassen, gehe aber davon aus, dass Matteo mir mit einem Revolver aushelfen kann, sollte ich eine Schusswaffe benötigen. Ich ziehe die dünnen Lederhandschuhe an und stülpe die Kapuze meines schwarzen Sweatshirts über den Kopf. Nicht, dass das notwendig wäre, nicht in diesem Teil von Padolfi. Niemand wird etwas aussagen, jede Ermittlung wird im Sande verlaufen. Aber schlampige Arbeit ist nicht das, was mich in der Achtung des Capos steigen lässt.

Wie auf Samtpfoten schleiche ich zu dem mickrigen Häuschen, das sich im fahlen Mondlicht abzeichnet, und stelle den Benzinkanister neben der Eingangstür ab. Das Schloss ist ein Witz, aber wahrscheinlich ging Matteo bis vor Kurzem davon aus, dass der Name Cortone ihn ausreichend schützen würde. Ich brauche nur Sekunden, dann ist die Tür offen. Ich habe Onkel Matteo nicht oft besucht, doch ich weiß, dass sich das Kinderzimmer im hinteren Teil der primitiven Behausung befindet. Ich schleiche hinein, die Kinder schlummern friedlich.

Ich beginne mit dem Jungen mit den dunklen Locken. Sein Kopf liegt entspannt auf einem gestreiften Kissen, der Mund ist ein klein wenig geöffnet. Ich zwänge einen Knebel zwischen seine ebenmäßigen Zähne, er wacht auf, strampelt wild, aber vergeblich. In Windeseile habe ich seine Hände und Füße gefesselt. Der Junge wirft sich im Bett herum, doch alles, was er damit erreichen wird, sind aufgeschürfte Gelenke. Na ja, allzu lange wird er darunter ja nicht zu leiden haben.

Das Mädchen mit den dicken Zöpfen bekommt von all dem nichts mit. Sie hat ihre Decke weggestrampelt und sieht sehr niedlich aus in ihrem geblümten Nachthemd. Schade, dass ihr Vater ein Verräter ist.

Auch die Kleine ist rasch verschnürt. Mit den Kindern werde ich mich später beschäftigen. Wenn ich sie nicht mehr als Druckmittel benötige. Die dicken Tränen werden dem Mädchen nicht helfen.

Leise betrete ich das Elternschlafzimmer. Das Ehepaar liegt eng beisammen, die Hände ineinander verschränkt. Wie süß, aber nicht gerade hilfreich. Ich werde die Frau kaum fesseln können, ohne dass ihr Mann aufwacht. Andererseits deutet dieses traute Zusammensein darauf hin, dass Matteo seine Francesca nicht einfach im Stich lassen und davonlaufen wird, sobald er merkt, was hier los ist. Ach Onkel, weißt du denn nicht, dass man seine Schwächen niemals so deutlich zeigen sollte? Aber andererseits, er hat sich dafür entschieden die Famiglia zu verraten, mit seinem Hirn kann es also nicht weit her sein.

Wie ihre Tochter hat die Frau ihr Haar zu Zöpfen geflochten, bevor sie zu Bett ging. Ich packe einen und zerre sie mit einem heftigen Ruck daran aus dem Bett. Derartig unsanft aus dem Schlaf gerissen, schreit sie wie am Spieß, was auch Matteo munter werden lässt.

Er springt aus dem Bett und zieht eine Pistole unter der Matratze hervor. Zu spät. Längst habe ich Francesca an mich gepresst und ein Messer an ihre Kehle gesetzt. Wenn Matteo jetzt schießt, wird er nur seine Frau treffen.

»Hallo, Onkel«, sage ich verächtlich. »Ich fordere deinen Gehorsam und deine Treue gegenüber der Famiglia ein!«

Matteos Hand mit der Waffe zittert merklich. Was für ein Schlappschwanz!

»Ach, ich vergaß, du gehörst ja nun zu Ulivieris verlauster Bande. Kannst dir sicher vorstellen, dass dem Capo nichts mehr an deinem Leben liegt. Aber was mit deiner Frau und den Kindern passiert, hängt allein von dir ab. Gib mir die Waffe.«

Er sollte wissen, dass außer mir niemand lebend hier herausspazieren wird. Aber welche Optionen hat er denn? Gegen mich hat er keine Chance, und wenn er die Kids nicht meiner Rache überlassen will, sollte er gehorchen.

Tatsächlich gibt Matteo auf und kickt die Knarre mit seinem nackten Fuß zu mir.

»Dreh dich um, Hände nach hinten«, befehle ich.

Zögernd wendet mein Onkel sich ab, während seine Frau nur noch erbärmlich schluchzt. Läuft doch! Ich fessele Francescas Handgelenke aneinander und stoße sie aufs Bett. Wie ein hilfloser Käfer versucht sie, von mir wegzurobben. Lächerlicher Versuch. Gelassen fixiere ich Matteos Hände hinter seinem Rücken.

»Lass Francesca und die Kinder gehen!«, krächzt er heiser. »Sie sollen das hier nicht sehen.«

»Aber, aber, wo bliebe denn da der Spaß?«, frage ich höhnisch.

Erneut greife ich mir Francesca, zerre sie hoch und zerreiße ihr Nachthemd.

»Nein!«

Mit einem wilden Schrei stolpert Matteo auf mich zu, doch damit habe ich natürlich gerechnet. Ich trete nach seiner Kniescheibe, er jault auf, taumelt zurück, bleibt zitternd in gebührendem Abstand stehen.

»Was für eine wunderbare, makellose Haut Francesca hat«, spotte ich. »Leider nicht mehr lange, fürchte ich.«

»Bitte, tu ihr nichts, sie kann doch nichts dafür«, jammert Matteo.

Mammoletta! Aber langsam geht das hier in die richtige Richtung.

»Vergiss es.«

Mit einem Arm presse ich Matteos Frau an mich, setze das Messer an und schneide in die weiche Haut unter ihren Brüsten. Die scharfe Klinge hinterlässt einen präzisen Schnitt, aus dem sofort ein dünnes Rinnsal Blut über ihre weiße Haut fließt. Francesca kreischt wie eine wild gewordene Gans, während Matteo brüllend und ungelenk in meine Richtung wankt.

Ich lache nur dreckig und trete erneut nach ihm.

»Warum gehst du nicht auf mich los? Ich bin doch schuld!«, stöhnt mein Onkel und reißt an seinen Fesseln.

»Niemand von euch wird diese Nacht überleben«, sage ich lapidar. Ein weiter Schnitt, nicht sehr tief, quer über Francescas Bauch. Sie plärrt noch lauter. »Aber wenigstens einer in diesem Raum wird sich zuvor ein wenig amüsieren.«

Francesca stößt einen Ton aus, dem einer Sirene nicht unähnlich, als ich die Klinge erneut ansetze.

»Bitte!«, röhrt mein Onkel.

»Darf ich das so verstehen, dass du dir einen schnellen Tod für sie wünschst?«, frage ich boshaft. »Was würdest du dafür tun?«

»Alles«, krächzt Matteo. »Was auch immer du sadistischer Bastard willst.«

Ich kann mir ein fieses Grinsen nicht verkneifen und hebe die Pistole auf, während Matteo seiner Frau ein letztes Mal tief in die Augen schaut.

»Verzeih mir«, flüstert er, aber da habe ich die Waffe schon an ihre Schläfe gesetzt und abgedrückt. Der Schuss hallt laut durch die Nacht, während ihr Blut und ihre Gehirnmasse auf mein Gesicht spritzt, doch Matteos Geheule übertönt alles. Er bricht auf der Stelle zusammen.

Angewidert stoße ich die tote Francesca von mir und werfe einen verächtlichen Blick auf meinen Onkel, dem Tränen und Rotz über die Fresse laufen.

»Da du schon mal am Boden liegst, kannst du gleich zu mir kriechen und darum betteln, dass du der Nächste bist, der mein Messer kennenlernen darf. Sonst könnte ich auf die Idee kommen, mit den Bälgern weiterzumachen.«

Heulend und ungelenk, dank der immer noch auf dem Rücken gefesselten Hände und dem sicher schmerzenden Knie, robbt er zu mir. »Bitte nicht«, schnieft er.

»Hm. Dann will ich aber hören, wie dankbar du mir dafür bist, dass du die Strafe für deinen Verrat allein erdulden darfst.«

»Ich danke dir, Carlo«, krächzt er und senkt unterwürfig den Kopf.

Mamma Mia, ich hätte nie gedacht, dass ich bei diesem Auftrag derartig auf meine Kosten kommen würde. Ich nehme das Messer zur Hand. Oh ja, Matteo wird für seine Untreue bezahlen!

Eine Stunde später sieht es in dem Schlafzimmer aus wie in einem Schlachthof. Mein Onkel hat länger durchgehalten, als ich es ihm zugetraut hätte, aber wer bin ich, dass ich mich darüber beklagen würde? Doch jetzt hat er definitiv den letzten Atemzug getan. Bleiben nur noch die Kids. Mehrmals habe ich Matteo in der vergangenen Stunde versprochen, es für sie kurz und schmerzlos zu machen, und der Ehrenkodex der Famiglia gebietet mir, mich daran zu halten. Schade eigentlich. Obwohl ich für eine Nacht wahrlich genug Tränen, Blut und Pisse gesehen habe. Erneut schnappe ich mir die Pistole und gehe ins Kinderzimmer.

Ich bin fest davon ausgegangen, zwei gefesselte, zu Tode erschrockene Kinder in ihren Betten vorzufinden. Doch nur die Seile liegen noch da, kringeln sich höhnisch auf dem Boden, während von den Kleinen jede Spur fehlt.

Porca puttana! Wie konnte das passieren? Ich war zu nachlässig, habe nicht daran gedacht, dass das Blut der Cortones auch in diesen kleinen Scheißern fließt. Haben sie die Zeit, in der ich mich mit ihrem Vater beschäftigt habe, genutzt, um zu fliehen, oder sind sie hier noch irgendwo?

Ich werde ganz ruhig. Horche in die Stille der Bude hinein, die nach den Schmerzensschreien der letzten Stunde geradezu gespenstisch ist. Tatsächlich, da ist ein Geräusch. Ein unterdrücktes Schluchzen, als presse sich jemand mit aller Gewalt die Hand auf den Mund. Sehr gut.

Ich schleiche zu dem klapprigen Schrank, aus dem das leise Wimmern kommt. Hebe die Pistole. Noch zwei Schüsse, dann ist es vorbei. Ich reiße mit der linken Hand die Schranktür auf, erwarte, beide Kinder zu entdecken, doch nur das Mädchen hockt in einer Ecke, das Blümchennachthemd eingenässt, Tränen kullern über ihre Wangen. Ich drücke ab.

Im selben Moment schießt ein dünnes Ärmchen aus dem obersten Fach des Schrankes, im Augenwinkel sehe ich etwas aufblitzen, das auf meine Kehle zielt. Instinktiv reiße ich den Arm hoch, blocke den Angriff ab. Doch die heftige Gegenwehr verleiht der Attacke erst richtig Kraft. Ein Messer trifft mein Gesicht, wie in Zeitlupe nehme ich wahr, dass eine Klinge in die Haut meiner Wange schneidet, hinunter bis auf den Knochen, und daran abrutscht. Dann erreicht die Schmerzexplosion meinen Verstand, gleißende Blitze toben durch meinen ganzen Schädel, zerstören jeden klaren Gedanken. Ich brülle wie ein Stier. Blutiger Nebel liegt vor meinen Augen, halb blind schieße ich mehrmals auf den Angreifer.

Wie ein nasser Sack fällt sein kleiner Körper aus dem Schrank und kracht zu Boden. Ich schieße erneut, feuere die letzte Kugel aus dem Magazin auf die leblose Gestalt. Eine neue, weit heftigere Schmerzwelle packt mich, schüttelt mich durch. Immer noch brüllend lasse ich die Pistole fallen. Das warme Blut, das über mein Gesicht läuft, macht mich wahnsinnig. Ich stolpere über den fadenscheinigen Teppich im Kinderzimmer, stoße wüste Verwünschungen aus und stürme hinaus in die Nacht. In wilder Raserei schleudere ich den Benzinkanister in den Flur und werfe ein brennendes Streichholz hinterher.

Ich habe keinen Nerv, den Brand sorgfältig zu legen, kann nur an die klaffende Wunde in meinem Gesicht und diese wahnsinnigen Schmerzen denken. Die Haut muss in Fetzen an meiner Wange herabhängen. Ich presse meine Hände auf den schmerzhaft pulsierenden Schnitt, fühle warmes, feuchtes Fleisch, wo glatte Haut sein sollte, klebriges Blut quillt mir durch die Finger. Figlio di puttana! Ich hoffe, dieser kleine Scheißer brennt in der Hölle!

Ein Flackern entsteht im Haus, das rasch zu einem ordentlichen Feuer anwächst. Schwer atmend stütze ich mich auf den Knien ab, wische mir die blutigen Hände an der Jeans ab. Nach und nach ergreifen die Flammen von der ganzen Hütte Besitz, fressen sich immer schneller durch das Holz. Nichts rührt sich mehr da drin, nichts außer dem Flackern des Feuers. Der stechende Schmerz verwandelt sich in ein fieses Pochen, während das Blut nur noch zäh aus der Wunde in meinen Kragen tropft. Cazzo! Aber der Auftrag ist erledigt. Und ich werde den Teufel tun und irgendwem verraten, dass es der elende Wicht war, der mich verwundet hat. Da werde ich ja zum Gespött der ganzen Famiglia.

Wenn ich erst in diesem München angekommen bin, wird es nicht lange dauern, bis ich dem Padre dort bewiesen habe, dass ich der beste Mann für den Posten des Capo Crimine bin. Und dann wird es keiner mehr wagen, mich zu fragen, wie das passiert ist.

Vico - Il Conte

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