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Kapitel 2
Оглавление1. Vom deutschen Rheinstrom
Heilige Wasser rinnen von Himmelsbergen – singt
die Edda, das uralte Götterlied, so auch der Rhein,
des deutschen Vaterlandes heiliger Strom, rinnt vom
Gottesberge (St. Gotthard), aus Eispalästen, aus dem
Schoße der Alpen nieder, als Strom des Segens.
Schon die Alten sagten von ihm: Die Donau ist aller
Wasser Frau, doch kann wohl der Rhein mit Ehren ihr
Mann sein – und die Urbewohner der Stromufer erachteten
seine Flut für also wunderbar, daß sie neugeborene
Kinder ihr zur Prüfung echter oder unechter
Geburt übergaben. Rechtmäßige Abkömmlinge trug
die Stromflut sanft zum Ufer, unrechtmäßige aber zog
sie mit ungestümen Wellen und reißenden Wirbeln
als ein zorniger Rächer und Richter der Unreinigkeit
unter sich und ersäufte sie. Andere Anwohner brachten
dem heiligen Strome ihr Liebstes, Pferde, zum
Opfer dar. Durch Hohenrätiens Alpentalschluchten
stürzt sich der Rhein mit jugendlichem Ungestüm, frei
und ungebunden, umwohnt von einem freien Bergvolke,
das in Vorzeittagen hartlastende, schwerdrückende
Fesseln brach. Da zwang ein Kastellan auf der Bärenburg
die Bauern, mit den Schweinen aus einem Trog
zu essen, ein anderer zu Fardün trieb ihnen weidende
Herden in die Saat, andere übten noch andere Frevel.
Da traten Hohenrätiens Männer zusammen, Alte mit
grauen Bärten, und hielten Rat im Nachtgraun unter
den grauen Alpen. Auf einer felsenumwallten Wiese
ohnfern Tovanosa will man noch Nägel in den Felsenritzen
erblicken, an welche die Grauen, die Dorfältesten,
ihre Brotsäcke hingen. Und dann tagten sie in
Bruns vor der St. Annenkapelle unter dem freien
Himmel, unter der großen Linde, nach der Väter Sitte,
und beschwuren den Bund, der dem alten Lande den
neuen Namen gab, den Namen Graubünden, und daß
der Bund solle bestehen, solange Grund und Grat
steht. Davon gehen im Bündnerlande noch alte Lieder.
– Kaiser Maximilian nannte scherzweise den
Rheinstrom die lange Pfaffengasse, wegen der zahlreichen
und hochberühmten Bistümer und Hochstifte an
seinen Ufern, und nannte Chur das oberste Stift, Konstanz
das größte, Basel das lustigste, Straßburg das
edelste, Speier das andächtigste, Worms das ärmste,
Mainz das würdigste und Köln das reichste.
2. Des Schweizervolkes Ursprung
In alten Zeiten, bevor noch das Schweizerland bevölkert
und bebaut war, saß ein starkes und zahlreiches
Volk in Ost- und Westfriesland und im Lande Schweden,
und kam über dieses Volk große Hungersnot und
leidiger Mangel. Da beschlossen die Gemeinden, weil
der Menschen bei ihnen zu viel, daß von Monat zu
Monat eine Schar auswandern sollte, und sollte die
das Los bestimmen. Wen es treffe, der müsse fort bei
Strafe Leibes und Lebens, ob hoch oder niedrig, und
mit Weib und Kindern. Als dies immer noch nicht
fruchtete und dem Mangel steuerte, so ward fernerweit
beschlossen, daß jede Woche der zehnte Mann ausgeloset
werden und hinwegziehen solle. So geschah es,
und zogen an die sechstausend Schweden fort und
zwölfhundert Friesen mit ihnen, und ernannten sich
Führer. Deren Namen waren Suiter, Swey und Josius,
noch andere Restius, Rumo und Ladislaus. Sie fuhren
auf Schiffen den Rhein hinauf und hatten unterwegs
manchen Kampf zu bestehen; endlich kamen sie in ein
Land, das hieß das Brochen- oder Brockengebirg (wie
es auch im Harzwald einen Brockenberg hat), allda
bescherte ihnen Gott Wonne und Weide, und sie bauten
sich an und verteilten sich in das Land, wirkten
und schafften. Ein Teil zog ins Brünig (Bruneck), ein
anderer an die Aar. Ein Teil Schweden, die aus der
Stadt Hasle (gehört jetzt dem Dänen) stammten, die
erbauten Hasli und wohnten darin unter ihrem Führer
Hasius. Restius erbaute die Burg Resty bei Meiringen
und wohnte allda, Swey und Suiter gaben der Schweiz
und dem Volke den Gesamtnamen. Auch das Bernerland
gewannen sie, waren ein treu und gehorsam
Volk, trugen zwilchne Kleider, nährten sich von
Fleisch, Milch und Käse, denn des Obstes war damals
noch nicht viel im Lande. Sie waren starke Leute, wie
die Riesen, voll Kraft, und Wälder auszureuten war
ihnen so leicht wie einem Fiedler sein Geigenbogen.
Davon gehen noch alte Lieder, die sagen aus, wie
ihrer ein Teil unter dem Führer Ladislaus und Suiter
gen Rom gezogen und dem römischen Kaiser tapfer
beigestanden gegen hereingebrochenes Heidenvolk,
und wie beide Führer vom Kaiser Feldzeichen empfangen,
Adler und Bären, ein rotes Kreuz, und auf der
Krone des Aaren ein weißes, und haben dann diese
Zeichen nach der neuen Heimat getragen. Immer noch
erzählen sich auf ihren Bergen die Alpenhirten, wie
die Vorfahren im Lande gezogen und wie die Berge
eher bewohnt gewesen als die Täler. Erst ein späteres
jüngeres Geschlecht habe die Talgründe bebaut, wie
das auch in andern Bergländern geschehen ist.
3. Sankt Gallus
Schon in frühen Zeiten drang das Christentum in das
rätische Gebirge. Ein britischer Königssohn, Ludius
mit Namen, soll über Meer gekommen sein und diesem
Lande zuerst das Evangelium gepredigt haben.
Nach ihm heißt noch ein Gebirgspfad zwischen Graubünden
und der Herrschaft Vaduz (Fürstentum Liechtenstein)
der Ludiensteig. Nach ihm kamen die Apostel
Rätiens und Helvetiens, Sankt Gallus und seine
Gefährten Mangold und Siegbert, ersterer der Sohn
eines Königs in Schottland, mit dem heiligen Columban
an den Bodensee, zerstörten die Götzenbilder und
brachen das Heidentum. Sie wohnten als fromme Einsiedler
in Hütten, heilten Kranke und predigten das
Evangelium. Ein alemannischer Herzog, Gunzo,
wohnte in Überlingen, damals Iburinga genannt, dem
war die Tochter schwer erkrankt; der heilige Gallus
heilte sie, und dafür schenkte ihm und seinen Gefährten
Gunzo ein großes Waldgebirge zum Eigentum, in
welchem sie sich nun besser anbauten. Aus diesem ersten
Anbaue ist die hernachmals so berühmte und
herrliche Abtei Sankt Gallen geworden, welche einer
Stadt und einem ganzen Lande den Namen gegeben.
Aber St. Gallus blieb, als er noch im irdischen Leben
wandelte, nicht beständig in seiner Einsiedelei, er
stieg, als die Abtei St. Gallen schon begründet war,
der Sitter entlang höher empor und erbaute sich an geeignetem
Ort eine neue Zelle, das Hirtenvolk zu bekehren.
Diese nannte das Volk des Abten Zelle, daraus
ist der Name Appenzell entstanden. Das Hirtenvolk
nahm auch willig das Christentum an, als aber
später die mächtige Abtei dasselbe in seiner Freiheit
bedrohte, erhob es sich zum Kampfe. Der Abt von St.
Gallen suchte Hülfe bei Österreich, da saß aber droben
auf der festen Burg Werdenberg ein edler Grafensohn,
Rudolf von Werdenberg, der hielt zu den Hirten
des Appenzeller Gebietes und führte sie zum Kampfe
gegen St. Gallen. Am Stoß geschah eine heftige
Schlacht, lange schwankte der Sieg, plötzlich kam
über den Berg herüber eine großmächtige Schar
Kriegsvolk den Hirten zu Hülfe – als die Feinde der
Appenzeller diese erblickten, flohen sie eilend vom
Schlachtfeld. Es waren aber die Hülfsvölker, die sich
gezeigt und durch ihren Anblick von weitem den
Feind hinweggeschreckt, keineswegs Kriegsmänner,
sondern der Hirten Weiber und Töchter in männlicher
Tracht gewesen. Seitdem blieb das Ländlein Appenzell
mitten im St. Galler Lande ein eigenfreies und regierte
sich selbst.
4. Die St. Galler Mönche erbeten Wein
In der stattlichen Abtei St. Gallen war große Sorge
um den lieben Wein. Es war eben ein durstiges Jahr
gewesen und lange Jahre nichts Erkleckliches nachgewachsen;
nur noch zween Ohmfässer lagerten voll in
dem großen Abteikeller, die reichten voraussichtlich
nicht mehr weit, und dann wäre den frommen Vätern
eine weinlose, schier schreckliche Zeit gekommen. Da
wendete Gott das Herz eines frommen und heiligen
Mannes, des Bischof Adalrich in der alten Stadt
Augsburg, daß er den nicht weniger frommen Vätern
zu St. Gallen ein ganzes Stückfaß voll Wein in ihre
Abtei verehrte. Da kam aber die Nachricht nach St.
Gallen, das Faß sei unterwegs im Rhein ertrunken,
der Fuhrmann habe auf der steilen Brücke über den
Fluß in der Nähe des Bodensees die Pferde allzuhart
angetrieben, da sei die Achse gebrochen und das Faß
hinab in den Strudel gestürzt. Das war ein Schrecken!
Ohne Säumen berief der Abt den Konvent, und bald
wallte eine lange Prozession mit Kreuz und Kirchenfahnen
und Heiligenbildern von St. Gallen herab,
sang und betete und kniete am Strudel, und die Küper
des Klosters suchten mit Stricken das Faß zu fahen,
das glücklicherweise noch unversehrt war und im
Strudel tanzte. Wäre der Strudel nicht gewesen, so
wäre das Stückfaß längst in den Bodensee geflossen,
und ward allda ersichtlich, wozu manchmal ein Strudel
gut ist. Nach mancher Mühe gelang es unter
Gebet und Fürbitte der lieben Gottesheiligen, das
Stückfaß an den Strand zu ziehen, und nun wurde es
bekränzt und im Triumphe nach der Abtei geführt,
allwo ein Dankfest mit einem Te Deum laudamus
und vielen Trankopfern gefeiert ward.
Solches ist wahr und wahrhaftig geschehen, aber
»das Märlein gar schnurrig« vom Abt von St. Gallen
und dem Kaiser mit den drei Fragen hat sich mitnichten
alldort begeben, sondern mit einem Abt von Kentelbury
in Altengland, und ward nur durch Dichtermund
auf deutschen Boden verpflanzt.
5. Dagoberts Zeichen
Es war ein König im Frankenreiche, Dagobert, ein
Sohn Chlotars und Herr über Austrasien. Von dessen
Taten leben noch in Sagen viele Kunden. Er führte
große Kriege gegen die Sachsen und war dabei fromm
und kostfrei. Selbst gegen Tiere übte er Milde, und es
ging von ihm das Sprüchwort im Volke um: Wann
König Dagobert gegessen hat, so läßt er auch seine
Hunde essen, und eine andere Rede ward ihm nachgesagt,
daß er auf seinem Sterbelager zu seinen Hunden
gesprochen habe: Ihr guten Hunde, es ist doch keine
Gesellschaft im Leben also gut, daß man sie nicht
verlassen und von ihr abscheiden müsse. – Auf seinen
Zügen drang König Dagobert auch bis in das Schweizer
Alpenland und bis dahin, wo man die Landschaft
vorzugsweise das Rheintal nennt, und ließ dort in die
Talfelsen einen großen halben Mond einhauen, als
Grenzzeichen seines Reiches.
Da es mit dem guten Könige Dagobert zum Sterben
gekommen war, erfaßten die Teufel seine Seele
und brachten sie auf ein Schiff, mit ihr von dannen zu
fahren. Solches ließ Gott der Herr geschehen, weil der
König noch nicht gereinigt und gelöset war von aller
Schuld. König Dagobert hatte aber einen Freund am
heiligen Dionysius, dessen Gebeine er dereinst aufge-
funden mit Hülfe seiner so sehr geliebten Hunde, und
welchen Heiligen der König stets in stärksten Ehren
hielt, dafür dieser ihn auch stetiglich schirmte und
schützte. Da nun, als Dagobert verstorben war, erbat
der Heilige die Erlaubnis von Gott dem Herrn, des
Königs Seele zu retten, und als er die erhalten, fuhr er
im Geleite anderer Gottesheiligen und vieler Engel
zur See und dem Schiffe nach, darauf die Teufel mit
Dagoberts Seele waren. Darauf entspann sich ein harter
Kampf zwischen Engeln, Heiligen und Teufeln um
des Königs Seele, in welchem die ersteren Sieger blieben,
und trugen alsbald die Engel die Seele Dagoberts
in den Schoß der ewigen Gnade, die Heiligen aber
kehrten in das himmlische Paradies zurück.
6. Die Tellensage
Lieder und Chroniken des Schweizerlandes preisen
den Tell als den Befreier von hartem und lastendem
Druck, als den Schöpfer der Schweizerfreiheit, und in
alle Lande ist sein Ruhm erklungen, und ist ewig fortlebend
und unaustilgbar.
Es war zu den Zeiten, da Kaiser Albrecht von
Österreich regierte, der war ein strenger und heftiger
Herr und suchte, daß er sein Land mehre; so kaufte er
viele Städte, Flecken und Burgen in dem Schweizerland,
setzte auch in dieselben Landvögte ein, die in
seinem Namen regierten. Drei Schweizerstädte und
Landschaften aber wollten nichts von dem Österreicher
wissen noch haben; da sandte ihnen der Kaiser
zwei edle Boten, den Herrn von Liechtenstein und den
Herrn von Ochsenstein, die mußten den Orten vortragen,
daß sie sich doch sollten in Österreichs Schutz
und Schirm begeben, da könnten sie es mit der ganzen
Welt aufnehmen und ihr trutzen, wollten sie das aber
nicht, so wolle der Österreicher ihr Feind sein, und
sollten sie sich nichts Gutes von ihm zu versehen
haben. Aber da sprachen die Männer von Schwyz:
Liebe Herren, wir wollen dem Hause Österreich gern
in allen Ehren zu Lieb und zu Dienst sein, aber wir
wollen doch bei unsrer alten Freiheit bleiben, die
noch niemalen ein Fürst oder Herzog angetastet hat. –
Auf diese Rede brachen die Abgesandten rasch auf
und ritten stracks nach Uri und Unterwalden, dort,
dachten sie, würden sie sich gleich der Braut vermählen;
es kam aber ganz anders, denn die drei Orte hatten
sich schon miteinander verbunden und sich verschworen,
treulich zusammenzuhalten, sagten auch,
daß ihre Freiheit ihnen verbrieft sei von dem Kaiser
Friedrich dem Hohenstaufen und Rudolf dem Habsburger,
und ritten die Abgesandten unverrichteter
Sache von dannen. Bald darauf sendete Albrecht von
Österreich zwei Vögte, die hießen Grißler und Landenberger.
Von denen sollte Grißler ein Amtmann zu
Schwyz und Uri sein, der Landenberger aber zu Unterwalden,
doch sollten sie sich zu Anfang gut und
freundlich erzeigen, ob sie vielleicht in Güte das Volk
bewegten, allein dieses ließ sich nicht bewegen, und
da erhielten die Landvögte Befehl, den Bauern alles
gebrannte Herzeleid anzutun. Als dieses nun geschah,
so sendete das Volk Klageboten an Albrecht, der aber
ließ diese gar nicht vor sein Angesicht. Nun gingen
die Sendboten zu des Kaisers Räten und baten sie
freundlich und ernstlich, sie sollten dem Mutwillen
und der Plackerei der Vögte steuern und verhindern,
daß sie mit neuer und unerhörter Schatzung das Volk
bedrückten; aber die Räte sprachen: Ihr Männer seid
selber schuld an allem Übel, warum wollt ihr euch
nicht auch in unsers Herrn Gnade, Schutz und Schirm
geben? Tätet ihr solches, so hättet ihr Ruhe und guten
Frieden. – Da kehrten die Gesandten traurig heim und
ohne Hoffnung und sagten den Ihrigen die schlimme
Botschaft an.
Damals hauste in Unterwalden ein gar redlicher
Mann, der niemals Untreue verübte, der war dem
Landenberger insonderheit verhaßt, und sein Name
war Heinrich im Melchtal an der Halde. Zu dem sandte
der Landenberger, der auf Burg Sarnen saß, einen
seiner Knechte mit dem Gebot, dem Melchtaler die
Ochsen vom Pfluge abzuspannen. Flugs gehorchte der
Knecht und wollte dem Manne die Ochsen vom Pfluge
wegführen. Heinrich im Melchtal aber sprach: Laß
ab, meine Ochsen behalte ich. Hab' ich was Sträfliches
getan, so soll man mich vorfordern und richten. –
Der Knecht sprach: Bauer, ich tue, was meines Herrn
Gebot ist, frag ihn selbst um die Ursach! Ihr Bauern
seid selber Ochsen genug, daß ihr den Pflug selbst
ziehen könnt. – Diese lose Rede hörte des Alten junger
Sohn, der hieß Arnold, und nahm alsbald einen
Stecken und schlug dem Knecht des Landenbergers
einen Finger entzwei, daß ihm das Ochsenausspannen
verging. Der Knecht entwich, die Tat dem Landvogt
anzusagen, und der junge Arnold im Melchtal entwich
nach Uri. Der Landenberger ließ alsbald Heinrich im
Melchtal vor sich bringen und begehrte von ihm des
Sohnes Aufenthalt zu erfahren. Da nun der Alte entweder
nicht sagen wollte oder nicht wußte, wohin sein
Sohn sich geflüchtet, so ließ der Landenberger dem
Alten beide Augen ausstechen, nahm ihm sein Gut
und trieb ihn ins Elend. Auf der Burg Roßberg hatte
der Landenberger einen Pfleger sitzen, der hieß von
Wolffen, das war auch einer von den Pressern, der
kam in Konrads von Baumgarten Behausung und traf,
wie er schon voraus wußte, nicht den Mann, sondern
nur dessen frommes und schönes Weib an, zu der er
ein sonderlich Gelüsten hatte, rief sie an, indem er
vom Pferde stieg, sie solle nach einem Zuber umschauen
und ihm ein Bad rüsten, es sei ihm baß heiß
vom starken Ritt. Und als er nun im Bade saß, da
winkte er ihr, sie solle zu ihm sitzen, sie aber tat, als
wolle sie ihm gehorchen, zuvor aber sich ihrer Röcke
außen abtun, ließ ihn sitzen und lief alsbald nach dem
nahen Walde, wo ihr Mann Holz haute. Der hatte gerade
Feierabend gemacht, kam ihr mit der Axt entgegen
und hörte ihre Not und Klage und sprach: Dem
Bader will ich das Bad wohl gesegnen – und lief
einen nahen Pfad – traf den Wolffen noch im Zuber,
des Weibes harrend, und schlug ihn mit der Axt dermaßen
auf den Grind, daß der Kopf in zwei Hälften
auseinanderspaltete.
Der Landvogt Grißler, der zu Uri saß, hub an, auf
einen Bühel über Altdorf eine neue Burg zu bauen,
die sollte genannt werden »Zwing Uri unter die Stegen
«, um so recht das Landvolk zu quälen und zu reizen,
und weil der Grißler wußte, daß er allem Volke
verhaßt war, und mutmaßete, es möge sich schon
etwas Heimliches gegen ihn angesponnen haben, so
ließ er mitten auf einem freien Platze, wo jedermann
vorüberwandelte, eine hohe Stange aufrichten, mit
einem Hute darauf, und befehlen, daß jedermann, wer
es immer sei, dem Hute Reverenz erzeigen solle mit
Bücken und Hutabnehmen, als ob es der Vogt selbst
sei, und ließ heimlich spüren und aufpassen, wer das
etwa nicht täte und den Gruß weigerte. Darauf ritt er
gen Schwyz und kam über Stein, da wohnte ein gar
frommer Mann, der hieß Werner von Stauffacher, der
hatte noch nicht lange zuvor ein neues Haus an seines
alten Statt gebaut. Da nun der Vogt vorüberritt, fragt
er: Wem gehört dieses Haus? Der Stauffacher wollte
recht höflich sein, sagte nicht, daß es sein gehöre,
sondern antwortete: Meines Kaisers und Euer, Herr
Landvogt, ich trag's von Euch zu Lehen! Beliebt Euch
einzutreten? – Aber der Landvogt fuhr den Stauffacher
scheltend an: Ich bin hier an des Kaisers Statt!
Hast du um Erlaubnis gefragt zu diesem Bau? Nein!
Und baut ihr Bauern nicht Häuser, als wenn Herren
darinnen wohnen sollten? Das will ich euch wohl
wehren! – Sprach's und ritt trutziglich weiter. Dem
Stauffacher schmerzte die Rede sehr, aber sein kluges
Weib tröstete ihn und sagte ihm, er solle sich doch
umtun bei andern Freunden, ob es überall im Lande
so getan sei, und mit ihnen Rats pflegen, daß es anders
werde. Da ging Werner von Stauffacher gen Uri
zu einem Freund, der hieß Walther Fürst, und bei dem
fand er Arnold im Melchtal, der sich noch flüchtig
hielt, und da ratschlagten die drei miteinander und
wurden eins, daß sie noch andere treue und vertraute
Männer aufsuchen und mit ihnen einen Bund gegen
den Druck der Vögte schließen wollten. Das gelang
ihnen trefflich, und ward ein großer heimlicher Bund,
zu dem traten auch viele von ritterlichem Geschlecht,
denn die Vögte waren auch ihnen aufsässig, nannten
sie Bauernadel und adelige Kuhmelker. Darauf erkieseten
die Männer des Bundes zwölf aus ihrer Mitte
als ihren Vorstand, die kamen zusammen und tagten
in ihren Sachen auf einer Matte, die man nennt im
Gryttli, an dem Vierwaldstätter See, wie es nun werden
sollte. Da rieten die von Unterwalden, man solle
noch verziehen und zuwarten, weil es schwer wäre, in
aller Schnelle die festen Plätze wie Sarnen und Roßberg
zu gewinnen, und wolle man sie belagern, so gewinne
der Kaiser Zeit, ein Heer zu senden, das sie allzumal
aufreiben werde. Man solle lieber die Schlösser
mit List gewinnen, niemand töten, der sich nicht bewaffnet
widersetze, allen übrigen freien Abzug gewähren
und dann die Festen bis auf den Boden schlei-
fen. Als die Männer so tagten und den großen Bund
beschwuren, da entsprangen der Matte heilige Quellen.
Mittlerweile geschah es, daß ein Mann aus Uri,
Wilhelm Tell geheißen, etliche Male achtlos an
Grißlers Hut vorübergeht und ihm keine Reverenz
macht. Kaum ward das angezeigt, so beschickte ihn
der Vogt, Tell aber sprach: Ich bin ein Bursmann und
vermeint' nit, daß so viel an dem Hut lieg, hab' auch
nit sonder acht darauf gehabt. – Da ergrimmte der
Vogt, schickte nach des Tellen allerliebstem Kind und
sagte: Du bist ja ein Schütz und trägst Geschoß und
Gewaffen mit dir herum, jetzt schieße diesem deinem
Kind einen Apfel vom Kopf. – Dem Tell erschrak das
Herz, und er sprach: Ich schieße nicht, nehmt mein
Leben. – Du schießest, Tell! schrie der Landvogt,
oder ich lasse dein Kind vor deinen Augen und dich
hinterdrein niederstoßen. Da betete der Tell innerlich
zu Gott, daß er seine Hand führe und des liebsten
Kindes Haupt schirme. Und der Knabe stand still und
ruhig und zuckte nicht, und Tell schoß und traf den
Apfel. Da jauchzte das Volk laut auf und umjubelte
den Tell, den meisterlichen Schützen, das verdroß erst
recht den Grißler, und er schrie den Tell an, der noch
einen Pfeil im Koller hatte: Du hast noch einen Pfeil,
Tell, sag an, was hättst du getan, wenn du dein Kind
getroffen? – Tell antwortete: Das ist so Schützen-
brauch, Herr. – Nein, das ist eine Ausrede, Tell! antwortete
der Landvogt. Sag es frei, ich sichere dich
deines Lebens. – Wenn Ihr denn es wissen müßt,
sprach Tell, und meines Lebens mich versichert, so
höret denn, traf ich mein Kind, so hätte dieser Pfeil
Euer wahrlich nicht fehlen sollen. – Ha, du Schalk
und Erzbösewicht! schrie der Landvogt, das Leben
hab' ich dir versichert, aber nicht die Freiheit. Ich will
dich an einen Ort bringen, wo weder Sonne noch
Mond dich bescheinen soll! – Hieß alsobald seinen
Knechten, den Tell zu binden und ihn in sein Schiff
bringen, darin er über den Urner- und den Vierwaldstätter
See fahren wollte, und von Weggis nach
Küßnacht reiten. Da schuf Gott der Herr einen Sturmwind
und ein schrecklich Ungewitter, daß das Wasser
ins Schiff schlug, da sagten die Schiffsleute dem
Landvogt, daß der Tell der beste Schiffslenker sei, der
allein könne sie noch aus der Todesgefahr retten. Darauf
ließ der Landvogt den Tell losbinden, der ruderte
flugs mit starken Armen und brachte das Schifflein
nach dem rechten Ufer, wo das Schwyzer Gelände
sich hinabsenkt, da war ein Vorsprung mit einer Felsenplatte,
auf diese sprang plötzlich der Tell mit seinem
Geschoß und Pfeil, das er rasch ergriff, stieß mit
Gewalt das Schifflein von sich und ließ es durch die
Wellen treiben. Des erschraken der Landvogt und
seine Leute mächtig, Tell aber entfloh eilend auf Pfa-
den, die ihm wohlbekannt waren. Als die im Schiff
bei Laupen kamen, legte sich der Sturm, Grißler ließ
aber dennoch bei Brunnen anlegen, denn er fürchtete
sich nun vor dem Ungestüm der Seen. Tell wandelte
auf Bergpfaden hoch über den Seetälern und sah,
wohin der Landvogt zog, und da fand sich zwischen
dem Arth und Küßnacht eine hohle Gasse, dort harrte
Tell des Vogts, und wie der durch die hohle Gasse dahergeritten
kam, schoß ihn der Tell mit dem aufgesparten
Pfeil vom Rosse herunter, wie ein Jäger eine
wilde Katze vom Baume schießt. Nach solcher Tat
wich der Tell ungesehen von hinnen, kam im Dunkel
der Nacht im Lande Schwyz in des Stauffachers Haus
zu Steinen, eilte dann durchs Gebirg zu Walther Fürsten
in Uri und sagte allen an, was und wie es sich zugetragen,
und daß es jetzt an der Zeit sei, loszuschlagen
und das fremde Joch abzuschütteln. Nun war es
nicht mehr weit hin bis zum neuen Jahr, denn als der
Bund im Gryttli tagte, war schon Wintermond, und da
ward zuerst Roßberg mit List eingenommen von den
Unterwaldnern, und darauf Sarnen ohne Schwertschlag,
und mußten alle Leute der Vögte Urfehde geloben
und schwören, nimmermehr wieder in das
Schweizerland zu kommen, und wurden über die
Grenze vergeleitet; das noch nicht fertig ausgebaute
Schloß Zwing-Uri wurde wie die genannten Schlösser
der Erde gleich gemacht, und Werner Stauffacher
brach Schloß Louvers, das in den See hineingebaut
stand.
Da nun Kaiser Albrecht von allen diesen Dingen
die Kunde vernahm, geriet er in großen Zorn, nahm
gleich ein Kriegsheer, die Schweizer zu züchtigen.
Aber auf diesem Zuge, da er durch den Aargau ritt
und gen Brugg wollte, wurde er von seinem eigenen
Neffen, Johann, Herzog von Schwaben, ohnweit Königsfelden
meuchlings erschlagen. Darum behielten
die Schweizer Frieden und ihre Freiheit bis auf den
heutigen Tag. Das ist die Sage von der Schweizer
Bündnis und der Tat des Tell, welch letztere nur wie
eine einzelne Alpenrose in den Kranz der Geschichte
sich einflocht. Es ist bekannt, daß die Sage vom
glückhaften Pfeilschuß auch in Dänemark sich findet,
und nicht unmöglich ist, daß die frühern Einwanderer
aus dem Norden sie schon mitgebracht und sie sich
dann verjüngt hat. Ja, die drei ersten Gründer des
Bundes der Schwyzer, Unterwaldner und derer von
Uri – denen sich dann Zürich, Luzern, Zug, Glarus,
Freiburg und Solothurn anschlossen, denen endlich
Schaffhausen und Appenzell folgten – galten und gelten
dem Landvolke als drei Telle, die in einer Felskluft
verzaubert schlafen, wie Kaiser Friedrich im
Kyffhäuser und Kaiser Karl im Untersberge. Sollte
das Schweizer Vaterland in Not kommen, so werden
die drei Telle aus ihrer Gruft hervorgehen und es aufs
neue befreien. Den Weg zu ihrer Höhle weiß keiner,
nur zufällig kam einst ein Hirte, der einer verlaufenen
Ziege suchend nachging, an eine Höhle, da fand er die
drei Männer, und der eine Tell richtete sich vom
Schlummer auf und fragte: Welch Zeit ist's auf der
Welt? – Hochmittag! antwortete der Hirte. – So ist's
noch nicht an der Zeit! sprach der Tell und legte sich
wieder zum Schlummer hin. Keiner hat nachher die
Höhle wiedergefunden.
7. Luzerner Hörner und Mordnacht
Da die Schweizer aufstanden und zu Felde zogen
gegen ihre Unterdrücker, gebrauchten sie allerlei
Kriegsinstrumente. So hatten die von Uri einen Mann,
den hießen sie den Stier von Uri, der blies ein mächtig
Urhorn, das mit Silber beschlagen war; und wenn
man einen Keil ins Mundstück schlug, konnte man
auch daraus trefflich trinken. Die Luzerner brauchten
eherne Hörner, wie die alten Römer gebraucht, die
hießen sie Harschhörner, und die hatte ihnen König
Karl verliehen, als sie mit ihm in der Roncevaller
Schlacht gestritten, wo Held Roland fiel.
Zur Zeit, als die Schweiz sich erhob, gab es in Luzern
eine Partei, die war noch gut österreichisch gesinnt,
die erkannten sich an den roten Ärmeln, die sie
an ihren Wämsern trugen. Die versammelten sich
unter dem großen Schwibbogen an der Ecke der
Schneiderzunftstube und verabredeten, daß sie um
Mitternacht alle Eidgenössischen überfallen und morden
wollten. Ein Bettelbube vernahm's, ward aber
entdeckt und mit dem Tode bedreut, wenn er nicht
schweige; mußte deshalb einen Eid schwören, niemand
den Anschlag anzusagen. Der Knab' ging auf
die Metzgerzunftstube, da zechten noch viele Gesellen,
und der Knabe legte sich auf die Ofenbank und
seufzte:
O Ofen, o Ofen, was muß ich dir klagen,
Wel ich's beim Ced sonst niemand darf sagen.
Die Landsknecht wollen, wenn's Zwölfe wird schlagen,
Alles morden und alles erschlagen.
Da horchten die Zecher hoch auf, und lief alsbald
einer aufs Rathaus, ein anderer zum Glöckner, daß er
nicht Zwölfe anschlage, ein dritter und vierter und
fünfter zu den Zünften, und kamen den Rotmänteln
zuvor. Hernachmals ist das Bild des Knaben auf der
Metzgerzunftstube hinter dem Ofen gemalt lange Zeit
zu sehen gewesen.
8. Die Herren von Hohensax
Zwischen dem Altmann-Berge, dem Nachbar des
Hohen Säntis, und dem Rheintale liegt die alte
Stammburg der Freiherren von Hohensax. Deren einer
hieß Hans Philipp, war ein ritterlicher Kriegsheld und
zog ins Niederland, für dessen Freiheit er mitfocht,
war ein Protestant und gerade in Frankreich, als die
Ketzerverfolgung begann. Mit Mühe entrann er der
Pariser Bluthochzeit. Dieser Freiherr von Hohensax
hielt die alten Lieder gar wert, welche die Minnesänger
in der Schweiz und in Schwaben gedichtet und gesungen
hatten, und besaß von ihnen jenes hochwerte
Buch, das ein Stolz der deutschen Poesie, jetzt aber in
den Händen der Franzosen ist, die es vordessen aus
Deutschland entführt haben und nimmermehr wieder
herausgeben, weil man es ihnen nicht wieder genommen
hat, da es rechte Zeit dazu war. Gar wert hielt der
Freiherr das alte Liederbuch, da geschah es, daß ihn,
manche sagen um des Glaubens willen, sein Neffe Ulrich
Georg von Hohensax erschlug, das geschah im
Jahre 1559. Darauf kam das Buch mit dem unverwelklichen
altdeutschen Liederschatz in die Hände und in
die Liberei des Kurfürsten von der Pfalz gen Heidelberg,
von wo es durch die Franzosen weggeschleppt
wurde. Wunderbares aber begab sich mit dem Leich-
nam des Ermordeten; dieser verwesete nicht, als er in
der Kirche zu Sennewald beigesetzt war, das dünkete
die Umwohner ein absonderliches Zeichen, und meinten,
obgleich der Verstorbene stetig ein Protestant gewesen,
er müsse etwa doch ein heiliger Mann gewesen
sein. Verschafften sich heimlich von ihm erst
einen Finger, dann deren mehr, endlich wurde der
ganze Leichnam hinweggeführt, gerade wie sein alter
Liederschatz, nur mit dem Unterschied, daß die Sennenwalder
Klage erhoben um den Leichnam des Hohensaxers
und derselbe wieder herüberwandern
mußte, da sie ihn denn noch heutigen Tages in ihrer
Kirche als eine Mumie zeigen. – Vordessen lebte
auch noch ein Freiherr dieses edlen Geschlechts auf
Hohensax, der war mit einem Ding begabt, das nicht
eben selten ist in diesen felsreichen Alpentälern,
einem Glied, das ihn ärgerte, und konnt' und mocht' es
doch nicht ausreißen und von sich werfen, wie die
Schrift gebeut. Da zog er mit zu Felde, und in einer
heißen Schlacht, in welcher Mann gegen Mann
kämpfte, empfing er einen Schwerthieb, daß ihm
gleich das Blut stromweis vom Halse abquoll. Doch
hatte der Feind den glücklichsten Streich getan, er
hatte dem Freiherrn von Hohensax das ärgernde Glied
weggehauen, seinen Kropf.
9. Ida von der Toggenburg
Rheinaufwärts vom Bodensee liegt die Toggenburg,
der nach ihr genannten Grafen uralter Stammsitz.
Darinnen wohnte eine fromme Gräfin, Ida geheißen,
aus dem Stamme derer von Kirchberg. Da geschah es
eines Tages, daß sie ihren Brautring in das offne Fenster
legte und die Sonne darauf schien, daß er hell
blitzte. Ein Rabe sah den Ring, schoß daher, erfaßte
ihn mit seinem Schnabel und trug ihn fort in sein
Nest. Wohl vermißte die Gräfin ihren Ring, doch
fürchtete sie ihres heftigen Gemahls Zorn, wenn sie
den Verlust ihm melde, und daher schwieg sie. Nach
einiger Zeit fand ein Jäger oder sonst ein Diener im
Walde des Raben Nest und in dem Nest den Ring der
Herrin, ohne daß er wußte, wem der Ring gehörte,
steckte ihn an seinen Finger und trug ihn sonder
Scheu. Da sah und erkannte der Graf seiner Gemahlin
Ring, den er ihr selbst gegeben, am Finger des
Knechts, glaubte sie treulos, ließ alsbald den unschuldigen
jungen Gesellen am Schweif eines wilden Pferdes
den felsigen Burgweg hinab zu Tode schleifen
und warf die ebenso unschuldige Gemahlin vom Söller
des Palas hinab in den waldigen Felsenabgrund.
Aber Engel schirmten die Unschuld; sanft sank Ida,
von unsichtbaren Händen getragen, durch schützendes
Gezweig auf weiches Moos. Inbrünstig dankte sie den
Heiligen für ihre wunderbare Rettung und wandelte
weit von der Burg hinweg in eine unwegsame Wildnis.
Dort erbaute sie sich eine Hütte von Gezweig und
lebte als Einsiedlerin nur dem Gebet und der Andacht.
Wasser war ihr Getränk, Waldbeeren und Wurzeln
waren ihre Nahrung. Bald darauf sagte ein Diener
dem Grafen von seines Mitgesellen Ringfund im Rabennest,
und nun lastete seine Tat schwer auf des
Grafen Seele. Einstmals verirrte sich unversehens ein
Jäger des Grafen in diese Waldeinöde und fand die
Einsame. Schnell trug er diese Kunde zu seinem
Herrn, der längst jene übereilte Tat eines doppelten
Mords ohne Verhör und Richterspruch bereute, und
der Graf eilte zu der Einsiedlerin, wollte sie wieder
hinauf in sein Schloß führen und erflehte ihre Vergebung.
Aber Ida ließ sich nimmer bewegen. Der Graf
von Toggenburg nahm das Kreuz, entbot seine
Dienstmannen rings im Schweizerlande und zog mit
ihnen, zur Büßung und Entsühnung seiner Tat, nach
dem Heiligen Lande, dort gegen die Ungläubigen zu
fechten. Dort kämpfte er mit in großen Schlachten und
machte seinen Namen gefürchtet – aber es zog ihn die
mächtige Sehnsucht im Busen immer wieder nach der
Heimat zurück; immer noch hoffte er, Ida werde sich
wieder mit ihm einigen, denn nie hatte er sie mehr geliebt,
als seit er sie wiedergefunden. Und nach einem
Jahre schiffte er wieder der Heimat zu. Aber da er
nach Ida fragte, ward ihm die Kunde, daß sie im Kloster
Fischingen den Schleier genommen und dort lebe,
still und heilig. Da tat der Graf sich allen ritterlichen
Geschmuckes ab, hing Wehr und Waffen in seine Kapelle
und pilgerte hinab gen Fischingen als armer Einsiedler,
erkor sich einen Platz in der Nähe des Klosters,
darin lebte, büßte und betete der Graf, bis er
starb.
10. Der Pilatus und die Herdmanndli
In der ganzen Schweiz, im Berner und Luzerner Land,
im Haslital und fast allenthalben gehen Sagen von
Zwergen und Berggeistern, die sich vielfach ähnlich
sind. Absonderlich viel Redens ist von dem hohen
Berge Pilatus und den Zwergen, die sonst in seinem
Geklüft wohnen, die heißen Herdmanndli. Der Pilatus,
das ist der rechte und wahre Broch- oder
Brockenberg der Schweiz, auf welsch Fraxmont
(mons fractus) geheißen, auf lateinisch aber mons pileatus,
Hutberg, weil im Land die bekannte Rede
geht:
Hat der Pilatus einen Hut,
So steht im Land das Wetter gut.
Aber es geht die Sage, daß nach Christi unseres Herrn
Leiden, Tod und Auferstehung der römische Landpfleger
Pilatus in dieses Land gezogen sei, oder gar,
daß der Satan seinen Leichnam hergetragen, und da
habe er am Berge den ungeheuerlichen See gefunden,
der hat weder Zu- noch Abfluß und ist wegen der unergründlichen
Tiefe schwarz und gräßlich anzusehen,
ein unheimlicher Moorgrund. Lange hat die Sage gelebt,
daß, wer etwas in den See werfe, alsbald ein heftiges
Unwetter mit Hagel und Wolkenbrüchen errege,
wie auch das Gewässer den Krienser Boden und Luzern,
die Stadt, in den Jahren 1332 und 1475 in große
Not gebracht, darum hat man Fremde nicht gern hinzugelassen,
und das Hineinwerfen von Steinen oder
Holz bei Leib- und Lebensstrafe verboten. In diesen
See habe sich der römische Landpfleger gestürzt, weil
sein Gewissen ihn fort und fort gepeinigt, andere
sagen, der Teufel habe ihn hineingesteckt. Die
Herdmanndli, die wohnten vielfach in der Pilatushöhle,
die hoch oben liegt, tief und schaurig. Sie waren
den Menschen gar gut und hülfreich, gar »gespäßige
Lüet«, wie die Hirten sagen, sie verrichteten nachts
der Menschen Arbeit; kamen vom Berg auch herunter
in die Täler, schafften und ackerten redlich, und ein
Herdmanndli konnte mehr verrichten als zehn Meister
mit allen Knechten. Aber sehen ließen sich die
Manndli wunderselten, und auch da hatten sie lange
graue Kutten an, die bis auf die Erde reichten, daß
man nimmer ihre Füße sah. Einem Hirten begegnete
es, daß er einen reichtragenden Kirschbaum oben am
Berge hatte, dem pflückten die geschäftigen Zwerglein
die Kirschen ab und brachten sie zum Trocknen
auf die Hürden, daß hernach gutes Kirschwasser gebrannt
werden konnte, der Hirt ward aber neugierig,
zumal mocht' er gern die Füße der Herdmanndli
sehen, war her und streute Asche rings um den Baum,
als die Früchte im nächsten Jahre wieder reiften. Die
Herdmanndli kamen, pflückten redlich die Kirschen
ab, und am Morgen sah der Hirt ihrer Füßlein Spur in
der Asche. Es waren eitel kleine Gänsefüße. Der Hirte
lachte und sagt' es freudig seinen Genossen an, daß er
nun wisse, was für Füße die Herdmanndli haben. Die
Zwerge aber ergrimmten, zerbrachen des Hirten Dach
und Fach, versprengten seine Herde, zerknickten den
Kirschbaum Ast um Ast, und ihrer keines kam jemals
wieder herunter, den Menschen hülfreich zu sein. Sie
blieben droben in ihrer tiefen Höhle und in ihrem Geklüft
wohnen. Der Hirte aber wurde ganz tiefsinnig,
schlich bleich umher und hat nicht lange gelebt.
11. Die Bergmanndli schützen Herden und
Fische
Die Bergzwerge schätzen und lieben die Gemsen, sie
wollen nicht, daß die Jäger sie töten, und manchem
Alpenjäger ist es deshalb schon gar schlecht ergangen.
Guten Jägern, denen sie wohlwollten, haben sie
wohl auch das eine und das andre Stück z'weg gestellt,
der durft' aber denn bei Leib und Leben nit
mehr schießen, als mit den Bergmanndli verakkordiert
war, sonst schmissen sie ihn die Felsen hinunter und
bliesen ihm das Lebenslicht aus elendiglich. Da war
einmal ein Gemsjäger, der verstieg sich hoch in die
Felsen, auf einmal stand ein eisgraues Bergmanndli
vor ihm da und sprach ihn zornig an: Was verfolgst
du meine Herde? – Der Jäger war ganz erschrocken
und sprach: Hab' ich doch nit gewußt, daß die Gemsen
dein sind. – Sprach der Berggeist: Du sollst jede
Woche vor deiner Hütte ein Grattier finden, aber du
hütest dich und schießest mir kein andres. – So geschah's,
der Jäger fand alle Wochen den frischen Braten,
der macht' ihm aber gar keine Freud, er konnte
die Jagdlust nicht bezwingen, stieg wieder hinauf zu
Berg und Holz, ward auch bald eines
Gemsenleitbocks ansichtig, auf den legte er rasch an,
zielte und schoß – aber wie er losdrückte, hob sich
hinter ihm der Berggeist aus dem Boden und zog ihm
die Haxen unterm Leib weg, daß er niederstürzte und
in den Abgrund hinunterschmetterte.
In Malters saß ein Untervogt, der hieß Hans Bucher,
der wollt' auch gern einmal ein Herdmanndli
sehen; war gar ein eifriger Fischer und Jäger, aber
sonst ein frommer Mann, stieg eines Tages hinauf am
Pilatus, folgte dem Rümligbach und wollte gern Forellen
fangen, da sprang ihm jählings ein
Herdmanndli hinterwärts auf den Rücken und drückte
ihn mit solcher Gewalt mit dem Gesicht in den Bach
nieder, daß er schier vermeinte, er müsse versaufen.
Dabei sagte das Herdmanndli zürnend: Ich will dir
wohl lehren meine Tierlein fangen und jagen. – Als
der Untervogt nach Hause kam, war er halbtot und
sah im Gesicht aus wie der Tod von Ypern; war auch
auf der einen Seite erlahmt und kam nimmermehr auf
den Berg, zu jagen oder zu fischen.
In Obwalden war ein alter Landammann, der hieß
Heinrich Immlin, der hat selbst erzählt, wie er einmal
zum Pilatus hinangestiegen auf die Gemsjagd, da begegnete
ihm ein Zwergmanndli und heischte, er solle
flugs umkehren. Nun ist der Landammann ein starker
stattlicher Mann gewesen, der spottete des Zwergs
und sagte: He, du wirst wohl große Macht haben, mir
was zu wehren! – Kaum gesagt, so sprang ihn der
Zwerg an, drückt' ihn an einen Felsen, schwer wie ein
Pferd, daß ihm schier die Seele ausfuhr und die Sinne
ihm vergingen. Lag da eine halbe Stunde für tot, bis
die Seinen ihn fanden, erquickten und heimführten.
12. Die Herdmanndli ziehen weg
Es ist schon viel gesagt, wie gut gegen die guten
Menschen die Berglütlenen des Pilatus waren; kleine,
zwei Fuß hohe Männlein mit grünen oder grauen
Röckchen, mit Füßen, die man nicht sah, langem Silberbart
bis zur Erde herunter, die hüteten das edle Gestein
im Berge, waren den Menschen hülfreich, kamen
wohl auch und begehrten Speise, liebten insonderheit
das Schweinefleisch, und wer ihnen gab, hatte es gut
und erfreute sich ihrer Gunst. Wenn ihnen die Sennerinnen
etwas Milch beiseite stellten, so molken und
fütterten sie, und waren ganz heimisch bei den Mägden;
sie konnten auch wahrsagen aus Karten und
Händen und waren geschickt zu allen Dingen, aber erzürnen
durfte man sie nicht. Wem sie im Sommer
beim Heuen halfen, der konnte zufrieden sein, sie
mehreten das Heu wunderbar. Manchmal sahen sie
auch dem Heuen zu und halfen nicht. Einstmals verdroß
das einen Heuer, der machte mit noch einem Kameraden,
bevor die Arbeit anging, ein Feuer auf den
Felsstein, darauf die Herdmanndli zu sitzen und zuzusehn
pflegten, und kehrten dann geschwind Asche und
Kohlen vom heißen Steine weg. Als die Manndli
kamen und den Stein betraten, verbrannten sie sich
ihre Füße. Da schrien sie überlaut: O böse Welt! O
böse Welt! – und kamen nimmermehr wieder.
So auch kamen Bergmanndli vom Pilatus ins Haslital
von der Flüh herunter, den Heuern zuzuschauen;
die waren gewohnt, sich auf die Äste und Zweige
eines schattigen Ahornbaumes zu setzen. Das merkten
Schälke und sägten die Äste knapp durch, daß die
armen Manndli herunterfielen. Da erhuben sie ein
jämmerlich Geschrei und riefen:
O wie ist der Himmel so hoch!
O wie ist die Untreu so groß!
Heute hier und nimmermehr!!
Und nachher hat sich im Haslital niemals wieder eins
sehen lassen.
13. Der Dürst
Um den moorigen See auf dem Pilatus und im ganzen
Berggehege tobt der Dürst, das ist der wilde Nachtjäger,
wie in Thüringen, im Vogtland und am Harz, der
hat zur Gesellschaft auch ein gespenstig Weib, wie
der Hackelberg die Tut-Osel, der wilde Jäger Thüringens
die Frau Holle und der des Vogtlandes die Frau
Berchta, die heißen sie drunten im Entlibuch, hart an
des Bergstocks Westwand, das Posterli, und in Luzern
kennen sie die Sträggele, die, wie die Hollefrau
und die wilde Berchta, den faulen Mägden die Rocken
wirrt. Mit gar wildem Saus und Braus fährt der Dürst
über die Almen daher, reißt und rüttelt an den Sennhütten,
bricht mächtige Baumstämme, wirft Felsen in
die Gründe und führt wohl auch Kühe mit sich hoch
in die Luft, die nimmer wieder herunterkommen oder
halbtot und ausgemolken etwa erst am dritten Tag.
Wenn ein Hirte das gewahr wurde, konnt' er noch
Einhalt tun durch den Alpsegen, wenn er den zeitig
durch einen Milchtrichter rief, daß der Dürst ihn noch
hören konnte, so sank die entführte Kuh ganz sanft
wieder auf die Matte nieder.
Auf der Bründler Alp über Eigenthal kann man
wohl noch heute den Alpsegen im Abendruf der Sennhirten
vernehmen, der lautet gar wunderbar durch die
Feierstille der Natur, wie Orgeltöne und Glockenklang,
und widerhallt aus allen Klüften die Flichbanden
nieder, wie Geistermusik. Das ist der Ruf und der
Segen: Ho – ho – ho – öh – ho! – Ho – hi – ho –
ho! – Ho lobe! Ho lobe! – Nehmet alle Tritt in Gottes
Namen, in unserer lieben Frauen Namen! Lobi Jesus,
Jesus, Jesus Christ! Ave Maria! Ave Maria! Ave
Maria! Ach, lieber Herr Jesus Christ, behüt Gott aller
Leib, Seel, Ehr und Gut, was in die Alp gehören tut.
Das walt Gott und unsre herzliebe Frau, das walt Gott
und der heilige Sankt Wendel! Das walt Gott und der
heilige Sankt Antoni! Das walt Gott und der heilige
Sankt Loy! – (Aloysius.)
14. Von Drachen und Lindwürmen
Auf dem hohen Pilatus hat es Drachen und Lindwürme
vollauf gegeben, die hausten in unzugänglichen
Höhlen und Schluchten des gewaltigen
Alpenbergstocks. Oft haben Schiffer auf den Seen sie
mit feurigen Rachen und langen Feuerschweifen vom
Pilatus herüber nach dem Rigi fliegen sehen. Solch
ein Drache flog einstmals in der Nacht vom Rigi zurück
nach dem Pilatus; ein Bauer, der, von Horn bürtig,
die Herden hütete, sah ihn, und da ließ der Drache
einen Stein herunterfallen, der war wie eine Kugel geformt
und glühend heiß; der war gut gegen allerlei
Krankheit, wenn man davon eine Messerspitze voll
abschabte und dem Kranken eingab. Zu andrer Zeit
hat man einen grauslich großen Drachen aus dem Luzerner
See die Reuß hinaufschwimmen sehen.
Einstmals ging ein Binder oder Küfer aus Luzern
auf den Pilatus, Reifholz und Holz zu Faßdauben zu
suchen; er verirrte sich, und die Nacht überfiel ihn,
mit einem Male fiel er in eine tiefe Schlucht hinab.
Drunten war es schlammig, und als es Tag wurde, sah
er zwei Eingänge in der Tiefe zu großen Höhlen, und
in jeder dieser Höhlen saß ein greulicher Lindwurm.
Diese Würmer flößten ihm viel Furcht ein, aber sie
taten ihm kein Leid; sie leckten bisweilen an den
feuchten salzigen Felsen, und das mußte der Küfer
auch tun, damit fristete er sein Leben, und das dauerte
einen ganzen Winter lang. Als der Frühling ins Land
kam, machte sich der größte Lindwurm auf und flog
aus dem feuchten Loche heraus mit großem Rauschen:
der andre kleinere kroch immer um den Küfer
herum, liebkoste ihn gleichsam, als wolle er ihm zu
verstehen geben, daß er doch auch mit heraus sollte.
Der arme Mann gelobte Gott und dem heiligen Leodager
in die Stiftskirche im Hof zu Luzern ein schönes
Meßgewand, wenn er der Drachengrube entrinne,
und als der zweite Drache sich anschickte, aufzufliegen,
hing er sich ihm an den Schweif und fuhr mit auf,
kam also wieder an das Licht, ließ sich oben los und
fand sich wieder zu den Seinen. Doch lebte er nicht
lange mehr, weil er der Nahrung ganz entwöhnt war,
hielt aber Wort und sein Gelübde, ließ ein prächtiges
Meßgewand fertigen, darauf die ganze Begebenheit
sticken und alles in das Kirchenbuch einzeichnen. Es
soll diese Wundergeschichte sich ereignet haben 1410
oder 1420, und vom 6. November des einen Jahres
bis zum 10. April des folgenden hauste der Küfer bei
den Lindwürmern.
15. Winkelried und der Lindwurm
Zu Wylen, einem Dorfe nicht weit vom Pilatus, saß
ein Mann, der hieß Winkelried, und in der Nähe droben
am Berge hauste ein schädlicher Lindwurm, der
fraß Menschen und Vieh und verödete den ganzen
Landstrich, so daß ihn die Umwohner Öd-Wyler
nannten. Nun hatte der Einwohner Winkelried ob
einer Mordtat Leib und Leben verwirkt und war
flüchtig worden, der sandte Botschaft, daß er, wenn
man ihn wieder annehmen wolle, Mut habe, den Lindwurm
zu bestehen. Diesen Kampf vergönnte man ihm
gern, er bewahrte sich gut mit scharfem Schwert, und
statt des Schildes hielt er in der linken Hand eine
Dornwelle. Diese stieß er dem Drachen, sowie der auf
ihn losfuhr, in den weitaufgesperrten Rachen hinein.
Das waren dem Lindwurm zu viele Zahnstocher auf
einmal; er wand und krümmte sich, und sowie Winkelried
eine Blöße sah, stieß er ihm mit sichrer Hand
das Schwert in den Leib. Der Lindwurm sank tot nieder,
von seinem Blute troff Winkelrieds Schwert, der
schwang es hoch und freudig als Sieger und hatte sein
Leben gewonnen, aber nur, um es alsbald zu verlieren.
Denn vom Schwert ab floß das giftige Drachenblut
und rann ihm über die Hand und den Arm, das
brannte alsbald wie Feuer der Hölle, und der Held
starb an diesem Brand. Das Land hatte er befreit, das
Drachenloch wird noch heute gezeigt.
Ein andres Drachenloch zeigt man bei Burgdorf
mitten im Berner Lande. Es zogen zwei Herzöge von
Lenzburg aus zu jagen, die waren Brüder und hießen
Sintram und Bertram, oder nach andern Guntram und
Waltram, und kamen in einem wilden Wald an ein
wüstes Geklüft, darin lag ein ungeheurer Drache, der
ebenfalls die Landschaft umher zur Einöde machte.
Als der die jungen Jäger gewahrte, fuhr er alsbald auf
sie los und schlang den Bertram, den Jüngsten, mit
Haut und Haar durch seinen weiten Schlund hinab,
Sintram aber fiel voll Mut den Drachen an, hieb ihm
den Kopf ab, schnitt ihm den Leib auf und half seinem
Bruder, der noch lebendig war, heraus. Danach
ließen die Brüder der heiligen Margaretha zu Ehren
eine Kapelle an dem Orte erbauen und die Tat durch
ein Bild verewigen.
16. Kastelen-Alpe
Auf der Kastelen-Alpe wohnte ein reicher Bauer, der
hatte viele Herden und Matten, und drunten in Kriens
hatte er eine arme Muhme, die war Witwe, hatte nur
eine einzige Tochter und nährte sich mit dieser gar
kümmerlich, lag auch schwer an der Gicht darnieder.
Da entschloß sich das Maidli, hinauf auf die Alp zum
reichen Vetter zu gehen und ihn um eine Unterstützung
anzusprechen. Da stieg ein schrecklich Gewitter
am Himmel auf, als sie auf der Alpe ankam, ihr aber
ward kein Trost und keine Gabe, nur Hohn und
Scheltworte, und sie ließen droben auch trotz des drohenden
Wetters das Mägdlein wieder fortgehen. Das
kam tüchtig in das Wetter und erreichte mit Not die
Hütte eines Sennen, das war ihr Bube Aloys, der hatte
noch einen kleinen Käs, den gab er ihr für sie und ihre
Mutter. Raschen Schrittes eilte die Dirne abwärts, da
glitt sie auf der glatten Trift, fiel hin, und der Käs
rollte in die Tiefe, unaufhaltbar in unzugängliche
Felsklüfte. Weinend und kummervoll schaute die
arme Dirne dem entrollten Käse nach, da faßte etwas
ihre Hand, und sie erschrak zum Tode, und bei ihr
stand so ein klein winziges graues Herdmanndli, das
hatte auf seiner Schulter das verlorengegangene
Stückchen Alpenkäse, etwa so groß wie ein Viertels-
mühlstein und in der Hand ein Büschel Kräuter, und
sprach: Magst den Käs mit heimnehmen und deiner
Mutter von den Kräutern einen Tee kochen, sollst
nicht mehr hülflos weinen. – Hoch droben im Gebirg
aber tobte das Unwetter noch fort, über alle Maßen
greulich, und war ein Donnern, Tosen und Krachen,
als ginge die Welt unter. Wie das Maidli zur Mutter
kam, war der Käs ein Stück so schweres Gold geworden,
und vom Kräutertee wurde die Mutter ganz gesund.
Über die Kastelen-Alp aber hatte sich im Gewitter
ein Bergsturz geschüttet, die Matten verwüstet,
die Herden erschlagen und ein Stein, etwa so groß wie
ein Alpenkäs, hatte dem geizigen Vetter einen Fuß
abgeschlagen. Später ist er noch zu seiner Muhme
Haus gehinkt gekommen und hat gebettelt.
17. Blümelis-Alpe
Im Berner Oberland liegt ein Bergzug, die Klariden
geheißen, darauf waren herrliche Weiden, alle voll der
kräftigsten Alpenkräuter und Blumen, so daß jede
Kuh des Tages dreimal gemolken werden konnte und
jedes Melken dritthalb Maß in den Milcheimer gab.
Da war auch eine Alp, die war absonderlich schön,
triftreich und ganz voll Blumen, deswegen hieß man
sie auch die Blümelis-Alp. Darauf hatte ein reicher
Hirte sein Haus, das war ihm weit nicht schön genug,
wollt's schöner haben, baut' ein großes neues, baute
eine Treppe von eitel Käsen, darüber ging er mit seiner
liebsten Sennerin, seinem Hund und seiner Kuh,
und wenn die Käsetreppe schmutzig geworden war,
so ließ er sie mit Milch abwaschen. Im Tale wohnte
des Hirten fromme Mutter, die wußte nichts von ihres
Sohnes Frevel und gottlosem Tun, ging einmal eines
Sonntags hinauf auf die Blümelis-Alpe, wollte die
Sennerei besuchen, und erdürstete sehr, bat deshalb,
als sie kam, um einen Labetrank. Die Sennerin sah
die Alte gar ungern kommen, und der Sohn desgleichen,
und beide fürchteten deren Vorwürfe und wollten
sie gern bald wieder hinab haben. Und als die Alte
trank, fand sie, daß eine ruchlose Hand Sand auf die
Milch gestreut hatte. Da wandte sich die Alte alsbald
von hinnen, schritt die Alpe hinunter, stand drunten
still, hob die Hände empor und verwünschte die Gottlosen.
Alsbald brach ein Wetter los, wie wenn der
Jüngste Tag käme, und der kam auch für die Blümelis-
Alp und für alles, was auf ihr lebte, Hirt und Sennerin,
Kuh und Hund – Haus und Gehöft – alles fand
seinen Untergang, und über die Alpe lagerten sich
Gletschereis und Felsentrümmer. Auf diesem öden
Gefild spukte nachher der Geist des Hirten umher und
klagte:
Ich und min Kathryn,
Min Kuh Brandlin,
Und min Hund, der Rhyn
Müssen stetig uf Klaride syn!
Es geht die Sage, diese umirrenden Geister wären
zu erlösen, wenn einmal an einem Karfreitag ein
frommer Senne die gespenstige Kuh ganz stillschweigend
ausmelke, der Dornen an den Handschuhen
habe. Einstmal wagt' es einer, ob die Kuh sich wegen
der Dornen noch so wild stellte, und hatte schon den
Eimer halb voll. Da klopft' ihn ein Mann auf die
Schulter und fragte: Schäumt's auch wacker? – Der
Senn vergaß des Schweigens Bedingung und sagte: O
ja, es schäumt wohl. – Da riß mit einem Ruck die
Kuh sich los, trat den Eimer um und verschwand, und
die Geister der Blümelis-Alp blieben unerlöst.
18. Der ewige Jude auf dem Matterhorn
Hoch im Alpengebirge, ohnweit Welschlands Grenzen
und dem hohen Monte Rosa, des Name schon italienisch
genannt wird, hebt sich ein mächtiger Bergstock,
das Matterhorn geheißen, darunter liegt der
Matterberg mit einem Gletscher, dessen ablaufendes
Gewässer die Visper bildet, welche noch ihre Wellen
nach deutschem Boden herabrollt. Da droben, wo
jetzt nur das Schweigen der Öde lagert oder das Eis
der Gletscher donnernd kracht, habe voreinst, so geht
die Sage, eine blühende Stadt gelegen. Dahin sei auf
seiner ewig rastlosen Wanderung auch der ewige
oder, wie man in der Schweiz sagt, der laufende Jude
gekommen, da haben die Leute ihm angesehen, daß er
der laufende Jude war, und kein Mensch habe ihn in
sein Haus aufnehmen wollen. So habe der laufende
Jude gesagt, indem er bekümmert über der Menschen
Härte hinweggegangen: Jetzt finde ich hier eine Stadt,
und wenn ich werde wiederkommen, wird hier doch
wachsen Gras, und werden stehen Bäume, und werden
liegen große Felsen, und wird nichts mehr zu sehen
sein von Häusern und Gassen, Mauern und Türmen.
Und wenn ich nochmal werde kommen wieder, wird
hier doch nichts mehr zu sehen sein von Gras und
Kräutern, Bäumen und Steinen, sondern als nur
Schnee und Eis, und wird liegen, als so lang ich noch
muß wandern. – Und alles ist so in Erfüllung gegangen,
wie der laufende Jude gesagt hat, der wandern
muß bis an der Welt Ende, weil er unsern Heiland auf
seinem Todesgange nicht Ruhe vor seiner Haustüre
vergönnt hat, und wird allemal, wenn er hundert Jahre
alt geworden, wieder so jung, wie unser Heiland war,
da er nach Golgatha wanderte.
Tiefer drunten im Vispertale, wo man von oben
herein in das Nicolaital eingeht, liegt ein Dorf unterm
Weißhorn, das heißt Täsch, und über Täsch rechter
Hand lag auf sonniger Matte noch ein Dorf gleichen
Namens, da stand einmal eine reiche Bäuerin, die
hatte überm Feuer einen Kessel mit Anke (Rahm),
den sott sie, und sollte gute Butter geben. Da kam ein
armer alter Mann herein und bat, sie möge ihm doch
ein Weniges von ihrer Anke zur Speise geben, ihn
hungere gar sehr. Geh weg, du Lump! sagte die Frau,
hier ist nichts übrig für solche Stromer. – O Bäuerin!
sprach der Mann, hättest du mir etwas gegeben, so
hätt' ich deinen Kessel segnen wollen, daß er nimmermehr
leer geworden, so aber sei verflucht mit dem
ganzen Dorfe! – Und da krachten alsbald droben der
Cimagipfel und das Mittaghorn zusammen und schütteten
Fels auf Fels herunter, und der ganze Ort wurde
unter Trümmern begraben, und blieb nichts mehr
sichtbar als die Fläche des Kirchenaltars, und über
diesen fließt jetzt ein Bächlein aus dem Praborgne-
Gletscher, der das Dorf überdeckt, herunter nach
Täsch durch die Felsenschluchten in die Visp.
19. Mutter Gottes am Felsen
Unterhalb Täsch, wo das Dorf St. Nicolaus das Nicolaital
beschließt oder dem, der im Gebirg von unten
heraufkommt, eröffnet, hebt sich hoch über St. Nicolaus
der Räti mit einer schroffen Felswand gegen das
Tal; an dieser Wand steht ein kleines Muttergottesbild
von Stein. Früher stand es unten am Weg, da
flehte einer zu ihm, blieb aber unerhört, da griff er, als
er wiederkam, hin und warf das Bild mit Unrat, und
da weinte das Bild. Dennoch warf er's noch einmal,
da hob sich das Bild hoch hinauf an die Felswand,
dort stand's nun, und niemand konnt' es erlangen. Den
Talleuten jammerte das, sie hatten das Bildchen lieb
gehabt und es sehr verehrt und mochten's gar zu gern
wieder herunter haben. Aber der Felsen an jener
Wand war gar zu steil, keiner vermochte daran emporzuklimmen,
und keine Leiter reichte zu solcher
Höhe. Darauf wurden sie in St. Nicolaus Rates einig,
sie wollten's von oben versuchen, und eine Schar erkletterte
den Rätigipfel, und sie hatten sich Merkzeichen
gemacht, und gerade über dem Bilde wurde nun
an starken Seilen ein Mann hinabgelassen, der sollte
es heraufholen. Schon war der Mann fast am Bilde, er
sah es schon stehen, da sah er, wie das Seil immer
dünner wurde, wie ein Bindfaden, und dachte, daß es
nicht halten werde und er jämmerlich in den tiefen
Abgrund stürzen, und schrie: Zieht auf, zieht auf, der
Strick wird dünne! – Sie ließen ihn aber noch immer
weiter herab, jetzt war er am Bilde, jetzt hätt' er's nehmen
können, aber da war das Seil dünn geworden wie
ein Haar, und er schrie nochmals: Um Gottes willen,
zieht auf, sonst bin ich verloren! – Da zogen die Männer
ihn hinauf, und je weiter er aufwärts kam, je dikker
und stärker wurde wieder der Strick. Da nahmen
die Leute von St. Nicolaus wahr, daß das Bild am
Fels und nicht in einer Kapelle stehen wollte, wie
jenes auf dem Milzeberg im Frankenlande auch nicht
in einer Kapelle blieb, sondern auf seinem Felsblock
am Wallfahrerweg seinen Stand behauptete.