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Kapitel 4
Оглавление50. Siegenheim
Nahe der Stadt Mannheim und an der Straße von da
nach Heidelberg liegt das Dorf Seckenheim, früher
Siegenheim, so genannt von einem großen Siege, den
Pfalzgraf Friedrich I., Kurfürst, genannt der Sieghafte,
im Jahr des Herrn 1462 in Siegenheims Gefild erfochten.
Damals ward ein steinern Kreuz auf der Walstatt
erhöhet, mit einer Gedenkschrift, welche Kurfürst
Friedrichs Sieg gegen den Bischof Georg zu Metz,
gegen den Markgrafen Karl von Baden und gegen
Graf Ulrich von Württemberg erfocht, da gewann der
junge mutige Sieger alle seine Gegner, den Markgrafen
Karl von Baden, den Herzog Ulrich von Württemberg,
den Bischof Georg von Metz und nicht minder
als zweihundertundvierzig Grafen und Herren nebst
noch einer großen Schar reisigen Volkes zu Gefangenen,
ohne das Volk, welches erschlagen ward und die
blutige Walstatt deckte. Da konnte man wohl vom
Siege reden. Alle Gefangenen ließ der Pfalzgraf gen
Heidelberg führen und mit den Fahnen, die er den
Feinden abgenommen, die Heilige-Geistkirche daselbst
ausschmücken. Die gefangenen Fürsten wurden
indes standesgemäß behandelt und ehrlich gehalten,
und des Abends rüstete man ihnen eine stattliche
Mahlzeit, da gab es Wild und Fisch und Beiessen und
Wein im Überfluß, und nichts mangelte, bis auf eines.
Und der Kurfürst trat zu den Gefangenen und munterte
sie auf, doch zuzulangen und wacker zu essen, es
werde ihnen doch schmecken nach so heißem Tage.
Aber sie aßen nicht, und einer sprach: Gnädigster
Herr Kurfürst: es mangelt uns an Brot. – Ha so! gegenredete
der Kurfürst, das tut mir leid, da ergehet es
euch gerade wie meinen Untertanen, denen ihr und
euer Volk alle Brotfrucht geraubt und verbrannt habt
und nicht einmal der Früchte auf dem Felde verschont.
Wo soll dann Brot herkommen?
Mit großen Summen mußten die Gefangenen sich
lösen und dachten all ihr Lebetag an den Tag bei Siegenheim
und an das Gastmahl zu Heidelberg.
51. Jettenbühel und Königsstuhl
Nahe bei Heidelberg liegt ein Hügel, heißt der Jettenbühel,
ist ein Teil vom Geißberg, nicht weit vom Königsstuhl,
der sich hoch über Stadt und Tal erhebt.
Man soll vom Gipfel dieses Berges, des Königsstuhl,
den ganzen Rheinstrom abwärts bis nach Köln sehen
können. Auf dem Königsstuhl habe schon vor Christi
Geburt ein deutscher König regiert, und seine Burg
habe Esterburg geheißen. Auf dem Jettenbühel aber
habe das alte Heidelberger Schloß gestanden. In einer
uralten Kapelle wohnte ein altes Weib, Jetta geheißen,
und war eine Wahrsagerin, die sich vor wenig
Menschen sehen ließ. Denen, welche kamen, ihre Zukunft
von ihr zu erfahren, erteilte sie die Antwort aus
dem offenen Fenster. Sie verkündigte, ihr Hügel
werde dereinst von königlichen Männern, deren
Namen sie singend nannte, bewohnt werden, und
drunten das Tal werde von tätigem Volke wimmeln.
Eines Tages stieg Jetta zum Fuße des Geißberges
hinab, nach Schlierbach zu, wo ein Brunnen quoll,
den sie gern besuchte, da lag eine Wölfin am Brunnen,
die säugte Junge, zerriß und fraß die Jetta. Der
Brunnen heißt noch bis heute der Wolfsbrunnen. Das
Schloß auf dem Jettenbühel, die alte Pfalz, wurde am
Tage St. Marci 1536 durch einen Blitzstrahl entzün-
det, wobei ein Pulverfaß in Brand geriet und einen
Teil des Schlosses in die Luft sprengte. Kurfürst
Friedrich I. von der Pfalz erbaute, da er in des Kaisers
Acht gefallen war, einen starken und festen Turm und
nannte den Turm Trutz-Kaiser.
Gegenüber dem Kaiserstuhl liegt jenseit des Nekkar
ein Berg, der heißt Allerheiligen- oder Heiligenberg,
darinnen sind viele Höhlengänge und unterirdische
Klüfte. Schon zu Römerzeiten soll auf dem
Berge ein Tempel gestanden haben, ein Pantheon der
Heiden, und die unterirdischen Gänge sollen einem
Orakel gedient haben. Sie werden noch die Heidenlöcher
genannt und von Erdzwergen bewohnt. Von dem
Heidentempel aber hat der Heiligenberg keinesweges
seinen Namen, sondern von Kirchen und Klöstern, die
man in späterer Zeit dahinauf erbaute. Denn als die
Christenreligion in diese Gegenden drang, da schenkte
der deutsche König Ludwig III. (regierte 877-882)
dem nachbarlichen Kloster Lorsch den Berg zum Eigentum,
da wurde dem heiligen Michael zu Ehren
eine Kirche hinaufgebaut, allein sie ging wieder ein,
zwei Benediktinerklöster, eins nach dem andern, und
gingen wieder ein, eine Kirche dem heiligen Stephan,
ging ein, und noch eine Kirche dem heiligen Laurentius,
und ging wieder ein. Es war, als ob die alten Heidengötter
auf ihrem Berge unsichtbaren gewaltigen
Kampf führten gegen das Christentum und es auf
ihrem Sitz nicht duldeten, und jetzt sind die heiligen
Stätten wüst und öde, und nur die Heidenlöcher sind
noch vorhanden.
52. St. Katharinens Handschuh
Gar eine schöne Schildsage hatten die edlen Herren
von Handschuchsheim, deren letzter im Jahre 1600
des Todes verblich, indem ihn Friedrich von Hirschhorn
zu Heidelberg auf offnem Markt zur Nachtzeit
auf den Tod verwundet hatte, und mit deren erstem
sich das Folgende soll begeben haben. Er war ein
frommer junger Ritter, der ging fleißig zur Kirche,
und es geschah, daß er im Gebet vor dem Altare der
heiligen Jungfrau und Märtyrerin Katharina einstmals
entschlummerte. Da sah er drei überirdisch schöne
Jungfrauen vor sich stehen, doch die mittelste war die
schönste von den dreien, die sprach: Wir kommen,
dich anzuschauen, und deine Augen sind geschlossen;
siehe uns an, und willst du dir ein Gemahl erkiesen,
so wähle eine von uns dreien. Da sah der junge Rittersmann
an der Palme und am Zackenrad, welches
Flammen umweberten, daß St. Katharina selbst es
war, die zu ihm gesprochen, und gelobte sich ihr mit
allen Freuden. Sie aber setzte ihm einen Rosenkranz
auf das Haupt, des Rosen dufteten wie Blüten des
himmlischen Paradieses, und verschwand. Der Ritter,
als er von seinem Traumgesicht erwachte, fand wirklich
den Rosenkranz und bewahrte ihn heilig und
fand, daß dessen Rosen nicht welkten. Nun drangen
aber seine Verwandten in ihn, daß er sich vermähle,
hatten ihm auch schon eine sehr tugendsame adelige
Jungfrau auserkoren, und er konnte sich der Heirat
nicht entschlagen, fuhr aber doch fort, seiner himmlischen
Verlobten in Andacht zu dienen. Seine Hausfrau
nahm indes bald wahr, daß der junge Gemahl sie
nicht selten verließ, absonderlich des Morgens, wo er
nach der Kirche ging, und argwöhnte Schlimmes,
fragte auch ihre Kammermagd, wohin ihr Herr wohl
immer gehe. Diese nährte nur den Verdacht der Frau,
indem sie sprach, es dünke ihr, daß er zu des Pfaffen
Schwester schleiche. Da ward die Frau unsäglich betrübt
und weinte sehr, und als ihr Gemahl sie fragte,
warum sie weine, so sagte sie ihm ihren Verdacht und
ihren Kummer an. – Du bist töricht, antwortete ihr der
Ritter, die, so ich inniglich minne, ist des Pfaffen
Schwester nicht, ist eine viel Höhere und Schönere –
und wandte sich hinweg von seiner Frau. Dieser brach
solche Antwort fast das Herz, zumal sie gesegneten
Leibes sich befand, und in Unsinnigkeit der Eifersucht
ergriff sie ein Messer und stach sich's in den
Hals.
Da der Ritter nach Hause kam vom Gebet und das
Unheil sah, erschrak er, daß ihm das Herz kalt ward,
und fiel in Ohnmacht, und als er wieder zu sich kam,
raufte er sein Haar und klagte aller Schuld sich an und
rief unter tausend Tränen seine Heilige um Schutz und
Beistand. Da erschien ihm die heilige Katharine abermals
sichtbarlich mit ihren beiden Jungfrauen und
sprach: Auf dein Gebet und meine Fürbitte ist deine
Frau wieder lebendig geworden und hat ein Töchterlein
geboren! – und neigte sich über ihn und wischte
mit ihrer Hand über seine tränenquillenden Augen,
daß die Hand ganz davon überfeuchtet wurde, und
siehe, da ward aus dem Tränennaß ein Handschuh, so
weiß und zart wie das Häutchen im Ei, und St. Katharina
streifte ihn sanft ab und entschwand mit ihren
Begleiterinnen, und der Ritter fand den Handschuh in
seiner Hand liegen. Indem so kam ein Bote, der ihn
suchte, und rief: Herr! dein Gemahl lebt und hat ein
Töchterlein geboren. – Da ging der Ritter freudenvoll
heim, umarmte und küßte Weib und Kind, und beide
lobten Gott und die heilige Katharine. Die Frau ließ
ein Kloster bauen, und der Ritter tat eine Bußfahrt in
das Heilige Land, und als er zurückkam, ließ er jenen
Rosenkranz und den Handschuh, den er auf seinen
Helm gebunden mit sich geführt und der in allen Gefahren
ihn wunderbarlich geschirmt hatte, in der Kirche
zum Gedächtnis aufbewahren, nahm auch den
Handschuh auf in sein Wappenschild und nannte sein
Geschlecht und seinen Sitz Handschuchsheim.
53. Des Rodensteiners Auszug
Im Odenwalde oder nahe dabei stehen zwei Trümmerburgen,
die heißen der Rodenstein und der Schnellert,
zwei Stunden voneinander entfernt. Die Herren von
Rodenstein waren ein mächtiges Rittergeschlecht.
Einer derselben war ein gewaltiger Kriegs- und Jagdfreund,
Kampf und Jagd war sein Vergnügen, bis er
auf einem Turnier zu Heidelberg auch die Minne kennenlernte
und ein schönes Weib gewann. Doch lange
hielt er es nicht aus im friedsamen Minneleben auf
seiner Burg, eine nachbarliche Fehde lockte ihn zu
blutiger Teilnahme. Vergebens und ahnungsvoll
warnte sein Weib, bat und flehte, sie nicht zu verlassen,
da sie in Hoffnung und ihrer schweren Stunde
nahe war. Er zog von dannen, achtete ihres Flehens
nicht – sie aber war so sehr erschüttert, daß ihre
Wehen zu früh kamen – sie genas eines toten Sohnes
und – starb. Der Ritter war, dem Feinde näher zu
sein, auf seine Burg Schnellert gezogen – dort erschien
ihm im Nachtgraun der Geist seines Weibes
und sprach eine Verwünschung gegen ihn aus. Rodenstein!
sprach sie, du hast nicht meiner, nicht deiner
geschont, der Krieg ging dir über die Liebe, so sei
fortan ein Bote des Krieges fort und fort bis an den
Jünsten Tag! –
Bald darauf begann der Kampf. Der Rodensteiner
fiel und ward auf Burg Schnellert begraben. Ruhelos
muß von Zeit zu Zeit sein Geist ausziehen und dem
Lande ein Unheilsbote werden. Wenn ein Krieg auszubrechen
droht, erhebt er sich schon ein halbes Jahr
zuvor, begleitet von Troß und Hausgesinde, mit lautem
Jagdlärm und Pferdegewieher und Hörner- und
Trompetenblasen. Das haben viele Hunderte gehört,
man kennt sogar im Dorfe Oberkainsbach einen Bauernhof,
durch den er hindurchbraust mit seinem Zuge,
dann durch Brensbach und Fränkisch-Krumbach und
endlich hinauf zum Rodenstein zieht. Dort weilt das
Geisterheer bis zum nahenden Frieden, dann zieht es,
doch minder lärmend, nach dem Schnellert zurück. Im
vorigen Jahrhundert sind im Gräflich-Erbachischen
Amte zu Reichelsheim gar viele Personen, die den
Nachtspuk mit eigenen Ohren gehört hatten, amtlich
verhört worden und haben ihre Aussagen zu Protokoll
geben müssen.
Viele sagen zwar, es sei des Lindenschmieds Geist,
der so ruhelos ziehe, und von dem am Rhein alte Lieder
gehen, aber der Lindenschmied war ein Schnapphahn,
den Kaspar von Freundsberg gefangennahm,
und lange vor seinem Leben war der Rodensteiner
zum Auszug und Kriegsherold bis zum Jüngsten Tage
verwünscht worden.
54. Eginhart und Emma
Kaiser Karl der Große hatte einen jungen Kapellan,
Eginhart geheißen, der ihm auch als Geheimschreiber
treulich diente, und von welchem jenes großen und
mächtigen Kaisers Leben beschrieben worden ist.
Dieser liebte des Kaisers Tochter Imma oder Emma
und wurde von ihr heftig wiedergeliebt, doch fürchteten
sich beide, dem mächtigen Herrscher Karl ihre
Leidenschaft zu entdecken, weil Imma bereits dem
Könige von Byzanz verlobt war. Da geschah es, daß
Eginhart in einer Nacht zu Imma kam und mit ihr von
ihrer Liebe redete, bis der Morgen fast zu grauen begann.
Aber während die Liebenden heimlich beisammen
waren, fiel ein starker Schnee, und als Eginhart
von seiner Geliebten hinweggehen wollte, da er über
den Hof der Kaiserpfalz zu Ingelheim, wo sich dieses
zutrug, wandeln mußte, erschraken beide sehr, denn
sein Fußtritt von ihrem Gemach aus mußte ihn ohnfehlbar
verraten. Da ersann Imma eine List, sie gürtete
sich und trug den Geliebten auf ihrem Rücken
durch den Schnee über den Burghof bis zur Stelle, wo
er sicher war, und kehrte dann, in ihre eigenen Fußtapfen
vorsichtig tretend, wieder zurück. Alles war
still, und alles schlief, nur der große Kaiser nicht.
Dieser wachte und sah aus seinem Gemach hinab in
den Schloßhof und erkannte mit Schmerz die eigne
Tochter – doch er schwieg. Der junge Kanzler aber
gelobte sich nach der ertragenen Angst, des Kaisers
Hof zu verlassen, kniete nieder vor seinem Herrn und
bat ihn zu entlassen. Da der Kaiser nach der Ursache
solcher Bitte fragte, so wandte Eginhart Mißmut vor,
sein Dienst werde ihm nicht gehörig vergolten, und
was er sonst für Ausreden brauchte. Der Kaiser versprach
dem Jüngling baldigen Bescheid, setzte aber
ein Gericht an, zu dem er seine weisesten Räte und
Richter berief, und trug ihnen vor, was sich begeben
habe, und was er mit Augen gesehen; heischte nun, da
er in eigner Sache nicht Richter sein wollte, ihren Rat
und ihr Urteil. Da stimmten die Räte und Richter fast
allzumal für Milde und Verzeihen, und der große
König, ob er auch im Herzen zürnte, mußte ihnen zuletzt
beistimmen. Darauf ließ er seinen Schreiber vorfordern
und sprach zu ihm: Schon lange hätte ich
deine Dienste besser vergolten, hättest du mir früher
dein Mißvergnügen entdeckt, nun will ich dir meine
Tochter Imma zur ehelichen Frau geben, welche dich
hochgegürtet so williglich durch den Schnee getragen
hat. Und sandte nach der Tochter, und Imma kam mit
hohem Erröten und ward ihrem Herzgeliebten alsobald
angetraut. Der Kaiser begabte seine Kinder reich
mit Ortschaften, Waldungen und Feldern und hielt
Eginhart gar hoch in seinem Herzen. Als aber der
große Kaiser verstorben war, da sehnte Eginhart sich
vom Hofe hinweg mit seiner lieben Imma in beschauliche
Stille, und König Ludwig der Fromme, Karols
Sohn, begabte ihn mit zwei königlichen Villen im
Odinwald, die hießen Michlinstadt und Mühlenheim.
Nach einer Reihe glücklich verlebter Jahre wandte
sich das Herz der Verbundenen mehr und mehr dem
Himmel zu. Michlinstadt schenkten sie dem berühmten
Kloster Lorsch, von dem überkamen es die Schenke
von Erbach, die später Reichsgrafen wurden. Beide
lebten fortan geistlich, nur noch als Bruder und
Schwester verbunden; Eginhart ließ sich die Priesterweihen
erteilen und erbaute eine Kirche mit Klosterzellen
zu Obermühlheim, ließ dorthin heilige Leiber
aus Rom kommen, und als seine Imma verstorben
war, ließ er sie in seinem Kloster beisetzen, dessen erster
Abt er wurde. Selig sei die Statt, wo du ruhest,
sprach er an der Asche der Treugeliebten, und wo wir
in Liebe Selige gewesen – und fortan wurde der Ort
Seligenstadt genannt.
Andere sagen, Karl der Große habe die Liebenden
von seinen Augen verbannt und verstoßen, und sie
haben lange dort um Seligenstadt in einer Waldeinöde
beisammengewohnt, bis der Kaiser auf einer Jagd sie
einst unvermutet wiedergefunden und aus Freude jene
Stätte selbst Seligenstatt genannt habe. Da auch Abt
Eginhart verstorben war, wurden seine Gebeine neben
denen seiner Imma beigesetzt und ihnen dann ein
kostbarer Sarkophag, darinnen sie ruhten, errichtet,
und da nun die erlauchten Grafen von Erbach zu Erbach
ihren Stamm von diesem edlen Paare ableiten,
so ist durch Geschenk von hoher Fürstenhand ihnen
dieser alte Sarkophag verehret worden und wird als
das kostbarste Altertum zu Erbach noch bewahrt.
Nicht minder aber ward zu Seligenstadt ein herrlicher
andrer Marmorsarkophag mit den Gebeinen der Gründer
der dortigen Kirche in derselben aufgestellt, und
so ist es gekommen, daß Eginharts und Emmas Sarg
an zwei verschiedenen Orten gezeigt wird und doch
jeder von beiden der wahrhaftige ist.
55. Die Windecker
Über der Stadt Weinheim an der Bergstraße erhebt
sich die Burgtrümmer Windeck, von welcher manche
Sagen gehen. Einst jagte ein freisamer Rittersmann,
als Windeck schon verfallen war, einen flüchtigen
Hirsch, der flüchtete sich geradezu mitten in die Ruinen
der alten Burg und entschwand seinen Augen, der
Ritter aber sah sich einsam in stiller Öde. Der Tag
war heiß, und ihn dürstete sehr, er gedachte wohl der
Sage, daß in den verschütteten Kellern der Windeck
noch manch ein gutes Trünklein liege. Siehe, da stand
vor ihm ein Jungfräulein im schloßenweißen Gewande,
die hielt ein köstlich Trinkhorn, das bis zum
Rande gefüllt war, und bot es ihm zum Tranke. Der
Ritter trank und konnte kein Auge mehr von der schönen
Jungfrau wenden; sie aber nahm ihr Trinkhorn
zurück und verschwand. Seitdem blieb der Ritter fort
und fort an die Trümmer von Windeck gebannt,
immer hoffend, daß die Herrliche, die ihn bezaubert
mit ihren Augen, wie mit dem Tranke, ihm einmal
wieder erscheine; niemand aber kann sagen, ob der
Ritter sie noch einmal gesehen, denn auch als er endlich
verstorben war, wandelte sein Geist noch ruhelos
durch die Trümmer.
Auch der Geist eines der letzten Windeckers soll
zuzeiten auf dem Turme der alten Windeck erblickt
werden, die Arme sehnend hinüberstreckend in der
Richtung nach Straßburg. Eine Straßburgerin war
sein Weib, Heimatliebe zog sie aus seinen Armen, im
hohen Münster dort betete sie, im Münster starb sie,
im Münster ist ihr Grab. Sehnend nach ihr brach im
Tode des Gatten Herz.
Anders als dieses Ritters Herz beschaffen waren
die Herzen der allerletzten Sprossen des edlen Geschlechtes
derer von Windeck. Unsaglicher Geiz war
ihr alleiniges Glück. Einsam hausten und als Junggesellen
die Brüder in der verfallenen Feste; diese baulich
zu erhalten, hätte Geld gekostet, und solches hatten
die Brüder viel zu lieb, um es hinauszustoßen aus
ihrem Kasten in die feindliche böse Welt. Aller Dienerschaft
taten sie sich ab, denn Diener kosten etwas,
nämlich Kost und nebenbei doch noch Geld. Selbst
Hund und Katze fraßen den Brüdern endlich doch gar
zu viel, und sie fanden daß es ein kostspieliges Ding
sei, vierbeiniges Vieh zu halten, zumal wenn es nicht
zum wenigsten Milch oder Wolle gebe. Dennoch hielten
sie beide gemeinschaftlich noch ein Tierchen, und
das war eine Meise – die brauchte nicht viel – sie
gaben ihr täglich eine Nuß. Da hatte einstmals einer
der Brüder eine schlaflose Nacht, und in schlaflosen
Nächten pflegen die Geizigen zu rechnen. Und da
rechnete der Herr von Windeck und brachte heraus,
daß das Jahr 365 Tage, auch manchesmal 366 Tage
habe, und daß ebenso viele Nüsse sechs Schock und
einige darüber machten, und daß ein Schock Nüsse,
wenn sie billig, wie an der Bergstraße – anderwärts
kosten sie mehr – drei Kreuzer kosteten, und daß dieses
alljährlich die Summe von achtzehn Kreuzern und
mehr betrage, sechsmal so viel, als eine Meise wert
sei. – Am andern Tage teilte der Windecker seinem
Bruder die angestellte Rechnung mit, worüber dieser
erschrak und eine Zeitlang ganz tiefsinnend wurde.
Wenn wir bedenken, lieber Bruder, sprach er endlich,
daß bei sechs Schock Nüssen auch viele taube sind,
so können wir sogar sieben Schock rechnen, ohne die
Mühewaltung, welche das Füttern, Wassergeben und
Bauerreinigen eines solchen unnützen Fressers verursacht.
– Ja, lieber Bruder, sprach der erste wieder mit
einem Seufzer, wir haben uns da von unsrer Gutherzigkeit
gegen dieses unvernünftige Geschöpf, gegen
unsre Meise, zu einer unverantwortlichen Verschwendung
hinreißen lassen, denn bedenke, wie viele Jahre
wir nun schon das nutzlose Geschöpf füttern! Es ist
ganz unerhört! – Darauf wurden die Brüder alsbald
einig, dem unnützen, kostspieligen Kostgänger den
Bauer zu öffnen und ihn hinfliegen zu lassen, wohin
er wollte. Aber der Schmerz über ihre zu spät von
ihnen erkannte Verschwendung nagte den Brüdern am
Herzen, sie konnten sich jene nicht vergeben, diesen
nicht überwinden, und am folgenden Tage hatte der
Gram über ihre Verschwendung ihnen zu gleicher Zeit
das Herz gebrochen.
56. Thassilo in Lorsch
Es geschah, daß Kaiser Karl der Große zu streiten
kam mit Thassilo, dem mannlichen Bayerherzog, der
sein ganz naher Verwandter war, und da er großes
Unrecht durch Anreizung der Widersacher Karls verübt,
so übte Karl eine erschreckliche Rache und ließ
ihm eine entsetzliche Strafe zuteil werden. Karl ließ
den Agilolfinger Thassilo blenden, welches dadurch
geschah, daß jener gezwungen ward, auf einen seinen
Augen nahegebrachten, im Feuer glühend gemachten
Schild zu sehen, bis ihm das Licht der Augen dunkel
ward und gar verging. Sein langes Haar ward vor dem
Thron ihm abgeschnitten und er zum Mönch geschoren,
dann sollte er nach des Kaisers Gebot eingetan
werden als Mönch in ein Kloster, damit er büße und
bete all sein Leben lang. Darauf nach langen Jahren
begab es sich, daß einstmals Kaiser Karl gen Lauresheim,
das ist Lorsch, das Kloster, kam, und hatte den
Herzog Thassilo längst vergessen, und sich gedrungen
fühlte, zur Nachtzeit im Münster dort zu weilen und
zu beten, da nahm er mit Staunen wahr, wie ein
Mönch durch den Kreuzgang unsichern Trittes wandelte,
welcher blind war, ihm zur Seite aber ein lichtumflossener
Bote Gottes ging, der ihn leitete. Des
Greises Züge kamen dem Kaiser bekannt vor, doch
konnte er sich dessen Namens nicht entsinnen. Und
der Mönch ward von Altar zu Altar geleitet und betete
an jedem und schritt dann mit seinem überirdischen
Führer still zurück. Darauf hat der Kaiser am andern
Morgen den Abt des Klosters Lorsch zu sich entboten
und hat ihn gefragt, welchen Mönch er im Kloster
habe, dem ein Engel diene. Der Abt erstaunte und
wußte nichts zu sagen, folgte aber des Kaiser Gebot,
in nächster Nacht mit ihm des Mönchs wieder zu harren.
Da geschah es ganz so wie in der vorigen Nacht,
daß der blinde Mönch wieder kam und der Engel ihn
geleitete. Und der Kaiser, gefolgt von dem Abt, ging,
als der Mönch gebetet hatte, dem Mönch und dessen
Führer nach, und trafen den Mönch allein in seiner
Zelle. Der Abt kannte den Mönch aber nur unter seinem
Klosternamen und wußte nichts weiter von ihm.
Nun sprach der Abt ihn an, zu sagen, was er vordem
in dem weltlichen Leben gewesen, und nichts zu verhehlen
und zu verschweigen, denn sein Herr und Kaiser
sei es, der vor ihm stehe. Da sank der blinde
Mönch zu des Kaisers Füßen nieder und sprach: O
Herr! Viel habe ich gegen dich gesündigt, und meine
Buße währet für und für. Thassilo war ich vordem geheißen.
– Da hub ihn der Kaiser gnädiglich auf und
sprach: Schwer hast du gebüßt, und härter, als mir
lieb, all deine Schuld sei dir vergeben. Da küßte der
blinde Greis des Kaisers Hand und sank zur Erde und
verschied. Im Kloster Lorsch ruht sein Staub.
57. Der Heerwisch
Die Leute in der Gegend der Bergstraße und insonderheit
um die Orte Lorsch und Hähnlein nannten und
nennen die Irrwische Heerwische und haben einen
Spottreim, daß sie sie anrufen, wenn sie, wie gewöhnlich
nur geschieht, in der Adventszeit sich sehen lassen:
Heerwisch, ho ho!
Brennst wie Haberstroh!
Schlag mich blitzeblo!
Das ist aber schon mehr als einem übel bekommen.
Da war vor länger als dreißig Jahren einmal ein junges
Mädchen, das ging zur Abendzeit an einem
Sumpf bei Hähnlein vorüber, da sah sie einen Irrwisch
hüpfen und rief ihm keck und laut den Spottreim
hinüber. Sogleich kam der Irrwisch über den
Sumpf herübergeflattert, auf das Mädchen zu, dem
ward angst – es eilte, was es eilen konnte, seinem Elternhause
zu, der Heerwisch aber flugs hinterdrein,
und hatte feurige Flügel, und schlug damit wie ein
recht wilder großer Sumpfvogel auf das Mädchen los,
und als sie, zum Tod geängstigt, das Haus erreichte
und hineinschlüpfte, war der Heerwisch auch mit drin,
machte die ganze Hausflur hell, trat ihr in die Stube
nach und schlug mit seiner Flackerlohe alle Leute, die
ihm in den Weg und Wurf kamen, dann fuhr er zum
Schornstein hinauf und aus dem Schlot wie ein Feuerdrache
und walzte über alle Dächer, daß sich männiglich
entsetzte. Am andern Tage waren alle, und das
Mädchen zumeist, »blitzeblo« von des Heerwisches
Schlägen. Die Heer- und Irrwische und Feuermänner
werden für Verstorbene gehalten, welche wegen ihrer
Übeltaten im Leben die ewige Ruhe nicht finden, insonderheit
sind es falsche Feldmesser,
Grenzsteinverrücker und Bauern, die dem Nachbar
die Furchen abpflügen, die in ganz Deutschland für
solche gehalten werden, die als Feuermänner büßen
müssen. Im deutschen Norden gelten die Irrwische für
die Seelen ungetauft verstorbener Kinder. In Thüringen
haben die Leute ein Sprüchwort, wenn einer recht
hastig rennt: Du läufst ja wie ein feuriger Mann.
58. Die Wiesenjungfrau und das Niesen
Auf einer grünen Wiese bei Auerbach, eine Meile von
Lorsch, hütete ein Hirtenbub seines Vaters Kühe,
stand müßig und dachte an gar nichts. Da fühlte er auf
einmal einen sanften Backenstreich auf seiner Wange
von einer weichen Hand, und wie er erschrocken sich
umdrehte, so stand eine wunderschöne Jungfrau vor
ihm da, schloßschleierweiß, und tat den Mund auf,
ihn anzureden. Aber der Bub tat vor Schreck einen
Brüll, als wenn er am Spieße stäke, und rannte davon,
nach Auerbach zu und hinein. Nach einiger Zeit hütete
der Bube abermals auf jener Wiese und stand träumend
in der heißen Mittagsstunde am Waldesrain. Da
raschelte es am sonnigen Rain, als schlüpfe ein Eidechs
ins Dorngebüsch, der Knabe blickte hin, da sah
er eine kleine Schlange, die trug in ihrem Mund eine
blaue Blume und sprach: Guter, erlöse mich! erlöse
mich! Mit dieser Blume öffnest du droben im alten
Schloß Auerbach die verfallenen Keller und die Fässer
voll Gold, und alles ist dein! Nimm die Blume,
nimm die Blume! – Aber dem Buben wurde es ganz
unheimlich und graulich, er hatte all sein Lebetage
noch keine Schlange sprechen hören – und lief von
dannen, als wenn der wilde Jäger hinter ihm drein
wäre. Als der Spätherbst kam, hütete derselbe Bube
zufällig wieder an derselben Stelle, und da empfing er
wieder einen sanften Backenstreich und sah im Umdrehen
wieder die weiße Jungfrau, welche ihn flehend
ansprach: Erlöse mich! erlöse mich! Ich will dich
reich und glücklich machen. Du allein kannst es, nur
du allein. Ich bin verwünscht, zu harren und zu wandeln,
und kann nicht eher zur Seligkeit eingehen, bis
aus einem Kirschkern, den ein Vöglein auf diese
Wiese fallen läßt, ein Kirschbaum groß und stark gewachsen
ist, der Baum abgehauen und aus ihm eine
Wiege gemacht wird. Nur das erste Kind, das in solcher
Wiege geschaukelt wird, kann dadurch mich erlösen,
daß es mit der blauen Blume, die ich hier halte,
hinauf zur Burg geht und dort die unterirdischen
Schätze hebt. Du bist das Kind, das in solcher Wiege
gewiegt worden. – Als der Bube diese Rede hörte, zitterte
er, und es lief ihm eiskalt über den Nacken, denn
er hatte kein Herz, und wenn der Mensch kein Herz
hat, ist er ein Tropf. Und kreuzigte und segnete sich
und schüttelte mit dem Kopfe. – Wehe mir! Wehe!
rief da die Jungfrau. So muß ich wieder hundert Jahre
harren und wandeln, wehe dir, daß du kein Herz hast,
so sollst du auch keins finden! – Und tat einen lauten
Schmerzensschrei und verschwand.
Der Bube aber ging von diesem Tage an still und
bleich umher und hat nicht lange gelebt.
Eine ähnliche Sage von dem Kirschkern, Baum und
Wiege, an die sich Hoffnung auf Erlösung knüpft,
geht von den Trümmern der Burgruine Raueneck in
Österreich. Dort bei Auerbach aber ist's auch sonst
nicht geheuer. Über das Flüßchen, die Auerbach, geht
ein Brückchen. Als einstens jemand darüberschritt,
hörte er es im Wasser niesen, und zwar dreimal, und
dreimal sprach er: Gott helf! Da stieg die Gestalt
eines Knaben aus dem Wasser und rief: Gott danke
dir, du hast mich erlöst! Darauf hab' ich dreißig Jahre
gewartet. Ein anderer hatte oberhalb der Brücke auch
dreimal niesen hören; zweimal hatte er Gott helf! gerufen,
weil aber niemand einen Dank zurückrief, so
schreit er beim dritten Male: Hole dich der Teufel! –
Da hat es im Wasser einen Wall getan, als wenn sich
jemand in demselben heftig umwälze, und darauf ist
alles stille gewesen.
59. Das versunkene Kloster
Ohnweit des Fleckens Neuenkirchen im Odenwalde
liegt ein stilles einsames Wiesental mit einem kleinen
Weiher ohne Zufluß und ohne Abfluß. Dort hat vorzeiten
ein Nonnenkloster gestanden, und darinnen war
eine junge Novize, die hatte das Gelübde noch nicht
abgelegt. Sie war zum Kloster gezwungen worden
und liebte einen Ritter von einer der nahen Burgen,
der oft zur Nachtzeit, wenn alles ruhte, heimlich in
den Klostergarten kam und die Geliebte sah und
sprach. Eines Abends kam ein müder greiser Pilger an
die Klosterpforte und begehrte Einlaß und Obdach
über Nacht, allein die Priorin und der ganze Konvent
wiesen ihn ab. Nur die Novize bat, des alten Mannes
Bitte doch zu gewähren, allein da sie noch nicht
Nonne war, stand ihr nicht einmal zu, einen Rat zu
geben, und die Pforte des Klösterleins blieb dem Pilger
verschlossen. Da murmelte derselbe einen Fluch,
schwang seinen Stab, schlug dreimal damit an die
Pfortenmauer, und da versank das Kloster mit Kirche
und Konventhaus lautlos in die Tiefe, und wo es gestanden,
breitete eine stille Wasserfläche geheimnisvoll
sich aus. Der Pilger aber schwand hinweg, an
seine Stelle trat der liebende junge Ritter – und traute
gar nicht seinen Sinnen, als er nichts mehr vom Klo-
ster sah. Laut rief er den Namen der Geliebten durch
die öde Stille, die ihn umschauerte, da scholl es aus
der Tiefe herauf: Morgen zu dieser Stunde kehre wieder
zu dieser Stätte! Einen roten Faden, der auf dem
Wasser schwimmen wird, erfasse dann!
Der Ritter tat in der folgenden Nacht, wie ihm geboten
war, er faßte den Faden und zog an ihm, und da
stand sein liebes Lieb vor ihm und küßte ihn und
sprach zu ihm: Unschuldig muß ich mit den andern
büßen, doch ist mir vergönnt, dich zu dieser Nachtstunde
zu sehen, nur darf ich nicht über ihren letzten
Schlag verweilen. Der rote Faden, an dem du mich
emporziehst, ist mein Lebensfaden, darum halte mich
nicht über die Zeit. – Lange sahen sich so die Liebenden
fast in jeder Nacht, bis sie einmal allzu lange
Herz am Herzen ruhten – da hatte der Ritter sein Lieb
zum letzten Male in seinen Armen gehabt. Als er in
folgender Nacht wiederkam und den Faden faßte, da
war er nicht mehr rot – er war durchschnitten – wohl
aber war rot der ganze See, vom Blute der Geliebten
gefärbt. Andere sagen, der Nonnen Mißgunst habe ihn
durchschnitten. Der Liebende blickte traurig in den
See und versenkte sich selbst hinab in die Tiefe. In
Mondnächten rauschen die versunkenen Nonnen bisweilen
herauf und tanzen als Nixen mit Skapulier und
Stola lustigen Ringelreigen am grünen Ufer, und Irrlichter
mischen sich in ihren Reigen.
Der Sagen von Jungfrauen, die aus Weihern emporsteigen
und im Arm der Liebe oder der Freude des
Tanzes die bestimmte Stunde vergessen, worauf von
ihrem Blute die Seen und Weiher gerötet erblickt werden,
gibt es in Deutschland wohl an die tausend.
60. Der Lindwurm auf Frankenstein
Überm Dorfe Eberstadt, zwei Stunden von Darmstadt,
liegen die umfangreichen Trümmer der Burg Frankenstein.
Darauf saß ein Ritter, der hieß Hans, nach andern
aber Georg, drunten im Dorfe aber floß ein
Brunnen, aus dem die Bauern ihr Wasser schöpften,
und auch auf die Burg hinauf wurde solches Wasser
geholt. Neben dem Brunnen wohnte ein greulicher
Lindwurm, der ließ niemand zum Brunnen, es mußte
ihm zuvor ein nicht zu kleines Tier geopfert werden,
ein Schaf, ein Hund, ein Kalb, ein Schwein – er fraß
alles und viel, und solange er fraß, konnte jedermann
zum Brunnen – wenn er aber nichts hatte, so fraß er
die Leute, die zum Brunnen kamen. Da entschloß sich
der Ritter von Frankenstein, das Dorf und die Gegend
von dem schädlichen Ungetüm zu befreien, wappnete
sich und stritt mit dem Lindwurm, der wehrte sich gar
wacker, spie so viel Feuer, als ihm möglich war, aber
der Ritter schlug dem Wurm endlich den Kopf glatt
ab, aber der spitze Pfeilschweif des Drachen kringelte
sich um den Ritter und stach ihn hinterwärts, wo die
Rüstung nicht deckte, in die Kniekehle, und da der
ganze Wurm über und über, außen und innen giftig
war, so mußte der wackere Ritter von Frankenstein
am Drachengifte sterben. Danach ist er begraben wor-
den zu seinen Vätern in die Kirche zu Niederbeerbach
(andere sagen Oberbeerbach), wo die Frankensteiner
schöne Grabmäler haben, und hat auch ein stattlich
Monument erhalten im Harnisch mit Schwert und
Streithammer, lebensgroß. Auf den Lindwurm, der
seinen Schweif nach der Kniekehle richtet, tritt er,
und Engel krönen ihn, ein echtes Bild des christlichen
Märtyrers und Heiligen Ritter St. Georg.
61. Das Frankensteiner Eselslehen
Zu Darmstadt hat es vorzeiten gar böse Weiber gegeben,
wollen hoffen, daß jetzt bessere darinnen sind.
Diese damaligen Weiber prügelten ihre Männer, wie
die Sage geht, nach Noten und so arg, daß die Männer
sich ihrer Weiber und der Schläge nicht anders erwehren
konnten, als daß sie Hülfe bei denen von Frankenstein
über Bessungen suchten. Denen gaben die
Darmstädter alljährlich zwölf Malter Korn, zwei Gulden
und zwei Hessen-Albus Geld, dafür hielten die
Frankensteiner einen Esel, den sandten sie jedesmal
mit gutem handfesten Geleit, wenn er zur Stadt begehrt
wurde, und auf sotanem Esel mußte das Weiblein
reiten, das seinen Mann geschlagen, und zwar
durch die ganze Stadt. Hatte die Frau den Mann geschlagen
unversehens oder war dieser krank und seiner
Kräfte nicht mächtig, so führte der Geleitsmann
den Esel, hatte es aber zwischen Mann und Frau einen
offenen und ehrlichen Kampf gesetzt und er von ihr
das Beste abbekommen, so mußte der Mann zu seinem
großen Schimpf den Esel selbst führen. Zu dieser
Zeit ward das Recht und die Sitte gar streng gehandhabt
zu Darmstadt, denn es war allda ein Bürgerausschuß,
der übte die Polizei und war sehr gefürchtet
von allem losen Gesindlein, das nannte ihn, weil er
aus hundert Beisassen bestand, das böse Hundert. Da
geschah es, daß einmal eine ganze Gesellschaft – ein
Kränzchen würde man es heutiges Tages nennen –
böser Weiber sich zusammentat, die Männer weidlich
schlug, und da haben die Männer des bösen Hunderts
an die Frankensteiner geschrieben, daß sie ihnen eilend
nach dem Recht und Gesetz des Burglehens mit
dem Esel möchten zu Hülfe kommen mit seinem Geleitsmann,
und sie wollten beiden, dem Mann und
dem Esel, ihren Stadtboten entgegenschicken, daß der
beide herein nach Darmstadt geleite, sollten genugsam
Mahl und Futter haben, und wenn sie den Esel
gebraucht in ihren Nöten, so sollten beide wieder kostenfrei
zurückgeleitet werden, damit daß die übermütige,
stolze und böse Weibesgewalt möge unterdrückt
werden und nicht weiter einreißen.
Und auch hernachmals ist solche Strafe noch öfter
zu vollziehen nötig gewesen, und andere Orte der
Nachbarschaft haben den Esel auch nötig gehabt, wie
Pfungstadt, Niederramstadt, Crumstadt, Goddlau
usw., und Bessungen allein ist denen Rittern von
Frankenstein hundert Malter Korn vom Eselslehen
schuldig geblieben, daher liehen sie ihnen auch den
Esel fürder nicht mehr, mochten ihre Weiber die Bessunger
noch so sehr schlagen.
62. Das goldne Mainz
Mainz, die uralte Römerstadt nahe dem Zusammenströmen
des Rhein und Main, von welch letzterm sie
den Namen hat, wurde auch, gleich der aurea Roma,
golden genannt, und eine angebaute Berghöhe über
der Stadt empfing den Namen die goldne Luft. Viele
haltlose Fabeln sind aufgebracht worden, wovon der
Name der Stadt herzuleiten, während doch nichts
näher lag als der Nachbarstrom. Die Römer gründeten
dort Werke, deren Trümmer noch sichtbar sind, deren
Name noch forthallt. Ein noch dauerbareres Werk,
das Christentum, in Mainz eingeführt und befestigt,
führte die Stadt zu hoher Blüte. Winfried Bonifazius
wurde der erste Erzbischof zu Mainz, durch ihn und
seinen mächtigen Einfluß ward der Grund gelegt, daß
der Erzbischofsstuhl in dieser Stadt der bedeutendste
in Deutschland wurde, und daß der Erzbischof von
Mainz später zugleich des Reiches Kurfürst, der erste
Mann nach dem Kaiser war. Doch soll Winfried nicht
allezeit die Pracht und Macht gutgeheißen haben, die
in der Kirche immer höher stieg, sondern vielmehr gesagt
und geklagt haben: Vordessen waren die Priester
golden und bedienten sich hölzerner Kelche, in unsern
Zeiten aber bedienen sich hölzerne Priester goldner
Kelche – und Spruch wie Sache vererbten sich so fort
durch alle kommenden Zeiten, nicht nur im goldnen
Mainz.
63. Hatto, Heriger und Willigis
Drei Namen der ältesten Erzbischöfe von Mainz hat
die Sage des Volkes insonderheit von Mund zu Mund
bis auf die späte Nachwelt getragen.
Hatto war gar ein strenger Herr, zornigen, treulosen
Gemütes, ohne Furcht vor Gott und ohne Liebe zu
den Menschen. Er war es, der durch schändlichen
Verrat den edlen Grafen Adalbert von Babenberg in
das Lager König Ludwigs IV. lockte, welcher denselben
enthaupten ließ. Wenn Bischof Hatto eine Rede
bekräftigen wollte, so soll er immerdar das Wort im
Munde geführt haben: Sollen mich die Mäuse fressen,
wenn's nicht wahr ist. Nun trug sich's zu, daß unter
Hattos Regierung eine große Not und Teurung entstand,
daß die Leute Hunde und Katzen aßen und
viele Hungers starben. Und da war des Bettelns und
Gabenheischens in dem Bischofhof zu Mainz kein
Ende, und meinte Hatto, es sei am besten, das arme
Volk käme eilend von der Welt, so hungere es nicht
mehr, und er bliebe ungeplagt. Ließ daher alle Armen
der Stadt in eine Scheune draußen vor dem Tore entbieten,
als wolle er ihnen eine Mahlzeit zurichten lassen,
und als alle darinnen waren, ließ er das Scheunentor
verschließen und die Scheune an allen vier
Ecken anzünden. Da nun die Eingesperrten gar ein
jämmerliches Geschrei erhoben, so sagte der grausame
Bischof: Hört ihr, wie meine Kornmäuse pfeifen?
Nun wird der Bettel wohl ein Ende haben, sollen mich
die Mäuse fressen, wenn's nicht wahr ist! – Und
siehe, da sprang eine Schar Mäuse aus dem Brand der
Scheune hervor und an den Bischof hinan, die bissen
ihn, und ihm graute. Als er nach Hause kam und sich
zur Tafel setzte, liefen Mäuse auf der Tafel herum,
fraßen von seinen Speisen, fielen in seinen Becher
und bissen ihn in die Hände. Über seiner Lagerstatt
und unter ihr und in ihr waren Mäuse und quälten ihn
mit wütenden Bissen – da erkannte Hatto schaudernd
das Gericht Gottes. Nun stand bei Bingen im Rheinstrom
eine Wasserburg, dahin enteilte der Bischof,
dort sicher zu sein, denn über das Wasser, meinte er,
würden die Mäuse nicht kommen. Aber ehe er noch in
das Schiff trat, waren schon die Mäuse drin, und da
half kein Totschlagen, denn sie verkrochen sich, und
ganze Scharen Wassermäuse kamen, die schwammen
mit dem Schiff in die Wette nach der Turminsel bei
Bingen. Auf einem großen Rheinfloß waren nicht so
viele Menschen als Mäuse in und um Bischof Hattos
Schiff. Und als er in dem Turme war, da fielen sie ihn
an und bissen ihn und fraßen ihn bei lebendigem
Leibe, und er litt brennende Höllenschmerzen von den
zahllosen Bissen und verfluchte seine Seele zu allen
Teufeln. Und die Teufel ließen nicht allzu lange auf
sich warten, sie kamen dahergefahren im lichterlohen
Brande und nahmen seine Seele und, was vom Leib
die Mäuse übriggelassen hatten, und warfen es in den
Schlund des Ätna. Und wo an einer Wand oder auf
einer Tafel der Name des Bischofs Hatto zu lesen
war, den nagten die Mäuse ab, selbst sein Gedächtnis
zu vertilgen. Seitdem heißt der Rest von Hattos Wasserburg
im Rhein bei Bingen der Mäuseturm. – Eine
ähnliche Sage von einem Mäuseturm geht auch in der
Provinz Posen, der steht im Goplosee.
Ein frommerer Mann war Erzbischof Heriger, auch
streng, aber gerecht. Einst kam gen Mainz ein
Mensch, der rühmte sich großer Dinge. Himmel und
Hölle habe er durchwandert, und im Paradiese habe er
gesessen. Da nun Heriger nach der Hölle Gelegenheit
fragte, so antwortete der falsche Prophet, die Hölle
liege rings von dichten undurchdringlichen Wäldern
umgeben, des lachte Heriger und sprach: In diesen
Wäldern mag wohl gute Saumast gefunden werden.
Aber sage an, was du im Himmel gesehen? – Im Himmel,
antwortete der Sohn des Vaters der Lügen, da
habe ich Christus sitzen sehen an großer Tafel, Sankt
Johannes war sein Mundschenk – und Christus bewirtete
alle Heiligen mit köstlichem Wein, und Sankt Petrus
nahm sich des Kochens an und des Bratens, da
gab es Essen in Fülle. Darauf sagte Bischof Heriger:
Bessern Schenken als Sankt Johannes konnte sich
Christus nicht erkiesen, denn dieser Gottesjünger
trank nie Wein, während unsere Schenken viel trinken,
aber Petrus kann doch nicht Koch im Himmel
sein, da er des Himmels Pförtner ist. Doch sage an,
welche Ehren dir im Himmel zuteil wurden? Welche
Speise, welchen Trank ließ der Herr des Himmels dir
reichen? An welchem Ort hast du gesessen? – Ich vermaß
mich nicht, mich unter die seligen Himmelsgäste
zu setzen, erwiderte der Lügner, sondern ich hielt
mich heimlich in einem Winkel der Küche und nahm
ein Leberlein oder Stückchen Lunge, das aß ich ungesehen.
So hast du gestohlen in dem Himmel und
konntest an dem heiligen Ort von deiner Art nicht lassen!
rief der Bischof, und der Himmel sendet dich
uns, daß wir dich dafür strafen. Ließ alsobald den
Lügner an den Schandpfahl binden und mit Ruten
stäupen, dann aber gehen, wohin er wollte.
Erzbischof Willigis war ein gelehrter und frommer
Mann und von Herzen demütig. Er war von niederer
und geringer Herkunft, sein Vater war ein armer Rademacher.
Das machte ihm Neid bei den adeligen
Domherren, die ihre Ahnenproben ablegen mußten
und beschwören, die malten ihm heimlich Räder an
die Türen und Wände seines Bischofhofes, zu
Schmach und Schimpf, und spotteten: Das ist unsers
Bischofs Ahnenwappen. Willigis aber, der fromme
Mann, nahm sich das mitnichten als eines Spottes an,
er ließ über seiner Bettstätte ein hölzernes Pflugrad
aufhängen und in seine Gemächer weiße Räder in rote
Wappenfelder malen und dazu einen Reim setzen, der
lautete: Willigis, Willigis, denk, woher du kommen
sis. Und nachher haben dem frommen Willigis zum
Gedächtnis alle nach ihm kommenden Erzbischöfe
dieses Rad als Wappenzeichen beibehalten, und Stadt
und Bistum Mainz haben es angenommen und beibehalten
bis auf den heutigen Tag.
64. Die heiligen Kreuze zu Mainz
Zu Mainz hat eine schöne Kirche in der frühern Zeit
den Namen Zu Unsrer Lieben Frauen im Felde geführt,
das Volk aber nennt sie Heiligkreuz. Ein Schiff
kam gefahren mit Männern und Frauen, die sahen in
der Luft ein schimmerndes Kreuz schweben, das
ihrem Schiffe nachzog und an seinen Mast sich heftete.
Nahe der alten Schiffbrücke beim Holztor legte
das Schiff an, und siehe, da war das schimmernde
Kreuz kein Luftgebilde, sondern ein ehernes kunstvolles
Kruzifix von wundersamer Meisterarbeit. Um nun
dessen Bestimmung zu erkunden, wurde es zwei ungejochten
und ungeschirrten Ochsen auf den Rücken
gelegt, und diese ließ man ohne Leitung und Führung
gehen, und da trugen sie das Kreuz auf den
Hechtsheimer Berg, dort ward eine Kirche erbaut und
das Wundergebilde darinnen zur Verehrung aufgestellt.
Viele Kranke sind genesen, die vor dem Kreuze
in Andacht knieten, bis die Kirche mit mehreren anderen
in Flammen aufging, als Markgraf Albrecht von
Brandenburg 1552 die Stadt Mainz einnahm. Zwischen
dem Holz- und Bockstor aber ward noch lange
Zeit ein Gemälde gesehen, davon noch heute Spuren
zu entdecken sind, darstellend ein Kreuz, hangend an
den Segeln eines stromaufwärts fahrenden Schiffes.
Zwischen der Kirche zum Heiligen Kreuz und St.
Alban stand vorzeiten eine offene Kapelle, darinnen
war ein hölzern Kruzifix, darunter Maria und Johannes,
zur Verehrung der Gläubigen aufgestellt. Nun
lebte zu Mainz ein Bürger, des Name war Schelkropf,
ein Spieler und Trunkenbold, der wenig aus dem
Wirtshaus zur Blume kam, das in der ehemaligen
Vorstadt Vilzbach stand. Eines Tages hatte er alles,
was er besaß, verspielt und vertrunken und verwünschte
in seinem wilden Rausche sich, Gott und
alle Heiligen und schwur, mit seinem Schwerte das
erste beste heilige Bild, auf das er stoße, mitten voneinander
zu hauen. So taumelte er durchs Feld, und
kam an die offene Kapelle, und rannte auf die hölzernen
Bilder an, und stach und hieb. Und siehe, da
sprangen ihm aus den leblosen Bildern, zumal aus
dem Kruzifix, Ströme Blutes entgegen. Entsetzt stand
er und sinnverwirrt, das Schwert entfiel seiner Hand,
und so ward er gefunden und gefangen. Fromme
Hände fingen in Schalen das rinnende Blut auf. Schelkropf
wurde für seinen unerhörten Frevel lebendig
verbrannt, das wundertätige Christusbild aber und das
heilige Blut brachte man in die nahe Kirche. Als diese
in Flammen aufging, blieb dieses heilige Kreuzbild
verschont und ward gerettet, und noch heute wird es
den Gläubigen in der St. Christophskirche zu Mainz
gezeigt.
65. Heinrich Frauenlobs Begängnis
Es war in deutschen Lande ein Minnesänger, der sang
viel süße Weisen zum Lobe der Frauen, vor allen zum
Preise von aller Frauen Krone, deshalb gewann er
auch den Namen Frauenlob, denn sein rechter Name
war Meister Heinrich von Meißen. Viele Reisen
machte der Sänger von einem deutschen Hofe zum andern,
er sang irdische und sang Gottesminne. Zu Rostock
war Markgraf Waldemar von Brandenburg gesessen,
der hatte einen Rosengarten, und ließ ein Festsingen
halten, da war Meister Heinrich der erste Singer.
Einstmals lauerten Feinde ihm auf und umringten
ihn mit Dräuen, sie wollten ihn töten. Da bat er, sie
sollten ihm noch einen Sang zum letzten vergönnen,
und als sie das taten, sang er so rührend zum Preise
der himmlischen Frauen, daß jede gehobene Waffe
sich senkte und die Feinde ihn ungehemmt und ungeschädigt
von dannen ziehen ließen. Auf seinen Sangesfahrten
kam Meister Heinrich auch nach Mainz
und verstarb allda und wurde begraben im Umgang
des Domes, neben der Schule, mit großen Ehren. Von
seiner Herberge bis zur Grabstätte trugen ihn Frauen
und erhoben um ihn großes Weinen und Wehklagen,
des großen Lobes willen, welches der Sänger dem
ganzen weiblichen Geschlecht zeit seines Lebens er-
teilt hatte. Und mit den Tränen, die sie vergossen, zugleich
gossen sie eine Fülle edlen Weins auf Meister
Heinrichs Grab, daß der Wein durch den ganzen Umgang
der Kirche umherfloß. Und wäre manchem
Dichter, der auch die Frauen minnt und preist, lieber,
sie gäben ihm solchen Wein beim Leben. Mehr als
ein Denkmal ist Heinrich Frauenlob errichtet worden
im Dom zu Mainz, und seine Sänge sind noch unvergessen.
66. Die heilige Bilhilde
Zu Hochheim am Main saß ein Geschlecht edler Franken,
und noch gewahrte man in neuern Zeiten beim
Ziehbrunnen allda Reste ihres Burgsitzes. Das war zu
den Zeiten Chlodowigs, des Frankenkönigs. Dieses
Geschlechtes einer hieß Iberich, dem ward ein Töchterlein
geboren, das wurde Bilhilde geheißen, aber es
empfing nicht die heilige Taufe, weil durch Feindesverheerung
alle Priester gemordet oder entwichen
waren. Doch sendeten die Eltern das junge Töchterlein
in seinem dritten Jahre gen Würzburg zu Kunegunde,
einer Verwandten, und dort empfing es Lehre
und wurde unter die Zahl junger Katechumenen von
den Priestern aufgenommen. Zur Taufe gelangte das
Kind aber dennoch nicht, denn man hielt es für getauft,
und es selbst wußte nicht, daß es noch nicht der
Taufe Sakrament empfangen. Das Mägdlein wuchs
und blühte heran in Tugend und Gottesfurcht. Bilhilde
blieb frei von Heidengreueln, die dazumal noch
neben dem Christentum im Frankenlande heimisch
waren, und der Ruf ihrer Schönheit, Frömmigkeit und
Sitte drang weit umher in alle Gauen. Davon vernahm
auch Hetan, des Thüringer Herzogs Ratulf Sohn, der
war schon einmal vermählt gewesen und hatte zwei
Söhne, und warb um die junge Bilhilde; Hetan aber
war noch ein Heide, und Bilhilde nahm ihn nur auf
den dringenden Wunsch ihrer Eltern zum Gemahl,
und in der Hoffnung, es werde ihr gelingen, ihn zum
milden Christentum samt den Seinen zu bewegen.
Solches gelang ihr aber mitnichten, zu ihrer großen
Kümmernis, daher lebte sie sehr still und schmucklos,
in den Übungen strenger Kasteiung und Buße. Hetan
fand den Tod in der Schlacht, und seine Witwe empfand
ein Sehnen nach ihrer Mutter, auch ward ihr von
dem Thüringervolke mit Undank gelohnt, daß sie die
Christuslehre unter ihm auszubreiten bemüht gewesen,
sie wurde verfolgt und zur Flucht genötigt und
stieg mit ihren Jungfrauen zur Nacht in ein Schiff
ohne Steuer und Fährmann. Aber Engel erschienen,
die lenkten das Schifflein an allen Untiefen und an
allen Klippen glücklich vorüber auf der langen weiten
Stromfahrt, von der fränkischen Saale in den Main
und vom Main an Hochheim vorüber, und landete in
Mainz an, wo Siegbert, Bilhildens Ohm, Bischof geworden
war, der empfing die fromme Jungfrau gar liebevoll,
gab ihr Wohnung und half ihr zum Besitz
ihres Erbes in Hochheim, denn ihre Eltern waren
indes verstorben. Darauf stiftete die fromme Bilhilde
ein Kloster, Altenmünster zu Mainz, von ihrem Erbgut,
lebte gottergeben, züchtig, mildtätig, bis ihr Lebensziel
fast erreicht war. Da träumte dreien Nonnen
im selben Kloster, dem Bilhilde als Äbtissin vor-
stand, daß ihre Mutter und Oberin noch gar nicht getauft
sei, und offenbarten es ihr, aber sie wollte und
konnte das gar nicht glauben, bis es durch ein anderweites
Gesicht oder durch die Stimme eines Engels
auch ihrem Ohm offenbart wurde, der dann die fromme
Christin in den Christenbund aufnahm. Nachher
hat Bilhilde sich dem Weltleben völlig abgetan, und
als sie verstarb, erschien ein Lichtglanz um ihre irdische
Hülle, und Wohlgeruch erfüllte ihre Zelle. Kranke
genasen in ihrer Nähe, Blinde wurden sehend, und
Tote wandelten. Bilhilde wurde die erste Heilige des
Frankenlandes.
Viele sagten, Bilhilde sei noch beim Leben ihres
Gemahls Hetan auf so wunderbar geleitetem Schifflein
nach Mainz gekommen. Auch liegt eine Meile
unterhalb Würzburg am Mainstrom ein Ort, heißt
Veitshöchheim, der hat sich auch, gleich Hochheim,
Bilhildens Herkunft, und daß sie ihm entstamme, angenommen,
hat ihr einen eigenen Festtag gestiftet und
bewahrt und verehrt von ihr Reliquien.
67. Der Franken Furt
Die Sage geht, daß die freie deutsche Stadt Frankfurt
ihren Ursprung in solcher Weise erhalten habe. Unter
Kaiser Karl dem Großen kriegten die Sachsen gegen
die Franken und ihren mächtigen König, und waren
erstere siegreich und trieben die Feinde bis hinab zum
Ende des Mainstroms. Wie nun die Franken flüchtig
an diesen Strom und an die Stelle kamen, wo jetzt
Frankfurt liegt, und des Stromes Breite und Tiefe sie
erschreckte, da sie weder Brücke noch Schiffe hatten,
über den Main zu gelangen, siehe, da zeigte ihnen
eine Hirschkuh gleichsam nach dem Ratschluß göttlicher
Barmherzigkeit den Weg, indem sie ohne Gefahr
durch den Strom schritt und also eine Furt anzeigte,
wo die flüchtigen Franken nun ohne Gefahr über den
Strom setzen konnten und setzten. Da nun später die
nachfolgenden Feinde kamen und jene Furt nicht
kannten und fanden, so mußten sie die Franken ferner
unverfolgt lassen, und Karl der Große soll gesprochen
haben: Besser, daß die Völker sagen, ich sei mit meinen
Franken vor den Sachsen dieses Mal geflohen, als
daß sie sagen, ich sei hier gefallen, denn weil ich lebe,
kann und will ich meine Ehre retten. Dort nun siedelten
Franken sich an, denn es war ein lieblich und
fruchtreich gelegener Gau, und nannten den Ort die
Furt der Franken, Frankfurt. Manche sagen, gleich damals
haben die Sachsen den Ort Sachsenhausen,
Frankfurt gegenüber dicht am Mainstrom, begründet,
andere aber behaupten, dessen Gründung sei erst dann
geschehen, als Karl der Große überwundene Sachsen
aus ihrem Heimatlande hinweg und zur Ansiedelung
im Frankenlande genötigt habe, von welcher bis auf
den heutigen Tag noch viele Ortsnamen zeugen. Später
erbaute Kaiser Karl selbst eine kleine Pfalz zur
Frankenfurt und hielt sich Jagens halber gern dort auf,
feierte Ostern da und hielt Reichskonvente. Auch
Karls des Großen Sohn, König Ludwig, wohnte da,
recht in seines weiten Reiches Mitte, und sein Sohn
Karl, hernachmals Karl der Kahle genannt, ward allda
geboren. Noch immer wird die seichte Stelle im Main
gezeigt, wo der Franken Furt war und Frankfurts erster
Anbau und Name sich begründete, und Kaiser
Karls Pfalz stand da, wo jetzt die St. Leonhardskirche
steht, und die neue Pfalz, welche Ludwig der Fromme
erbaute und der Saal hieß, lag neben dem Fahrtor,
davon hat noch bis heute die Saalgasse ihren Namen.
Im Saalhof starben Ludwig der Deutsche, des frommen
Ludwig jüngster Sohn, wie auch Hemma, dessen
Gemahlin. Dieser König war es, der Frankfurt zu des
ostfränkischen Reiches weltlicher Hauptstadt erhob,
während Mainz die geistliche war.
68. Des Königs Weihnacht
Wo jetzt der Dom zu Frankfurt steht, stand schon zu
König Ludwig des Deutschen Zeiten eine Kapelle, die
hieß der Rudtlint, wie auch später zu St. Salvator, und
war der heiligen Jungfrau Maria und Karl dem Großen
geweiht. Ludwig der Deutsche feierte das Weihnachtfest
in seiner Pfalz zu Frankfurt am Main und
berief dorthin eine Reichsversammlung. Da geschah
es, daß der Teufel in Gestalt eines Priesters und guten
Geistes zu Ludwigs Sohne, Karl, trat und zu ihm
sagte: Siehe, du bist der Jüngste unter deinen Brüdern,
und dein Vater will das Reich deinem Bruder
Karlmann geben, das doch dir von Gott bestimmt ist,
und will dich verderben, solches will Gott nicht leiden.
Karl aber entsetzte sich vor der Versuchung und
eilte in die Kapelle, indem er rief: Hebe dich weg,
Versucher! Du bist kein Bote von oben! Der Teufel
aber folgte ihm in die Kirche nach und sprach: Wäre
ich nicht ein Bote von oben, wie dürft' ich mit dir eintreten
in dieses Gotteshaus? Wie dürft' ich das Sakrament
des Altars, das heilige Meßopfer, vollziehen? –
Und so betörte er Karls Sinn mit dem Trug der Hölle,
und las die Messe, und reichte ihm die gebenedeite
Hostie, und mit der Hostie fuhr er in ihn und besaß
ihn.
Da nun die Reichsversammlung war, redete Karl
unsinnig in ihr, riß sich das Wehrgehenk von der
Seite, schleuderte es samt dem Schwerte mitten in den
Saal, riß den Gürtel sich ab und die Gewande vom
Leibe und ward heftig hin und her gerüttelt, so daß
alle Anwesenden sich entsetzten. Die Bischöfe aber
ergriffen den vom bösen Feind Besessenen und führten
ihn in die Kapelle, und der Erzbischof begann die
Messe über ihn zu singen. Da begann Karl laut zu
klagen und Weh über Weh zu schreien in einem fort,
bis die Messe zu Ende war, aber die Priester ließen
nicht ab mit Gebet, bis der Feind wieder von dem Königssohne
wich und Karl durch Gottes Barmherzigkeit
geheilt ward. Hielt also König Ludwig gar eine
trübe Weihnacht zu Frankfurt. Aber was des Teufels
Bosheit des Königs Sohn eingeflüstert, erfüllte sich
später dennoch, denn Karlmann und Ludwig starben
beide vor ihm, und Karl erhielt des Deutschen Reiches
Krone, wenn auch nur auf kurze Zeit, denn er fiel
in Schwermut und gab sich ganz in die Hände der
Pfaffen. Da entsetzten ihn die Fürsten des Reiches
und gaben das an Arnulf, einen natürlichen Sohn seines
Bruders Karlmann.
69. Vom Eschenheimer Turm
Zu Frankfurt steht noch gar ein alter Turm von der
ehemaligen Stadtmauer. Einst hatten die Frankfurter
einen Wilddieb gefangen, des Name war Hänsel Winkelsee,
und der saß schon neun Tage im finstern Loch,
ehe Spruch und Urteil über ihn erging, und hörte allnächtlich
die Wetterfahne kreischen und rasaunen
über seinem luftigen Losament hoch oben im Eschenheimer
Turme und sprach: Wär' ich frei, und dürft' ich
schießen nach meinem Wohlgefallen, so schöß' ich
dir, du lausige Fahn' – so viel Löcher durchs Blech,
als Nächt' ich hier gesessen hab'. – Diese Rede hörte
der Kerkermeister und trug sie vor den Stadtschultheißen
der freien Stadt, und dieser sagte: Dem Kerl gehört
keine Gnad' als der lichte Galgen; wenn er aber
so ein gar guter Schütz sein will, so wollen wir ihm
sein Glück probiere lasse. – Und da ward dem Winkelsee
seine Büchse gegeben und gesagt, nun solle er
tun, wes er sich vermessen: wenn er das könne, solle
er frei von dannen gehen, wenn aber auch nur eine
Kugel fehl gehe, so müsse er baumeln, und da krähe
kein Hahn nach ihm. Da hat der Wildschütz seine
Büchse genommen, und hat sie besprochen mit guten
Weidmannssprüchlein, und hat Kugeln genommen,
die auch nicht ohne waren, und hat angelegt und nach
der Fahne gezielt, und hat losgedrückt. Da saß ein
Löchlein im Blech, und alles hat gelacht und bravo
gerufen. Und nun noch achtmal so, und jede Kugel an
die richtige Stelle, und mit dem neunten Schuß war
der Neuner fertig, der heute noch in der Fahne auf
dem Eschenheimer Turm zu sehen ist, und war ein
großes Hallo um den Schützen her. Der Stadtrat aber
dachte bei sich: O weh, unsere armen Hirsche und
sonstiges Wild, wenn dieser Scharfschütze und Gaudieb
wieder hinaus in die Wälder kommt – und beriet
sich, und der Stadtschultheiß sagte: Höre, Hänsel, daß
du gut schießen kannst, haben wir schon lange an gemeiner
Stadt Wildstand verspürt und jetzt auch deine
Kunst mit Augen gesehen. Bleibe bei uns, du sollst
Schützenhauptmann bei unserer Bürgerwehr werden.
– Aber der Hänsel sprach: Mit Gunst, werte Herren,
ins Blech hab' ich geschossen, und schieß euch
auch auf euern Schützenhauptmann. Eure Dachfahnen
trillen mir zu sehr, und euer Hahn kräht mir zu wenig.
Mich seht ihr nimmer, und mich fangt ihr nimmer!
Dank für die Herberge! – Und nahm seine Büchse
und ging trutziglich von dannen. Mit dem Hahn hatte
der Hänsel aber nur einen Spott ausgeredet, er meinte
das Frankfurter Wahrzeichen, den übergüldeten Hahn
mitten auf der Sachsenhäuser Brücke, die der Teufel
hatte fertig bauen helfen. Denn als sie der Baumeister
nicht fertig brachte, rief er den Teufel zu Hülfe und
versprach ihm die erste Seele, die darüberlaufen
werde, und jagte dann in der Frühe zu allererst einen
Hahn über die Brücke. Da ergrimmte der Teufel, zerriß
den Hahn und warf ihn durch die Brücke mitten
hindurch; davon wurden zwei Löcher, die können bis
heute nicht zugebaut und zugemauert werden, und
fällt bei Nacht alles am Tage Gemauerte wieder ein.
Auf der Brücke aber wurde der Hahn zum ewigen
Wahrzeichen aufgestellt. Den meinte der Hänsel Winkelsee,
daß er zu wenig krähe, nämlich gar nicht.