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Kapitel 8
Оглавление161. Der Friesen Bekehrung
Nach Friesland kam der heilige Wolfram, der wurde
des Volkes und Landes erster Apostel. Ein Traumgesicht
hatte ihm offenbart, daß er das werden solle, und
so kam er zum Hofe des Friesenherzogs, der hieß
Radbot, und wie der Heilige kam, da sollte dem Götzen
nach der heidnischen Landessitte eben wieder ein
Opfer durch den Strang gebracht werden, ein durch
das Los erwählter Knabe des Namens Occo. Da bat
Wolfram für den Knaben und um dessen Leben im
Namen seines Gottes und Heilandes bei Herzog Radbot,
und Radbot sprach: Siehe, ob dein Christus ihn
vom Tode erretten kann, dann soll er dein sein. – Wie
nun der Knabe zum Strange geführt und aufgeknüpft
ward, da betete Wolfram, und da riß der Strang, der
Knabe fiel zur Erde und wandelte unversehrt, und
Wolfram taufte ihn. Da erkannte Radbot die Macht
des Heilandes und dachte, sich auch zum Christenglauben
zu bekehren. Ehe Radbot aber dazu schritt,
erschien ihm in der Nacht der Teufel in Engelsgestalt
und in herrlichem Geschmuck und flüsterte ihm zu:
Warum willst du abfallen von deines Landes Gott?
Tust du das nicht, so wirst du künftig wohnen in
einem goldnen Hause, das will ich dir zeigen morgen
des Tages. Nun frage aber auch Wolfram, wo denn
sein Himmel sei, den er dir verheißt. Er soll ihn dir
auch zeigen, so er das vermag. –
Das sagte Radbot andern Tages dem heiligen
Wolfram an und verhieß, er wolle ein Christ werden,
wenn der Friesen Gott ihm nicht das goldne Haus
zeige, Wolfram aber sagte, und wenn dem Herzoge
auch solches Haus gezeigt werde, so werde es ein
Gaukelspiel des Satans sein. – Da wurde nun ein
Friese erwählt für Radbot und ein Diakon für Wolfram,
die gingen aus zusammen, das Haus zu finden,
und alsbald gesellte sich ein Dritter zu ihnen als ein
Wegweiser. Sie kamen unvermerkt auf einen herrlichen
Weg, der war mit Marmor geplattet, und von
fern leuchtete ihnen das goldene Haus entgegen, herrlich
und voller Glast, und darin stand auch ein Thron
von Elfenbein mit Edelsteinen geziert und mit Purpur
ausgeschlagen. Und der Führer sprach zu dem Diakon
und zu dem Friesen: Sehet, das ist Herzog Radbots
ewiges Haus. – Und der Diakonus sprach: Ja, wenn
Gott es gebaut hat, so wird es ewig stehen, und schlug
ein Kreuz gegen das Haus: hui, da schwand es dahin,
und war ein stinkender Kothaufen, und der Marbelweg
war eine Sumpflache, und der Führer war der
Teufel selber, der verschwand mit Gestank und Zorngebrüll.
Schnell waren der Friese und der Diakon zum
Hause gelangt, aber drei Tage lang mußten sie mühsam
durch Binsen und Geröhrig schreiten, ehe sie die
Stadt des Herzogs wieder erreichten. Der Friese sagte
seine Botschaft an, und was er gesehen, und ließ sich
taufen. Sein Name hieß Sugomar. Und Herzog Radbot,
als er diese Mär vernommen, wollte sich auch
taufen lassen, und da er in das große steinerne Taufbecken
treten wollte und schon einen Fuß hineingestellt
hatte, fragte er, wo die Schar seiner Vorfahren
sich befinde, bei den Seligen im Himmel oder bei den
Teufeln in der Hölle. – Darauf antwortete der Bischof:
Wer nicht glaubet und getauft wird, der wird
nicht selig. – Da zog Radbot den Fuß wieder aus dem
Becken und sprach: Wo meine Voreltern sind, will
ich auch sein, bei meiner Magschaft und Sippschaft;
was soll ich allein im Paradiese bei den wenigen
Christenleuten? – Und ließ sich nicht taufen. Aber am
dritten Tage starb Herzog Radbot und fuhr hin zu seiner
Sippschaft und Magschaft.
Da der heilige Bonifazius zu den Friesen kam und
sie auch bekehren wollte, ließ wohl ein Teil sich taufen,
aber nachher erschlugen sie ihn samt seinen Gefährten
Adolar und Theoban und fielen wieder in das
Heidentum zurück.
162. Wittekinds Taufe
Kaiser Karl der Große war gar mildtätig gegen Arme
und Gaben Heischende, absonderlich an den großen
Festtagen, deshalb folgten ihm auch die Bettler in
Scharen nach. Da geschah es in einer Karwoche, daß
Wittekind, der Sachsen Heerführer, der zu Engern
saß, den Kaiser zu versuchen dachte, legte Bettlergewande
an, ging in Karls Lager, wollte auch der Franken
Heimlichkeit erkunden und setzte sich unter die
Schar der Bettler. Da nun der erste Ostertag angebrochen
war, wurde die heilige Messe gelesen, und wie
der Priester das Heiligtum emporhob, so erblickte
Wittekind durch ein göttliches Wunder in der Monstranz
ein Kind, so schön, wie er noch nie eines gesehen
hatte, und ward gegen das Kind voller Liebe.
Nach dem Messeopfer wurden den Bettlern Silberpfennige
ausgeteilt, und da wurde Wittekinds Heldengestalt
erkannt trotz seiner Verkleidung und er vor
Kaiser Karl geführt. Aber Karl empfing seinen großen
Gegner gütig und sprach mit ihm über den Christengott
und seinen Dienst, und Wittekind erzählte von
dem Kinde, das ihm vorgeschwebt. Darauf hat der
Sachsenheld die heilige Taufe willig angenommen
und hat auch veranlaßt, daß viele seiner ihm untergebenen
Fürsten und Führer sich taufen ließen, und Karl
der Große machte ihn zum Herzoge von Sachsen, Engern
und Westfalen und verwandelte das schwarze
springende Roß, welches der Sachsenheld in seinem
Schilde führte, in ein weißes.
163. Das Oldenburger Horn
Im heutigen Oldenburger Lande herrschte ein Graf,
des Namens Otto, der hatte große Lust am Jagen, und
zog aus mit seinen Vasallen, Jagdgenossen und Jägern
nach einem Walde, der hieß Bernefeuer, nicht
allzufern von dem Osenberge. Da stieß dem Grafen
ein Reh auf, das floh vor ihm her, und er hetzte es mit
seinen Rüden und kam in der Verfolgung seinem
Jagdgefolge ganz aus dem Gesicht, und sein weißes
Pferd trug ihn also schnell von dannen, daß er selbst
seinen schnellen Winden aus der Spur kam und sich
mit einem Male, ohne auch nur vom weiten etwas von
seiner Jägerei zu sehen oder zu hören, auf einer stillen
Bergfläche befand. Auch das Reh, das ihn so weit
verlockt, sah er nimmer. Nun war die Hitze an diesem
Tage groß, es soll im Julimond gewesen sein, und den
Grafen durstete sehr, daher sprach er zu sich selbst: O
Gott, wer kühlen Wassers nur einen einzigen Trunk
hätte! – Siehe, da öffnete sich eine Felswand am
Osenberg, und es trat aus ihr eine schöne, wohlgezierte
Jungfrau, reizend anzuschauen, die hielt in ihrer
Hand ein uraltes Jägertrinkhorn, verziert mit mancherlei
seltsamem Bildwerk, das war von Silber überkleidet
und kostbar vergüldet und überaus künstlich, voll
Figuren, und das Horn war voll eines Trankes, den
bot die Jungfrau dem Grafen sittiglich dar. Graf Otto
nahm das Trinkhorn, schlug den Deckel auf und wollte
es zum Munde führen, sah aber in das Horn hinein
und beschaute den Trank, und der gefiel ihm mitnichten,
denn als er ihn schüttelte, war er trübe und roch
auch nicht wie Malvasier – und der Graf trank nicht.
Die Jungfrau aber ermunterte den Grafen, er solle nur
ihr vertrauen und trinken; es werde ihm und seinem
Geschlechte gedeihen. Dies und die Landschaft Oldenburg
werde davon ein gutes Gedeihen haben. –
Aber der Graf weigerte sich fortdauernd, um so mehr,
da die Jungfrau in ihn drang, doch zu trinken, und so
sagte sie: Wo du nicht trinkest, wird in deinem Geschlechte
und deiner Nachkommenschaft nimmermehr
Einigkeit sein. Nun hielt der Graf immer noch das
Horn mit dem Trunke in seiner Hand und hatte sein
Bedenken, und da zuckte das Roß, und es troff etwas
von dem Tranke über und auf des Pferdes hintern
Bug, da gingen gleich dem Pferde die Haare weg.
Jetzt langte die Jungfrau nach dem Horne und begehrte
es wieder aus seiner Hand zu nehmen, aber der
Graf behielt es in seiner Hand und ritt von dannen,
und die Jungfrau schwand wieder in den Berg hinein.
Den Grafen aber kam ein Grauen an, und schüttete
das Horn aus, und behielt es, und ritt weiter, indem er
sein Roß spornte, bis er sich wieder zu seiner Jägerei
fand, zeigte ihr das Horn und erzählte, auf wie wun-
derbarliche Weise er zu dem köstlichen Kleinod gekommen
sei. Darauf ist das Horn sorgsam im Schatz
der Grafen von Oldenburg aufbewahrt worden.
Dieser Graf Otto war dieses Namens der erste in
seinem edlen Geschlecht und hatte von seiner Gemahlin
Mechthild, Gräfin von Alvensleben, fünf Söhne,
deren ältester war Johannes der Erste, dieser hatte
wiederum fünf Söhne, von denen ward der erste Udo
geheißen, Bischof zu Hildesheim, der zweite aber
hieß Huno, der war gar herrlich und ehrenreich, also
daß er den Beinamen Gloriosus empfangen hat.
164. Friedrich der Löwensieger
Graf Huno von Oldenburg war auch ein frommer und
rechter Mann, der lebte zu den Zeiten Kaiser Konrad
des Saliers und wurde von diesem Kaiser zu einem
Reichstag nach Goslar beschieden. Aber über den
Übungen seiner Frömmigkeit vor Gott und über guten
Werken verabsäumte er den Fürstentag, weshalb
Übelgesinnte ihn übler und aufwieglerischer Gesinnung
ziehen und den Zorn des Kaisers gegen ihn erregten.
Und der Kaiser gebot, Graf Huno solle seine
Unschuld durch ein Gottesurteil beweisen oder als
Aufrührer sterben. Er solle auf Tod und Leben mit
einem ungeheuern, grausamen Löwen kämpfen. Nun
hatte Graf Huno einen jungen freudigen Sohn, der war
stark und gewandt und mutvoll, der begleitete seinen
Vater an des Kaisers Hof und trat für seinen Vater als
Kämpfer ein, denn Graf Huno war alt und wäre dem
grimmen Löwen wohl leicht erlegen. Beide gelobten
der heiligen Jungfrau, wenn ihnen der Sieg zufiele, ein
reiches Stift zu gründen. Vor dem Kampfe ersann der
junge Graf von Oldenburg eine List, er ließ eine
Puppe von Stroh und Leinwand lebensgroß anfertigen
und dieselbe ritterlich bekleiden, so daß sie einen
Mann vorstellte, die trug er vor sich her, und als der
Löwe ihm entgegensprang, warf er ihm die Puppe ent-
gegen, darauf fiel er den Löwen an, während der
Löwe den Strohmann zerriß, und besiegte ihn ohne
Verletzung. Der Kaiser war froh und umarmte den
jungen Helden, schenkte ihm seinen eigenen Schwertgurt
und seinen Ring und belehnte ihn mit vielen Gütern.
Lange Zeit sind von diesem Löwensiege im Friesenlande
Lieder gesungen worden.
165. Das Zwergvolk im Osenberge
Im Osenberge, aus dem vorzeiten die Jungfrau trat,
welche dem Grafen von Oldenburg das Horn darreichte,
gibt es Zwerge und Erdmännlein.
Lurlei
Im Dorfe Bümmerstett war ein Wirtshaus, das hatte
von den Zwerglein gute Nahrung. Sie liebten das Bier
und holten es gern, wenn es vom Brauen noch warm
aus der Bütte kam, und bezahlten es mit gutem Gelde
vom feinsten Silber, obschon solches Geld kein landübliches
Gepräge hatte. Da ist auch einmal ein uraltes
Zwerglein zu durstiger Jahreszeit in das Brauhaus gekommen
und hat Bier holen wollen, hat aber großmächtigen
Durst mitgebracht und gleich etwelche gute
Züge in die Hitze getan, darauf ist es eingeschlafen
tief und fest, und niemand hat gewagt, es zu stören
oder zu wecken. Aber als das steinalte Männlein endlich
wieder aufgewacht ist, da hat es angehoben bitterlich
zu weinen und zu klagen: Ach ach ach! was
wird mein Großvater mir nun für Schläge geben! –
Und ist so eilend davongesprungen, daß es gar seinen
Bierkrug vergessen gehabt, und nimmermehr ist das
Männlein oder ein anderes Gezwerg wieder in das
Brauhaus zu Bümmerstett gekommen. Den Krug aber
hob der Wirt gut auf, und hatte die beste Nahrung;
dann heiratete des Wirtes Tochter, blieb aber mit
ihrem Mann im Hause und setzte die Wirtschaft fort,
und hatten auch lange Zeit Nahrung vollauf. Aber
endlich wurde durch Unvorsicht der Krug zerbrochen,
und von da an ging gleich die Wirtschaft den Krebsgang,
und mit dem Kruge war das Glück zerbrochen,
denn Glück und Glas, wie bald bricht das, oder Glück
und Glas, wie bald zerbricht ein Bierkrug! Der Wirt,
der die Tochter des alten Wirts gefreit hatte, wurde an
die hundert Jahre alt und hat es selbst oft und viel erzählt,
es ist aber schon lange her, daß er es erzählt
hat, schon volle zweihundert Jahre.
166. Die Elben
In den Gewässern um die Nordseeküsten, um Friesland
und zwischen der Elbemündung und Helgoland,
erblickt man häufig schwimmende Eierschalen; in diesen
fahren die Elben herum. Das sind kleine zarte Elementargeisterlein,
teils guter, teils schlimmer Art.
Sie wohnen im Wasser und kommen oft in Wasserbläschen
über fischleeren Weihern auf die Oberfläche,
hausen aber auch in kleinen Hügeln; in Brabant heißen
diese Hügel Alvinnenhügel, da hat das alte Wort
Alf, Elf, Elbe sich nur in Alfin, Alvinne umgewandelt.
So klein der Elben Erscheinen ist, so groß ist
ihre Macht, dies deutet nichts besser an als der große
gewaltige Strom, an dessen Ausgang in das Meer sie
wohnen, und der ihren Namen trägt, die Elbe, darin
wohl einen tiefen Sinn – des Naturgeistes Mächtigkeit
zugleich im Kleinsten wie im Größten – die alte mythische
Weisheit in der deutschen Sprache runischen
Zauber bannte. So mag einer das Rätsel aufgeben, mit
einem Wort das ätherisch Leichteste und etwas recht
Schweres, ins Gewicht Fallendes zu nennen. Im
Worte Elfenbein ist die Lösung gegeben.
In Westflandern sagen die Leute, wenn der Wind
recht pfeift und heult: Alvinna weint – und denken
sich unter der Alvinna eine mythische Persönlichkeit,
es ist aber eben nur die personifizierte Naturstimme,
als elbisch-dämonische Macht im dunkeln Volksbewußtsein
lebendig.
167. Das heilige Land
Hoch aus der Nordsee Fluten hebt sich die Insel Helgoland,
deren Name noch im vorigen Jahrhundert gar
nicht anders als Heilgeland geschrieben wurde, insula
sancta, weil sie vor grauen Zeiten ein Götterheiligtum
gewesen. Schon damals mochte der Reimspruch seine
Geltung haben:
Grün ist das Land,
Rot ist der Rand,
Weiß ist der Sand,
Das sind die Zeichen von Helgoland.
Als das Heidentum verschwunden war, hatten auf
dieser Insel sieben ausgedehnte Kirchspiele Raum.
Noch im Jahre 1530 ernährte die Insel, nachdem die
Meeresflut längst des Landes größten Teil verschlungen,
über zweitausend Bewohner fast ausschließlich
durch den Heringsfang. Da kam es einigen Übermütigen
bei, die nur geringen Fang getan, einen oder einige
Heringe mit Ruten zu peitschen, da schwand auch
dieser Segen hinweg, die Insel wurde immer kleiner
und immer ärmer, und was vordem Tausende genährt,
nährte nun nur noch Hunderte. Die Sage geht, daß das
Heilgeland von alters her kein giftiges Tier auf sich
dulde. Wegen der Heringe, sagen andere, sei es also
gewesen, daß die Helgoländer oft nicht Tonnen und
Salz genug für den reichen Segen gehabt, die Heringe
seien sogar den Strand hinaufgelaufen, da habe eine
alte Helgoländerin, darüber ärgerlich, einmal einen
Besen genommen und sie hinuntergefegt, von dieser
Zeit an seien sie ausgeblieben.
168. Fositesland
Auf der Insel Helgoland stand zu Heidenzeiten das
Heiligtum eines Gottes des Namens Fosite oder Fosete,
der war ein Gott der Eintracht und des Friedens.
Kein unreines Tier durfte seinem Tempel nahen, und
wer des Ortes Heiligkeit verletzte, mußte den Tod erleiden.
Die Apostel dieses gottheiligen Landes waren
Ludger und Wilibrord. Ludger schiffte, ein Kreuz in
der Hand, auf die Insel zu, und sang den sechzigsten
Psalm. Da ward ein Rauch erblickt, der von der Insel
aufstieg und hoch über sie sich ausbreitete und alsdann
verschwand. Da sprach Ludger: Wisset, meine
Brüder, daß dieser Dampf Satan selbst war, den nun
der Herr von diesem Insellande vertrieben. Und betrat
das Ufer freudig und predigte Jesum Christum. Er zerstörte
den Tempel Fosetes und baute an seiner Stätte
die erste Kirche. Als Wilibrord eines der Tiere
schlachtete, welche um Fosetes Tempel weideten und
für heilig und unverletzbar galten, glaubten die Bewohner,
er werde alsbald sterben, da dies aber nicht
geschah, so ließen sie sich taufen. Selbst die Seeräuber
in späterer Zeit achteten dieses Land also heilig,
daß sie nie etwas davon hinwegführten, ja den frommen
Einsiedlern, die dort wohnten, reichten sie sogar
einen Teil ihrer Beute. So ist auch bis auf den heuti-
gen Tag alldort ein tiefer heiliger Brunnen, darinnen,
dem Meeresstrande so nahe, doch süßes Wasser
quillt. Daraus sind die heidnischen Bewohner des
Landes getauft worden.
169. Der Jungfernstuhl und der Mönch auf
Helgoland
Da die eilftausend Jungfrauen unter Anführung der
heiligen Ursula aus Albion gen Köln zogen, kamen
sie auf ihrer Meerfahrt auch nach dem grünen Helgoland
und landeten allda, aber die Einwohner verfolgten
einige an das Land Gekommene, daß sie nicht
wußten, wie sich retten, da eilten sie an den Strand
und sprangen auf das Wasser, darin gingen sie nicht
unter, sondern es hob sich ein Fels unter ihren Füßen,
auf dem sie ruhten, bis ihr Schiff herankam und sie
einnahm. Dieser Fels hat davon den Namen Jungfernstuhl
erhalten. Um ihn her wurden noch lange Jahre
die Fußtapfen der Jungfrauen tief in den Boden eingedrückt
ersehen. Aber zur Strafe verwünschten die
Jungfrauen alles auf der Insel, außer die Menschen.
Da verwandelte sich alles Geräte in Stein. Ein Prediger
hat davon lange ein Endchen Wachslicht in Verwahrung
behalten, das ganz zu Stein geworden.
Als hernachmals Helgoland dennoch christlich geworden
war, hielten seine Bewohner fest am alten
Glauben. Da sendete der König einen Mönch, welcher
Luthers Lehre angenommen hatte, dorthin, diese
Lehre dort zu predigen, aber die Einwohner stürzten
ihn von einem Felsen herab in das Meer. Da wuchs
ein steinern Gebilde aus der Tiefe, ganz wie ein
Mönch gestaltet, und auf der Klippe ging der Geist
des Bekehrers um und predigte mit einer Donnerstimme,
so lange, bis sich die Leute dennoch zur neuen
Lehre bekehrten, dann hatte der Geist Ruhe, aber der
steinerne Mönch blieb als ein sonderbares Wahrzeichen
stehen.
170. Mannigfual
In der Nordsee, erzählen die nordfriesischen Seefahrer,
steuert ein Riesenschiff. Sein Umfang ist untümlich
groß, die Masten sind höher als alle Kirchtürme,
die Taue sind so dick wie große Tannen. In der Takellage
sind Öffnungen, dahinein die Matrosen zum öftern
gehen, der Einkehr halber, um eine Stärkung zu
sich zu nehmen, denn wer als junger Matrose da hinaufklettert,
der kommt erst in hohen Jahren mit grauem
Haar und Bart wieder herunter. Der Kapitän reist
zu Pferde auf dem Verdeck herum, um seine Befehle
zu erteilen, und ist froh, wenn er in einem Tage herumkommt.
Dieses wundersame Schiff heißt der
Mannigfual. Insgeheim hält es seinen Kurs nur im
hohen Norden, im tiefsten Fahrwasser, denn sonst
könnte es in der Landnähe bald aufsitzen. Einstmals
wurde das Schiff dennoch südwärts getrieben, es befand
sich im Atlantischen Ozean und kam in den
Kanal zwischen Dover und Calais. Da war ihm das
Fahrwasser zu schmal, es füllte beinahe den Kanal
ganz aus, da hätten die Franzosen auf trocknem
Boden über das Schiff weg nach England spazierengehen
können. Da fiel dem Kapitän ein guter Gedanke
ein, er ließ die Backbordseite, nach Dover zu, ganz
mit weißer Seife bestreichen, das glückte, jetzt wisch-
te der Mannigfual glücklich durch die Meerenge und
kam in die Nordsee. Aber die abgescheuerte Seife und
der Schaum, den es gab, verliehen den Felsen der britischen
Küste bei Dover ihre weiße Farbe bis auf den
heutigen Tag.
Einst geriet der Mannigfual in die Ostsee, Gott
weiß wie. Da war das Wasser gar zu seicht. Die
Schiffsleute warfen ihren Ballast, Schlacken und
Asche über Bord, um das Schiff flott zu machen. Daraus
ist die Insel Bornholm entstanden, und aus dem
Unrat der Kabuse das dabeiliegende Inselchen Christiansoe.
171. Der Geldsot
In Süddithmarschen bei Marne rinnt eine helle Quelle
über die Marsch hin, die blinkt wie Silber. Nahe
dabei hat ein Dorf gestanden, das verheerte erst der
Moskowiterkrieg, nachher kam die Seuche, und da
starb es ganz aus bis auf einen einzigen Mann, das
war der Hirte, und der erbte nun all das Geld und Gut,
das die Verstorbenen hatten zurücklassen müssen,
doch half es ihm auch weiter nichts, denn er verließ
den Ort nicht. Er hatte aber seine Lust daran, alles zusammenzutragen,
und versenkte dann alles hinab in
den Quellbrunnen, und dann starb er und hinterließ
keine Erben. Es mochte es aber im Vorbeireisen doch
jemand gesehen haben, was der Hirte getan, denn die
Sache kam unter die Leute, und der Brunnen wurde
der Geldsot geheißen. Wenn einer mit einem Stocke
in den Quell hineinstieß, klang es hohl, und man
konnte bisweilen in der Tiefe den kleinen grauen
Mann sehen, wie er, einen schwarzen Hut auf dem
Kopf und ein brennendes Licht in der Hand, nachsieht,
ob der Schatz noch ganz vorhanden ist. Wollte
einer versuchen und hinabgreifen, so war der Hirte
verschwunden. Einstmals haben sich ihrer Dreie verbunden,
den Schatz zu heben, und haben die Quelle
weit aufgegraben, und da sind sie auf einen großen
Braukessel gestoßen, den konnten sie so nicht herausheben,
da legten sie einen Windebaum quer über das
Loch und banden Stricke an die Öhre und begannen
den Kessel in die Höhe zu winden, das taten sie aber
ganz stillschweigend, weil man beim Schatzheben ja
nicht reden darf. Mit einem Male hörten sie Räder rollen
und Achsen ächzen, und da fuhr ein Fuder Heu
vorbei, das zogen sechs weiße Mäuse. Aber keiner
von den Dreien verlor ein Wort, noch einen Laut, und
der Kessel rückte schon merklich höher. Da kam der
Mann mit dem dreieckichten Hute auf einem Schimmel
geritten, der nur drei Beine hatte. – Guten Abend!
sagte der Alte, aber die Drei waren klug und antworteten
nicht. – Könnt' ich wohl das Heufuder einholen?
fragte der Mann weiter, und da fuhr's dem einen heraus:
Den Teufel wirst du's einholen, du lahmer Krüppel
auf deinem lebendigen Dreibein! – O weh, da
brach die Winde, und der Kessel versank, und nimmermehr,
so viel ihrer es auch später wieder versucht
haben, hat einer vermocht, ihn zu heben.
172. Röwerlöwe
Der Dithmarschen Volk liebte von Urväterzeiten her
seine Freiheit über alles. Große Kämpfe hat es bestanden
und blutige Schlachten geschlagen, und viele
siegreich, bis es zuletzt noch überwunden ward. Aber
immer noch ist in ihm die Erinnerung an seinen alten
Ruhm lebendig, wie die Hoffnung auf seiner Freiheit
Wiederkehr.
Kaiser Karl der Große schon hatte mit den Dithmarschen
zu kämpfen. Nun lebte zu Windbergen ein
starker und tapferer Kampfheld, genannt Röwerlöwe,
der trat in des Kaisers Dienst, und Karl setzte ihn zu
einem Herrn über das Dithmarschenland und -volk als
einen Vogt, der die Unterjochten im Zaume halten
und zum Christentume zwingen sollte. Aber die Dithmarschen
ließen sich mitnichten im Zaume halten, sie
empörten sich gegen den Röwerlöwe, nahmen ihn gefangen
und räderten ihn. Von diesem Röwerlöwe soll
das berühmte Geschlecht derer von Reventlowen abstammen,
er soll dessen Ahnherr gewesen sein. Lange
Zeit wohnten seine Nachkommen noch in Dithmarschen,
aber immer glimmte im Volk ein alter Groll
gegen dasselbe fort, da hat es sich endlich hinweggewendet
und sich über Holstein, Schleswig und Dänemark
verbreitet.
173. König Dan
Im Lande Dithmarschen geht die Sage, daß der erste
König von Dänemark Dan geheißen, der habe dem
Lande den Namen gegeben, und nach ihm heiße es
Danemark, er habe aber nicht im heutigen Dänemark
gewohnt, sondern in Schleswig. Früher habe er auch
lange Zeit unter den Heiligen im Kalender gestanden.
Zu seiner Zeit war alles noch heidnisch, die Leute verbrannten
ihre Toten, taten die Asche in Urnen und
setzten sie bei in Riesenbergen (Hünenhügeln), König
Dan wollte aber nicht verbrannt sein, sondern auf seinem
königlichen Stuhl im Grabe sitzen, und wollte
auch sein aufgesattelt Pferd bei sich haben, das ist
auch so befolgt worden.
Ohnweit Tönningen in Eiderstede ist ein kleiner
Erdhügel mit einer Höhle. Darinnen sitzt König Dan
wie der Kaiser Friedrich im Kyffhäuser, mit zweimalhunderttausend
Mann Wappnern, und alle schlafen.
Einstmals wurde einem zum Tode verurteilten Soldaten
das Leben versprochen, wenn er in die Höhle hineingehen
und berichten wollte, was er sähe. Da nun
der Soldat in die Höhle kam, sah er den König sitzen
an einem Tisch, und hatte sein Haupt auf den Arm gestützt
und schlief. Der Bart war ihm lang gewachsen
und hing unter den Tisch herab. Jetzt erwachte der
König und fragte den Soldaten: Was willst du? –
Mich schickt mein Herr und König herein, daß ich
Nachricht von Euch bringe. Sage deinem Herrn, erwiderte
König Dan, ich werde zu seiner Zeit wiederkommen
und ihm Hülfe bringen, und er soll herrschen
über die ganze Welt. – Diese Zeit ist noch nicht gekommen
und dürfte wohl auch noch etwas lange verziehen.
174. Die Schlacht auf dem
Tausendteufelsdamme
König Johann von Dänemark sprach zu dem Herzog,
seinem Bruder: Was beginnen wir nur, daß wir das
reiche freie Dithmarschenland an uns bringen? Da
sprach der Herzog: Wir wollen einen Boten an die
sächsische Garde senden, mit deren Beistand wollen
wir wohl den Dithmarschen obsiegen. Und sendeten
einen Boten auch in die Marsch und kündigten dem
Volke an, daß der König drei feste Schlösser haben
wolle im Lande, aber das wollten die Bauern mitnichten
leiden. Und der Bote ging zurück nach Rendsburg,
allwo der König lagerte und ein mächtig großes
Heer sammelte aus Jütland, aus Fünen, aus Holstein
und aus deutschen Landen; Soldknechte eine ganze
Schar vom Rhein, aus Franken und Sachsen, die hatten
sich zusammengetan und nannten sich die sächsische
Garde. Und da die Garde zu dem Königsheere
stieß, da fragte sie: Herr König, wo liegt denn das
Dithmarschen? Liegt es im Himmel droben oder auf
schlichter Erde? – Da sprach der König: Es ist nicht
mit Kloben an den Himmel geschlossen, es liegt auf
Erden. – Darauf sprach wieder die Garde: Herr
König, wenn das Dithmarschenland nicht mit Kloben
an den Himmel geschlossen ist, so soll es bald unser
werden. – Und da ließ der König die Fahnen fliegen
und die Trommeln schlagen und zog mit dem Heere
von zwölftausend Mann auf das tiefe Land zu. Zuerst
zog das Heer nach Windbergen, da lag es eine kleine
Weile und rastete, hernach zog es weiter nach Meldorf
zu und trieb allerlei Übermut und Grausamkeit.
Sie steckten des Königs Banner hoch vom Turme aus
und hingen ihre Schilde über die Mauer, alles den
Dithmarschen zum Hohne. Die hatten nur eine kleine
Schar von tausend Streitern und wichen zurück bis an
die Hemmingstetter Brücke. Da war noch ein Wall
aus der alten Sassenzeit und tiefe Graben, und die
Graben waren schlammig und voll Wasser. Da machten
die Dithmarschen in der Nacht ein Bollwerk,
stopften die Lücken des alten Erdwalles mit Moos
und Schlamm und Binsen, machten ein Pfahlwerk und
erwarteten den Feind. Der kam im Frühstrahl herangezogen,
voll Kampfesmut, und die Dithmarschen
warfen ihnen einen Steinhagel entgegen. Die Feinde
aber suchten in Eile den Graben zu überbrücken, sie
banden Speere zusammen, und darauf warfen sie
querüber wieder Speerbündel, und nun hinüber, aber
rücklings wurden sie niedergestürzt und niedergeschmettert.
Viele wollten im Sprung die Höhe des
Walles gewinnen und schwangen sich am Schaft der
Lanzen hoch empor, aber sie sprangen zu kurz, und
wem ja der Sprung gelang, den empfing in Kolben-
streichen auf dem Wall der sichere Tod. Da leuchtete
mancher alte Morgenstern vom Bornhöveder
Schlachttage wieder hell, und manche verrostete Klinge
von damals schliff sich heute wieder blank an
Feindes Helm und Panzer.
Aber siehe, plötzlich entstand ein Angst- und
Schreckensruf im Kampfhaufen der Dithmarschen:
Umgangen! Weh! Wir sind umgangen! Im Rücken
heran zog Feindesgewimmel, das an anderer Stelle
den Wall überklettert hatte, und es drohte nun der sichere
Tod. Da trat plötzlich allen unversehens eine
Dithmarschenjungfrau vor, die schwang hoch in der
Hand eine Fahne mit dem Bilde des Heilandes und
rief laut zur Mutter Gottes: Hilf uns, Maria, Gebenedeite,
so gelobe ich dir ewige Keuschheit! – Und: Mir
nach, rief sie, drauf! – und stürmte mit der Fahne und
einem Schwert und fliegenden Haares geradezu gegen
den Feind. Da entstand ein hartes und fürchterliches
Schlagen, und lange stand der Kampf, aber die Übermacht
der Feinde war allzu groß. Da aber hatte Gott
ein Erbarmen und sandte die Flut. Die wälzte sich
heran, krachte an die Schleuse, brach die Schleuse,
überströmte die Felder von Hemmingstett, und wie
die Bauern die Wogen daherbrausen sahen, da jauchzten
sie in erneuter Kampflust, nahmen wieder hinterm
Tausendteufelsdamme festen Stand, wo sie sicher vor
der Flut waren, und schlugen auf den Feind los, den
rings die Wogen bedräuten. Da war ein Gardenführer,
sie nannten ihn den langen Jürgen, der hatte Herz im
Leibe und spornte seinen Hengst, und sprengte glücklich
auf den Wall, und rief: Wer wagt es mit mir, der
komme heran! – Und da war ein Bauer, der hieß der
Reimer von Wiemerstede, der sprang vor, schlug mit
seiner Mordaxt des Junker Jürgen Speer zur Seite und
hieb mit derselben Axt in den Panzer des Junker ein,
die saß so fest, daß er sie nicht wieder herausziehen
konnte. Da riß der Reimer den Jürgen am Axtstiel
nieder, trat auf das Eisen und trat es dem Junker fünf
Zoll tief in den Leib hinein. Und von den andern Feinden
blieben zahllose Tote in dieser wilden Schlacht,
außer denen, die von den Wogen verschlungen wurden,
es blieben da fünf von dem Geschlechte derer
von Rantzau, von Ahlefeld sieben, von Wackerbarth
vierzehn, der König entfloh zu Schiffe. Lange sind
noch Lieder von dieser Schlacht auf die sächsische
Garde, von Jürgen Slens, von der kühnen Maid und
dem Reimer von Wiemerstede im Dithmarschenlande
gesungen worden.
175. Wunderbäume in Dithmarschen und
Holstein
In der Kirche von Süderhadstede steht ein alter Holunderbaum.
Zu diesem Baume, geht die Sage, kam
oft der Geist des Königs geritten, der den Dithmarschen
ihre Freiheit genommen. Er ritt auf einem grauen
Schimmel und betete unter dem Baume. Einst wird
die Zeit kommen, da wird auf dem Heideviert, darauf
Süderhadstede liegt, eine große Schlacht geliefert, das
fliehende Heer wird nach dem Dorfe zugetrieben werden
und wird es mit Getümmel erfüllen. Da wird der
König kommen, seinen grauen Schimmel an den Holunderbaum
binden und niederknien und inbrünstig
beten. Dann aber werden dreihundert Dithmarscher
Bauern hinter der Kirche hervortreten, bewaffnet mit
Sensen, Hauen und Dreschflegeln, und aus ihrer Mitte
einer in grauen Hosen, blauer Weste und mit weißen
Hemdsärmeln wird herzutreten und wird dem König
auf die Schulter klopfen und wird sprechen: Herr
König, Er hat uns die Freiheit genommen, doch sei Er
nur gutes Mutes und besteige wieder sein Pferd, wir
wollen Ihm doch beistehen. Da wird der König sich
erheben und seine Leute sammeln, die Bauern aber
werden den Feind aufhalten, und nach neuer blutiger
Schlacht wird dann ein langer Friede ins Land kom-
men.
So stand auch bei Süderhadstede zu den Zeiten der
Freiheit auf einem schönen runden Raum eine uralte
Linde, die ward der Wunderbaum geheißen im ganzen
Marschlande. Ihre Höhe übertraf die aller andern
Bäume ringsumher, ihre Zweige standen alle kreuzweis,
ihresgleichen war nirgends zu finden. Jahr auf
Jahr ergrünte sie frisch, trotz ihres hohen Alters, und
die Rede ging, solange des Landes Freiheit blühe und
grüne, werde auch der Wunderbaum also fortbestehen.
Und so geschah es. Als der Dithmarschen Freiheit
gebrochen ward, verdorrte die Wunderlinde. Aber
noch geht die Sage: auf der dürren Linde wird eine Elster
ihr Nest bauen und wird darinnen ausbrüten fünf
weiße Junge. Das wird das Zeichen sein von der Freiheit
Wiederkehr, und dann wird die Linde wieder ausschlagen
und grünen, wie der dürre Birnbaum auf
dem Walserfeld, wann der Kaiser Friedrich hervortritt
und die große Freiheitsiegesschlacht schlägt. Und
dann wird das Dithmarschenland auch wieder zu seiner
Freiheit kommen. – Ein verheißungenreicher Holunder
ist aus der Nortorfer Kirchhofmauer herausgewachsen
und ein anderer in Schenefeld, an welche
Bäume ganz ähnliche Prophezeiungen sich knüpfen.
176. Der wilde Jäger in Dithmarschen
Auch in Dithmarschen kennt man den wilden Jäger,
wie am Rheine, auf dem Harz, in Thüringen, im
Vogtlande und sonst. Also wird vom Freischützen zu
Marne erzählt, daß er ein ziemlich wilder Bauernbursch
gewesen, der die Jagd über alles geliebt, aber,
nachdem er sich verheiratet und ein kleines Gütchen
bewirtschaftete, dieses über der Jägerei vernachlässigt,
mit dem Weidwerk aber gar wenig aufgesteckt
habe. Da ging er einstmals ganz mißmutig durch den
Wald nach Hause, denn er hatte den ganzen Tag noch
keine Krähe und keine Klaue geschossen, siehe, da
ging ein fremder Jagdgesell vor ihm her, der trug ein
schönes Gewehr und eine bauschende Jagdtasche, und
der Bauer mochte ihn gern einholen. Jener aber führte
einen tüchtigen Schritt. Endlich tat der Bauer einen
hellen grellen Jagdpfiff, jener jedoch kehrte sich gar
nicht daran und stand nicht, bis er an einen Kreuzweg
kam, da stand er endlich und erwartete den Bauer, und
war ein ganz feiner, gutgekleideter Gesell. – Ihr habt
wohl besser Glück gehabt als ich, sprach der Bauer
zu ihm. Ich seh's Euerm Jagdranzen an, der ist gut gefüllt.
– Ja, sprach der Fremde, kannst's auch so haben,
kannst Kugeln schießen, die immer treffen, mit deinen
Kugeln triffst du freilich nichts. Guten Weg! – Und
wollte damit weitergehen, aber der Bauer-Jäger hielt
ihn zurück und bat, ihm sein Geheimnis des
Stetstreffens und Niefehlens zu lehren, und versprach
ihm hohen Lohn. Jener aber sprach: Ich will es dir
wohl lehren, du mußt mir aber schwören, keiner lebenden
Seele mein Geheimnis zu verraten, denn tätest
du das, so würde es dir übel ergehen. – Jener schwur
und hob die Hand gen Himmel, da flogen zwei Raben
auf und krächzten und schwirrten um die beiden Männer,
und der fremde Jäger sagte jenem sein Geheimnis.
Sotanes Geheimnis war aber gar entsetzlich, und
der Bauer trug schwer daran, und lastete ihm auf dem
Gemüte, und probierte es nicht, ging lieber gar nicht
mehr hinaus in den Wald, sondern blieb zu Hause,
aber auch da still und träumerisch. Die Frau sah ihres
Mannes Veränderung, und hatte ihr sein Jagdgehen
nicht gefallen, so gefiel ihr sein in sich gekehrtes
Wesen noch viel weniger, und sie drang in ihn, ihr zu
sagen, was ihm denn fehle. Er aber schwieg, sie aber
ließ nicht nach mit Forschen und Fragen, Bitten und
Betteln, bis er endlich ihr vertraute und sprach: Ich
soll, wenn ich will, daß jede meiner Kugeln treffe,
mein Gewehr mit einer geweihten Hostie laden statt
mit einer Kugel, dann im Walde auf einen freien Platz
gehen zur Mittagsstunde, da ein weißes Tuch ausbreiten,
darauf treten und gerade in die Sonne schießen.
Von da an soll jeder meiner Schüsse treffen und des
Wildes nimmer fehlen.
Wohl war das der Frau graulich zu hören, doch allmählich
stillte sich ihr Grauen, und da sie mehr und
mehr in Not, ihr Hauswesen aber in Verfall kam, so
meinte sie, probieren könne er das Kunststück ja doch
einmal, so sehr viel könne es doch nicht auf sich
haben, es sei ein Jägerstücklein wie viele andere, und
wenn es probat sei, wie sie gar nicht glaube, so hülfe
es ihnen aus aller Not, und was ihres Zuredens Worte
mehr waren. Und da dachte er es endlich zu wagen. Er
hatte aber ganz und gar vergessen, daß er seinen
Schwur schon gebrochen und das Geheimnis verplaudert
hatte und daher schon jenem Argen verfallen war.
Nun ging der Jäger zum Abendmahl, empfing die heilige
Hostie, behielt sie im Munde und lud sie dann
heimlich in seine Büchse. Dann tat er alles übrige
nach der Vorschrift, ging noch denselben Sonntag zur
Mittagszeit in den nahen Wald. Die Sonne schien
hell. Der Jäger zielte, er schoß nach der Sonne. Da
verfinsterte sich die Sonne, schwarzes Gewölk fuhr
auf, Blitze flammten, Donner krachten, die zwei
Raben waren da und krächzten und schlugen mit den
Flügeln. Der Entsetzte sprang von seinem Tuche,
bückte sich, wollt' es aufraffen, da waren die Fußtapfen,
wo er gestanden hatte, voll Blut. Er stürzte aus
dem Walde, die Angst brachte ihn fast um – dort
stand sein Haus, das brannte lichterloh – das Wetter
hatte hineingeschlagen, schreiend und heulend stürzten
Weib und Kinder ihm entgegen. Und da war auch
der fremde Jäger wieder da, der höhnte ihn, daß er ein
schlechter Freischütz sei, der das Geheimnis nicht bewahrt
habe. Und nun müsse er bis zum Jüngsten Tage
jagen, Weib und Kinder müßten als Hunde ihn begleiten
– am Tage müsse er bei den zwei Raben im
Walde wohnen und nachts durch die Lüfte hetzen.
Dieses geschah und geschieht noch immer, und die
Leute nennen das den wilden Jäger. Wer ihn hört und
das Wauwau der Hunde nachmacht, dem wirft er
Knochen herab oder Stücke von verfaultem Wild und
Pferden. Einem Mann aus Bornhövede ist das geschehen,
auch einem aus Meinsdorf, die wurden gezwungen,
selbst von dem Braten zu essen. Der wilde Jäger
hat insgemein viele Hunde, meistens kleine Dächsel
und andere, manchesmal brennt den Hunden auf dem
Schwanz ein Licht. Manchesmal zieht er mitten durch
die Häuser, und da tut er niemand etwas, wenn nur die
Leute sich ruhig verhalten und sich an nichts kehren.
177. König Abels Jagd
König Abel, der Brudermörder, war Zeit seines Lebens
ein gewaltiger Jäger, und als es mit ihm zum
Sterben kam, wünschte er sich, statt der ewigen Seligkeit,
ewig jagen zu dürfen. Dieser Wunsch ward ihm
gewährt zur ewigen Strafe. Kohlschwarz im Gesicht,
von zehn manchmal feurigen, aber kleinen Hunden
begleitet, auf einem kleinen Pferde reitend, durchzieht
er die Lüfte mit Lärm und Getöse und gellem Hornruf.
Sein Schrei tönt: Hurra! Hurra! – Es war zur Zeit
König Abels Leben nicht gut, ihm zu begegnen, und
ist's auch heute noch nicht. Ein alter Bauer aus Dorf
Danewerk erzählte, wie seiner Großmutter ihre Großmutter
noch eine junge Dirne gewesen, da hätte um
das Danewerk herum noch viel Gehölz gestanden,
dahinein hätte die Dirne die Kühe getrieben und gehütet.
Da habe sie einmal unversehens in der Luft ein
fürchterliches Ramentern vernommen und wäre König
Abel in Lüften dahergesaust mit seiner Jagd. Zehn
Hunde, ganz weiße, hatte er bei sich, die hatten feurige
Zungen aus dem Halse hängen. Ach, dachte die
Dirne, nun bin ich so ganz allein, wie soll das wohl
gehen? Sie hatte ein weißes Schürztuch um, das band
sie ab, und wickelte es um ihren Kopf, und setzte sich
bei einen großen Baum und weinte. König Abel kam
nun heran und machte gar ein grausiges Geprassel
und Getöse bei ihr herum, und dann zuletzt machte er
sich wieder von dannen. Von den Hunden des Königs
Abel kam aber einer zu der Dirne heran, und sprang
ihr in den Schoß, und legte sich still hinein. Wie nun
der Lärm vorüber war, so nahm sie den Hund im
Schoß mit nach Danewerk, und da hat er sein Geschlecht
vermehrt, daß noch immer solche Däckel dort
gefunden werden. König Abels Jagd hat aber seitdem
nicht mehr zehn Hunde, sondern nur noch neun.
König Abels Pferd braucht auch Futter. Auf dem Hesterberg
bei Schleswig bringen die Bauern aus
Mielberg, wenn sie ein Stück Land mit Hafer besäen,
einen Sack voll mehr mit, als sie brauchen, nachts
kommt hernach allemal jemand, der den Hafer für
sein Pferd braucht. Darum gerät aber auch der Hafer
auf dem Hesterberg am allerbesten in ganz Schleswig.
178. Der Wode
Im Lauenburger Lande heißt der wilde Nachtjäger
Wode, mag wohl ein Namensnachhall des altheidnischen
Sachsenvolkgottes Wodan sein. Der Wode jagt
vornehmlich, wie der Harz-, Thüringerwald- und
Vogtland-Wilde Jäger in der Adventszeit und in den
Zwölften. Er reitet das altheilige große weiße Roß,
und es folgen ihm vierundzwanzig Hunde. Sein Pferd
hat nur drei Beine. Wenn die Wodensjagd auf Zäune
stößt, krachen sie gleich zusammen, über Nacht richten
sie sich von selbst wieder auf. Des Woden Hunde
bleiben bisweilen ermattet liegen, schnaufen, heulen
und winseln, so geschah es in Wulfsdorf, in Fühlenhagen
u.a. Andern Tages holt sie der Wode wieder.
Läßt eine Frau zur wilden Jagdzeit Wäsche im Freien
hängen, so wird sie von den Wodenshunden in Fetzen
gerissen. Bäckt jemand zu dieser Zeit, so kann er es
erleben, daß die Brotlaibe als Jagdhunde auf- und davonfliegen.
Läßt jemand die Haustüre unversehens
offen stehen, so kann er gewärtigen, daß das Wodensheer
hereinzieht, und hindurch, und daß die Hunde
auffressen, was sie vorfinden, absonderlich den Brotteig.
Doch weiß der Wode solchen Verlust auch zu
vergüten. Einst klagte ein Bäuerlein erbärmlich, was
es denn nun mit den Seinen essen sollte, und ob es
keinen Schadenersatz erhalten sollte. Der Wode
schrie: Jo jo! ho ho! – schmiß einen toten Hund aus
der Luft herunter dem Bauer vor die Füße und schrie
dazu: Wirf's Aas durch den Schornstein! – Der Bauer
erschrak und tat's. Der tote Hund war schwer. Auf des
Bauern Herd zerplatzte der Hundebalg, und es rollte
die Küche voll Goldstücke.
Der Wode jagt, wie der wilde Jäger im Vogtland,
die Wichtel, Holzweibel und Moosleute, die kleinen
Waldfrauen, die Erd- und Bergmännchen, die die
Leute dort im Lauenburger Lande Unterirdische nennen.
Er vertilgte sie so ziemlich von der Erde. Sein
Hauptjagdweg geht um Krumesse herum über das
Moor nach Beidendorf zu.
Ein Beidendorfer Bauer wollte einmal abends nach
Krumesse zu, da kam ein ganzer Schwarm Unterirdischer
dahergelaufen, waren aber dasmal gar nicht
bange und riefen: Heut kann er uns nicht kriegen, heut
soll er uns wohl in Ruhe lassen, heut hat er sich nicht
gewaschen! – Als der Bauer ein Stück weiter gegangen
war, fuhr der Wode daher und fragte den Bauer:
Was riefen sie?, und der Bauer antwortete: Sie sprechen,
du hättst dich von heut morgen nicht gewaschen!
– Gleich ließ der Wode sein Pferd halten, ließ
es stallen und wusch sich damit – dann ging die Jagd
los. Ehe der Bauer Krumesse erreichte, sah er den
Wode schon wiederkommen: der hatte ganze Bündel
Unterirdische hüben und drüben am Pferde baumeln,
wie Krammetsvögelklubs, und hatte sie mit den Haaren
aneinandergebunden. Jetzt jagt der Wode bloß
noch in der Luft, denn die Unterirdischen, meinen
viele, hat er bereits alle von der Erde fortgebracht.
Auch im Mecklenburger Lande wird der wilde
Jäger der Wode genannt, und werden von ihm vielerlei
ähnliche Geschichten erzählt.
179. Die Unterirdischen
Das Volk der Unterirdischen und der Glaube an dasselbe
ist im deutschen Norden und weiter nordwärts
verbreiteter als irgendwo; es wohnt unter der Erde,
häufig in den alten Grabhügeln und Hünenbetten; im
dänischen Schleswig heißt es Biergfolk, Ellefolk,
Unnervaestöi, Unnerborstöi, auf Sylt Önnererske, auf
Föhr und Amrum Önnerkänkissen, in Holstein Unnererske,
Dwarge. Seit undenklichen Zeiten wohnen sie
im Lande. Die Sage von ihrer Entstehung lautet: Christus
der Herr wandelte einmal auf Erden und nahte
einem Hause, darinnen eine Frau wohnte, die hatte
fünf schöne Kinder und fünf häßliche. Der Häßlichen
schämte sie sich vor dem hohen Gast und verschloß
sie schnell im Keller. Wie nun der Herr in das Haus
kam, sprach er: Frau, lasset Eure Kindlein zu mir
kommen. Und da brachte die Frau ihre fünf hübschen
Kinder, daß der Herr sie segne. – Und wo sind Eure
andern Kinder? fragte der Herr. Andere Kinder hab'
ich keine, log das Weib. So, sagte der Herr, und legte
die Hände auf die fünf Kinder und segnete sie und
sprach: Was drunten ist, soll drunten bleiben, was
oben ist, soll oben bleiben. – Als der Herr hinweg
war, lief die Frau in den Keller, ihre häßlichen Kinder
herauszulassen, aber da waren sie verschwunden. Aus
ihnen ist das Geschlecht der Unterirdischen entstanden.
Zahllos sind die Orte, welche das Volk in Schleswig,
Holstein, Lauenburg, in Jütland und auf den Inseln
nennt und kennt, wo Unterirdische sich aufhalten
sollen, und noch viel zahlloser die mannigfaltigen
Sagen von denselben. Die Önnerkänkissen auf
Amrum haben ihr Wesen hauptsächlich im
Fögedshoog bei den Dänen, da laufen sie auf dem
Wasser Merum Schlittschuhe. Ein Mann ließ sich einfallen,
ihnen nachzugraben, wie man einem Fuchs
oder Dachs nachgräbt; da schrie es hinter ihm: Feuer!,
und wie er umschaute, sah er sein Haus in hellen
Flammen stehen. Eilends ließ er ab von seiner Gräberei
und stürzte seinem brennenden Hause zu; als er
hinkam, war keine Spur einer Flamme. Er war klug
genug, sich die Lehre zu merken, er grub nicht wieder.
Die Unterirdischen sollen auch an Gott glauben,
aber vom Christentum wissen sie nichts, daher gehen
sie auch nicht zur Seligkeit ein.
Viele sonderliche Kunst wird den Unterirdischen
zugeschrieben, besonders sollen sie die Verfertiger
der so mannigfach geformten Grabtöpfe sein, die in
Hünengräbern stehen, und von alle dem schönen
Schmuck und den bronzenen Waffen, die in der Erde
und häufig selbst in solchen Töpfen gefunden werden.
Einen solchen Topf zu zerschlagen, bringt kein
Glück, zeugt auch von geringem Verstand. Mancher
ist über solchen nutzlosen Frevel ganz von Sinnen gekommen.
Same, aus solchen Gefäßen gesäet, gedeiht
besser als anderer, Hühner, aus denselben getränkt,
werden nicht krank, Milch, in ihnen hingestellt, rahmt
besser und gibt mehr Butter.
Wie in Deutschland vom Zwergenvolk die Sagen
gehen, daß es Kessel und sonstige Geräte leihe, besonders
zu seinen Hochzeiten und Festen – so findet
im Norden der umgekehrte Brauch statt, die Bauern
leihen dergleichen bei den Unterirdischen und geben
es nach gemachtem Gebrauch mit Speiseresten zurück.
Was sich die Leute zu Zittau in der Lausitz von
den in dortiger Gegend hausenden Bergzwergen erzählen,
daß sie unsichtbar an Hochzeiten der Menschen
teilnehmen, zwischen den Leuten sitzen und mit
ihnen essen, das wird auch im Pinnebergischen erzählt
und im nördlichen Schleswig. Wer den Unterirdischen
etwas, das ihnen gehört, wegnimmt, erzürnt
und vertreibt sie. Lärmenden Instrumentenschall können
die Unterirdischen nicht vertragen, am wenigsten
aber den Klang der Glocken, der hat sie fast überall
hinweggetrieben, und dieser Glaube ist übereinstimmend
in allen Landen.
Die Unterirdischen holen auch oft irdische Weh-
frauen hinab zu ihren Wöchnerinnen, belohnen sie
scheinbar gering, aber wenn sie das Geringfügige,
Hobelspäne, Sand Asche, Kohlen, Erbsen, Laub und
dgl., nicht unklug wegwerfen, so verwandelt sich's in
Gold. Meist werfen sie es aber weg, und bleibt nur ein
kleines Restchen an der Schürze hängen oder fällt in
den Schuh, und jene entdecken dann zu spät ihre Torheit,
und welchen Reichtum sie verworfen.
Unter dem Landvolke, so weit es noch an die Unterirdischen
glaubt, herrscht mehr Furcht und Abneigung
gegen sie als Neigung und Liebe; sie nennen sie
Untüeg, Unzeug (Gezügk sagen die Thüringer).
Vom Verkehr der Menschen mit den Unterirdischen,
von Krieg und Frieden, Gunst und Tücke,
Raub und Wiederbringung, Gaben, die Glück, Gaben,
die Unheil bringen, und dergleichen mehr wären allein
ganze Sagenbücher zu füllen.
Auch die Wechselbälge sind der Unnereerdschen
unliebliche Früchte. Letztere stehlen neugeborene
Menschenkinder vor der Taufe und legen ihre verschrumpfelten
Hutzelmännchen in die Wiegen. Mancher
geht umher, und wenn er in den Spiegel guckt,
weiß er nicht, ob er nicht vielleicht auch ausgetauscht
worden.
180. Die Kielkröpfe
Es gab auch noch andere geisterhafte Wesen von dämonischer
Art, deren Natur im Guten und Schlimmen,
doch mehr im letztern, mit der der Unterirdischen verwandt
ist. Wechselbalg und Kielkropf ist so ziemlich
Maus wie Mutter. Beide Sorten sind ausgetauschte
Kinder ohne Gedeihen, von häßlichem Aussehen, die
stets quengeln und weinen und meist die Unterirdischen,
wo nicht gar den Teufel zum Vater haben.
Durch Mißhandlungen, die dem Kielkropf angetan
werden, wird meist die Mutter desselben gezwungen,
ihn wieder zurückzunehmen und das der Mutter heimlich
entrissene eigene Kind zurückzugeben.
Einstmals hat sich eine Frau mit solch einem Kielkropf
Jahr und Tag gequält; sie hatte wahrscheinlich
vergessen, während ihrer Wochen bis zur Taufe Tag
und Nacht Licht zu brennen oder irgendein Kleidungsstück
von ihrem Manne anzuziehen. Schon
hatte sie den Balg sieben Jahre; er aß viel, aber wollte
nicht wachsen, nicht laufen, nicht sprechen lernen,
hatte einen großen Dickkopf und spinnenbeinige
Ärmchen und Füßchen. Da kam zu der Bauernfrau
eine alte Jatrin (Zigeunerin), der klagte die Frau ihr
Herzeleid, das sie jahraus jahrein mit dem Kinde
habe, und die gab guten Rat, was die Bäuerin vorneh-
men sollte, um zu sehen, ob ihr Kind etwa ein Kielkropf
wäre oder nicht. Diesen Rat befolgte die Frau,
sie leerte ein Gänsei aus, füllte Bier hinein und kochte
es über der Lichtflamme. Auf einmal begann der bisher
stets stumm gebliebene Kielkropf an zu sprechen
und sagte:
Ich bin so alt
Wie Brennholz im Wald,
So was hab' ich aber doch noch nicht gesehn!
So? sagte die Bäuerin, bist so alt wie das Brennholz
im Wald, so bist du mein Kind nicht!, und nahm ein
Stück Holz und wollte auf das ungestaltete Kind losschlagen,
aber da kam gleich eine alte Unnereerdsche
gelaufen und nahm das Kind aus der Wiege und
sagte: So will ich mein Kind nicht mißhandeln lassen!
– und da sie weg war mit ihrem Balg, stand ein
schönes wohlgewachsenes siebenjähriges Kind, das
rechte der Frau, neben der Wiege.
Ähnliches widerfuhr einer Frau in Jägerup bei Hadersleben,
welcher eine kluge Nachbarin riet, den
Wechselbalg in den geheizten Backofen zu schieben.
Als sie dies tun wollte, kam schnell die unterirdische
Mutter, brachte das umgetauschte Kind und sagte: So
schlecht hätte ich nimmer an deinem Kinde getan!,
indem sie ihr Kind nahm und verschwand.
Im Dorfe Böken bei der Stadt Lauenburg war ein
wundertätiges Marienbild von Holz, das heilte viele
Kranke. Nun hatte in einem nahen Nachbardorfe ein
Bauer lange Zeit in kinderloser Ehe gelebt und hielt
deshalb seine Frau sehr übel. Endlich fühlte die Frau
sich in Hoffnung, das machte den Bauer ganz glücklich,
und er trug nun die Frau fast auf den Händen.
Aber als sie geboren hatte, tauschten die Unterirdischen
ihr Kind aus und legten einen Kielkropf ein, der
hatte einen Kopf wie eine Metze und spindeldünne
Gliedmaßen. Auch wuchs nichts an ihm, als nur der
Kopf, der wurde größer als beim größten Menschen.
Nach drei Jahren glich der Kopf des Jungen einem
Riesenkürbis, und dabei konnte das Kind nicht stehen
noch gehen noch sprechen, aber quarren und plärren
den ganzen Tag, das konnte es meisterlich. Eines
Abends, als die Frau dieses Goldsöhnchen auf dem
Schoße hatte und sich mit ihm abquälte, sprach sie zu
ihrem Mann: Du, mir fällt was ein, vielleicht kann
uns noch geholfen werden; morgen ist Sonntag; nimm
doch das Kind und die Wiege und geh damit nach
Böken zur Mutter Maria, stelle die Wiege vor sie hin
und wiege das Kind eine Zeitlang, vielleicht, daß es
hilft. – Das will ich wohl tun, sagte der Bauer und
ging am andern Tage mit dem in die Wiege wohlverpackten
Kielkropf los. Als er auf die Brücke von
Böken kam, rief drunten eine Stimme mitten aus dem
Wasser heraus:
Kielkropp, wo wullt du hen?
und da antwortete das Kind in der Wiege:
Ik wil my laten wegen,
Dat ik sal gedegen (gedeihen).
Da war der Bauer vor Verwunderung außer sich,
daß sein Balg auf einmal sprach, besann sich aber gar
nicht lange, sondern schmiß Kind und Wiege ins
Wasser hinab und schrie hinterdrein:
Kannstu nun spräken, du Undeert,
Denn ga dorhen, wo du't hast geleert! –
Da erhob sich unter der Brücke groß Schreiens, als
riefen eine Menge Leute; und die Kielkröpfe tummelten
sich lustig im Wasser, der Bauer aber lief, was er
laufen konnte, heim zu seiner Frau.
Eine fast gleiche Sage geht in der Gegend um Halberstadt,
da redet auch der Kielkropf im Korbe:
Ick well gen Hackelstadt
(wohin eine Wallfahrt war),
to unser leven Fruggen, und mi laten wigen,
dat ick möge gedigen.
Da warf der Bauer ebenfalls Kind und Korb ins
Wasser, und die kleinen Teufel puddelten und purzelten
mit Geschrei lustig im Wasser herum.
181. Die Nissen und die Wolterkens
In den nordischen Landen heißen die Wassergeister
Nissen, auch Klabautermännchen, auch Nesse, Puge,
Puke, Niskepuke, sind aber doch, wie die Kaboutermannekens
in Holland, auch zugleich Hausgeister
hülfreicher Art, und der Glaube an sie ist allverbreitet.
Neben ihnen bestehen auch noch die Wolterkens,
ebenfalls Hausgeistchen, Hausknechtchen, was die
deutschen Heinzchen, Hütchen, Heimchen sind; der
deutsche Name Heimchen findet sich im Nordischen
als Chimeken wieder, und sonst haben sie auch noch
gar verschiedene Eigennamen, wie guter Johann,
Koome u.a. Zum gleichen Geschlecht werden gezählt
die Schreckgespenster, der Büsemann, was in
Deutschland der Butzemann, Pötz, Pöpel, Hullenpöpel,
der Pulterklaes, der Roppert – in Deutschland der
Herscheklaes (Nikolaus), Knecht Rupprecht und dgl.
Auf einem Schiff in See klingelte der Kapitän dem
Schiffsjungen und befahl eine Flasche Wein und zwei
Gläser zu bringen. Verwundert fragend sah der Junge
ihn an. Wie er das Verlangte brachte, saß ein Klabautermann
am Tisch beim Kapitän, der Geist des Schiffes,
sprach mit dem Kapitän und trank dann mit ihm.
Ein kluger Kapitän wird stets gut Freund mit dem
Klabautermann seines Schiffes sein, denn dann geht
alles gut, kein Sturm hat dem Schiff etwas an, kein
Brand bricht aus, kein Mangel, keine Krankheit, kein
Seeräuber kann es kapern. Findet das Gegenteil statt,
wird der Klabautermann ungut behandelt, so gibt es
Lärm, Unordnung, Verwirrung, Meuterei, Feuer,
Sturm und Untergang und im besten Falle viele viele
unsichtbar erteilte Maulschellen und Prügel. – Einst
fuhr Doktor Faust über See. Er hatte sich ein gläsern
Schiff erbaut; weil er alle Wissenschaft der Erde
kannte und studiert hatte, wollte er auch nun das Meer
ganz genau ergründen, und da hatte er in seinem gläsernen
Schiffskasten einen Niß, der mußte das Schiff
lenken, vor Klippen bewahren, mit ihm untertauchen
bis zum Grunde, daß Doktor Faust alle Untiefen kennenlernte
und alle guten Fahrwasser. Und dazumal hat
Doktor Faust die Seekarten erfunden und hat die ersten
gezeichnet, denn vor ihm gab es keine. Eines
Tages kamen sie an die Fährstelle am Eingange des
Flensburger Hafens, da hatte es aber einen Faden –
und war eine recht gefährliche Stelle, und das Glasschiff
wäre um ein Haar krachen gegangen. Aber
Doktor Faust schrie seinem Niß zu: Hol Niß! – da
hielt der Niß das Schiff, daß es stand und nicht weiter
gegen die Strandklippen fuhr. Von der Zeit an heißt
jene Stelle bei den Schiffsleuten Hol-Niß-Fähr.
Die Nissen wohnen in den Häusern in kleinen Balkenlöchern
und sonstigen Winkeln; wird ihnen brav
Grütze mit Butter, auch Milch und Butterbrot vorgesetzt,
so sind sie die hülfreichsten Gäste, wer es mit
ihnen nicht gut meint und trifft, dem geht alles die
Quer, er verarmt und geht zugrunde.
Zur Sage von den Nissen mischt sich ein Zug, der
mit jener vom Alraun und Galgenmännlein tiefinnig
zusammenhängt, nämlich der, erkauft zu werden um
den billigsten Preis. Wer den Niß nicht mehr loswerden
kann vor seinem Tode – denn höher, als man ihn
selbst kaufte, ihn weggeben oder wegwerfen, verschenken
und dgl. kann und darf man nicht, da kehrt
er immer wieder – verfällt dem bösen Feind. Ein solcher
Niß ist dann nicht mehr Hausgeist, er ist Alraun,
Spiritus familiaris, und wer ihn besitzt, ist Teufelsbündner.
Ein solcher Niß wird insgemein in einem
Kasten verwahrt und gut gepflegt, gleich dem Alraun.
In der Regel trägt er ein rotes Mützchen. Es kommt
auch vor, daß Nissen miteinander uneins werden, da
sie ohnehin heftiger und jähzorniger Natur sind, und
sich prügeln. Ein Niß zu Süderenleben stahl für seinen
Bauer in einer Zeit, da es sehr an Heu gebrach,
als für seinen Herrn Heu aus der Scheune eines Hufners
in Söderup, und dieses Hufners Niß stahl zu gleicher
Zeit Heu vom Boden des Süderenlebener Bauers.
Unterwegs trafen sie aufeinander und prügelten sich
die ganze Nacht hindurch bis zum Tagesanbruch, so
daß sie darüber ganze große Haufen von Heu verloren
und auf einer Wiese verstreuten, die heißt davon noch
heute Pugholm. So ging es auch mit zwei Nissen in
Sundewitt, die Hafer gestohlen hatten an verschiedenen
Enden, die stießen aufeinander, daß sie über vier
Scheffel ausgedroschenen Hafer aus den Hafergarben
verloren, welche sie trugen. Der Nissen Hochzeitzüge
gingen oft unsichtbar, den Begabten auch sichtbar,
durch die Stuben, mit großer Pracht und höchst zahlreich,
wie in der deutschen Sage.
Die Wolterkens wohnen vornehmlich in reichen,
vorratbegabten Häusern, verrichten Küchendienste,
Mägde- und Knechtearbeit, ziehen Wasser, besorgen
das Vieh, binden die Besen und lieben es, wenn ein
Bauer sein Haus mit den Seinen – oft der Unruhe halber,
die er von ihnen hat – verläßt, im Besengestrüpp
zu sitzen und sich mit in die neugewählte Wohnung
tragen zu lassen und dann neckisch zu rufen: Wir ziehen
um!
Will einer all dieses dämonische Gesindlein, wie es
heißen mag, Klabautermännchen, Unterirdische, Nissen,
Puke, Wolterkens usw., mit aller Gewalt los sein,
so gibt es nur ein Mittel: er muß vor jeden Ausgang
des Hauses ein Wagenrad stellen und dann das Haus
samt allem Geräte, das darinnen ist, bis auf den
Grund niederbrennen. Dieses selbige Mittel soll auch
das unfehlbar beste zur Vertilgung der Wanzker sein.
182. Allerünken
Allerünken heißen in Dithmarschen die Alräunchen,
wenn sie nicht Eigennamen haben. Eine Bauernfrau
hatte so ein Ding im Hause. Sie brauchte bloß ein
wenig Teig anzurühren, so wuchs ihr der ganze Kessel
voll Klöße. Ein neues Dienstmädchen erfuhr von
andern auf dem Felde, daß ihre Frau in einem Koffer
das Allerünken verschlossen halte. Neugierig, wartete
das Mädchen nur den Sonntag ab, als Bauer und
Bäuerin in die Kirche waren, um zu stöbern und zu
suchen, und richtig, sie fand den Schlüssel zum Koffer
in seinem Versteck und schloß auf. Eine kleine
Puppe lag in dem Koffer, hatte Kleidchen an, war
weich gebettet und bewegte sich. Der Magd kam das
Ding graulich vor, sie schlug den Deckel zu und legte
den Schlüssel wieder an seinen Ort. Mittags nahm sie
die nötige Menge Mehl zu Klößen für das Haus und
Gesinde – Herrgott, wie quoll und schwoll das! Alles
voll, alles voll, das ganze Dorf hätte ein Klößeessen
halten können. Jetzt kam die Frau nach Hause und
sah den Vorrat. Was fällt dir ein? Was soll diese
Menge? Bist du unklug? – Das Mädchen antwortete:
Ich habe nicht mehr Mehl zum Teig genommen, als
nötig war. – Ha – so hast du – geh – wasche dir einmal
die Hände und halte dein Maul! – Wie das Mäd-
chen ihre Hände gewaschen hatte, war ihr die Kraft
des Allerünken verloren.
Manche haben auch das Allerünken Mönöloke genannt.
Verfertigt wurde es in des Teufels Namen von
weißem Wachs, in einen Rock von blauem Taffet gekleidet,
und darüber ein Wams von schwarzem Sammet,
Hände und Füße blieben bloß. Sie mußten gut
verwahrt und reinlich gehalten werden, dann wurden
die Besitzer reich. Wollte einer viel Getreide, so stellte
er die Mönöloke unter den Getreidehaufen, Geld,
unter den Geldkasten usf.
183. Das Glück der Rantzau
Das Geschlecht der Grafen Rantzau ist uralten herzoglich-
schleswigschen Stammes. Einer Ureltermutter
dieses Geschlechtes begegnete es, daß ein kleines
Männlein mit einer Laterne zu ihr kam und sie in
einen Berg holte zu einer Wöchnerin bei den Unterirdischen.
Sie legte derselben nur die Hand aufs Haupt,
und alsbald genas das Zwergenweiblein glücklich.
Das Männlein begleitete dann die edle Frau wieder
nach ihrem Schlosse zurück und gab ihr einen Klumpen
gediegenes Gold und sagte: Lasse daraus fertigen
fünfzig Rechenpfennige, einen Hering und zwei Spindeln
und verwahre das alles wohl bei deinem Geschlecht,
denn solches wird stets in Ruhm und Ehre
bleiben, solange von diesen Stücken nichts verloren
geht. – Dieses geschah, und die Stücke haben noch
auf lange Zeit dem Hause Glück gebracht. Es soll sich
diese Tatsache, die auf sehr verschiedene Weise erzählt
wird, auf dem Schlosse Breitenberg zugetragen
haben. Den goldenen Hering hatte zuletzt Josias von
Rantzau, ein tapferer Degen und kriegslustiger junger
Held. Er ließ sich ein gutes Schwert fertigen und den
Hering an dessen Griff umbiegen und als Bügel anbringen,
trat dann in französische Dienste, hatte
Glück in unzähligen Schlachten und wurde zuletzt
Generalfeldmarschall. Fechten und Raufen war seine
höchste Lust, dabei war er freilich unüberwindlich
durch das Erbstück der Ahnfrau. Das wurde ihm, weil
es ruchbar geworden, einstmals von einem Kriegskameraden,
Caspar Bockwold, ins Gesicht gesagt, er
habe gut Fechten und Händel suchen, man wisse
wohl, daß er fest sei und sein Mut und seine Tapferkeit
im Hering seines Degengriffes stecke. Darüber
ergrimmte Junker Josias höchlichst, schleuderte alsbald
seinen Degen von sich in den Rhein und forderte
Caspar Bockwold auf der Stelle zum Zweikampf und
besiegte ihn dennoch. Selten schlug es ihm fehl, als
Sieger aus solchen Kämpfen zu gehen, er hatte deren
aber so viele, daß er auch gar manche böse Scharte
davon trug. Als er zu hohen Jahren kam, hatte er nur
noch ein Auge, ein Ohr, einen Arm und ein Bein und
außerdem noch an seinem Leibe sechsundfunfzig
Male schwerer Wunden.
184. Schwertmann
In einem Hofe namens Rothwisch in der Krempnermarsch
lebte vordessen auch solch ein Raufbold, aber
noch viel schlimmer, denn er trieb es gar arg mit allen
tollen Streichen, und hieß Schwertmann. Der hat für
seine Übeltaten gar lange als Gespenst umgehen müssen,
als Feuermann, und hat die Leute geschreckt und
geängstigt. Als Schwertmann gestorben war, sah man
ihn auf seinem Leichenwagen wieder nach Hause fahren.
Beim Leichenschmause saß Schwertmann unter
den Leidträgern. Bald guckte er da, bald dort aus
einem Fenster, einem Korbe, einer Luke, mit schrecklicher,
abschreckender Fratze. Als Pfarrer und Küster
kamen und diesen Geist bannen wollten, warf er ihnen
alles Böse, das sie heimlich getan, laut vor, bis zum
Geringsten. Endlich überwand ihn der Schulmeister,
der im Überwinden Übung hatte, und trug ihn nun
nach dem wilden Moor, ihn zu bannen. Da zischelte
ihm Schwertmanns Geist ins Ohr: Nur nicht zu tief in
den Sumpf, hörst du? Nur nicht zu tief. Als Schwertmann
nun dorthin gebannt war, aber eben nicht zu
tief, so wandelte er von Zeit zu Zeit als Feuermann
herum und schreckte viele Leute. Die größte Pein litt
er an seinen brennenden Füßen; wo er Schuhe fand,
zog er sie an, weil sie seinen Brandschmerz linderten,
es paßten ihm auch alle, nur konnte er kein Paar lange
tragen, weil er jedes gleich durchbrannte. Oft bat er
selbst Leute um Schuhe, die gleich verschwanden, sobald
sie ihm hingesetzt wurden. Endlich hat ein Bäkkergesell
diesen ruhelosen Geist in einer Kiepe gefangen
und sie ins Meer gesenkt, seitdem war Ruhe vor
ihm, aber sein tolles Wesen bei seinem Leben und
nach seinem Leben, das blieb im Gedächtnis der
Leute, und sie sprachen sprüchwörtlich, wenn es wo
recht wild und toll und übel herging: Da regiert
Schwertmann.
Wenn einmal einer etwa die Kiepe zufällig auffischt
und öffnet, da wird er schon sehen, was für
einen Fisch er gefangen hat.
185. Die schwarze Gret und das Danewerk
König Christoph I. von Dänemark hatte zur Gemahlin
des Pommerherzogs Sambor Tochter, das war ein
arges Zauberweib; sie hieß nur die schwarze Gret und
hatte den Beinamen Springhest. Sie ist die Urheberin
des berühmten Danewerkes, jenes riesigen und weiten
Walles; den zu erbauen schloß sie einen Bund mit
dem Teufel und gebot ihm, in einer Nacht den Wall
fertig zu machen; nur ein einziges und zwar eisernes
Tor solle hineinkommen, dafür solle dem Teufel gehören,
was zuerst durch das vollendete Werk schreite.
Da stellte der Teufel ein zahlloses Heer von Arbeitern
in das Feld, davon füllte jeder nur dreimal seinen eisernen
Hut voll Erde, so war der Wall fertig, und der
Teufel stellte sich hinter dem Torflügel auf die Lauer,
sah auch schon einen gutgekleideten Reiter die Landstraße
daherkommen und freute sich auf den Fang.
Aber zufällig hatte der Reiter einen Pudel bei sich, der
lief vornweg nach Hundeart, und der Teufel riß ihn
wütend in Stücke, wie auf der Reußbrücke die Gemse,
auf der Regensburger Brücke den Hund, im Dom zu
Aachen den Wolf, und wo sich sonst dieser Sage ein
Widerhall findet.
Da nun die wilde schwarze Gret, Springhest genannt,
überhaupt ein gottloses, unseliges Leben führ-
te, so ward ihr zur Strafe ihrer schrecklichen Sünden
von Gott geboten, allnächtlich über ihr Teufels- und
Danewerk als Geist zu reiten. Da haben viele Leute
sie gesehen. Ihr Anzug ist ganz schwarz, aber ihr
Pferd ist weiß, und sein Odem ist Feuer. Zwei Geister
in weißen Kleidern folgen ihr, und da rennen und
sprengen die Drei wie der wilde Jäger von Hollingstede
bis Haddeby. Dieses Gespenst leidet nicht, daß auf
seinem Walle etwas angebaut werde. In der Nähe von
Haddebye heißt ganz besonders eine Stelle im Danewerke
nach der Springhest Margretenwerk, da läßt sie
sich am häufigsten sehen.
Einstmals erschien sie armen Fischern vom Schleswiger
Holm, die traurig waren, daß sie nach einer arbeitvollen
Nacht nichts gefangen hatten, in aller ihrer
königlichen Pracht, mit Perlen und Demanten geschmückt,
wie man ihr Bild im Schlosse zu Husum
sah, und gebot ihnen, die Netze noch einmal auszuwerfen,
aber den besten Fisch, den sie fingen, den
sollten sie wieder in das Wasser werfen. Die Fischer
taten den glückhaftesten Zug, der seit St. Petri Zeiten
getan worden, und der beste Fisch, der hatte Flossen
von Smaragd, Schuppen von gemünztem Gold, und
seine Nase war mit Perlen besetzt. Der eine Fischer
wollte dieses Prachtstück gleich wieder in die Flut
werfen, dem andern aber fraß die Habgier am Herzen,
und er verbarg den Fisch gegen den Willen des an-
dern, seines Gefährten. Rasch wurde fortgerudert,
aber da begannen alle andern Fische auch Schuppen
von gemünztem Golde zu bekommen und Perlen am
Oberkiefer und Edelsteine statt der Flossen, und da
wurde der Kahn so schwer, so schwer, und sank, und
der Habgierige mußte ertrinken, der andere aber konnte
nur mit genauer Not sein Leben retten.
186. Prinzessin Thüra
Auf der Thürenburg beim kleinen Danewerk saß vor
langen Zeiten eine Königstochter, die hieß Thüra,
nach ihr ist auch der Berg genannt. Nun kam dazumal
ein fremder Prinz, um sie zu freien, der war aber so
häßlich, daß niemand ihn ersehen konnte, auch die
Prinzeß nahm ihn höchst ungern, konnte es ihm aber
nicht abschlagen. Endlich fiel sie auf einen Rat. Kurz
vor der Hochzeit nahm sie mit dem Bräutigam einen
Spazierritt auf dem alten Wall nach Hollingstede vor,
da ging damals noch eine Inbucht von der Westersee
herein. Auf dem Rückweg ließ die Prinzessin ihr
Schürztuch fallen, als ob der Wind es ihr entführte.
Da sagte der Prinz: Prinzessin, Ihr habt Euer Schürztuch
fallen lassen, wollt Ihr es nicht mitnehmen? –
Darauf antwortete sie: Ei, wenn Ihr ein redlicher Ritter
seid, so solltet Ihr, junger Herr, doch selbst absteigen
und mir das Tuch aufheben! – Da ritt er hin zur
Stelle und bückte sich vom Roß, und die Prinzessin
ritt auch hin, zog, wie er sich bückte, sein Schwert
rasch aus der Scheide und hieb ihm den Kopf ab. Als
sie nun nach Hause kam und gefragt wurde, wo sie
denn ihren Bräutigam gelassen habe, da sagte sie:
Ach, wir ritten den alten Wall entlang, da sind die
Unholde über uns gekommen und haben dem Prinzen
den Kopf abgeschlagen, ich aber bin hinweggeritten.
– Da wurde der Tote aufgesucht und in einen Riesenberg
(Hünengrab) gelegt, auf das Eperstorfer Feld,
wo man es in den Dreibergen nennt.
187. Die Sassen und die Jüten
Vorzeiten war, wie ein Mann zu Kurborg bei Schleswig
am Danewerk erzählt hat, dieser Wall die Grenzscheide
zwischen Jütland und dem Lande der Sassen,
und den alten Wall, der das Danewerk heißt, den hätten
die Jüten erbaut. Sie gruben, den Wall noch sicherer
zu machen, da sie mit den Sassen in einem heftigen
Kriege begriffen waren, auch noch einen Graben
davor, der heißt noch heute der Kuhgraben. Und da
banden sie eine Schar rote Ochsen zusammen, steckten
auf jedes Ochsenhorn ein Wachslicht, hingen
ihnen weiße Tücher über die Köpfe und dachten
damit den Sassen bange zu machen. Aber die tapfern
Sassen nahmen den Kuhgraben und die Ochsen dazu.
Nachher lagen sie aber lange vor dem eigentlichen
Wall; endlich fanden sie eine Stelle zum Hindurchkommen.
Der Wall ging nämlich durch ein Torfmoor
und war an dieser Stelle bloß von Torf aufgeworfen.
Da steckten die Sassen Feuer in den Wall und brannten
das Stück bis auf den Grund nieder. Noch ist die
Stätte zu sehen und heißt der Sydergrund. Da nun die
Sassen den Jüten immer näher kamen, vergruben
diese ihre Kriegskasse in den Sydergrund, und die
Sassen drangen durch den Wall und erschlugen in
einer großen Schlacht zwanzigtausend Mann, dann
kehrten sie wieder um. Die Jüten aber sammelten sich
aufs neue und ließen sich vernehmen: Noch sind sie
nicht den Kropper Busch vorbei! Sie trieben nun die
Sassen auf die Heide und schlugen bei Kropp die
zweite Schlacht. Da haben die Sassen vierzigtausend
Mann verloren, und davon ist das Sprüchwort entstanden:
Noch ist er nicht den Kropper Busch vorbei.
In dieser Schlacht verloren die Sassen auch ihren
Feldherrn, das war ein Mann von solcher Stärke, daß
er mit seinem bloßen Finger in jeden Stein schreiben
konnte. Nicht weit von Anschlag liegt noch so ein
Stein, den er hingeworfen hat in der Schlacht, da sieht
man noch alle fünf Finger, wie sie in den Stein eingegriffen
haben.
188. Totenkopf wandert
Nicht weit von der Jütlandgrenze lagen zwei Burgen,
Fobeslet und Drenderup, die Güter sind noch vorhanden.
Auf Drenderup saß ein wüster Gesell, Ritter Adelbrand,
auf Fobeslet aber ein holdes Fräulein, Antolille
geheißen. Der Ritter liebte das Fräulein, und das
Fräulein haßte den Ritter. Sie sagte ihm, er sehe aus
wie ihres Vaters Hund, und ein andersmal, er sei nicht
besser als ein alter Pantoffel. Das verwandelte des
Ritters Liebe in grimmen Haß, und er schwur dem
Fräulein furchtbare Rache. Sieben Jahre bewachte er
ihre Burg, sieben Jahre durfte sie sich nicht herauswagen,
und da sie dies auch nicht tat, so bekam er sie
nicht in seine Gewalt. Da gab er, scheinbar des Harrens
müde, seine Bewachung auf und reiste weg, und
bald kam das Gerücht, er sei gestorben. Sieben Jahre
war das Fräulein Antolille in keine Kirche gekommen,
sie sehnte sich in eine solche, und da sie nun sich
sicher glaubte, so verließ sie ihre Burg mit ihrem Gefolge.
Plötzlich brach aus einem Hinterhalt Ritter Adelbrand,
versprengte die Diener und ergriff die Unglückliche,
die seine Liebe mit so bitterm Hohn gelohnt.
Er band sie an den Schweif seines Pferdes und
jagte so mit ihr davon auf seine Burg zu. Ihre Mutter
sah's von den Burgzinnen und starb mit Antolille zu
gleicher Zeit. Als Adelbrand seine wilde Rache gekühlt,
tötete er alsbald sich selbst. In Drenderup begrub
man die drei Leichen. Aber Adelbrands Schädel
fand keine Ruhe in der Gruft; wie er so rastlos sieben
Jahre arger Gedanken voll gewesen, so spukte und
rollte er bald da, bald dort umher, schreckte die Menschen
und weilte in keinem Grabe.
189. Die schwarze Schule
Viele Sagen gehen in Nordfriesland und in Norddithmarschen
von der schwarzen Schule, in welcher kein
anderer der Schulmeister ist als der Teufel selbst. In
diesem seinem Seminarium unterrichtet der Schwarze
junge Theologen und Schulmeister in gar mancherlei
geheimen Künsten, doch nicht umsonst, sie müssen
ihm ihre Seele verschreiben und eine gewisse Bedingung
festhalten, fehlt einer deren und versieht's einmal,
so ist seine Seele verloren. Die meisten
versehen's. Da muß einer nur ein Strumpfband tragen,
ein anderer darf sich nur einmal die Woche rasieren,
ein dritter darf nie anders die Strümpfe anziehen als
verkehrt. Die Künste, welche diese schwarzen Scholaren
lernten, bestanden in Bannen, Festmachen, sich an
andere Orte schnell hinzücken, erfahren, was daheim
geschieht, und wenn sie noch so weit vom Hause
sind, andere, besonders Diebe, stehenbleiben machen,
sie festschreiben, festlesen und dgl. Bisweilen glückt
es einem oder dem andern, den Teufel, der seinen
Bündnern fort und fort nachstellt und dahin wirkt, daß
sie das Gelobte nicht halten, zu überlisten, denn manchem
Pastoren und Schulmeister auf dem Lande ist
fürwahr der Teufel selbst noch nicht klug und schlau
genug. So wird viel gesprochen von einem Pastor in
Medelby im Amte Tondern, des Namens Fabricius,
der konnte mehr als Brot essen, weil er in die schwarze
Schule gegangen, und der durfte niemals zwei
Strumpfbänder anlegen, sondern immer nur eins.
Damit er nun sich vergäße, lagen gar manchesmal
früh beim Aufstehen zwei Strumpfbänder auf seinem
Stuhle, damit fing ihn aber der Teufel keinesweges.
Hierauf plagte der Teufel das Mädchen, das für den
Pfarrer Strümpfe strickte, als Floh, da ließ sie oft die
Maschen fallen und juckte sich, und da wurden die
Strümpfe zu weit, weil sie sich auch zum öftern verzählte,
nun fiel der Strumpf ohne Band herunter auf
die Ferse, das verschlug aber dem Pfarrer alles nichts,
er band ihn doch nicht fest, sondern ließ ihn hängen,
und der Teufel konnte ihm nichts anhaben. Ein anderer
Pastor, hieß Ziegler, durfte auch nur ein Strumpfband
tragen, doch nur auf Zeit eines Kontraktes mit
dem Teufel, nach dessen Ablauf wollte jener kommen
und ihn holen. Da nun die Zeit um war, kam der Teufel
frühmorgens, und der Pfarrer zog sich langsam an;
zuerst zog er die Strümpfe verkehrt an, das war dem
Teufel schon ganz zuwider, dann zog er sich weiter
sehr langsam an, und der Teufel verlor die Geduld
und sagte: Mache endlich, daß du fertig wirst, das
dauert ja eine Ewigkeit! Ich habe mehr zu tun. Jetzt
warte ich keinen Augenblick länger, als bis du dein
Strumpfband angelegt. Der Pastor Ziegler hatte schon
das Strumpfband in der Hand, aber als der Teufel das
sagte, legte er es ganz langsam wieder hin, sprach
zum Teufel: Guten Morgen! – und legte sich auf die
andere Seite. Wütend fuhr der Teufel von dannen und
kam nimmermehr wieder, und nimmermehr wieder
trug der Pastor ein Strumpfband. Als er noch einmal
herumgeschlafen hatte, nahm er eine Schere und
schnitt seine Strümpfe unter der Wade ab, so erfand
er die Strumpfsocken, wie sie die meisten Männer
jetzt tragen, und brauchte keine Strumpfbänder mehr.
190. Spottnamen und Schildbürger im Norden
Im innern Deutschland denken wir wunders was für
weise Lalenburger wir im Schwaben- und Frankenlande,
in Schilda und Schöppenstätt, in Wasungen
und Ummerstadt usw. haben. Da schaut einmal hinauf
nach Dithmarschen und Schleswig-Holstein, da ist
des Volkes Necklust lebendig über alle Maßen. Da
sind die Jagler bei Schleswig, die heißen die tollen
Jagler, wie auf dem Rhöngebirge die Einwohner des
Dorfes Ditges die tollen Dittiser; die wollten einen
Balken partout die Quere durch ihr Tor schaffen, bis
sie einen Spatzen mit einem Strohhalm fliegen sahen,
der den Halm zur Längst in sein Nest zog. Die Hostrupper
haben eine Scheuer, in der sie alle Dummheiten
einheimsen und aufspeichern, daher das Sprüchwort
gilt: Geh nach Hostrupp und laß dir die Narrheit
verschneiden. Zu Gabel ging es mit einer Katze fast
gerade wie zu Wasungen. Sie kauften solch ein rares
Tier zum Mäuseausrotten für dreihundert Taler. Als
der Handelsmann fort war, fiel den Gablern erst ein,
daß sie zu fragen vergessen, was denn dieses Tier
fresse. (Zu Wasungen kam die Rückantwort: Die
Katze frißt alles, da entstand große Furcht, und man
schaffte schleunigst die Katze wieder ab.) Dem reitenden
nacheilenden Boten aber rief der Händler zu:
Milch und Mäuse! Nun pfiff gerade der Wind etwas
stark, und der Bote verstand: Milch und Menschen!
und brachte im Galopp diese Antwort zurück. Welch
ein Schreck! Wie da zu raten und zu helfen? Im äußersten
Haus war schon die Katze, sie sollte von da
reihum gehen, wie der Dorfspieß. Man wagte sich
nicht an das menschenfressende Untier, man steckte
das Haus in Brand, da sollte es drinnen verbrennen.
Als das Haus im schönsten Brennen war, wurde es
der Katze zu warm darin, sie sprang daher geschwinde
heraus und lief in das nächste. Das wurde
auch angesteckt; die Katze sprang von da, weil es
wieder zu warm wurde, in das dritte Haus, und immer
so fort, bis kein Haus mehr da war, da lief sie über
Feld und kam nicht wieder. Die Gabler aber waren
froh, daß sie die Katze und zugleich auch ihre Hausmäuse
los waren, wie jene Guten, die ihr Haus niederbrannten,
um die Wolterkens samt allen Wanzkern
los zu werden. Die Romöer sind auch eine kluge
Sorte. Sie wollten gern ihre Kirche zwei Ellen weiterschieben
und meinten, da nur wenige Leute diese erbaut,
so würden viele Leute die Kirche doch leicht
fortschieben können. Damals trug man allgemein zu
Romöe rote Jacken; alle hatten welche, nur Paul Moders,
ein armer Robbenfänger, hatte keine. Da sagte
er, alle Romöer sollten sich an der Nordseite zum
Schieben anstellen, an der Südseite aber eine Jacke
zwei Ellen weit von der Kirche legen, damit man richtig
sehen könne, ob die Kirche weit genug geschoben
sei. Der Vorschlag gefiel, die Jacke ward hingelegt,
und alles schob. Jetzt kam Paul Moders und schrie:
Genug! genug! haltet ein! Ihr habt die Kirche schon
über die rote Jacke hinübergeschoben, ihr Simsone
ihr! – Da waren die Romöer froh, daß es ihnen so
wacker gelungen war. Am nächsten Sonntag wunderte
sich jedermänniglich, daß auch Paul Moders mit einer
roten Jacke in die Kirche kam, konnten gar nicht begreifen,
wie der arme Transchlucker zu einer roten
Jacke gekommen war.
Die Büsumer an der See, die sind auch von den
Pfiffigen. Einstmalen gingen ihrer Neun zu baden und
schwammen wie die Enten. Jetzt hob sich der Vordermann
und sagte: Mine Jongens, ik mutt doch würftig
mal tellen, ob ay noch all dohopen sünt. Nun zählte
er: Einer, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, ich
bin ich, es muß beim Donner einer versoffen sin! Stille,
laßt mich einmal zählen! rief ein anderer und zählte
gerade wieder so. Ach Gott! ach Gott! Einer von
uns muß versoffen sin! – Jetzt schwammen alle traurig
zum Ufer; ein Fremder kam, dem klagten sie ihr
Herzeleid, und der riet ihnen, sie sollten sich niederlegen
und ihre Nasen in den Sand stecken, hernach die
Löcher zählen. Selbiges taten sie, hurrah! da gab es
neun Löcher, und keiner war versoffen. Den Mond
wollten die Büsumer aus dem Brunnen schneiden,
einen Hummer haben sie für einen Schneider angesehen,
auf ein Feld säeten sie Kuhplapper, meinten, von
selbigen Eiern sollten Kühe wachsen. Ein Mann stahl
ihnen einen weißen Mühlstein, lange zogen sie ihm
nach, folgten seiner Spur bis nach Hamburg, taten
sich dort viel zugute auf Gemeindeunkosten, gingen
auch in St. Michaels Kirche und erhoben auf einmal
einen Heidenspektakel, indem sie überlaut schrien:
Unser Mühlstein! unser Mühlstein! Der Herr Pastor
hat ihn, hat sin Köpken durchgesteckt! – Sie hielten
den großen und breiten runden Halskragen von Batist,
den die Mode den Geistlichen um den Hals gelegt, für
ihren großen weißen Mühlstein.
Die Bishorster leitete ein Schalk an einem Seil in
einen tiefen Brunnen, als sie nach gewohnter Weise
die Christnachtmette besuchen wollten und sich an
dem Seile, das sie ausgespannt hatten, um in der
Nacht des Weges nicht zu fehlen, forthalfen. So erzählen
die Haseldörfer, Bishorst aber hat die Elbe
nach und nach ganz hinweggeflutet.
Die Kisdorfer haben eine Sense, die ein Grasdieb
liegen ließ, für ein gefährliches Tier angesehen und eilend
eingezäunt. Auch sie trugen, wie ihre witzigen
Brüder in Deutschland, den Tag in Säcken in ein neugebautes
Haus.
Die Fockbecker haben einen Teich mit eingesalze-
nen Heringen besetzt, meinten, übers Jahr reichliche
Brut davon zu haben. War aber gefehlt; als der Teich
abgelassen ward, war kein Hering drin, nur ein großer
Aal. – Das ist der Heringsfresser, der muß sterben!
rief der klügste Fockbecker. Wir wollen ihn essen,
wie er unsere Heringe gegessen hat! schlug einer vor.
Das ist nicht Strafe genug! rief ein zweiter, der sich
einmal gebrannt hatte. Verbrennt ihn! Nein! schrie ein
dritter, der einmal fast ertrunken wäre, brennen ist
sehr schlimm, aber versaufen ist schlimmer. Wir wollen
ihn in die Au schmeißen und ihn versaufen! – Alle
stimmten dem letzten bei, zumal er am meisten schrie,
und wie der Aal nun im Wasser fröhich schnalzte und
sich krümmte und schlängelte, da rief der letzte
Weise: Seht ihr, wie er sich quält! Ja – das ist der
schlimmste Tod, das Versaufen. – Wenn das Verdursten
nicht noch schlimmer ist! rief einer, der gern das
letzte Wort haben wollte.
191. Die Rungholder auf Nordstrand
Husum gegenüber in der Nordsee liegt die Insel Nordstrand,
darauf lag einst ein reicher Ort, Rungholt, dessen
Bewohner bauten große feste Dämme, und darauf
stehend sprachen sie zum Meere voll Übermutes:
Trotz um, blanke Hans! – In ihrem Übermut haben
sie einmal eine Sau im Wirtshaus betrunken gemacht,
ihr eine Schlafmütze aufgesetzt und sie ins Bett gelegt,
dann sind sie zum Pfarrer gelaufen und haben
ihm gesagt, er müsse kommen und einem Todkranken
das heilige Abendmahl reichen. Da er nun das Sakrament
nicht also schändlich entweihen wollen, haben
sie ihn bedräut und mißhandelt, und schmählichen
Unfug fortgetrieben. Da erging in der Nacht an den
Pfarrer ein Zeichen und eine Stimme: Gürte dein Gewand
und ziehe deine Schuhe an und wandere. – Da
wanderte der Pfarrer fort mit den Seinen, so eilend er
konnte. Darauf erhob sich ein Wind, und es schwoll
das Wasser, und wuchs und wuchs an den Dämmen
hinan, die dort Deiche heißen, und ging über die
Dämme, und stand über ihnen vier Ellen hoch, und
den Flecken Rungholt auf Nordstrand und sieben andere
Kirchspiele verschlang das Meer. Einst soll es
wieder auferstehen. Bei heller See erblicken Schiffer
zum öftern den Ort und das Land auf des Wassers
Grunde, seine Häuser, seine Türme und Windmühlen,
auch wollen manche die Glocken der versunkenen
Kirchtürme haben erklingen hören.
Gleich den Rungholtern haben auch einstmals die
bösen Bauern zu Lichtenau im großen Werder in
Preußen (bei Danzig) getan, es ist ihnen solches aber
übel genug bekommen.