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Kapitel 3

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20. Das Paradies der Tiere

Hoch droben auf dem Matterberge ist eine Stelle, die

aber keiner oder doch gar selten einer finden kann, die

hat der laufende Jud nicht mit verwünschen können,

weil sie von Gott gefeit ist vom Anbeginne; da ist

kein Schnee und kein Eis, da ist Sonne und Freude,

Wonne und Weide, da quillt erst eigentlich mit leisem

Gewisper die Visper hervor, die später erst unter dem

Alp-Gletscher zutage rinnt, dort ist das Paradies der

Tiere. Da gibt es herrliche Steinböcke und Gemsen,

Adler und Geier, Schneehühner und Birkhähne, auch

Murmeltiere, und keines beleidigt das andere, alle

leben da friedlich beisammen. Nur alle dreimal sieben

Jahre darf und kann ein Menschenauge in dieses

Bergparadies der Alpentierwelt blicken, wo es so

wonnevoll und schön ist, alles voll Alpenrosen und

Gentianen, und von zwanzig Gemsenjägern glückt

das auch kaum einem einzigen. Da stehen uralte Pinienbäume

und Ahorne, und die Pinien tragen Zapfen,

deren Kern süß schmeckt, wie Mandeln, das sind die

Zirbelnüsse. Wem es glückt, in das Paradies der Tiere

zu treten, der darf wohl von den Zirbelnüssen nehmen

und kosten, aber nimmermehr ein Tier fangen oder

töten, sonst kostet's ihm das Leben. Viele haben in

die uralten heiligen Platanenstämme zum Zeichen

ihres Alldagewesenseins ihre Namen geschnitten. Außerdem

sieht man selten noch einen Steinbock und

selten eine Pinie, und die stehen hoch und schwer erreichbar.

Denn es geht die Sage, daß es zwar deren

viele und überall gegeben habe, da habe aber die Dienerschaft

immer gern die Nüsse genascht und darüber

und mit Auskernen viel gute Zeit hingebracht und versäumt,

da habe die Meisterschaft diese Bäume verwünscht,

und nun seien sie unfruchtbar geworden

oder unzugänglich.

21. Die Teufelsbrücke

Vom Multhorn, nicht allzufern von St. Gotthard,

stürzt sich mit raschem Rollen und unbändigen

Sprüngen ein wildes Bergwasser, die Reuß. Ein Alpenhirte

liebte eine Sennerin, die er zum öftern besuchte,

aber er hatte oft mit dem wilden Fluß seine

Not, hinüberzukommen, und mußte doch hinüber und

auch wieder herüber zu seiner Hütte und Herde. Als

nun einstmals die Reuß recht angeschwollen war und

wieder als jemals über die Felsen herabstürzte, da sah

der Hirte keine Möglichkeit, hinüber und zu seiner

Geliebten zu gelangen, und rief aus: Ei, so wollt' ich,

daß der Teufel käme und baute eine Brücke über dich

verfluchtiges Wasser. – Und da kam der Teufel gleich

hinter einem Felsklumpen hervor und sagte: He! was

gibest mir, wenn ich dir die Brücke baue? – He! was

soll ich dir geben? fragte der Hirte. – Die erste lebendige

Seele, die darüber geht, sagte der Teufel und

dachte, es werde niemand schneller sein als der Hirte,

hinüberzukommen. Ich bin's zufrieden, sagte der Hirt,

und: Topp schlag ein! sagte der Teufel, und der Bub

schlug ein. Jetzt baute der Teufel mit Hülfe aller seiner

höllischen Geister die Brücke in ganz kurzer Frist,

und als sie fertig war, setzte er sich hin und lauerte.

Wer aber nicht darüberging, war der Hirtenbub, er

jagte vom Gotthardgebirg unterm Hospital eine

Gemse auf und trieb sie abwärts, immer der Reuß zu,

bis an die Brücke, und da setzte sie flink hinüber. Der

Teufel fuhr zu, wurde teufelswild über solches Wild

und zerriß die Gemse in Stücken, nachdem er sie hoch

in die Luft hinaufgetragen hatte. Nun ging der Hirte

ungehindert, sooft er wollte, über die Brücke herüber

und hinüber, doch soll es an derselben, die auf ewige

Zeiten die Teufelsbrücke heißt, nicht recht geheuer

sein, und es geht auch die Sage, der Teufel reiße alle

Jahre ein Stück ein, daß immerdar daran gebaut werden

müsse.

22. Der Stierenbach

Vom Surenenberge und seiner Alpentrift fließt ein

Bächlein, das führt den Namen Stierenbach, und hat

es davon im Engelbergstale und im Urner Lande eine

gar wundersame Sage. Ein Alpenhirte hatte bei seiner

Herde ein Lieblingslamm, wußte gar nicht, was er

dem Tiere alles zugute tun sollte, und gab dem

Lamme sogar den Namen Christian; das hätte wohl

immer noch nicht so viel geschadet, denn Hirten und

Schäfer, Kutscher und Eseltreiber nennen ihre Tiere

häufig mit solchen Christennamen, wie Hans und Michel,

Gret und Liese, aber der Surenenälpler trieb die

Affenliebe zu dem Lamm allzuweit, wie verblendet, er

taufte das Tier, wie man ein christlich Kind tauft, im

Namen der heiligen Dreifaltigkeit. Darob verzürnete

sich der liebe Gott und machte aus dem Lamm ein

greulich Ungetüm, das fraß in einem fort, was ihm

vorkam, fraß die ganze Alpe kahl, daß kein anderes

Stück Vieh ein Hälmlein mehr fand, fraß Tag und

Nacht. Bald waren die Engelsberger Triften abgeleert

und guter Rat teuer. Da kam zu den Nachbarn, denen

von Uri, ein fahrender Schüler, der gab Rat, das böse

Untier zu vertreiben, war freilich eine langsame

Kunst, und mußte, bevor sie ausgeführt wurde, noch

manches Gräslein auf den Alpen wachsen und man-

cher Tropfen den Bach hinunterrollen. Und das war

es, was der fahrende Schüler riet: Ein Stierkalb nehmt

ihr, das füttert ihr bei Leib und Leben mit nichts als

frischer Milch. Im ersten Jahr von einer Kuh, im

zweiten von zwei Kühen und so fort, alle Jahre die

Milch von einer Kuh mehr. Nach vollendeten neun

Jahren laßt ihr den Ochsen durch eine reine Jungfrau

hinauf auf die Alpe führen, dann wird der Ochse mit

dem Untier kämpfen und es bezwingen. Das geschahe

denn, die Urner erbauten einen Stall, darin sie das

Stierkalb aufzogen, des Stelle zeigt man heute noch

und nennt sie den Stierengaden. Dann leitete nach

vollendeten neun Jahren eine reine Jungfrau denselben

zur Alpe hinauf und verließ ihn. Gleich erschien das

greuliche Untier, und der Stier stürzte sich auf dasselbe

und kämpfte lange und sehr heftig mit ihm, bis er

es endlich überwand und zu Tode stieß. Ganz erhitzt

von dem Kampfe rann der Stier nach dem Bache hin

und trank und trank ohn Ende, bis er hinstürzte und

auch tot war. Davon hat der Bach den Namen Stierenbach

erlangt, und oberhalb desselben sieht man noch

im Felsgestein die Hufe des Stieres eingedrückt, mit

denen er sich im Kampfe gegen das ungeheuerliche

Bergwunder stemmte.

23. Der Besserstein

Im Aargau, da, wo Reuß und Limmat in die Aar und

die Aar in den Rhein fließen, liegt der Geißberg, der

trägt auf seinem Gipfel die Trümmer einer Ritterburg.

Ein Herr von Villigen baute die Burg auf das schönste

und festeste, hatte seine Herzensfreude daran, gedachte

in ihr glücklichen Alters froh zu werden und in

Leutseligkeit und Güte seinen Untersassen ein treuer

Vater zu sein. Fertig stand der Bau, und festlich sollte

er eingeweiht werden. Des Bauherrn Söhne und alle

Gefreundete rings im Gau waren versammelt, und die

Humpen kreisten. Der Ritter von Villigen sprach zu

den Söhnen: Da schaut nun, wie gut sich's hier wohnen

wird in der Pracht der Gegend, rund um uns her

unsre fleißigen Leute und Mannen, mitten im Kreis

der Dörfer unser stattliches Burghaus, fest gegen den

Feind, offen dem Freund, den Bedrängten ein Schutz,

den Dürftigen ein Hospitium! So wollt ich's haben.

Ja, Vater, sprachen die Söhne, das ist traun eine

wackre Trutzburg worden; da mag sich das nichtsnutzige

Volk auflehnen oder nicht, wir zwingen es von

hier aus, wir werden ihm den Fuß auf den Nacken setzen.

Von hier aus können wir Zölle legen auf die

Flüsse und den Rheinstrom, auf Wege und Stege. Der

ganze Gau muß uns tributpflichtig werden, damit

unser Gut sich mehre und unser Name ein gefürchteter

sei im Rhein- und Schweizerlande. – Als der Herr von

Villigen diese Rede seiner Söhne vernahm, war es

ihm, als wolle sein Blut stocken und sein Herz brechen,

und zürnend brach er aus: Entartete Söhne! So

ist euer Sinn? Wartet, den will ich euch bessern! –

Und warf seinen vollen Humpen zur Erde, daß er in

tausend Scherben zerklirrte. Wie dieser Humpen zertrümmert

liegt, so soll dieser stolze Bau, meine Lust

und meine Freude, zertrümmert liegen! – Und berief

seine Mannen, seine Untersassen, sein ganzes Volk,

und hieß sie den neuen Bau abbrechen und verfluchte

die Hand, die ihn wiederum zu bauen beginnen werde.

Besser Stein, ein wüster Stein, als eine Zwingburg

des Volkes und des Gaues, die Schimpf auf den edeln

Namen derer von Villigen häuft! rief er – und seitdem

liegt auf dem Geißenberge der öde Mauerrest und

heißt allwege im Volke der Besserstein.

24. Der Kreuzliberg

Auch im Aargau, ohnweit Baden, wohnte auf einem

Burgberge eine Königstochter, die oft zu einem nahen

Bühel ging, wo sie im Schatten ruhte und der schönen

Landschaft sich freute. Sie wußte aber nicht, daß Geister

in dem Bühel hausten, deren Art keine gute war.

Eines Tages kam sie abermals zu ihrem Lieblingsplatz,

aber kaum erkannte sie ihn wieder; wildes Geklüft

und geborstenes Erdreich starrte ihr da entgegen,

wo sie noch kurz zuvor auf schwellendem Moos im

kühlenden Baumschatten geruht hatte, und weit hinab

in die Tiefe gähnte eine jähe Schlucht. Die Jungfrau

aber war unerschrocknen Sinnes, weil sie rein und

schuldlos war, und so setzte sie die Füße in den düstern

Gang, um zu schauen, wie es darinnen beschaffen

sei. Da gewahrte sie, daß es ein ungeheurer Keller

war, Fässer lagen da über Fässern, und siehe, schreckhafte

Gestalten huschten an sie heran, ergriffen sie an

den Händen und zogen sie über alle die Fässer weiter

und weiter zur Tiefe fort, so daß sie endlich aus Angst

und Bangigkeit die Besinnung verlor und nicht mehr

wußte, was mit ihr geschah. Da sie nun in der Burg

daheim vermißt wurde, ward ausgesandt, sie zu suchen,

und ward also gesucht an allen Orten und Enden

ringsumher. Siehe, da fand sie einer nicht gar weit

von dem Geisterhügel auf einer kleinen Anhöhe stehend,

mit in die Erde gewurzelten Füßen, der Leib

steinhart und die Arme in Äste ausgewachsen und gen

Himmel ausgestreckt, wie die Jungfrau Daphne in der

heidnischen Fabel. Alle, die das sahen, entsetzten sich

vor dem grausenhaften Anblick solcher Baumverwandlung,

und da ward nach dem nahen Kloster Wettingen

hinübergesendet, von dort ein Wunderbild zu

holen. Als das Bild gebracht ward, da schwand der

unheimliche Zauber, der die Königstochter umstrickt

hatte, und sie ward wieder erlöset. Des zum Andenken

setzte man ein Kreuz auf den Berg, wo diese

Sache sich begeben, der hieß fortan der Kreuzliberg,

und jener Bühel, darin die Jungfrau die Fässer erblickt,

und der sich wieder geschlossen, heißt der

Teufelskeller bis auf den heutigen Tag.

25. Die Würfelwiese

Ganz nahe der Stadt Baden im Aargau liegt eine

Wiese, welche die Würfelwiese genannt wird. Darauf

soll oft der Teufel sein Spiel haben. Seit undenklichen

Jahren werden auf ihr Würfel gefunden, viele Tausende,

und keiner weiß, wo sie herkommen, ob Römer

hier eine Würfelfabrik gehabt oder ob Meister Urian

diese seine Lieblinge hier im Erdreich wachsen läßt,

genug, sie kommen hervor, als ob sie quillten, mit

jedem Maulwurfshaufen, und ist die Ursache noch

niemals zu ergründen gewesen.

26. Die Basler Uhrglocke

Vorzeiten haben die Basler in ihrer Stadt eine sondre

Zeitrechnung gehabt, daß allemal die Uhrglocke eine

Stunde früher schlug als anderswo, darüber gehen

noch verschiedene Sagen. Es habe ein Konzilium zu

Basel noch etwas länger gedauert als der Unterflachsenfinger

Landtag, nämlich dreizehn volle Jahre, das

sei geschehen 1431 bis 1444, und da habe man die

Zeit beschleunigen wollen und die Uhr um eine Stunde

vorgerückt, sei aber mit diesem Fortschritt kein

Haar breit weitergelangt. Andere sagen, daß einstmals

eine Verschwörung zu Basel angezettelt gewesen sei,

und hätten die Verschwörer zur zwölften Stunde den

Rat überfallen und meuchlings ermorden wollen.

Aber der allsehende Gott habe das durch ein Wunder

verhindert, indem alle Glocken der Stadt mit einem

Male statt zwölf Uhr ein Uhr geschlagen. Dadurch sei

über die Aufwiegler ein sonderbarer Schreck gekommen,

ihr Anschlag sei vernichtet, sie selbst verraten

und insgesamt erschlagen worden. Darauf habe der

Rat verordnet, stets die Uhrglocke eine Stunde vor der

gewöhnlichen Zeit vorausschlagen zu lassen.

27. Die Schlangenjungfrau im Heidenloch bei

Augst

Zwischen Basel und Rheinfelden liegt ein uralter Ort,

heißt Augst, vom römischen Wort Augusta. Römerkaiser

hatten dort ihren Hofhalt und bauten eine schöne

Wasserleitung. An dieser ist ein Schlaufloch und

unterirdischer Gang, der sich weit in die Erde hineinzieht,

niemand hatte noch dessen Ende gesehen; heißt

im Volke das Heidenloch. Da war im Jahre 1520 ein

Schneider zu Basel gesessen, hieß Leonhard, der war

auch eines Schneiders Sohn und fast ein Simpel. Er

stammelte statt zu reden und war zu gar wenigen Dingen

geschickt zu brauchen. Den trieb eines Tages die

Neugier, doch zu versuchen, wie weit der hohle Gang

eigentlich in die Erde hineingehe: da nahm er eine

Wachskerze, zündete sie an und ging in das

Schlaufgewölbe hinein. Nun aber war die Kerze eine

geweihte, und da konnten ihm die Erdgeister nicht

etwas anhaben, wie der Königstochter im Teufelskeller

beim Kreuzliberg. Leonhard kam an eine eiserne

Pforte, die tat sich vor ihm auf, und da kam er durch

mehr als ein hohes und weites Gewölbe, endlich gar

in einen Lustgarten, darinnen standen viele schöne

Blumen und Bäume, und in der Mitte des Gartens

stand ein wohlerbauter Palast. Alles umher aber war

still und menschenleer. Die Türe zu dem stattlichen

Lusthaus stand offen, da ging Leonhard hinein und

trat in einen Saal, darin erblickte er eine reizend schöne

Jungfrau, die trug auf ihrem Haupt ein guldig

Krönlein und hatte fliegende Haare, aber o Scheuel

und Greuel, von des Leibes Mitte abwärts an war sie

eine häßliche Schlange mit langem Ringelschweif.

Hinter der Jungfrau stand ein eiserner Kasten, darauf

lagen zwei schwarze Hunde, die sahen aus wie Teufel

und knurrten wie grimmige Löwen. Die Jungfrau

grüßte den Leonhard sittiglich, nahm von ihrem Hals

einen Schlüsselbund und sprach: Siehe, ich bin von

königlichem Stamme und Geschlecht geboren, aber

durch böse Macht also verwünscht und zur Hälfte in

ein greulich Ungetüm verwandelt. Doch kann ich

wohl erlöset werden, wenn ein reiner Junggeselle

mich trotz meiner Ungestalt dreimal auf den Mund

küsset, dann erlange ich meine vorige Menschengestalt

völlig wieder, und mein ganzer großer Schatz ist

sein. – Und da machte sie sich zu dem Kasten, stillete

die murrenden Hunde, schloß einen mittlern Deckel

mit einem ihrer Schlüssel auf und zeigte Leonhard,

welch ein großes Gut an Gold und Kleinodien darinnen

enthalten sei, nahm auch etliche goldne und silberne

Münzen heraus und gab sie dem Leonhard und

blickte ihn seufzend und gar inniglich aus zärtlichen

Augen an. Leonhard hatte in seinem Leben noch keine

Maid geküßt, es ward ihm jetzt warm ums Herz, und

er wagte es, der Schlangenjungfrau einen Kuß auf

ihren schönen Mund zu geben. Da erglühten ihre

Wangen und erfunkelten ihre Augen, ihr Antlitz strahlte

vor Freude, und sie lachte vor Lust und Hoffnung

der Erlösung und preßte ihren Befreier mit heftiger

Glut an die Brust. Und da geschah der zweite Kuß,

und mit dem so ringelte sich der Schlangenschweif

eng um ihn, als wolle er ihn auf ewig fesseln, und die

Jungfrau faßte ihn noch fester mit beiden Händen an

und lachte und biß ihn vor Lust in die Lippe. Da

schauderte ihn vor solchen Zeichen überheftiger Liebeswut,

und riß mit Gewalt sich los, nahm seine noch

brennende Kerze und entwich. Die Jungfrau stieß hinter

ihm ein wehklagendes Geschrei aus, das ihm durch

Mark und Bein drang, und er kam aus dem Gang und

Loch heraus, er wußte gar nicht wie. Seitdem empfand

der Jüngling eine brennende Sehnsucht nach

Küssen, nie aber fand er andrer Mädchen und Frauen

Küsse so feurig und so süß als jene der Schlangenjungfrau,

immerdar trieb es ihn zurück zu ihr, um das

Werk der Erlösung an ihr zu vollbringen, aber da er

nun andre geküßt, vermocht' er nimmer, den Eingang

zur Schlangenhöhle wiederzufinden, und es soll dieses

auch nach ihm keinem wieder geglückt sein.

28. Herzog Bernhard hält sein Wort

Im Dreißigjährigen Kriege kämpfte der Sachsenherzog

Bernhard von Weimar in den Gefilden des Oberrheins.

Da belagerte er das Städtchen Neuenburg,

zwischen Basel und Breisach gelegen, das noch gut

kaiserlich war und sich tapfer hielt. Der langen Belagerung

und des hartnäckigen Widerstandes der Neuenburger

äußerst müde, erzürnte sich der Sachsenherzog

und verschwur sich hoch und teuer bei Himmel

und Hölle: Komme ich in das Nest hinein, so soll

weder Hund noch Katze mit dem Leben davonkommen.

– Bald darauf mußten sich die tapfern Neuenburger,

da sie die Belagerung nicht länger aushalten

konnten, dennoch ergeben, und die Soldateska wollte

schon ihr Mütlein im Blute der Bürgerschaft kühlen

und alles ermorden. Da gereute dem Herzog sein vermessener

Eid und des vielen edeln auch zum Teil unschuldigen

Blutes, das hier vergossen werden sollte,

und er sprach: Nur was ich schwur, wird gehalten,

und nicht mehr und minder. Schont nicht Hunde, nicht

Katzen, aber bei Leib und Leben gebiet' ich, daß der

Menschen geschont werde. – Und also geschah es.

Herzog Bernhard, der große Kriegesheld, hatte auch

Breisach belagert und erobert, Freiburg eingenommen

und bei Rheinfelden das Heer der Kaiserlichen ge-

schlagen. Große Hoffnungen baute auf ihn das deutsche

Volk, auch das im Elsaß, und jubelte ihm zu und

begrüßte ihn überall als einen Retter, wie als einen

Schirmvogt gegen das treulose Nachbarland. Aber er

sprach ahnungsvoll: Ich werde des großen Schwedenkönigs

Gustav Adolf Schicksal teilen – sobald das

Volk ihn mehr ehrte als Gott, mußte er sterben. – Und

ein Jahr nach Neuenburgs Einnahme starb er alldort,

wo er menschlich gewaltet, der allgemeinen Sage

nach an Gift, und die Zeichen dieser Tat deuteten alle

nach Frankreich hinüber.

29. Vom treuen Eckart

Alte deutsche Heldenlieder singen und sagen vom

treuen Eckart, dessen Gedächtnis blieb lange bei den

Deutschen wegen seiner Ehrbarkeit und Frömmigkeit.

Er war ein Held und Herzog im alten Breisgau und

Herr im Elsaß, vom Geschlecht der Harlunge, und

war Vormund und Pfleger zweier jungen Harlungen,

welche die Bruderssöhne Kaiser Ermenrichs waren

und Vettern des berühmten Dietrich von Bern. Der

Eckart übte allezeit Treue und war schon dem Vater

der Harlunge ein treuer Ratgeber gewesen; Kaiser Ermenrich

aber hatte einen Ratgeber, der hieß Siebich,

von dem sollen alle ungetreuen Räte in die Welt gekommen

sein. Dieser verleitete den Kaiser zu bösen

Taten. Und Ermenrich erschlug die jungen Harlunge,

Eckart aber rächte sie, indem er mit anderer Helden

Hülfe den Ermenrich wieder erwürgte und um dieser

Tat willen hoch gepriesen ward. Die Harlunge hatten

einen reichen Schatz, der ward in einen Berg verzaubert,

das ist der Bürglenberg bei Breisach, und diesen

Harlungenhort hat hernachmals der Geist des treuen

Eckart gar sorgsam gehütet und jeden gewarnt, der

ihn für sich erheben wollte, denn er sollte dereinst

wieder an den rechten Erben fallen und diesen zu

einem mächtigen Herrn des Landes machen. Darum

sei im Volke das Sprüchwort entstanden: Du bist der

treue Eckart, du warnest jedermann. Ob aber das derselbe

treue Eckart sein soll, der im Thüringerlande

vor des Hörseelberges Höhle sitzt und vor dem wütenden

Heere warnend wandelt, bleibt in dem Dunkel

der alten Sagen geheimnisvoll verhüllt.

30. Der Zähringer Ursprung

Es geschah, daß ein König vertrieben war vom Reich

und entflohn mit Weib und Kindern und seinem Gesinde,

setzte sich mit ihnen auf einen Berg, richteten

sich kümmerlich ein und lebten in Armut und Kümmernis

eine gute Zeit. Endlich ließ der König ausrufen

im Lande umher, wer da wäre, der ihm Hülfe tun

wolle, sein Reich wiederzuerlangen, der solle sein,

des Kaisers, Tochtermann und zu einem Herzog gemacht

werden. Nun lebte hinter dem Berge Zähring

ein Köhler, der brannte Kohlen im Walddickicht, und

da begab es sich, daß er einstmals, als er die Meilerstätte

räumte, einen schweren Klumpen geschmolzenen

Metalles fand, und das war gutes Silber. Und als

der Köhler wiederum kohlte, geschah es wieder ebenso,

und immerfort, und war, als ob der Berg das Metall

aus sich gebäre, und gewann der Köhler einen

großen Schatz. Da er nun vernahm, was der vertriebene

König ausrufen ließ, so nahm er eine Last seines

Silbers und trat vor jenen und sprach, er wolle sein

Sohn werden, seine Tochter freien und mit seinem

Schatz ringsumher das Land sich zum Eigen erwerben,

auch ihm, dem König, so viel seines Schatzes

geben, daß er sein ganzes Reich wiedergewinnen

könne. Des war der vertriebene König sehr froh,

schlug den Köhler zum Ritter, gab ihm seine Tochter

zum Ehegemahl. Und der Köhler ließ nun das Silber

schmelzen, erbaute Zähringen, die Burg und den Ort,

und erwarb alles Land umher, und der König machte

ihn zu einem Herzog von Zähringen. Der König hat

hernachmals mit seines Eidams Gut all sein Land und

Volk wiedergewonnen, ist wieder ein mächtiger Herr

und Kaiser geworden, und der Ort und Berg, wo er

hingeflüchtet war und seinen Sitz allda genommen,

heißt noch bis auf den heutigen Tag der Kaiserstuhl.

Die Zähringer aber wurden ein mannlich Geschlecht

und waren hochgeehrt im ganzen Gau.

31. Das Riesenspielzeug

An einem wilden Wasserfall in der Nähe des

Breuschtales im Elsaß liegen die Trümmer einer alten

Riesenburg, Schloß Nideck geheißen. Von der Burg

herab ging einstmals ein Fräulein bis schier gen Hasloch,

das war des Burgherrn riesige Tochter, die hatte

noch niemals Menschenleute gesehen, und da gewahrte

sie unversehens einen Ackersmann, der mit zwei

Pferden pflügte, das dünkte ihr etwas sehr Gespaßiges,

das kleine Zeug; sie kauerte sich zum Boden nieder,

breitete ihr Schürztuch aus und raffte mit der

Hand Bauer, Pflug und Pferde hinein, schlug die

Schürze um sich herum, hielt's mit der Hand recht fest

und lief, was sie nur laufen konnte, und sprang eilend

den Berg hinauf. Mit wenigen Schritten, die sie tat,

war sie droben und trat jubelnd über ihren Fund und

Fang vor ihren Vater, den Riesen, hin, der gerade

beim Tische saß und sich am vollen Humpen labte.

Als der die Tochter so mit freudeglühendem Gesicht

eintreten sah, so fragte er: Nu min Kind, was hesch so

Zwaselichs in di Furti? Krom's us, krom's us! – O

min Vater! rief die Riesentochter, gar ze nettes Spieldinges

ha i funden. – Und da kramte sie aus ihrem

Vortuch aus, Bauer und Pferde und Pflug, und stellt's

auf den Tisch hin und hatte ihre Herzensfreude daran,

daß das Spielzeug lebendig war, sich bewegte und

zappelte. Ja min Kind, sprach der alte Riese, do hest

de ebs Schöns gemacht, dies is jo ken Spieldings nit,

dies is jo einer von die Burn; trog alles widder fort

und stells widder hin ans nämlich Plätzli, wo du's genommen

hast! – Das hörte das Riesenfräulein gar

nicht gern, daß sie ihren Fund wieder forttragen sollte,

und greinte, der Riese aber ward zornig und schalt:

Potz tusig! daß de mir net murrst! E Bur ist nit e

Spieldings! Wenn die Burn net ackern, so müssen die

Riesen verhungern! – Da mußte das Riesenfräulein

seinen vermeintlichen Spielkram als wieder forttragen

und stellte alles wieder auf den Acker hin.

Diese Sage wird auch von manchem andern Ort in

Deutschland erzählt, und zwar auf ganz ähnliche

Weise, vom Schlosse Blankenburg oder Greifenstein

ohnweit Schwarzburg im Thüringerlande, auch vom

Lichtenberg im Odenwalde, allwo gewaltige Riesen

hausten.

32. Der Krötenstuhl

Im Elsaß war eine Burg, hieß Nothaeder, auf der

wohnte ein Herzog, welcher eine überaus schöne

Tochter hatte. Sie war aber nicht weniger stolz als

schön, kein Freier, so viel deren kamen, ihre Hand zu

erlangen, war ihr gut genug, und mancher nahm sich

das Leben, weil er ihre Gunst nicht erlangen konnte.

Der letzte, der das tat, verwünschte die hartherzige

Jungfrau in einen harten Steinfelsen, und daß sie nur

alle Freitag einmal sichtbarlich sich zeigen dürfe, aber

auch nur alle drei Wochen einmal in ihrer wahren Gestalt

als Jungfrau, zum andern Mal als eine Schlange

und zum dritten als eine häßliche Kröte. Jeden Freitag

kommt sie nun hervor, wäscht oder badet sich auf

dem Felsen an einem Quellborn und sieht sich um

nach allen Weiten, ob kein Erlöser nahe. Wollte jemand

an das Wagestück gehen, der muß an einem

Freitag auf den Felsen gehen, da findet er eine Muschel,

darin liegen drei Wahrzeichen: eine dunkelgelbe

Schlangenschuppe, ein Stückchen grasgelbe Krötenhaut

und eine goldgelbe Haarlocke. Diese drei

Dinge muß der Befreier zu sich stecken und bei sich

tragen und zur Mittagsstunde am nächsten Freitag

wieder hinauf auf den wüsten Felsen steigen, und

zwar dreimal, und muß einmal die Schlange, zum an-

dern die Kröte, zum dritten die Jungfrau küssen. Das

war mehr verlangt als bei der schönen Schlangenjungfrau

im Heidenloch bei Augst, eine Schlange und eine

Kröte zu küssen, ohne zu entfliehen! Wem das aber

möglich ist, der erlöset die Verzauberte, bringt sie zur

Ruhe und wird durch ihre Schätze unermeßlich reich.

Schon mancher fand die Merkzeichen, wagte sich in

die öden Burgtrümmer und kam nimmermehr wieder,

sei es, daß, ehe er den Kuß gewagt, Furcht und Grausen

ihn tötete, sei es, daß er den Kuß wagte und vor

Entsetzen in des Todes Arme sank, denn wie lieblich

sie als Jungfrau erscheint, immer gleich jung, niemals

gealtert, so schrecklich ist sie als Kröte, nämlich so

groß wie etwa ein mäßiger Backofen, und spaucht

Feuer – wer kann da küssen? Am allerschrecklichsten

ist sie als Schlange, lang und stark wie ein Heubaum.

Einmal hatte ein kecker Bursch doch sich überwunden

und die Schlange geküßt, da war die Schlange hinweg,

nun kam die Kröte, die war über alle Maßen abscheulich

anzusehen, das Eingeweide drehte sich ihm

im Leibe um, und er entrann; die Kröte aber hüpfte

plump und schwer hinter ihm her und verfolgt' ihn bis

zum Krötenstuhl – und spie ihm den Berg hinab noch

ganze Bündel Feuer nach.

33. Der Mühlenbär

Im Elsaß, in der Gegend von Niederbronn und Gunthershof,

liegt eine Mühle, in der sollte es gar nicht

richtig sein, ein Bär sollte in ihr spuken. Wenn ein

Mühlarzt zugereist kam oder aber am Werk etwas

verbrochen war und ein solcher berufen werden

mußte, blieb keiner länger denn eine Nacht in der

Mühle, denn das Gespenst litt sie nicht, und zuletzt

drohte ihr Verfall und dem Müller Verarmung, denn

es blieb auch kein Mahlbursche. Da kam eines Tages

ein frischer kecker Klapperbursche dahergewandert,

sagte sein Müllersprüchlein ohne Anstoß her und bot

um guten Lohn und gute Kost seine Dienste an. Der

Müller war froh, daß wieder einer kam, nahm ihn gern

in Dienst und hieß ihn die nächste Nacht mahlen. Der

neue Bursch hatte schon von dem Mühlspuk gehört,

fürchtete sich nicht, ließ sich gegen Mitternacht vom

Glöcklein wecken, schüttete frisch auf, tat einen guten

Zug aus der Bulle und legte sich auf ein paar Mehlsäcke,

zu schlafen, neben sich legte er aber die scharfgeschliffene

Mühlbarte. Er war noch nicht ganz eingeschlafen,

als die Türe der Meisterstube, die herein in

das Werk führte, aufging und ein schwarzer Zottelbär

in die Mühle getreten kam. Er schnoperte und griff

erst am Beutelkasten herum, ging zum Scheidekasten,

schritt die Treppe hinauf an die Trommel und wurde

jetzt den neuen Mahlburschen gewahr, der, die Hand

am Beile, die ganze Zeit über den Bären beobachtet

hatte, denn die Laterne brannte hell. Jetzt reckte der

Bär mit Gebrumm die eine Tatze nach dem Burschen

aus, der, nicht faul, hob das Beil, hieb zu, und die

Tatze lag am Boden. Laut auf heulte der Bär und

stürzte in die Meisterstube zurück. Als man am andern

Morgen das Frühmahl einnahm, fehlte die Müllerin;

sie lag im Bette, und fehlte ihr der rechte Vorderarm,

da holte der Bursche die Tatze, und die Tatze

war der Vorderarm, und die Müllerin war eine unholde

Hexe. Solchen Hexenspuk mit Müllerinnen, die

auch als Katzen erscheinen und arge Teufeleien treiben,

erzählt man sich auch viel in Thüringen und

Sachsen.

34. Chorkönig

Das alte Münster zu Straßburg hatte Chlodwig erbaut,

der Frankenkönig; es war ursprünglich nur ein

hölzern Gebäu, und im Jahre 1002 brannte es Hermann,

Herzog von Elsaß und Schwaben, der mit Kaiser

Heinrich um die Kaiserkrone stritt, fast ganz zum

Grunde nieder, doch blieb das Chor Karl des Großen

stehen, aber 1007 schlug das Wetter hinein, und der

Rest des Baues sank in Trümmer. Da geschah es, daß

Kaiser Heinrich II. im Jahre 1012 gen Straßburg kam,

des Münsters Untergang beklagte und sich die Regel

und Ordnung der Chorherren vorlegen ließ, die gefiel

ihm also wohl, daß er bei sich beschloß, der Bürde

seiner Königskrone zu entsagen und ein Chorherr in

Unser Lieben Frauen Münster zu Straßburg zu werden.

Das erschreckte gar sehr alle seine Getreuen,

denn das Reich bedurfte seiner, und redeten ihm zu,

von diesem Vorhaben abzustehen; Kaiser Heinrich

aber, den man seines frommen Sinnes und seiner

Mildtätigkeit gegen Klöster und Stifte den Heiligen

nannte – er war auch der Begründer des Bistums

Bamberg – wollte mitnichten von seinem Vorsatz lassen.

Nun war zu Straßburg ein Bischof, der hieß Werinhard,

als dieser sahe, daß der Kaiser sich nicht abbringen

ließe von seinem Vorhaben, so nahm er vor,

ihm die geistlichen Gelübde abzunehmen, vor allem

das Gelübde des Gehorsams. Wie der Kaiser das geleistet

hatte, befahl er ihm kraft Gottes und in dessen

Namen, die Kaiserkrone zu behalten und des Reiches

Regiment und Herrschaft, das seiner nicht entraten

könne. Der Kaiser sah sich überlistet, doch gebot er,

so solle fortan an seiner Statt ein anderer Chorherr im

Frauenmünster Gott dienen und das Amt versehen

und am Altar für ihn singen und beten, der solle der

Chorkönig heißen. Stiftete auch eine reiche Pfründe in

das Gotteshaus, das war die Chorkönigspfründe, die

hat bestanden weit über tausendundsiebenhundert

Jahre. Und Bischof Werinhard war es, der hernach im

Jahre 1015 den Grundstein zu dem steinernen Münster

in Straßburg legte.

35. Sankt Ottilia

Es saß auf Hohenburg ein stolzer Graf, Herr Attich

geheißen, dessen Frau gebar ihm ein Mägdlein, und

das war blind. Darob ergrimmte Herr Attich und

schrie: Ein blindes Kind will ich nicht, fort mit dem

Wurme, und schlagt ihm den Schädel an einem Felsen

ein!, und tobte fort, die Mutter aber sandte alsbald die

Amme in Begleitung treuer Knechte mit dem blinden

Kinde weit, weit von dannen, gen Palma, das liegt

jenseits der Alpenberge in Friaul, dort war ein Frauenmünster,

und dorthin ward Herrn Attichs Töchterlein

gebracht. Im Bayerlande aber war ein Bischof mit

Namen Erhardus, der hörte im Traume eine Stimme:

Mache dich auf gen Palma in das Stift, dort findest du

ein blindes Mägdelein, das sollst du taufen und Ottilia

heißen. Erhardus folgte ohne Weilen der Stimme des

Herrn, so er im Traume vernommen, zog gen Palma

in das Stift und fand das Kind und taufte es und segnete

es, und siehe, da gingen über der Taufe dem

Kinde die Augen auf, und ward sehend. Und Ottilia

blieb im Frauenmünster zu Palma, erwuchs darinnen

züchtiglich, erlernte die Orgel schön zu spielen, der

Blumen zu pflegen und ihrer Pflichten treulich zu

warten. – Herr Attich aber ward vom Himmel heimgesucht,

daß er Reue und Leid fühlte ob seines von

ihm verstoßnen Kindes willen, und es trieb ihn zu

einer Pilgerfahrt nach Welschland, sein Kind zu suchen,

und da er der Tochter Aufenthalt erfahren, zog

er des rechten Weges und hörte nun in Andacht das

Wunder, das mit ihr sich begeben, und führte sie zurück

nach Hohenburg und an das Herz ihrer Mutter.

Glanz und Reichtum umgab das holde fromme Kind,

aber das alles lockte sie nicht, und auch als der Ruf

ihrer Schönheit und Lieblichkeit sich in der Gegend

verbreitete und Freier angezogen kamen, die gern um

ihre Hand werben mochten, zeigte sie sich allen abgewendet,

wollte allein des Heilands Braut sein. Da nun

unter diesen Freiern ein reicher Graf des Gaues war,

so gelobte Herr Attich diesem sein Kind zum Ehegenoß

und gebot Ottilien, sich nicht länger zu weigern.

Das erschreckte die fromme Jungfrau gar sehr, sie

suchte Trost und Rettung im Gebet und fand endlich

einen Ratschluß, welcher kein anderer war als schnelle

Flucht. Da nun der Bräutigam am Morgen angeritten

kam, war die Braut abhanden und nirgend zu finden.

Boten ritten und liefen wohl im Vogesengebirge

umher und auf und ab all um den Rhein, und keiner

fand Herrn Attichs Tochter, bis nach dreien Tagen

endlich die Kunde kam, Ottilia sei in einem Schifflein

über den Rhein gefahren, mutterseelenallein, und

mochte wohl ein Engel ihr Ferge gewesen sein. Da

forschten nun ihr Vater und der Graf gar fleißig nach

ihr und waren weit aus und kamen bis gen Freiburg

im Breisgau, und als sie dort im Tale ritten, sahen sie

auf einmal auf einer Bergeshöhe die Jungfrau wandeln

und sprengten eilend hinan. Wie nun Ottilia ihre ihr

schon nahen Verfolger erkannte, erschrak sie heftig

und rief den Himmel um seinen Schutz an, und da sie

an eine Felswand kam, die ihre Schritte gänzlich

hemmte, da tat vor ihr die Wand sich auf und schloß

sich wieder hinter ihr zu. Aus dem Felsen aber rieselte

alsbald ein klarer Wasserquell, und die Verfolger

standen davor und wußten nicht, wie ihnen geschehen

war.

Nun begann Herr Attich, aufs neue in sich zu

gehen, seufzte nach der Tochter, blieb an der Quelle

und rief dem starren Fels das Gelübde zu, wenn Ottilia

wieder zu ihm komme, so wolle er an diesen Ort

eine Kapelle bauen und aus seiner Burg ein Kloster,

und das mit reichem Gut begaben. Solches alles geschah,

und der Brunnen aus dem Fels ward der Ottilienbrunnen

geheißen und übte wundersame Kraft an

kranken Augen. Ottilia aber wurde Äbtissin des neuen

Klosters, pflegte und heilte Kranke, ward ein Schutzengel

des ganzen Gaues, ließ an den Bergesfuß noch

ein Kloster, Niedermünster, bauen, und als sie endlich

sanft und selig verschieden, ist sie heilig gesprochen

worden und ward die Patronin der Augen und von

Augenleidenden insonderheit angerufen.

36. Vater und Sohn

Es war ein Graf im Oberelsaß, Herr Hug von Egisheim,

dem gebar sein Ehegemahl einen Sohn, der

ward Bruno genannt in der heiligen Taufe. Aber ein

böser Argwohn umdüsterte des Grafen Herz, als sei

das Söhnlein nicht sein eigen, und da befahl er einem

Knecht, daß er es hinaustrage in den Wald, es töte

und ihm sein Herz, der Tat zum Zeugen, darbringe.

Den Knecht aber jammerte des unschuldigen Kindleins,

und konnte solchen Mord nicht über das eigene

Herz bringen. Er gab das Kind in sichere Hut, erlegte

ein Rehkälbchen und brachte dessen Herz seinem

grausamen Herrn. Der Knabe erwuchs und kam weit

hinweg, die Jahre vergingen, und über den alten Grafen

kam die Reue, denn es war ihm klar und offenbar

geworden, daß er damals im Irrwahn befangen die

schrecklichste Sünde begangen hatte. Und da litt es

ihn endlich nicht länger mehr in der Heimat, er verließ

seine Schlösser und sein Land und ging in Pilgertracht

über die Alpen und wandelte gen Rom, dem

Heiligen Vater seine schwere Schuld zu bekennen und

eine Buße sich auferlegen zu lassen. Und er kam zum

Papste und kniete zu dessen Füßen und beichtete sein

Verbrechen und flehte zerknirscht um Entsündigung.

Da erhob sich von seinem Thronsitz der Heilige Vater

und sprach: Graf Hugo von Egisheim! Der allbarmherzige

Gott hat nicht gewollt, daß Bruno, dein Sohn,

sterbe, sondern hat ihn aufbehalten zu hohen Dingen.

Und Gott verzeiht dir durch mich, den Knecht seiner

Knechte, den grausamen Vorsatz. Deine Reue soll

deine Buße gewesen sein. Stehe auf, Graf Hugo, umarme

mich, ich bin es, der dir Verzeihung kündet, ich

bin Bruno, dein Sohn, Leo der Neunte geheißen auf

St. Petri heiligem Stuhle! – Dem alten Grafen war, als

ob er träume, als ob der Himmel sich ihm erschließe.

37. Die Münsteruhr

Zu Straßburg im Münster ist ein kostbar und verwunderungswürdiges

Uhrwerk, das seinesgleichen in der

ganzen Welt nicht hat. Hoch und stolz, ein wundersames

figurenreiches Gebäu, steht es da vor Augen,

aber leider steht es eben und geht schon längst nicht

mehr. Im Piedestal zeigt sich neben einem Himmelsglobus

ein Pelikan, darüber erhebt sich ein Kalender,

in dessen Mitte die Erdkugel ersichtlich ist, zu beiden

Seiten stehen der Sonnengott und die Mondgöttin,

welche mit ihren Pfeilen Tages- und Nachtstunden

zeigen. Schildhalter an den vier Winkeln des Kalendariums

lassen Wappen erblicken. Darüber fuhren in

Wagen, von verschiedenen Tiergespannen gezogen,

die sieben Planetengötter als Tagesboten, jeden Tag

zeigte sich sanft vorrückend ein anderes Gespann,

stand in der Mitte zur Mittagsstunde und gab dann

allmählich dem nachfolgenden Raum. Darüber ein

großer Viertelstundenzeiger und zur Seite vier Gebilde,

die Schöpfung, Tal Josaphat, Jüngstes Gericht

und Verdammnis. Zur Rechten des Beschauers steht

ein freier Treppenturm am Uhrgebäu, zur Linken ein

ähnlicher von anderer Form mit Göttergestalten, auf

der Spitze ein großer Hahn, welcher die Stunden

krähte und mit den Flügeln schlug. Am Sockel der

Türme halten zwei große aufrechtsitzende Löwen je

einer den Helm mit dem Kleinod, der andere das

Wappenschild Straßburgs. Recht in der Mitte ist das

riesiggroße mannigfach verzierte und mit kunstvollem

Triebwerk versehene Zifferblatt, umgeben von den

Bildern der vier Jahreszeiten, darüber steht: DOMINUS

LUX MEA-QUEM TIMEO. Den Zeiger bildet

ein geschlängelter Drache, dessen Zungenpfeil auf die

Stundenzahl deutet. Über dem Zifferblatte zeigte ein

kleinerer Kreis mit der Mondesscheibe genau des

Mondes wechselnde Zeiten. Darüber zeigten sich zwischen

Schildhaltern und Wappenfiguren wandelnde

Gestalten der Menschenalter, welche an die offen hängenden

Viertelstundenglocken anschlugen, über ihnen

hängt die Stundenglocke; nach jedem Viertelstundenschlage

trat der Tod hervor, die Stunde zu schlagen,

aber da begegnete ihm die Gestalt unsers Heilands

und wehrte ihm, erst wenn die Stunde voll war, durfte

der Tod sein Stundenamt üben. Hoch empor über

allem diesen hob sich noch eine gotische Krone mit

den freistehenden Gestalten der vier Evangelisten, die

Tiere der Offenbarung neben sich, und über diesen

standen zwei musizierende Engel, dahinter aber barg

sich gar ein schönes klangvolles Glockenspiel, auch

ist noch manch anderes künstliches Bildwerk an der

Münsteruhr zu sehen und sind auch gedankenvolle

Sprüche daran zu lesen. Dieses herrlichen Werkes

Meister hieß Isaak Habrecht, der hatte gar lange gesonnen

Tag und Nacht und gearbeitet unermüdlich,

bis er es vollendet, und bis es durch seinen lebendigen

Gang alle Welt zum Erstaunen hinriß. Da es nun vollbracht

war, so gedachte der Meister, auch anderswo

seine unvergleichliche Kunst zu üben, da blies der

böse Feind dem Rate der Stadt Straßburg schlimmen

Neid in das Herz, und sollte seine Stadt solch Wunderwerk

nur einzig und allein haben. Und weil die

Herren im Rate glaubten, wenn sie dem Meister Habrecht

auch verböten, der Stadt Weichbild zu verlassen,

werde er Straßburg dennoch den Rücken kehren,

so wurden sie miteinander eins, ihn des Augenlichtes

zu berauben. Das ward dem Meister angesagt, und

wie er es vernahm, schauderte ihm, und sprach: Nur

einmal noch muß ich mein Uhrwerk sehen, möcht

etwan noch was daran bessern, denn ich's später nicht

mehr vermag, wenn ich nicht sehend bin. Das wurde

ihm vergönnt, und dann stieg der Meister zu seinem

künstlichen Bau hinauf und trat hinein und schaffte

was darin, eine kurze Weile. Und hernach haben sie

auf dem Rathaus den Meister des Augenlichts beraubt.

Aber siehe – da stockte mit einem Male das

Uhrwerk. Christus und der Tod und die Alter der

Menschen wandelten nicht mehr, das Glockenspiel

verstummte, der Hahn krähte nicht, die Uhrglocken

tönten nicht, der Zeigerdrache zeigte nicht, die Götter

fuhren nicht mehr – alles stand. Bald aber nach der

grausamen Tat wurden Meister Habrechts geblendete

Augen aufgetan zum ewigen Licht – und vergebens

sendete der Rat nach Künstlern umher, die das Uhrwerk

wieder in Gang bringen sollten. Viele kamen,

viele probten und pösselten daran und darin herum,

keiner bracht's in Gang, von alter Zeit zu neuer Zeit,

immer wieder – sie verdarben mehr, als sie gut machten,

und so steht im Münster das Uhrwerk heute noch,

wunderbar anzuschauen, aber ungangbar, und die Zeiger

zeigen noch Tag und Stunde, an denen so grauenhafte

undankvolle Untreue an dem kunstreichen Meister

verübt ward.

38. Straßburger Schießen und Zürcher Brei

Im Zeughaus zu Straßburg wird ein eherner Topf gezeigt,

den sandte einstmals die Stadt Zürch voll Brei

dahin, den sie in Zürch gekocht und der noch warm in

Straßburg ankam, das begab sich also. Die Straßburger

hielten großes Freischießen und luden dazu ein

alle Nachbarstädte am Rhein, in der Rheinpfalz, im

Elsaß und in der Schweiz, die kamen auch durch Gesandte

zahlreich und nahmen teil am Feste; am weitesten

hatten freilich die Schützen von Zürch, drei Tagereisen.

Da war zu Zürch ein wackerer Kumpan, der

hieß Hans im Weerd, und sann ein lustig Stücklein

aus. Wir wollen gen Straßburg zu Wasser fahren, da

brechen wir kein Rad und fällt uns kein Roß, und

wollen das tun, so Gott will, in einem Tag, und einen

heißen Brei, den wir allhier gekocht, den Straßburgern

mitbringen. Dieser Rat fand großen Beifall, alles

ward vorgerichtet und gerüstet, der Brei wurde in

einer Nacht gekocht, kam in einen warmen Topf von

Erz, und der Topf wurde in heißen Sand gestellt, und

nun ging es schnell zu Schiff, als die Sterne noch

glänzten. Vom Schiffe wehten lustig die Wimpel mit

Zürchs Farben, weiß und blau, und munter flog es

über der Limmat rasche Wellen rasch dahin. Von der

Limmat lenkten die fröhlichen Schweizerschützen in

die Aar, vorüber an mancher fährlichen Stelle, und

aus der Aar in den Rhein, am Höllenhaken kühn vorbei

durch Strudel und Klippen. Da das glückhafte

Schifflein gen Rheinfelden kam, wohin schon Kunde

von seiner Fahrt gelangt, ward zur Mauer herab ein

Korb voll edlen Weines zum Morgentrunk herabgelassen

und unverweilt eingenommen. Als die Basler

Glocke elf schlug, war es erst um zehn Uhr, und das

glückhafte Schiff mit seinen Zürchern nahte schon der

Brücke. Da schallte von aufgestellter Mannschaft und

drängendem Volk herzlichfroher Bundesgruß entgegen,

und die Geschütze krachten, aber wie ein Pfeil

schoß das Schiff, getrieben von den Ruderschlägen

stets sich ablösender kräftiger Ruderer, immer rheinabwärts,

und vorn im Schiff am Steuer stand lugenden

und sorgenden Blickes der Hans im Weerd, und mitten

im Schiff saß Kasper Thomann, der Zürcher erwählter

Obmann und Sprecher beim Schützenfeste.

So ging es weiter und immer weiter, an Neuenburg

vorbei, an Breisach vorbei, durch die hundert Inseln

und Werder und Riede im Rhein. Wohl sank der

Abend nieder, wohl tauchte hinter der Vogesen blauer

Bergkette das glühende Rad der Sonne unter, aber

was leuchtete dort weit, weit her über die unermeßliche

Stromtalfläche, eine rote Feuersäule? Im Sonnenscheidekuß

flammte Unser Frauen-Münsters Turmriese,

und der Jubel der Schiffer grüßte das leuchtende

ferne Ziel. Aber immer noch liegen Stunden zwischen

dem Ziele und dem Schiffe – der Tag schwindet, die

Nacht bricht an, hell und rund steht der Mond am

Abendhimmel, das Münster taucht empor, wie ein

Geisterschiff, von der Schützenmatte her dringt

dumpfer Lärm des Volksgewimmels; jetzt beginnen

auch die im Schiff zu blasen mit hellen Zinken und

Posaunen, Pfeifen und Drommeten – jetzt endlich ist

Straßburg erreicht, und am Guldenturm legt das

Schifflein an. Jubel begrüßt die nimmermüden Stromfahrer,

die das nie Dagewesene vollbracht, in einem

Tage gefahren die unendlichen Strecken, und der Brei

im Topfe noch warm, gerade noch so recht mundrecht.

Das war ein gar festliches Begrüßen, mit Musik

und Fahnen wurden die werten Zürcher Gäste auf die

Maurerstube geleitet zum herzlichen Willkommen

und frohen Mahle. Von da brachte man die Zürcher,

nachdem der Brei verzehrt war, in den güldnen Hirsch

zur Rast, und am andern Tage beim Schießen wurden

sie hoch geehrt vor allen Gästen, und der Topf blieb

aufbewahrt für ewige Zeiten.

39. Das Hündchen von Bretten

Dir geschieht wie dem Hündchen von Bretten! sagen

die Leute in der Rheinpfalz. Damit deuten sie auf ein

Wahrzeichen des Städtleins Bretten hin und bezeichnen

mit dem Spruch den Empfang des bekannten Teufelsdankes

für gehaltene Treue. Zu Bretten war ein

Mann, der hatte ein treues frommes Hündchen, das

hatte er mit Fleiß abgerichtet zu allerlei Dienst und

Kunststück, insonderheit brauchte er es zum Fleischholen.

In einem Körbchen, darin eingewickelt das

Geld lag und auf einem Zettel stand, was es bringen

sollte, holte es beim Metzger Wurst und Fleisch, rührte

davon nie einen Bissen an, so brachte es dem Metzger

viele viele Kreuzer ins Haus. Da fügte sich's, daß

der Metzger einen Gesellen bekam, der war katholisch,

der Mann aber, dem das Hündlein zugehörte,

war evangelisch und sandte es auch am Freitag zum

Metzger, daß es, wie gewohnt, sein Fleisch oder seine

Wurst hole. Solches verdroß den Metzgergesellen,

und er sagte: Warte, Ketzer, ich will dir den dir gehörigen

Schlünker schicken, nahm das Hündlein, hackte

ihm auf dem Bloch das geringelte Schwänzchen grausam

ab und legt's in den Korb. Das arme Tier faßte

den Korb, lief blutend nach Hause, stellte den Korb

vor seinen Herrn, legte sich hin, winselte, streckte alle

Viere von sich und starb.

Die St. Galler Mönche erbeten Wein

Die ganze Stadt Bretten war entrüstet über solch ungetreue

Tat, der Gesell wurde alsobald ausgewiesen

und des Hündleins Bild ohne Schwanz in Stein ge-

hauen und übers Stadttor gesetzt, darüber ein Kranz,

den Lohn der Treue anzudeuten. Dieses ist das Wahrzeichen

von Bretten, in welcher kleinen Stadt der

große Philippus Melanchthon geboren wurde.

40. Trifels

Über dem Anweiler Tale bei Landau erhob sich eine

stattliche Kaiserpfalz, Burg Trifels. Es geht die allgemeine

Sage, daß König Richard Löwenherz von England

darinnen gefangengehalten worden vom Kaiser

Heinrich. Niemand wußte, wo er hingekommen, und

war große Sehnsucht nach Richards Wiederkehr in

seinem Reiche. Nun hatte Richard einen treuen

Dienstmann, der war ein Minnesänger und verstand

sich meisterlich auf die Kunst des Gesanges und der

Töne. Der machte sich mit einer Schar redlicher Mannen

auf, seinen König allüberall zu suchen. Reichen

Schatz an Gold und Kleinodien, den das Volk geopfert,

nahmen sie mit sich zum Lösegeld. Auch König

Richard war ein Minnesänger, und Blondel, so hieß

jener treue Dienstmann, kannte und konnte des Königs

Lieder. Vor mancher Burg, darinnen er den

König gefangen glaubte, hatte Blondel schon Weisen

angestimmt, auf welche, wie er sicher voraussetzte,

der König, wenn er ihn hörte, singend antworten

mußte, aber es war still geblieben hinter den festen

Mauern. Schon war er am Donaustrom auf- und abgezogen

und hatte auch all um den Rhein gesucht und

gesungen, da vernahm er, daß in der Nähe der Stadt

Landau, allwo man dazumal des Heiligen Reiches

Kleinodien aufbewahrte, die Kaiser Friedrich auf den

Trifels selbst eine Zeitlang bringen und bewahren

ließ, auf dreien Felsenzacken gar ein großes und stattliches

Kaiserschloß stehe, und da Blondel der Meinung

war, nur in einem solchen Schloß werde der römische

Kaiser seinen König und Herrn gefangen halten,

so wandte er sich dorthin mit den Seinen, umschlich

spähend die Mauern und stimmte am Fuße der

starken und hohen Türme, in deren Tiefen und Verliesen

man gewöhnlich die Gefangenen schmachten ließ,

jene Weisen an, die nur König Richard konnte. Und –

o Freude – endlich, endlich drang aus dem Gemäuer

des Turms auf Trifels antwortender Gesang in gleicher

Weise – hoch schlug vor Freude Blondels Herz,

sein Richard, sein König war gefunden und bald darauf

auch aus seiner Haft befreit.

Vom Schlosse Dürrenstein am Donaustrome geht

die gleiche Sage, alldort zeigt man noch ein Loch im

Trümmerfelsen, darin Erzherzog Leopold von Österreich

den heldenmütigen König soll gefangengehalten

haben.

41. Der Rotbart zu Kaiserslautern

Bei Kaiserslautern ist eine Felsenhöhle von unergründlicher

Tiefe. Von dieser geht des Volkes allgemeine

Sage, daß Kaiser Friedrich der Rotbart, da er

aus seiner Gefangenschaft in der Türkei gekommen

sei, in Kaiserslautern sich niedergelassen habe. Dort

habe er das Schloß gebaut und dem Weidwerk, wie

der Fischerei in dem schönen See, der noch der Kaiserwerder

heißt, obgelegen. In einem Tiergarten nahe

am Schloß hielt der Kaiser allerlei wunderbarliche

und fremdländische Getiere, und im See fing er einstmals

einen großen Karpfen, dem steckte er einen

güldnen Ring von seinem Finger an eine Flosse: der

Fisch blieb und bleibt hinfüro ungefangen bis auf des

Kaisers Wiederkehr. Endlich kam der Kaiser hinweg,

niemand wußte zu sagen wie, und es ging die Rede, er

habe sich in das tiefe Loch verwünscht auf lange Zeit,

da drunten besserer Zeit zu harren. Im Schlosse blieb

lange noch des Kaisers Bette aufbewahrt, hängend an

vier eisernen Ketten. War es abends wohl gebettet, so

war es morgens verwälzt, so daß man deutlich sah, es

habe jemand darin gelegen. Einst fing man im Kaiserwerder

zwei Karpfen, die waren um die Hälse mit

Ringen und einer güldenen Kette verbunden, zum Angedenken

wurden sie in Stein ausgehauen an der

Metzlerpforte.

Zu einer Zeit fand sich ein Mann, der wollte gern

den Grund der großen tiefen Höhle ergründen, in welche

der Kaiser sich verwünscht haben sollte, und

ward an einem Seil hinabgelassen mit einem Faden,

der oben an eine Schelle reichte. Und kam hinab und

sah den Kaiser sitzen auf güldnem Sessel mit mächtig

großem roten Barte, schaute sich um und erblickte

einen großen weiten Plan, darauf standen viele Wappner.

Der Kaiser nickte ihm zu und bedeutete ihn, nicht

zu reden – und da grausete es dem Mann, und gab

sein Zeichen an der Schelle, und ward also wieder

heraufgezogen, wo er verkündete, was er geschaut.

Um keinen Preis aber wollte er noch einmal hinunter.

Weit über das deutsche Land hin verbreitet ist die

Sage vom verzauberten Kaiser im Bergesschoß. Im

Thüringer Lande ist sie am lebendigsten um den Kyffhäuser,

so auch im Untersberge bei Salzburg und anderorts,

wo es aber auch oft Kaiser Karl der Große

oder auch Karl V. ist, den die Sage hineinbannt und

zu künftiger Wiederkehr aufbewahrt.

42. Die schiffenden Mönche

Zu Speier kam einstmals ein Fischer an den Strand

des Rheinstroms, der stellte seine Garne spät am

Abend und legte seine Reusen und fuhr in seinem

Kahn von einer Uferstelle zur andern. Da kam ein

Mann daher in brauner Mönchskutte, und der Fischer

grüßte ihn. Fischer, sprach der Mönch, ich bin ein

Bote von weitem her und möchte gern überfahren. –

Das kann geschehen, sagte der Fischer und fuhr den

Mönch über. Als er wieder an seinen Strand kam,

standen fünf andere Mönche da und harrten seiner und

sprachen: Fahr über! – Warum reiset ihr so in später

Nacht? Und soll ich nicht für meine Arbeit einen

Lohn von euch verdienen? – Fischer, es treibt die Not,

antworteten die Mönche, die Welt ist uns gram, fahr

uns nur über um Gottes willen.

Der Strom war ruhig und hell der Nachthimmel,

der Fischer nahm die Männer in seinen Kahn und

stieß vom Strande. Schnell ward es dunkel, der Himmel

schwärzte sich, der Strom warf Wellen, es heulte

der Sturm und trieb die schäumenden Wogen über

Bord in das Schiff hinein. Wie geschieht uns? fragte

der Fischer. War doch eben erst der Himmel rein und

klar! Hilf uns, o Gott! – Was heulst und betest du,

statt zu rudern? schalt den Schiffer einer der Mönche,

entriß ihm das Ruder und schlug ihn, daß er niedersank.

Die Mönche ruderten nun selber eilend durch

den Strom, legten am andern Ufer an und verschwanden.

Als der Fischer wieder zu sich kam, grauete

schon der Tag, und kaum vermochte er, wieder überzufahren

und seine Hütte zu erreichen.

Des Weges aber, den die Mönche eingeschlagen,

kam ein Bote, der wollte gen Speier, der sah dieselbigen

Mönche sich entgegenkommen, sie fuhren auf

einem Wagen, der war schwarz überhangen und hatte

nur drei Räder; die Pferde, die ihn zogen, hatten nur

drei Beine, und der Fuhrmann hatte eine Teufelsnase

und eine Flammengeißel, rund um den Wagen her weberte

es von Flammen. Der Bote kreuzte und segnete

sich und zeigte dem Rat zu Speier dies Gesicht an,

aus welchem man auf große Zwietracht unter den

deutschen Fürsten schloß, an der in alten und neuen

Zeiten niemalen ein Mangel.

43. Die Schwabenschüssel

Zu Speier auf dem Domplatz steht auf einem großen

Fußgestelle von Quaderstücken auf drei Staffeln ein

großer, tiefer, runder steinerner Napf, mag wohl ein

Taufbecken sein aus grauen Zeiten, wie eins vor der

Klosterkirchenruine zu Paulinenzelle liegt und anderswo

dergleichen auch gefunden werden – das hat in

seinem Rand eine Schrift, in Messing gegossen, diese

besteht aus lateinischen Versen. Dieses Becken nennen

sie dort die Schwabenschlüssel, niemand weiß,

warum. Sie hatten aber zu Speier damit einen sondern

Brauch, nämlich wenn ein neugewählter Bischof alldort

seinen Einzug halten wollte, so ward er nicht alsbald

in die Stadt gelassen, sondern mußte vor dem

Tore halten bleiben und zuvor geloben, der Stadt

Rechte und Freiheiten nicht anzutasten, vielmehr aufrechtzuerhalten,

und das angeloben mit Brief und Siegel,

dann öffnete der Rat ihm das Stadttor, aber

gleichwohl durften nicht mehr als funfzig Mann des

Gefolges in ihrer Wehr mit dem Bischof einreiten,

und dann ward das Tor wieder hinter ihm zugeschlossen.

Danach legte der Bischof seinen Ornat an und

ward von Rat und Bürgerschaft und seinem Gefolge

geleitet und begleitet bis auf den Domplatz an die

Schwabenschüssel, dort nahm die Klerisei den neuen

Bischof in Empfang und führte ihn unter einen Thronhimmel

in den Dom mit großen Zeremonien und Gepränge.

Der Bischof aber ließ nun Wein anfahren und

in die Schwabenschüssel fließen, so viel als hineinging,

und da konnte trinken, wer wollte, und derer, die

wollten, waren immer viele, und der Wein floß endlos

in den Napf, ein ganzes Fuder oder auch zweie. Da

soff sich zum öfteren die Menge toll und voll, und

mancher kam weit hergereist zu diesem Trunke, und

ward ihm hernach weh und übel von dem vielen Saufen.

Davon ist denn das Sprüchwort entstanden, wenn

sich einer übersoffen und die Folgen verspürt: Der

reist nach Speier. Andere aber deuten das auf die

Reise zum kaiserlichen Kammergericht dortselbst,

wohin gar mancher reiste, um zu – appellieren.

44. Die Totenglocken zu Speier

Kaiser Heinrich IV. nahm gar ein trauriges Ende;

auch seine Gebeine ruhen im Dome zu Speier, aber

sie kamen nicht alsbald nach seinem Tode dahin. Verstoßen

von Thron und Reich, gedachte er, wie sein

heiliger Vorgänger Heinrich II. die Absicht gehabt,

dort im Münster zu Straßburg seine Tage zu beschließen,

am Dome zu Speier einer Chorherrenpfründe

teilhaft zu werden, allein da er, der den Dom gebaut

und reich geschmückt, nicht, wie jener, jetzt eine

Pfründe gründen und stiften konnte, so ward ihm auch

solche nicht zuteil, und der Bischof Gebhard, den er,

der Kaiser, als solcher selbst auf seinen Stuhl gesetzt

und ihn bestätigt, weigerte ihm die Aufnahme. Da erseufzte

der Kaiser und sprach: Gottes Hand! Gottes

Hand liegt schwer auf mir!, und zog trauernd von

dannen. Und es geht in Speier die Sage, daß, als der

alte Kaiser endlich arm und elend zu Lüttich an der

Maas verstorben, habe die Kaiserglocke im Dome

von selbst zu läuten begonnen, und alle andern Glokken

haben volltönig eingestimmt in das Geläute, und

das Volk sei zusammengelaufen und habe gerufen:

Der Kaiser ist tot, der Kaiser ist tot, aber wo? wo ist

er gestorben? Das wußte keiner. Der Bischof zu Lüttich

fühlte minder hart wie der undankbare Bischof zu

Speier, er ließ den Verstorbenen mit gebührenden

Ehren bestatten. Aber als das der unnatürliche Sohn

Heinrichs, Kaiser Heinrich V., vernahm, ward der Bischof

von Lüttich verurteilt, den Sarg des Bestatteten

mit seinen eigenen Händen wieder auszugraben, da

der Verstorbene im Banne dahingegangen und einen

Gebannten die geweihte Erde nicht decken dürfe. Da

ward der tote Kaiser in seinem Sarge auf eine Insel in

der Maas gestellt, und niemand wartete sein, und niemand

kümmerte sich um ihn. Aber siehe, da kam ein

Mönch, den niemand kannte, der fuhr hinüber auf die

Insel, und betete über dem Sarge, und las Messen

über den Toten, und sang ihm das Requiem, und das

trieb er fort und fort, bis Heinrich V. es vernahm und

den Sarg mit den Resten seines Vaters gen Speier führen

ließ. Und als nun der Sarg im Königschor des

Domes beigesetzt werden sollte, litt es der Bischof

nicht, ehe denn der Papst zu Rom des deutschen Kaisers

Überreste aus dem Banne lösete. Das währte fünf

Jahre; so lange blieb Kaiser Heinrichs IV. Sarg in

Sankt Afras Kapelle unbeerdigt stehen. Aber den Kaiser

Heinrich V. wußte Gottes Hand auch zu finden,

denn er blieb erbenlos, fiel in des Papstes Bann wie

sein Vater, und als er verstarb, da läutete vom Münsterturme

zu Speier ein Glöcklein von selbst gar hell

und schrillend – und keine andere Glocke fiel ein, und

niemand wußte, warum es läute, und das Volk lief zu-

sammen und fragte sich untereinander: Wo wird denn

einer ausgeführt, daß das Armesünderglöcklein läutet?

45. Die Juden in Worms

Mitten im Wein- und Wonnegau am gesegneten

Rheinstrom, im Mark der Pfalz, erbauten Völker der

Frühzeit das uralte Worms; dort haben schon Juden

gewohnt nahe sechshundert Jahre vor Christi unsers

Herrn Geburt. Die waren in Verbindung geblieben

mit dem Lande ihrer Väter, mit Palästina, als aber den

Priestern zu Jerusalem einfiel, ihnen zu befehlen, sie

sollten hinwegziehen aus dem allzufernen Lande,

damit die Männer nach Jehovas Gebot die drei hohen

Feste zu Jerusalem mitfeiern könnten, und wenn sie

nicht kämen, würde die Strafe ihres Gottes sie treffen

– da schrieben die Juden zu Worms an den hohen

Rat zu Jerusalem zurück: Ihr wohnet im gelobten

Lande; ihr habt einen Tempel, und wir haben einen

Tempel; ihr habt eine Gottesstadt, und wir haben

eine. – Und der Totenhof dieser Juden hieß der Heilige

Sand, der war hoch mit Sand bestreut, welcher aus

Jerusalem gen Worms geschafft worden war, so viel

vermochte ihr Reichtum. Als die Juden zu Jerusalem

den Weltheiland kreuzigen wollten, hatte die Judengemeinde

zu Worms nicht dazu gewilligt, vielmehr in

einem ernsten Schreiben davon abgemahnt, das hat

ihr hernachmals gute Frucht getragen, denn die Kaiser

haben sie mit großen Freiheiten begabt, und es ist das

Sprüchwort im Reich ergangen: Wormser Juden,

fromme Juden. Sie hatten einen Vorsteher aus ihrer

Mitte, der hieß der Judenbischof. Er war der erste der

drei obersten Rabbiner, die es in Deutschland gab, zu

Worms, zu Prag und zu Frankfurt am Main.

46. Von den Dalbergen

Auch das Geschlecht der Dalberge, das dem Wormsgau

entstammte, ist ein uraltes; es leitete die Wurzeln

seiner mythischen Stammbäume tief hinab in die Zeitenfrühe,

bis zur Wurzel Jesse. Ein Dalberg soll,

nachdem Jerusalem durch Titus zerstört worden, mit

der zweiundzwanzigsten Legion römischer Krieger

nach Worms gekommen sein und dort den neuen

Stamm begründet haben, auch Hauptmann der Stadt

Worms geworden sein. Er brachte viele Juden als

Sklaven mit und verkaufte ihrer dreißig um einen Silberling

an die Stadt Worms. Im Mittelalter wurde den

Dalbergen der Ehrentitel die Kämmerer von Worms,

und sie wachten mit Ernst über ihres Geschlechts uralten

Stamm. Einst wollte eine Dalbergin hinüber

zum Stift auf Unser-Lieben-Frauen-Berge nahe bei

Worms fahren, allwo der übervortreffliche Wein

wächst, Liebfrauenmilch geheißen, der Kutscher aber

wußte nicht, wohin sie fahren wollte, und fragte sie,

da sprach sie ganz stolz: Zu meiner Muhme nach

Liebfrauen – und meinte mit der Muhme die Jungfrau

Maria. So sehr hob sich der Dalberge Geschlecht zur

Blüte, daß zu Worms nach ihnen eine Gasse ausschließlich

die Kämmerergasse hieß; auch standen unmittelbar

unter diesen Kämmerern von Worms des

Heiligen Reiches Kammerknechte, die Juden. Und

wenn die deutschen Könige und Kaiser nach ihrer

Krönung junge Edle durch den Ritterschlag erheben

wollten, so mußte jedesmal vor allen andern der Herold

ausrufen und fragen: Ist kein Dalberg da?

47. Wormser Wahrzeichen

Am westlichen Portal des uralten Domes Unserer Lieben

Frauen zu Worms ist als ein steinern Bildwerk

ein Weib mit einer Mauerkrone zu erblicken, reitend

auf einem seltsamen vierfüßigen Tiere – das wird

eines der Wahrzeichen der Stadt Worms genannt und

ist vielfach ausgedeutet worden. Manche meinen, das

Frauenbild stelle dar die Babylonierin der Apokalypse,

andere die triumphierende christliche Kirche; noch

andere meinten, es sei Brunhild, die Gemahlin des

Austrasierkönigs Siegberth, über welche, nachdem sie

bereits achtzig Jahre alt geworden, ein furchtbares

Strafgericht ihrer Herrschsucht wegen gehalten ward.

Drei Tage lang wurde Brunhild gemartert, alsdann auf

ein Kameel gesetzt und allem Volke zur Verspottung

darauf umhergeführt, endlich an eines wilden Hengstes

Schweif gebunden und dahingeschleift über Stock

und Steine. Ein anderes Wahrzeichen findet sich am

Dome außerhalb als seltsames Steingebilde, das stellt

den Teufel dar mit seiner Großmutter, und zwar sucht

das liebholde Enkelchen etwas, was man nicht gerne

nennt, vom Kopf der Großmutter zu entfernen.

Weiter zeigt sich auf freier Straße westlich vom

Dom nach St. Andreaspforte zu ein Felsstück, das

warf vom Rosengarten, einer Insel im Rhein, welche

berühmt ist durch das alte Heldenbuch, ein Recke bis

herein in die Stadt. Ohnweit davon ward eine Stange

aufbewahrt, so auch lange zu sehen, war groß wie ein

Weberbaum, war spitz und dreiundzwanzig Werkschuh

lang. Das soll, wie die Sage geht, der Weberbaum

gewesen sein, mit welchem der hörnene Siegfried

den Drachen erschlug, wie im Volksbuche zu

lesen. Eine andere Riesenstange, sechsundsechzig

Werkschuh lang, ward vordessen im Dome aufbewahrt,

auch hat man lange Jahre hindurch bis zum

großen Brande zu Worms des hörnen Siegfrieds Grab

gezeigt.

48. Die Königstochter vom Rhein

Vor grauen Zeiten soll das alte Worms auch die

Hauptstadt des burgundischen Reiches gewesen sein.

Ein Zigeunerweib stahl aus der Insel des Rosengarten

eine Königstochter in einem kleinen Badewännlein

und trug sie über den Rhein. Niemand wußte, wo das

Kind hingekommen. Sein Vater grämte sich zu Tode,

und seine Mutter starb fast vor Herzeleid. Achtzehn

Jahre gingen darüber hin, da ritt der Königssohn

durch einen Wald, fand dort ein Wirtshaus und kehrte

ein; den Wein, den er begehrte, brachte ihm eine

schöne Jungfrau, die ihm über alle Maßen wohlgefiel.

Da er nun eines Fußbades begehrte, so rüstete ihm

das die Maid mit frischen grünen Kräutern und brachte

es in einem Badewännlein dargetragen. Die Wirtin

aber war ein häßliches, altes, braunes Weib, die gab

der Maid böse Rede und sagte dem jungen Rittersmann,

den sie nicht kannte, daß jene nur ein Findelkind

sei, vor langen Jahren von ihr angenommen und

auferzogen zu einer Dienstmagd. Wie aber der Königssohn

sich das Badewännlein ansah, gewahrte er

mit Staunen daran das burgundische Wappenschild

und dachte bei sich selbst: Wie kommt dieses Wännelein

mit dem Wappen meines Stammes in dieses

schlechte Wirtshaus? Und da fiel ihm bei, gehört zu

haben, daß vor langen Jahren sein Schwesterlein zusamt

dem Wännchen, in dem es gebadet worden, aus

dem Rosengarten verschwunden sei, und daß seine

Mutter ihm oft erzählt, das Schwesterlein habe ein

Malzeichen am Halse gehabt, und dasselbe Zeichen

entdeckte nun alsobald der Königssohn am Halse der

Dienerin. Da grüßte und umfing er sie als seine liebe

Schwester, und als die Wirtin hereintrat, fragte er

diese, von wem und von wannen sie diese edle Jungfrau

habe. Die Wirtin erschrak gar sehr, zitterte und

erbleichte und fiel auf die Kniee. Sie hatte, da die

Wärterin nur auf eine kurze Zeit sich entfernt, Kind

und Wännlein davongetragen und war eilend in einem

Kahn über den Rhein hinübergefahren.

Da zog der Königssohn sein Schwert, das war sehr

spitz und scharf, und stach die böse Wirtin damit in

das Ohr, daß die Spitze zum andern Ohr wieder heraustrat,

hob die Maid samt dem Wännelein auf sein

Roß und ritt gen Worms zu seiner Frau Mutter. Die

Königin wunderte sich baß, als sie das Paar so seltsam

daherreiten sah, und fragte ihren Sohn: Welch

eine Dirne bringst du uns daher? Sie führt ja ein Wännelein

mit sich, als wenn sie mit einem Kinde ginge. –

Frau Mutter, ich bringe keine Dirne, sondern Euer

verlorenes Kind, mein lieb Schwesterlein, samt dem

Wännelein, darin es Euch geraubt ward vor achtzehn

Jahren! – Bei dieser Rede fiel die Königin vor Freude

in Ohnmacht, und als sie wieder in den Armen ihrer

Kinder erwacht war, priesen alle drei den Herrn.

49. Schwedensäule bei Oppenheim

Am Rheinufer im Ried ohnweit Oppenheim steht oder

stand über Steinstufen eine hohe Säule auf vier Kugeln,

die das Postament trägt, ruhend, in Form eines

Obelisken. Auf der Spitze trug sie den sitzenden

schwedischen Wappenlöwen mit behelmtem und gekröntem

Haupt, in den Vordertatzen Schwert und

Reichsapfel haltend. Es geschah, daß König Gustav

Adolf von Frankfurt über Darmstadt längs der Bergstraße

dem Rheine zufuhr und mit vier Getreuen in

einem Nachen von Rockstadt aus den Rhein befuhr,

die Gegend zu untersuchen, doch mußten diese

Schweden sich bald vor den um Oppenheim verschanzten

Spaniern zurückziehen. Dann aber ließ der

kühne Schwedenkönig in den Dörfern am rechten

Rheinufer die Scheunentore ausheben und sein Volk

statt auf Flößen auf diesen Scheunentoren überschiffen,

griff die Schanzen an und nahm Oppenheim mit

Sturm. Zum Gedächtnis dieses Sieges ließ König Gustav

Adolf diese Säule mit dem Löwenbilde aufrichten.

Nun trug sich's zu, daß hernach, als der tapfere

Schwedenheld bei Lützen gefallen war, wieder Kaiserliche

diese Gegend besetzten. Da unternahm es ein

kaiserlicher Offizier nicht ohne Gefahr, den hohen

Obelisk zu erklettern, um das Schwert dem Löwen

aus der Tatze zu nehmen, dann später dasselbe als ein

Siegeszeichen dem Kaiser Ferdinand II. darzubringen,

großer Belohnung, vielleicht einer güldnen Kette sich

verheißend. Aber der Kaiser wurde überaus zornig

über dieses Geschenk und sagte zu dem Offizier: Wie

konnte Er sich unterfangen, eines so großen und tapfern

Helden Denkmal zu berauben und zu verunehren?

Ihm gebührt eigentlich ein Strick um den Hals,

als einem Räuber. – Und hat der schwedische Löwe

sein Schwert hernachmals wieder erhalten, auch ist

die Schwedensäule späterhin, als sie den Wogen des

Rheins und dem Eisgange allzu nahe und zu gefährlich

stand, abgebrochen und besser landeinwärts gesetzt

worden.


Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen

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