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Kapitel 7
Оглавление134. Die Toten in Löwen
Zu Löwen war ein Totengräber, der sollte ein Grab
bereiten, fühlte sich aber krank, zumal war es am
Abend Allerheiligen (Vorabend Aller Seelen) und
schon recht kalt, und da bot sich, wie er klagte, sein
Gevatter an, das Grab für ihn zu machen, was aber zu
Nacht noch geschehen mußte. Vor Mitternacht war
der Mann mit seiner Arbeit fertig und wollte vom
Kirchhof hinweggehen, da sah er eine Prozession auf
diesen gezogen kommen, die schritt über alle Gräber;
es schienen weiße Mönche zu sein, und jeder trug eine
Kerze, und wie sie an den Gevatter kamen, der ein
Spielmann war, ließen alle ihre Kerzen vor ihm hinfallen,
der letzte Mönch aber warf eine große Kugel
vor ihm hin, mit zwei Dochten. – Ei, dachte der unerschrockene
Spielmann, das ist schön weiß gebleichtes
Wachs und ein guter Lohn für meine Mühe; sammelte
daher alles sorglich auf, band es in sein Tuch und
barg es daheim unters Bette, schlief auch ganz ruhig
in dieser Nacht.
Andern Tages aber, als der Spielmann sich früher
niedergelegt hatte, konnte er nicht einschlafen, sondern
wachte die Mitternachtstunde heran; siehe, da tat
seine Kammertüre sich auf, und es kamen alle die
weißen Mönche herein und stellten sich um die Betten
her, in denen der Spielmann und seine Frau lagen,
und bückten sich und schauten unter des Spielmanns
Bette und zogen das Tuch mit den vermeinten Kerzen
hervor, und über dem Bücken entfielen den Mönchen
ihre weißen Kapuzen und Mäntel, und waren eitel
scheußliche Gerippe, und schrieen: Mein Arm! Mein
Bein! Mein Kreuz! Meine Rippe! Und meine Rippe!
Und mein Kopf! schrie das letzte Gerippe, das hatte
in der Tat keinen Kopf, und alle den andern Gerippen
fehlte das, wonach sie riefen, und das alles hatte der
Spielmann in seinem Tuche zusammengebunden und
in der Meinung, es seien Wachskerzen und eine
Wachskugel, nach Hause getragen. Nun langten alle
mit ihren klapperdürren Armen nach ihren Gliedmaßen,
und das Gerippe ohne Kopf bückte sich, und der
Spielmann mußte ihm den Kopf selbst auf- und zurechtsetzen,
dann langte es nach des Spielmanns
Geige, drückte sie ihm in die Hände und machte das
Zeichen, daß er aufspielen sollte, und nun faßten sich
alle die Gerippe mit den dürren Fingern an und tanzten
nach dem Spiel und klapperten, und der Spielmann
klapperte auch nebst seiner Frau, und jene kreisten
wild in der Kammer herum, war gar ein schauriger
Totentanz und dauerte eine ewig lange Zeit, und
wenn der Spielmann müde wurde, so langte ihm ein
Gerippe eine Maulschelle in das Gesicht, die sehr weh
tat. Endlich beim ersten Hahnschrei hüllten die Gerip-
pe sich wieder in ihre Mäntel und huschten von hinnen.
Der Spielmann und seine Frau haben von Stund an,
als sie dies Schreckliche erlebt, nicht mehr geredet,
nur daß sie in der Beichte erzählten, was sie gesehen,
und dann sind sie bald darauf mitsammen gestorben.
Besser als diesem Spielmann ist es einem frommen
Bötticher zu Löwen ergangen. Der ging allabends, da
er nahe an Sankt Quintini Kirchhof wohnte, auf diesen
Kirchhof und betete für die Ruhe der Toten einen
Rosenkranz oder zwei. Da geschah es, daß er eine
Summe Geldes für abgelieferte Arbeit einnahm, das er
zu sich steckte, da er gerade auf den Kirchhof gehen
wollte, seiner Gewohnheit noch für die Ruhe der
Toten zu beten. Es waren aber einige Spitzbuben in
der Nähe, die wußten, daß der Bötticher Geld einnehmen
sollte, und dachten gleich, er werde es zu sich
stecken, die lauerten auf ihn, und da er auf den Kirchhof
kam, fielen sie über ihn her und wollten ihn niederwerfen.
Aber da rauschte und brauste, rasselte und
prasselte es ringsumher, und es erhoben sich alle
Toten, für deren Ruhe der Büttner so oft gebetet hatte,
und schlugen mit Arm- und Beinknochen härtiglich
auf die Räuber los, daß denen ein Grauen ankam und
sie teils niederstürzten, teils eilends entflohen. So war
der fromme Meister befreit und gerettet und hat nachher
um so eifriger für die Ruhe der Toten gebetet. Der
Magistrat aber ließ die Geschichte auf eine Tafel
malen und diese an der äußern Kirchenmauer aufhängen,
allwo sie noch zu sehen ist.
Diese Sage geht auch mit weniger Veränderung in
Deutschland von einem Ritter, Torringer geheißen,
der, wenn er nachts am Kirchhof vorüberritt, nie unterließ,
ein Gebet für die Toten zu sprechen. Eines
Abends jagte er aber, von einer ganzen Schar wütender
Feinde verfolgt, welche dicht hinter ihm waren,
vorüber nach seiner Feste zu. Siehe, da erhoben sich
die Toten rasch aus ihren Gräbern und traten zwischen
den Fliehenden und seine Verfolger, die voll
Entsetzen zurückprallten, wie sie die Schädel und Gerippe
im Mondenscheine dastehen sahen und ihnen
den Weg sperrten, und unbeschadet konnte der Ritter
seine sichere Feste erreichen.
135. Der Schwanritter
Da Herzog Gottfried von Brabant zum Sterben kam
und hatte keinen Sohn, so wollte er sein Land und
Erbe seiner Gemahlin und seiner Tochter überlassen.
Aber Gottfrieds Bruder, der Sachsenherzog, wollte
darein nicht willigen und sagte, das Land sei kein
Weiberlehen und Erbe, und nahm Brabant für sich.
Da ward die Herzogin klagend bei König Karl, und
der lud sie und auch ihren Schwager gen Neumagen
(Nimwegen, Nijmegen) am linken Arm des Rheinstroms,
die Wal geheißen, und da kam sie mit ihrer
Tochter hin, und auch ihr Gegner. Und da geschah es,
daß Karolus durch ein Fenster hinausschaute und
hinab auf den Strom, da sah er einen Schwan schwimmen,
der hatte ein silbern Halsband um und zog mit
diesem an silberner Kette einen Nachen nach sich,
und in dem Nachen lag ein Ritter im gleißenden Harnisch,
auf seinem Schilde ruhte sein Haupt, seinen
Helm und Halsberge hatte er abgetan und neben sich
gelegt, und der Schwan ruderte an das Ufer heran.
Alle Hofleute, die das samt dem Kaiser sahen, verwunderten
sich hoch, vergaßen den Rechtshandel und
eilten nach dem Ufer hinunter. Der ritterliche Jüngling
im Nachen aber erwachte, tat sein Gewaffen wieder
an, erhob den Schild, darauf acht Szepterlein um
einen weißen Karfunkel gestellt waren, und stieg aus
der Barke, zu dem Schwane sprechend: Fliege deinen
Weg wohl hin, lieber Schwan, so ich deiner bedarf,
will ich dir rufen! Da wandte sich der Schwan und ruderte
im Wasser und entschwand samt dem Nachen
den Augen der ihm Nachblickenden. Alles blickte
ganz verwunderungsvoll nach dem Gast, dem Karol
selbst die Hand bot und ihn nach der Burg geleitete,
dann setzte er sich auf den Richterstuhl und hieß den
Fremdling bei den Fürsten und Herren eine Stelle einnehmen.
Es erhub nun die Herzogin ihre Klagen, und
ihr Schwager brachte seine Gegenrede vor und sprach,
daß er bereit sei, für sein Recht zu kämpfen, sie solle
ihm nur einen Kämpen stellen, der mit ihm für ihr und
ihrer Tochter vermeintes Recht stritte. Der Sachsenherzog
war aber gar ein mannlicher Held und dem Besten
im Kampfe überlegen, darum erbebte die Herzogin,
denn sie wußte keinen Kämpen in ihrer Sippschaft,
den sie wagen konnte aufzufordern, sich jenem
gegenüberzustellen. Da weinte sie im bittern
Schmerz, und ihre Tochter weinte mit ihr, und es war
ihr weh im Herzen. Siehe, da erhob sich der junge
Ritter, so mit dem Schwan gekommen war, von seinem
Stuhl, neigte sich gegen den Kaiser und sprach:
So du es mir vergönnest, großer Kaiser, so will ich
wohl dieser Frauen Kämpe sein. Das wurde ihm gewährt,
und er stritt darauf einen schweren Streit mit
dem Sachsenherzog, doch obsiegte er ihm endlich und
machte so der Herzogin und ihrer Tochter Erbe frei
und ledig. Die danketen ihm in Züchten, und die Herzogin
bot ihm jeden Kampfeslohn, den sie gewähren
könne, und wär' es selbst ihrer Tochter Hand und einstiges
Erbe. Da sagte der Jüngling, Werteres könne
ihm nimmer geboten werden; sein Name sei Helias,
das und mehr könne er von sich nicht sagen, und
müsse er unerläßlich bedingen, daß seine Braut und
Vermählte nie und nimmermehr ihn frage, wo er hergekommen,
welches sein Geschlecht sei, wer ihm
Vater und Mutter wäre, und solcher Fragen mehr,
denn sowie sie solche Frage auch nur die leiseste und
nur ein einziges Mal an ihn richte, müsse sie auf
immer ihn verlieren.
Diese Bedingnis deuchte der Prinzessin von Brabant
gar leicht zu halten; sie gelobte ihm das und vermählte
sich dem Schwanenritter Helias. Sie zogen
nach Cleve, der uralten Stadt, wo schon Julius Cäsar
eine Burg erbaut, erneueten das Schloß und nannten
es die Schwanenburg und freuten sich des Lebens und
der Landschaft, die schon manche mit den elyseischen
Feldern der alten Mythe ob ihrer Anmut verglichen.
Beide gewannen auch zwei blühende Kinder und
waren sehr glücklich, wären es auch geblieben, wenn
nicht der Weiber Erbsünde, die schlimme Neugier,
die junge Herzogin gequält und immer mehr gequält
hätte. Die mochte gar zu gerne wissen, wer denn eigentlich
ihrer Kinder Vater sei, und so drückte es ihr
fast das Herz ab, bis sie endlich die Frage tat, die ihr
doch so ernst verboten war. Da sprach Helias: Nun
hast du dein Glück zerbrochen und mein Glück und
hast mich am längsten gesehen. – Und waffnete sich
und winkte zum Fenster hinaus – da kam schon der
Schwan geschwommen mit seinem Schifflein. Und
der Herzog küßte seine Kinder und drückte seiner Gemahlin
stumm und schmerzlich die Hand – die weinte
überlaut und stürzte ihm voll Reue zu Füßen und
wollte ihn zurückhalten, und auch alles Volk flehte
ihn an, daß er bleiben sollte. Aber Helias konnte nicht
bleiben – er segnete alle, bestieg seinen Kahn und
fuhr von dannen. Tief drang der Kummer ins Gemüt
der Herzogin, doch erzog sie die Kinder zu tüchtigen
Rittern, und ihnen entstammten alle spätern Grafen
und Herzoge von Cleve und Geldern und Reineck, die
führten meist den Schwan im Wappen. Des Landes
Heerschild aber blieb der weiße Stein im roten Felde,
um den die acht goldnen Szepterstäbe gestellt sind,
bis auf diesen Tag. Auf dem Schwanenturme der
Schwanenburg aber zeugt noch ein weißer Schwan,
der sich im Winde dreht, von dieser Geschichte.
136. Gelre, Gelre!
Im weiten offnen Lande zwischen dem Rheinstrom
und der Maas hauste zu Kaiser Karl des Kahlen Zeiten
ein untümlicher Drache, der zehrte Menschen und
Tiere auf, und wenn er Hunger hatte, so schrie er mit
lauter gellender Stimme immerfort: Gelre, Gelre! Die
Menschen wichen aus der Gegend hinweg, die doch
schön und fruchtbar war, denn das Untier war unüberwindlich.
Nun saß in der Nähe ein Edler, Otto, Herr
von Pont, der hatte drei Söhne, deren Ältester hieß
Leupold, und dieser Leupold war ein tapferer junger
Degen und hatte Mut, dem Ungetüm zu Leibe zu
gehen. Er wappnete sich auf das beste und erkundete
den Ort, wo der Drache hause. Da ward ihm ein alter
Birnbaum gewiesen, der voller Mistelpflanzen stand,
und da dauerte es nicht lange, so hörte Herr Leupold
den Drachen schon schreien: Gelre, Gelre! – Harre
nur, dachte der junge Degen, ich will dich schon begelren,
und rückte auf den Drachen zu. Dieser funkelte
ihn mit feurigen Augen an, die wie Sterne blitzten,
und sperrte seinen Rachen greulich auf und blies giftigen
Atem daraus hervor, aber Herr Leupold stieß ihm
seine Lanze hinein, daß am Hinterkopfe die Spitze
wieder hervordrang, und stach ihn mit dem Schwerte
in die Weichen und tötete ihn. Voll Dankes priesen
die Bewohner der Gegend des jungen Ritters Heldentat
und ernannten ihn zu ihrem Oberherrn. Er erbaute
sich darauf da, wo er den Drachen überwunden, ein
Schloß und nannte das nach dem Drachenschrei
Gelre. Daraus ist der Name Geldern entstanden, den
die blühende Provinz noch heute führt.
137. Des Riesen Handwerfen
Am Scheldefluß hauste zu Julius Cäsars Zeiten ein
Riese auf einem hohen Turme, soll Antigonus geheißen
haben, der bewachte das Land und nahm allen,
welche dort vorüberreisten oder über das Wasser setzen
wollten, die Hälfte ihrer Güter als Zoll ab. Wollten
sie den nicht entrichten, so mußten sie mit ihm
kämpfen, und dann hieb er dem Besiegten jedesmal
die rechte Hand ab und warf sie in die Schelde. Da
kam ein Mann, der hieß Brabon, mit mehrern andern
Gefährten an die Stelle der Überfahrt, und fanden
allda den Knecht des Riesen auf der Wacht, der wehrte
ihnen den Übergang; sie sollten erst mit dem Riesen,
seinem Herrn, das Ihre teilen, oder sie müßten
ihre rechte Hand lassen. Dazu war Brabon nicht geneigt,
weder zum einen noch zum andern; darauf
schlug der Knecht an eine Eisenstange, die gab tiefen
Glockenschall, und da kam der Riese trutziglich vom
Turme herunter und fragte: Wer ist es, der mit mir
kämpfen will? – Ich allein! erwiderte Brabon, und
alsbald begann der Kampf. Da fiel manch harter
Kampf und schwerer Streich. Der Riese war ein starker
Wigand, und wohin er schlug, wuchs kein Gras
mehr. Endlich aber obsiegte ihm dennoch der mannhafte
Held Brabon und schlug ihm erst die rechte
Hand, hernach auch den Kopf ab, und nahm die Hand
und warf sie über den breiten Strom und rief: So weit
ich diese Hand werfe, so weit soll auch dieser Strom
zu dem Lande gehören, das ich mir jetzt erkämpft! –
Und ging, und dankte für seinen Sieg dem Kriegsgotte
Mars, und brachte ihm Opfer in seinem Tempel. Und
die Hand fiel in des Stromes Mitte, und das Land
ward nach dem Helden Brabant geheißen, und die
Hälfte der Schelde gehörte fortan zu Brabant.
Da nun Julius Cäsar aus Britannien zurückkehrte,
kam Brabon zu ihm und erzählte ihm sein Abenteuer
mit dem Riesen Antigonus, den er im Ried an der
Schelde erschlagen. Da lobte ihn der große Feldherr,
und zog mit ihm nach dem Ort, und ließ dort eine
Burg erbauen, und weihte sie und gab ihr und dem
Lande große Rechte und Freiheiten, und machte Brabon
zu einem Markgrafen des römischen Reiches. Der
Ort aber ward von dem Handwerfen Handwerpen genannt
und wuchs und ward groß und mächtig und ist
jetzt die Stadt Antwerpen.
Damals hat Julius Cäsar Turnhout gegründet und
mit großen Freiheiten begabt, und nahe bei Löwen
das Kaiserschloß gebaut. Da er mit dem Helden Brabon
dort auf die Jagd ging, schoß er einen mächtig
großen Adler und nahm das für ein
glückverkündendes Orakel der Götter an. Darum
gründete er an jenem Ort eine neue Kolonie und nann-
te sie Aarschuß, das heutige Aerschot.
138. Herr Lem
Überhaupt gab es in frühen Zeiten in den niedern
Landen gegen das Meer hin gar viele und gewaltige
Riesen und Heunen, die waren aus Britannien gekommen,
von der großen weißen Kreideinsel Albionien,
das nach dem Trojaner Britus seinen spätern Namen
Britannien empfing. Solch ein Riese saß da, wo jetzt
Leiden liegt, der hieß Lem, und bekam einen Sohn,
der hieß auch Lem, und später gründete er eine Stadt,
da wurde er Herr Lem genannt, weil er darinnen als
ein Herr gebot, und die wurde nach ihm genannt, das
ist Harlem. Im Harlemer Walde stand ein Bacchustempel,
und der ganze Wald war diesem Gotte heilig.
Von ihm wird noch ein Kanalgraben bei Harlem
Bakenessergracht genannt, und wo der alte Bacchustempel
stand, steht jetzt die Bakenesserkerk. Des
Riesen Herr Lem Frau hieß Walberech und soll ein
abscheulich großes und starkes Mensch gewesen sein.
Wenn sie von Holland nach England wollte, tat sie
nur einen Schritt. Sie hatte große Pferde und Rinderherden,
die weideten am Ufer der Nordsee, da kam ein
Schiff mit Räubern gefahren, die landeten an und nahmen
das Vieh von der Weide und beluden ihr Schiff
damit, das nicht klein war. Als Walberech kam, nach
ihren Herden zu sehen, waren diese fort, und fern auf
der See schwamm das Schiff, wo die Herden darin
waren. Da trat Walberech in das Wasser, langte hin,
nahm ihre Herde wieder, hing die Ochsen und Kühe
auf die eine Seite, die Pferde auf die andere, und die
Schafe setzte sie auf ihren Kopf, die krochen darauf
herum wie die Schafläuse auf einem Schafkopf. Das
Schiff aber nahm Walberech, hob es hoch und schleuderte
es dann mit Gewalt in das Wasser bis zum
Grunde. Die Räuber fraß Walberech und trank ihr
warmes Blut und ging dann wieder nach Hause.
139. Gangolfs Brunnen
Im Lande Languedoc war ein Graf, Gangolf mit
Namen, der zog gegen die Sarazenen und Vandalen
und kam in Welschland auf ein Blachfeld, wo ein klarer
Brunnen sprang. Dort ließ er sich nieder, und ließ
Gezelte schlagen, und trank mit all seinen Wappnern
aus dem Brunnen, und ließ auch die Tiere tränken. Da
kam des Feldes Eigentümer daher und schalt und
sagte, das sei nicht des Landes Gewohnheit und Sitte,
den Leuten das Gras zu vertreten, und sich ungefragt
niederzulassen, und Menschen und Vieh aus fremden
Brunnen zu tränken. Darauf sprach Gangolf sanftmütig
und freundlich also: Es tut mir leid, mein guter
Herr, daß es geschehen, doch zürnet nicht allzusehr,
wenn es Euch genehm, so kaufe ich Euch den Brunnen
ab. – Das, meinte jener Mann, sei ein Wort, das
sich hören ließe, und lachte in seinem Herzen als ein
Schalk, indem er meinte, den Brunnen möge der
Fremde immerhin kaufen, wenn nur der Platz sein
bliebe, auf dem er quelle. Und heischte des Geldes
nicht allzuviel, und Gangolf zahlte es und hob sich
hinweg mit den Seinen, nachdem er seinen Stab in
den Quell eine Weile gestellt hatte.
Da nun Gangolf wieder in seine Heimat nach der
Grafschaft Burgund kam, stieß er seinen Stab in sei-
nem Hof in den eignen Grund und Boden, da sprang
alsbald ein heller, wasserreicher Quell, und jener
Brunnen, den Gangolf im welschen Lande gekauft,
versiegte auf immerdar.
Diese burgundische Sage würde nicht unter den
deutschen Sagen dieses Buches stehen, wenn sich
nicht von ihr ein auffallender Widerhall, sogar bis auf
den Namen, im östlichen Frankenlande fände.
Am Felsenberge Milseburg im Rhöngebirge
springt der von allem Volke wertgehaltene Gangolfsbrunnen.
Da war ein Heiliger, Gangolf geheißen, der
liebte diesen Berggipfel wegen seiner Einsamkeit und
kam hinab nach Fulda, die uralte Bischofstadt, und
fand bei einem Bürger einen klaren Brunnen, kaufte
den dem Bürger ab, und derselbe meinte wunders, wie
er den frommen Mann überlistet; denn, dachte er, der
Brunnen mag immerhin sein eigen sein, mein bleibt
doch der Platz, wo er quillt. Aber St. Gangolf ließ
sich einen kleinen hölzernen Brunnenkasten machen,
füllte den mit Wasser aus dem Brunnen, trug ihn eigenhändig
auf die Milseburg, stellte dort den Kasten
hin und durchstieß mit seinem Stabe den Boden.
Siehe, da quoll das Wasser fort und fort von unten
herauf in den Kasten, daß dieser überfloß, der Brunnen
des Bürgers drunten in Fulda aber versiegte. Der
Gangolfsbrunnen aber quillt noch unversiegbar fort
bis auf den heutigen Tag, sein Wasser, wohl ver-
stopft, soll sich jahrelang frisch erhalten, auch die
sondere Tugend haben, für Frauen ein Kindleinsbrunnen
werden zu können.
140. Die Isabellenfarbe
Es geschahe, daß die Spanier die Stadt Ostende belagerten,
welches aber die Holländer auf das allerhartnäckigste
verteidigten. Wenn jene auch ein Außenwerk
einnahmen, so warfen die Belagerten alsbald ein
neues Bollwerk auf. Isabella, die Gemahlin des Erzherzogs
Albert von Österreich, eine Infantin von Spanien,
die bei ihrem Gemahl im Lager war und kriegslustigen
Gemütes, tat einen Schwur und sagte: Ich
will nicht eher mein Hemde wechseln, bis daß Ostende
über und von uns genommen ist, und meinte, es
würde eine längste Zeit sein, wenn sie das Hemde
acht Tage ungewechselt auf dem Leibe trüge. Aber so
schnell ging es nicht, die Belagerung dauerte etwas
länger; siebenzigtausend Spanier ließen vor Ostende
das Leben, funfzigtausend Leben kostete die Verteidigung
den Staatengeneralen von Holland. Ostende
wurde darüber fast ein Steinhaufen, und Isabella blieb
ihrem Schwur getreu und trug das Hemde fort und
fort. Als die Belagerung begann (22. Juni 1601), war
die Jahreszahl in den Worten enthalten: OstenDe
nobIs paCeM: zeige uns den Frieden – und als sie
endlich endete, nachdem sie nicht weniger als drei
Jahre, zwei Monate und siebenzehn Tage gewährt, da
konnte man das Jahr in den Worten finden: Osten-
DaM paCIs InItIa: ich will euch zeigen des Friedens
Anfang.
Und da nun endlich die Frau Erzherzogin Isabella
ihr so lange getragenes Hemde auszog, so hatte das
ohne die Löcher, die hineingefallen waren, eine sehr
eigentümliche und unentschiedene Farbe, welche äußerst
in Mode kam und nach der Infantin benamt
wurde. Nie hat die Erfindung irgendeiner Farbe auf
der Welt so viel gekostet als die Isabellenfarbe.
141. Doktor Faust und sein Teufel Jost
Auch das Niederland hat seine eigne Sage vom weitberufenen
Doktor Faust. Selbiger war gar ein gelahrter
Mann und hatte seinen Wohnsitz auf dem Schlosse
Waerdenberg bei Bommel. Alldort laborierte und alchimisierte
er, suchte den Stein der Weisen und konnte
ihn nicht finden. Da dachte der Teufel, mit dem
Doktor sei wohl ein Fang zu tun, trat daher zu ihm
und sprach: Ohne mich wird dir nichts glücken, deine
Köcheleien, und was du braust und destillierst, das
alles taugt den Teufel nicht. Nimm mich zum Diener
an, so sollst du haben, was dein Herz begehrt, sieben
Jahre diene ich dir, und dann dienst du mir. Das war
dem Doktor Faust recht, daß ihm der Teufel dienen
wollte, denn er glaubte nicht an eine Ewigkeit und an
eine Strafe drüben, und verschrieb sich dem Teufel
mit seinem Blut. Und wie er das getan hatte, so war
nichts so schön auf der Welt, was Doktor Faust nicht
begehrt hätte; aus Paris mußten die besten Kleider
kommen, aus Amsterdam die besten Leckereien, aus
Harlem die schönsten und teuersten Tulpen, im Sommer
aß Faust Eis und im Winter süße Trauben, das
alles mußte der Teufel, sein Diener, der sich Jost
nannte, herbeischaffen, denn Faust hatte seine größte
Freude daran, den höllischen Knecht gehörig im
Trabe zu erhalten. Wenn Faust von Waerdenberg
nach Bommel fahren wollte, wozu er nicht länger Zeit
brauchte als nach Konstantinopel, als wohin er auch
zum öftern fuhr, so rief er seinen Teufel: Jost! Schlag
eine Brücke über die Schelde, und brich sie hinter mir
ab! Rasch! – Und in einem Augenblicke war die
Brücke da und auch da gewesen. Die Bommeler Straßen
hatten ein vorsündflutliches Pflaster, gerade wie
manche gute Stadt im lieben Thüringer- und im übrigen
Deutschland, da rief Faustus: Jost, pflastere
rasch, pflastere vor den Pferden her, und hinter dem
Wagen räume ab, ich kann die Bommeler nicht leiden
– sie können auch fernerweit im Drecke baden. –
In einem Keller zu Bommel hatten sie prächtiges
Bier aus Tiel, das schmeckte Faustum, und er bezechte
sich, und danach setzte er sich auf das Faß, wie er
dort zu Leipzig in Auerbachs Keller auch getan, und
Jost mußte das Faß samt Faustum aus dem Keller
schroten, während derselbe reitend daraufsaß, das
haben viele Gäste mit angesehen.
Da Faustus wahrnahm, daß der Teufel ihm nichts
zuliebe tat, sondern alles aus grimmem Haß, so ärgerte
er ihn, ließ ihm keinen Augenblick Ruhe, und wenn
der Teufel gedachte, es wäre genug getan, er wollte
nun auch ruhen und ausschnaufen, da war es weit gefehlt,
da säete sein schlimmer Herr einen Scheffel
Korn unter die Dornhecken, dann mußte Jost alles zu-
sammenlesen, da durfte kein Körnlein mangeln, oder
der Doktor schüttete einen Sack Mehl aus dem Fenster,
und Jost hatte es wieder aufzusammeln, daß ja
kein Stäublein fehle. Darüber wurde der arme Teufel
ganz mager, dünn und spinnebeinig, und er hatte es
dicksatt und sprach endlich zu Faust: Höre, mein werter
Doktor! Bei dir kann es kein Teufel aushalten, für
solche Herrschaft dank' ich schön. Ich habe diese vier
Jahre her mehr geschwitzt und gebraten als meine
ganzen Lebetage in der Hölle. Du heizest einem ja
ärger ein als Beelzebub und machst einem so warm,
uff! Ich schenke dir die vier Jahre und deinen Kontrakt,
gib mich frei, du sollst alles umsonst genossen
haben! Aber Faust sagte: Quod non Diabole! Verträge
muß man halten, bist du meiner müde, bin ich
doch nicht deiner müde! Und so mußte der Teufel Jost
dem Doktor Faust noch drei volle Jahre dienen. Als
diese drei Jahre herum waren, wer war da froher als
der Teufel? Er fuhr so recht wie der Teufel auf das
Schloß Waerdenberg, packte Faustum und zerrte ihn
an den Haaren durch ein engvergittertes Fenster des
Schloßturmes, daß das helle Blut ringsherum spritzte.
Das machte Flecken, die nicht wegzuwaschen sind
und immer noch gezeigt werden.
Seltsam ist's, daß die weitumgehende Sage vom
Teufelsbündner Doktor Faust sich gern an Orte nahe
verwandten Klanges heftet, die deutsche Sage läßt ihn
im Lande Württemberg zu Knittlingen geboren werden,
läßt ihn in Wittenberg lehren, in dessen Nähe
enden, und die deutsch-niederländische Sage versetzt
ihn nach Schloß Waerdenberg. Diesem Zusammenhang
mögen die Forscher der Sage weiter nachsinnen,
ob dies mehr als bloßer Zufall sei.
142. Vom Zauberer Agrippa
Der weit berufene Zauberer Henricus Cornelius
Agrippa wohnte zu Löwen, er führte stets einen
schwarzen Hund mit sich, der ihm auf dem Fuße folgte,
wie dem Doktor Faust sein Hund Prästigiar; mochten
wohl beide von einer Art abstammen, und hieß
des Agrippa Hund Paradrius. Dieser weise Meister
der Magie, Agrippa, hatte stets einen Schüler, dem er
die schwarze Kunst lehrte, und der ihm als Famulus
diente. Nun trug sich mit einem dieser Schüler folgendes
zu. Der Meister mußte verreisen, und der Schüler,
den er damals gerade hatte, war noch zu unerfahren,
als daß der Meister ihn hätte in seine Heimlichkeit
blicken lassen können oder wollen. Er gab daher beim
Abschied den Schlüssel zu seinem Studierzimmer der
Hausfrau und befahl ihr bei Leib und Leben, keinen
Menschen in dasselbe einzulassen. Kaum aber war
der Meister hinweg, so bat der Schüler die Frau, ihn
in des Meisters Zimmer zu lassen, denn er war neugierig
und brauchte allerlei Vorwand, und ob auch anfangs
die Frau widerstand, so gab sie endlich doch
nach und ließ den Schüler ein. Da lag das große Zauberbuch
des Meisters auf seinem Pult an einer Kette,
damit es keiner wegtrage. Neugierig trat der Jüngling
hinzu, schlug das Buch auf und begann darinnen zu
lesen, er wußte aber kaum, daß das, was er las, eine
Beschwörungsformel war. Da klopfte es an die Türe.
Jener überhörte das Klopfen und las weiter. Es klopfte
noch einmal, aber jener hörte wieder nicht, er las
immer weiter. Da sprang die Türe auf, und es trat ein
höllischer Geist ein, fürchterlich anzusehen, und fragte:
Was rufst du mich? Was soll ich dir tun? – Der
Schüler bebte, als die übermächtige Erscheinung vor
ihm stand, er vermochte nicht zu sprechen – das Entsetzen
faßte ihn, er konnte auch den Geist nicht wieder
hinwegbannen, zürnend hob der Geist die Hand,
und der Schüler sank entseelt zu Boden. Das alles
sahe in der Ferne der Zauberer Agrippa in seinem
Erdspiegel und eilte flugs nach Hause zurück, rief
einen dienstbaren Geist und gebot ihm, in die Leiche
zu fahren und aus dem Hause zu wandeln, damit es
nicht heiße, als sei bei ihm sein Schüler umgekommen,
dann aber wieder von dem Körper zu weichen.
Diesem Gebot gehorchte der Geist, und der Schüler
wandelte wieder, wie lebend, durch die Straßen. Aber
an einer Ecke fiel er um, denn der Geist hatte ihn wieder
verlassen, und jedermann konnte nicht anders
glauben, als daß ihn erst an dieser Stelle ein jäher Tod
befallen.
Da es mit Henricus Cornelius Agrippa zum Sterben
kam, verfluchte er seinen Hund und rief: Packe dich
hinweg, du, meiner Verdammnis Schuld und Urhe-
ber! – Und nach dem Tode des Meisters ist der Hund
hinweggekommen, niemand wußte wohin. Einige
sagen, er sei in das Wasser gesprungen und seit der
Zeit nicht mehr gesehen worden, andere sagen, Agrippa
habe den Hund vor seinem Ableben an einen
Freund verschenkt, dem dann der Hund, gleich dem
vorigen Herrn, auf eine Zeit habe dienen müssen. Es
hatte jedoch mit solcher Gabe gar ein nachdenkliches
Aber.
143. Der Hund des Jan von Nivelle
Zu Nivelle geschah es, daß Bouchard V., Herr von
Montmorency, das Kloster von Sankt Gertrud besuchte,
dessen Äbtissin gleichsam als die Herrin der Stadt
angesehen wurde, und dessen Fräulein morgens geistliche,
abends aber weltliche Kleidung trugen, auch,
wenn es ihnen gefiel, das Kloster verlassen und heiraten
konnten. Eines dieser Klosterfräulein gefiel dem
Herr von Montmorency über die Maßen wohl, er liebte
es und ward wieder geliebt, doch konnte er es nicht
ehelichen. Die Frucht dieser Liebe war ein Sohn, der
empfing den Namen Jan von Nivelle, und als derselbe
herangewachsen war, schenkte oder kaufte ihm sein
Vater ein kleines Gut mit einem Schlößchen, und der
junge Herr zog abenteuernd in der Welt umher, erkämpfte
manchen Dank und erwarb am Hofe Gottfrieds
des Beherzten auch die Liebe einer schönen
Dame, die ihm willig zu folgen verhieß, als er ihr antrug,
ihm auf sein Schlößchen bei Nivelle zu folgen.
Er setzte seine Angebetete hinter sich auf das Pferd,
sein treuer Hund lief nebenher, und so ritten sie miteinander
eine gute Strecke und wechselten manch
süßes minnigliches Wort. Siehe, da kam ein stattlicher
und schöner Ritter dem Jan von Nivelle entgegen,
der bot ihm nach abenteuernder Ritter Brauch so-
gleich Kampf an und forderte, daß er mit ihm um die
Dame eine Lanze brechen solle, und wer obsiege, dem
solle sie gehören.
Jan von Nivelle war tapfer genug, um keinem
Abenteuer sich zu entziehen, hier aber sprach er:
Weshalb soll ich kämpfen um das, was schon mein
ist? Die Jungfrau wird wohl wissen, wem sie folgen
will, sie allein mag entscheiden, wem sie gehört, nicht
Schwert und Lanze! – Wohlan, edle Jungfrau, so entscheidet
Ihr! sprach mit höhnischem Blick auf Jan
von Nivelle der fremde Ritter, und siehe, die Jungfrau
sprang vom Roß herab und ließ sich von dem Fremden
auf das seine heben, sei es, daß dieser ihr besser
gefiel, sei es, daß sie bereits im Einverständnis mit
ihm war. Jan von Nivelle verlor über diese Treulosigkeit
kein Wort; er grüßte seinen Gegner nach Rittersitte
und ritt mit seinem Hunde weiter, nachdenkend
über des Weibes Art und Launen. Er war aber noch
gar nicht weit geritten, so kam sein Gegner ihm nachgesprengt,
der die Schöne einstweilen seiner harren
ließ, und rief: Meine Herrin hat gar ein großes Wohlgefallen
an Euerem Hunde, edler Ritter! Wolltet Ihr
mir den lassen ohne Gefährde? Außer dem müßten
wir dennoch einen Gang miteinander tun.
Jan von Nivelle blieb auch bei dieser sehr wenig
bescheidenen Forderung ganz ruhig und erwiderte: Ich
habe die Jungfrau nicht gehalten, nach eigener Wahl
zu handeln, ich halte auch meinen Hund nicht; wen
von uns zweien er erwählt, der nehme ihn hin. – Des
war der Ritter sehr erfreut und lockte den Hund und
bot ihm gute Bissen, aber der bleckte die Zähne gegen
ihn und knurrte ihn grimmig an und wäre ihm vielleicht
gleich in das Gesicht gesprungen, wenn sein
Herr ihn nicht abgerufen. Dieser lenkte jetzt ohne
Gruß sein Roß von dannen, der Hund schoß mit freudigem
Bellen an ihm vorbei, und jener Ritter wandte
sich beschämt zu der Jungfrau zurück, die an Treue
der Hund beschämte. Das ist der Sagenstoff zu Bürgers
Gedicht Das Lied von Treue.
Es hat auch noch einen Jan Nivelle den Zweiten gegeben,
der machte Bekanntschaft mit dem Zauberer
Heinrich Cornelius Agrippa, und da dieser einst durch
Nivelle kam, lud er ihn gastlich auf sein Schloß und
bewirtete und herbergte den berühmten Mann allda
auf das köstlichste, erzählte ihm die vorstehende Geschichte
und wünschte sich auch einen so treuen
Hund. Zum Danke verehrte Agrippa dem Schloßherrn
einen schwarzen Hund – den haben viele für einen
schlimmen Geist gehalten, und der Hund hatte einen
ganz geheimnisvollen Namen, und niemand kannte
ihn als sein Herr, Jan von Nivelle, allein. Diesen
Hund mochte rufen und anlocken, wer da wollte, er
hörte auf niemand als auf seinen Herrn. Dieser Jan
von Nivelle-Montmorency soll der Großvater des
Grafen Horn gewesen sein, der mit Egmont in Brüssel
zugleich enthauptet wurde. Seine Mutter war Gudula
Vilain von Gent.
144. St. Johannisäpfel
Es war ein heiliger Bischof von Tongern, zubenannt
das Lamm, der war vorher ein Ackersmann gewesen,
der seiner Pflicht lebte und fromme Werke übte. Eines
Tages zog Johann seine Furchen auf dem Acker, da
stand ein Mann in Pilgertracht vor ihm, von überirdischem
Ansehen, und sprach: Gott grüße dich, Bischof
von Tongern!
Wen grüßet Ihr also? fragte Johann, indem er sich
rings umsah. Dich! antwortete der Pilger, den der
Herr ob deiner Frömmigkeit erkor zum heiligen
Amte. – Solches glaube ich nimmermehr! Hebe dich
weg, Versucher! rief Johann aus, so wahr das trockne
Holz deines Stabes grünet und Früchte trägt, so wahr
werde ich Bischof von Tongern. – Schaue und glaube
dann! rief der Pilgrim, stieß seinen Stab in den frischgepflügten
Ackerboden, und alsbald bedeckte sich
derselbe mit junger Rinde, trieb Sprossen und Zweige,
die setzten Blüten an, und die Blüten wurden
schöne Äpfel.
Alles ging in Erfüllung, der Baum blieb stehen,
und seine lieblichen Äpfel wurden durch Schößlinge
weit im Lande verbreitet und heißen St. Johannisäpfel
bis auf den heutigen Tag. Noch weiter verbreitet sind
die Sagen von grünenden Stäben, die meist zu Wun-
derbäumen erwuchsen, wie in Thüringen jener Wunderbaum
zu Varila, den Bonifazius aufpflanzte, des
Papstes Urban Stab in der Sage vom Ritter Tannhäuser
und manche andere mehr.
145. So viel Kinder als Tage im Jahre
Eine Stunde von Gravenhage liegt ein Dorf, das heißt
Losduinen (sprich Losdeunen), da hat ehemals ein
Kloster gestanden; die Sage geht alldort, daß dieses
Kloster wegen ruchlosen Lebens seiner Bewohner in
einer Nacht versunken sei, und daß an einer gewissen
Stelle, die aber nicht jeder findet, ein Sausen und
Brausen in der Tiefe gehört werden könne. Nur die
Kirche blieb erhalten, sie liegt außerhalb des Dorfes,
östlich, und es werden in derselben zwei kupferne
Taufbecken gezeigt, an die sich folgende Geschichtssage
anknüpft.
Graf Floris IV. von Holland hatte von seiner Gemahlin
Mechthild eine Tochter, des Namens Margaretha,
und vermählte diese mit Hermann I. Grafen von
Henneberg, den die Alten als einen freudigen und
mannhaften Helden priesen. Margaretha gebar ihrem
Gemahl einen Sohn, Poppo, und eine Tochter, Jutta,
welche letztere sich noch bei der Mutter Leben, mit
dem Markgrafen Otto dem Langen zu Brandenburg,
vermählte. Auch die Mutter hatte sehr jung geheiratet
und reiste in ihrem zweiundvierzigsten Jahre nach
dem Haag, ihrem Heimatlande. Da habe nun diese
Gräfin ein armes Frauchen erblickt, das auf jedem
Arm ein Kindlein trug und sie anbettelte, und die Kin-
der wären Zwillinge gewesen. Habe die Gräfin gezweifelt,
daß eine Frau von einem Manne mehr denn
ein Kind auf einmal empfangen könne, der Armen die
Gabe geweigert, ja sie verhöhnt und geschmäht. Darüber
ward die arme Frau kläglich weinend, hob ihre
Augen gen Himmel und rief: O Herr und Gott, der du
bist aller Dinge im Himmel und auf Erden mächtig,
ich bitte dich demütiglich, daß du wollest dieser Gräfin
so viele Kinder auf einmal in ihren Schoß bescheren,
als Tage im Jahre sind. Und sei weinend hinweggegangen.
Und am selben Tage fühlte die Gräfin sich gesegneten
Leibes und nahm von Stund an zu und wurde so
stark und so schwer, daß kein Mensch alle sein Lebtage
dergleichen gesehen hatte. Nun hatte ihr Vater
ein Haus in Losduinen, da blieb sie wohnen, denn sie
vermochte nicht nach ihrer neuen Heimat in das Land
Henneberg zu reisen, und am Charfreitag, als man
schrieb eintausendzweihundertundsechsundsiebenzig,
da gebar sie dreihundertundfünfundsechzig Kinder,
Knäblein und Mägdlein durcheinander, alle ganz ausgebildet
an allen Gliedern. Die taufte am andern Tage
der Bischof Otto von Utrecht, ein Ohm der Frau, in
den zwei Becken (nicht in einem, wie viele sagten und
schrieben), die noch heute in Losduinen zu sehen
sind, und nannte die Knäblein Johannes und die
Mägdlein Elisabeth. Sie starben aber alle bald darauf
an ihrem Tauftage, am Vorabend des heiligen Osterfestes,
und die Mutter desgleichen, und wurden miteinander
in der Klosterkirche begraben. Hernachmals ist
diese Geschichte in mancherlei Denkversen in deutscher,
lateinischer und holländischer Sprache auf eine
Holztafel innerhalb der Kirche zu Losduinen verewigt
worden, welche vormals links neben der Kanzel hing,
ein Grabstein aber, dessen in vielen Schriften gedacht
wird, welche diese Sage mitteilen, ist allda nicht vorhanden.
Zum Andenken an jene Wundergeburt wurde
an das Ufer der Maas eine Burg gebaut, welche so
viele Fenster zählte, als das Jahr Tage hat, und es
steht auch noch am Eingange des Dorfes Losduinen,
wenn man vom Haag herkommt, fast vereinzelt ein
großes Haus, das trägt über der Türe die Inschrift: IN
DEN HENNENBERG. – Den beiden Taufbecken legt
das Volk eine wunderbare Kraft noch heute bei und
hält sie in hohen Ehren. Unfruchtbare Frauen werfen
stillschweigend nach und nach eine Handvoll Sand an
die Becken, damit entlocken sie der Mutter Natur den
erwünschten Segen. –
Zu Delft in der schönen Hippolytikirche ist auf
einer Tafel diese Geschichte geschildert, und in der
Abtei zu Egmont soll ein Grabmal der Gräfin Margaretha
befindlich sein.
146. Der ewige Jäger
Die alten Grafen von Flandern hatten ein Schloß, des
Namens Wynendael, in dessen Nähe wohnte ein frommer
Bauersmann, der hatte nur einen einzigen Sohn,
aber der war nicht fromm und fleißig wie sein alter
Vater, sondern mit Leib und Seele der Jagd ergeben,
so daß er gar wenig daheim blieb oder seines Ackers
wartete, sondern immer nur in den Wäldern herumstreifte,
und da half kein Bitten und kein Drohen bei
dem schlimmen Buben. Nun kam der Alte zum Sterben
und fühlte sein nahes Ende und wollte vom Sohne
Abschied nehmen und ihm noch eine Ermahnung zurücklassen,
ließ daher denselben bitten, zu ihm zu
kommen, aber der Sohn blieb draußen, obgleich er
des Vaters nach ihm verlangende Worte vernahm,
nahm sein Jagdgewehr, pfiff seinen Hunden und ging
hinweg in den Wald. Darüber ergrimmte der sterbende
Alte und hob die Hände empor in Verzweiflung
und verfluchte den Sohn mit den Worten: So jage,
jage, jage in alle Ewigkeit – in alle Ewigkeit – und
sank zurück und war tot. Und seit dem Tage kam der
Verfluchte nie mehr nach Hause, in den Wäldern
hörte man ihn schreien: Jakko! Jakko! Jakko!, als
Raubvogel hörte man ihn kreischen, als Hund bellen,
und so muß er es forttreiben bis zum Jüngsten Tage,
wo nicht noch länger. Erst als um Wynendael allmählich
die Wälder ausgerottet wurden, verlor sich aus
dortiger Gegend der Spuk des ewigen Jägers und zog
sich höher hinauf, wo es noch Wälder gab.
147. Tückebold Kludde
In ganz Flandern und Brabant glaubt das Volk an das
Dasein eines bösen Geistes und nennt ihn Kludde,
aber auch Kleure. Er spukt überall und in allen Gestalten,
häufig zeigt er sich dem Mahr verwandt, erscheint
als altes mageres Pferd mit durchscheinenden
Rippen und struppiger Mähne, mischt sich unter die
des Nachts im Freien weidenden Rosse, und wenn
einer der Hüter meint, er besteige einen der besten
Hengste, um einen Ritt zu machen, so ist's der Geist
Kludde in Pferdegestalt, der mit ihm wild davonrennt,
als jage ihn der helle Teufel, bis er an ein Wasser
kommt, wo er den verzagenden Reiter hineinwirft.
Dann fängt der Geist Kludde an zu lachen, daß sich
entsetzt, wer dies Gelächter hört, und legt sich auf den
Bauch und wälzt sich vor Lachen, während sein Reiter
aus dem Wasser- oder Schlammbade sich angstvoll
herausarbeitet.
Manchesmal flackern vor dem Kludde zwei blaue
Flämmchen her, die nennen die Bauern und die Pferdeknechte
Stalllichter und halten dafür, daß die
Flämmchen des Geistes Augen seien. Kludde kann
sich zum Baum machen, klein wie ein Schlehenstrauch
und bis hoch in die Wolken wachsen; Kludde
kann dich als Schlange umringeln und als Hornisse
umsumsen, er schreckt dich als Fledermaus oder als
Kröte, er kann Katze sein und Maus, Frosch und
Ochse. Man hört ihn auch rufen, und sein Ruf lautet
Kludde! Kludde! So ruft er seinen Namen, wie der
Vogel Kuckuck, der verrufene Gauch. Er neckt und
plagt zu Lande wie zu Wasser; am Seegestade ist er
Neck, auf dem platten Lande Schreck, ein greulicher
Spuk, selbst Werwolf. Geist Kludde soll der Geist
eines Mannes sein, der mit dem Teufel ein Bündnis
hatte, und zu ruhelosem Wandeln auf Erden und Plagen
der Menschen verurteilt sein.
Einstens ging ein Mädchen mit ihrem Geliebten
und einem Freunde desselben über Land, und waren
in guten Gesprächen, da rief der Liebhaber mit einem
Male: Schaut dorthin! Was sehe ich dort? – Die andern
sahen nichts. – Was siehst du denn? – Kludde
ist's! Jetzt springt er als Hund! Seht, er streckt sich –
jetzt ist er ein Schaf – jetzt eine Katze – nein – da ist
er ein Baum geworden. – Die andern konnten nichts
von alledem erblicken. – Sag's, wenn du ihn wieder
siehst! rief der Begleiter, ich will auf ihn zugehen. –
Da läuft er ja vor uns her! – Jener sah nichts, und sie
wandten sich, nach Hause zu gehen.
Vor dem Hause lag eine Steinplatte etwas lose,
unter die man den Hausschlüssel zu legen pflegte.
Und da rief der Liebhaber wieder: Seht! Seht ihr ihn
nicht? Er sitzt ja auf der Platte, da kann ich nicht zum
Schlüssel! Komm, Mieken, wir wollen dich erst nach
Hause geleiten, du ängstigst dich. – Als die Freunde
wiederkamen, sah der Liebhaber immer noch den
Geist auf der Platte hocken, und der andere sah nichts.
Dieser ging nun stracks auf die Platte zu und nahm
ungehindert den Schlüssel, der Geist sprang hinweg.
Ungehindert kam der Liebhaber in sein Haus und
schloß es schnell. Der Begleiter bekam Kludde nicht
ein einziges Mal zu Gesicht.
148. Die Tückebolde Lodder und lange Wapper
Ein dem Kludde verwandter Geist spukt in der Gegend
um Brüssel umher, ganz in ähnlicher Weise.
Schnitter, die abends ihre Kleider abgelegt hatten und
ruhten, hörten von fernher kommend ein Gerassel, wie
von Ketten, das näherte sich bis an den Ort, wo ihre
Kleider lagen, die aber lagen ganz ruhig. Ein Gewitter
zog heran, die Schnitter zogen ihre Kleider an und
wollten heimgehen, da rasselte und prasselte es ganz
in der Nähe, und plötzlich schrie einer der Schnitter:
Lodder! Lodder! Schlagt zu! Schlagt zu! Ich sitze
drauf. – Und da ritt er schreiend fort, und keiner sah,
auf was er ritt, und alle lachten, denn der Geist Lodder
war unsichtbar und rannte fort mit der erfaßten
Last des Schnitters und warf ihn bei einem Weiher in
das Gras und plumpste ins Wasser, und mußte jener
froh sein, daß nicht er in das Wasser geworfen worden.
Einem Zechgesellen begegnete es, daß er, als er
abends ziemlich spät nach Hause kam, an der Erde
etwas ticken und tacken hörte. Neugierig lauschend
bog er sich nieder, ticketack, ticketack ging es fort
und fort. Er griff hin, und siehe, unter einem Stein lag
eine gehende Uhr. Er nahm sie und steckte sie ein,
und in seiner Kammer zog er sie hervor, sie im Mond-
schein recht augenscheinlich zu betrachten, da zeigte
ihr Zeiger auf Zwölf, und auf der Kirchenuhr schlug
es Zwölf, die Uhr ging also genau, aber sie wurde mit
einmal so kalt, eiskalt, und feucht, und so schwer, und
wie der Gesell recht hinsah, hielt er eine dikkaufgeschwollene
Kröte in der Hand. Schaudernd
warf er das Ungetüm zur Erde, und in dem Augenblick
hatte er einen großen Hund bei sich in der Kammer,
der hatte ein paar Augen wie zwei Schiffslaternen,
und der Gesell fiel vor Schreck auf sein Bett, der
Hund aber sprang zum Fenster hinaus und schlug ein
Höllengelächter auf. So hat der Tückebold Lodder gar
viele geäfft und mit seinem nächtlichen Erscheinen,
teils mit seiner Stimme und seinem Gelächter, manche
zum Tode erschrecken gemacht.
Ein anderer Tückebold ist der lange Wapper, der
spukte vornehmlich zu Antwerpen und gehörte zu
demselben Gelichter; er verschmähte es nicht, selbst
unschuldige Kinder zu betören. Er spielte mit ihnen
um Schüsser und Knickers, ließ sie gewinnen, und
wenn sie meinten, die Tasche recht voll gewonnene
Küglein zu haben, und wollten sie zeigen, dann waren
es Schaflorbeeren. Wenn er mit den Jungen das Diebspiel
spielte, kartete er es so ab, daß er den Henker
machte, und dann henkte er die armen Buben wirklich,
und wenn sie sich zu Tode zappelten und die andern
alle davonliefen, so schlug er ein unmenschliches
Gelächter auf. Ein Büttnergesell trat bei einem Meister
ein, schien ein anstelliger Bursche. Da der Meister
ein Faß pichen wollte, hieß er den Gesellen das
Pech einwerfen und Hobelspäne im Faß anzünden;
der Gesell tat's, steckte aber mit dem brennenden Faß
das ganze Haus in Brand, und als der Meister ihn wütend
verfolgte, sprang der Gesell ins Wasser und puttelte
darin herum und lachte wie ein rechter Kobold.
Mit Mühe wurde der Meister Meister des Feuers.
Ein Brauer hatte auch einen neuen Gesellen gedingt;
der war gar kräftig und fleißig; am Abend rollte
er eine schwere Tonne voll Bier mit einem Nebengesellen
von ihrer Stelle, stellte dem Nebengesellen
flink ein Bein, daß er fiel und unter die Tonne kam,
die drückte ihn breit wie eine Oblate, und der neue
Gesell lachte, daß die Gewölbe erbebten. Als die andern
Braugesellen darüber sich erzürnten und ihn prügeln
wollten, rannte er dicht vor ihnen her, und
plumps, lag er im Braubottich, und plumps, purzelten
drei, viere, die ihm dicht auf den Fersen waren, auch
hinein und verbrühten sich elendiglich. Der lange
Wappers aber schaute plötzlich aus einer Trebernbütte
heraus und lachte, daß alle hohlen Fässer dröhnten.
Eines Tages kam ein Mann zu Antwerpen die
Straße entlang, der schrie: Kauft Muscheln, kauft Muscheln!
Vor einer Türe saßen vier Frauen, die riefen
den Mann an und hatten Lust, Muscheln zu kaufen.
Er öffnete eine zur Probe, die war aber faul, er öffnete
eine andere, die war desto besser. Die eine der Frauen
führte sie zum Mund und wollte schmecken, ob sie
gut sei. Da krabbelte es ihr im Munde, und sie spie
das Eingenommene aus, da war es eine große, ganz
schwarze, haarige Spinne. Die Frau brach vor Ekel
alles aus dem Leibe heraus, der Tückebold lachte und
verschwand samt seinen Muscheln.
Zahllos sind die Sagen, die vom langen Wapper im
Volke zu Antwerpen umgehen, es war nicht gut, ihn
zu nennen, es ging mit ihm wie mit dem Weiberwetzstein
zu Wendhausen in Franken, den keiner loben
und keiner schelten durfte, und wer seinen Namen
nannte, tat mehr übel als klug. Häufig hielt dieser
Geist sich unter einer Brücke auf, sie heißt heute noch
die Wapperbrücke, machte sich klein wie ein Schulbube,
nahm der Abwesenden Gestalt an, absonderlich
gegen die Dämmerung, wenn die Knaben spielten,
und spielte ihnen selbst allerlei Schabernack. Der
lange Wapper konnte sich so hoch und lang strecken,
daß er bequemlich den Leuten in den höchsten Häusern
in die obersten Stockwerke hineinsehen konnte.
Da rief er denn denen, die er drinnen erblickte, und
nicht immer in allertugendsamster Hantierung, manches
erschreckende Wort zu. An vollen Tafeln saß er
als Gast und zechte mit; ehe man es sich versah, besonders
aber wenn der Teller umging, um die Zeche
zu zahlen oder eine Auflage für Arme zu machen, hörten
die andern sein Gelächter, er selbst war verschwunden.
Gern weilte er bei Spielgesellen, spielte
mit, verlor die größten Summen, dann hatte er nichts
zu zahlen, begann Streit, lockte die Mitspieler vor die
Türe, hetzte sie aneinander, daß sie zu den Messern
griffen, und wollte sich totlachen, wenn ihrer einer
oder etliche auf dem Platze blieben.
Nur eifriges Gebet konnte und kann der lange
Wapper nicht vertragen, das ist nicht seine Farbe.
Damit war er leichtlich abzutreiben; so auch waren
ihm Christus- und Marienbilder sehr zuwider. Als die
Leute zu Antwerpen solches merkten, stellten sie
deren Bilder an allen Straßenecken und schier in allen
Straßen auf, da gab der lange Wapper der Stadt Antwerpen
Valet und machte sich nach der See zu und
hat seinen Spuk mit Fischern, Schiffleuten und Matrosen.
149. Der Geist Osschaert
Ganz Holland ist voll Spukgeister, Kobolde und Tükkebolde;
die stillen Flächen, die weiten Ebenen, die
tiefen Gewässer – das flüsternde Röhricht, das murmelnde
Wellenrauschen – aus allen brechen und sprechen
die Stimmen der Natur geheimnisvoll, und des
Volkes eigner Sinn gibt sich dem geisterhaften Geheimnis
gern gefangen.
Im Wanslande geht ein Geist um, der Osschaert
heißt, der treibt viel mannigfaltigen Spuk, guten und
schlimmen, recht nach Koboldnatur. Er teilt alle Eigenschaften
des Kludde, des Lodder und des langen
Wapper, macht sich groß, macht sich klein, macht
sich sichtbar, macht sich unsichtbar, wandelt in Tiere
sich um, wirft Trunkenbolde zur Abkühlung ihrer
Saufhitze in manch ein kaltes Bad, äfft als Esel die
menschlichen Esel, legt sich den Bezechten auf den
Rücken, daß sie ihn huckepack tragen müssen, wie
die Vollzapfen im thüringischen Städtchen Ruhla
ihren Bieresel, so daß sie, wenn sie es schon satt
haben, es noch satter kriegen, und dabei lacht er auch
so herzlich, so laut und so wunderschön, wie nur
immer ein Esel lachen kann; noch lieber aber kommt
er vom Esel aufs Pferd als vom Pferd auf den Esel,
wie so viele Gute zu kommen pflegen. Des Osschaerts
Natur ist echt holländisch-amphibisch, er ist, gleich
seinen gespenstischen Kumpanen, die oben genannt
wurden, zu Land und zu Wasser heimisch; er handhabt
Wasser und Land ganz nach seinem Belieben.
Eines Tages ging ein alter Gärtner vom Dorfe zur
nahen Stadt. Es war noch früh am Tage, aber dunkel,
denn es war Winterzeit. Da sah er ein greulich Ding
auf sich loskommen und simulierte aus, das möge
wohl gar der Osschaert sein, wich ihm aus – sprang
etwas hastig neben den Weg auf eine Wiese. Das
Ding sah ihm nach und verschwand. Wie der Gärtner
von der Wiese wieder auf die Heerstraße lenken wollte,
fand er sich abgeschnitten und zwischen lauter
Wassergräben, die in Holland das Allerhäufigste sind,
was dort zu finden. Nun hatte aber der gute Mann
Eile und war ihm gar nicht einerlei, daß er zwischen
den Kanälen von einem zum andern irrte und doch
über keinen hinwegkommen konnte, denn sie waren
alle zu breit, und wie tief sie waren, das konnte man
so eigentlich nicht wissen, gerade wie jener gute
Schulrat bei einer Schulmeisteramtskandidatenprüfung
sagte, als er die Frage nach der Höhe des Berges
Sinai zur Beantwortung aufstellte und neben denen,
die sie nicht beantworten konnten, er sie selbst auch
nicht beantworten konnte: Man kann es so eigentlich
nicht wissen. Da wurde dem alten Gärtner das Ding
zu bunt, und er tat den Mund auf und tat einen Fluch,
daß der Schnee sich erschrak, der auf den Baumästen
lag, und herunterfiel. Da plumpste ihm aber gleich
eine schwere Last auf den Rücken und spornte ihn,
wie ein Reiter sein Roß, nach dem breitesten der Gräben
hin und trieb ihn hinein, nolens volens, da half
kein Zittern vor dem Froste. Und siehe als der Mann
in den breiten Graben trabte, da machte er keinen
Schuh naß, denn der Graben war gar kein Graben,
sondern die salztrockne Heerstraße, aber seinen
Aufhuck, o den behielt er und mußt' ihn noch eine
gute Viertelstunde tragen und Lastgaul, wo nicht -esel
sein, bis ihm eine Bäuerin begegnete, die eine Kiepe
(Tragkorb) von Weidengeflecht trug, da hopste der
Osschaert hinein, und jenem ward es leicht, der Frau
aber schwer; sie wußte gar nicht, was sie auf einmal
so Schweres trug, und stand und nahm den Korb ab
und giekte hinein. Da flog ihr eine Fledermaus ins
Gesicht aus dem Korbe, und sie tat einen Schrei, und
die Fledermaus wurde so groß wie ein Mondkalb und
lachte, daß es durch Mark und Bein drang.
150. Die Mahr
Was in andern deutschen Landen der Alp heißt oder
die Trud, die grausen Nachtspuke, die die Menschen
quälen, das ist in Holland und den Niederlanden die
Mahr. Aber die Sagen von ihr sind häufiger und viel
fürchterlicher als im innern Deutschland. Die Mahr ist
nicht eigentlich ein Gespenst, sie ist eine dämonische
Qual, von Menschen gegen Menschen verübt. Wer
eine Mahr ist, deren Seele zieht aus, andere zu peinigen,
zu reiten, wie der richtige Volksausdruck ist, und
es ist das Sprüchwort: Reitet dich die Mahr! nicht viel
anders zu verstehen als das: Reitet dich der Teufel!
Absonderlich üben böse Hexenweiber das teuflische
Mahrreiten. Zu Harlem ist's in einem reichen Hause
geschehen, daß ein Mädchen unversehens in der
Schlafkammer eines Knaben nackt am Boden liegend
gefunden ward, neben ihr ein Besenstock, und das
Mädchen schrie und jammerte. Als es gefragt wurde,
bekannte es: Ich wachte in der Nacht, sah, wie meine
Mutter aufstand, sich auszog, mit einer Salbe sich
strich, einen Stock nahm und darauf zum Fenster hinausritt.
Da stieg ich auch auf, holte auch einen
Besenstock, strich mich auch mit der Salbe, fuhr auch
aus dem Fenster, da kam ich über dieses Haus, ward
hier hereingeführt, da lag meine Mutter auf des Kna-
ben Brust gleich einer Mahr. Ich schrie laut vor
Schreck: Jesus Maria!, da fuhr alsbald meine Mutter
auf und mit geballten Fäusten an mir vorbei durchs
Fenster fort.
Als das Mädchen solches erzählt, wurde die Hexe
verhaftet und gestand, daß sie in jeder Nacht da oder
dort die Leute als Mahr gequält, und wurde verbrannt
zur gerechten Strafe.
Bei Vilforde fanden Schnitter ein Weibsbild liegen,
die lag wie tot, doch war sie nicht kalt wie eine Tote,
aber sie atmete auch nicht wie eine Schlafende. Ein
Hirte, den die Schnitter herbeiriefen, sprach: Das ist
eine Mahr, die ist ausgezogen, einen andern zu quälen.
Die Schnitter wollten's gar nicht glauben, aber
der Hirte sagte: Harret nur, ihr sollt Wunder sehen!
Und neigte sich zu der Liegenden und flüsterte ihr ein
paar Worte ins Ohr, da kam ein klein Tierchen, fingerslang,
weither gelaufen, blitzgeschwind, das kroch
der Frau in den Mund. Der gab nun der Hirte einen
Schub, daß sie um und um kollerte, da wachte sie auf,
schaute starr sich um und flüchtete rasch davon.
Einen jungen Menschen quälte jede Nacht die
Mahr, er liebte ein Mädchen, das ein Kamerad von
ihm auch liebte, ohne daß er's wußte, und klagte diesem
seine Qual. Da sprach der Kamerad: Folge mir
und tue das: halte gegen deine Brust ein wohlgespitztes
Messer mit der Spitze, wenn du dich zu Bette ge-
legt hast, aber schlafe nicht ein. Das war ein Teufelsrat,
denn der andere rechnete, wenn die Mahr auf
jenen falle, solle sie ihm das Messer in die Brust stoßen,
damit er des Nebenbuhlers ledig würde. Jener
aber befolgte den Rat, nur verkehrt, denn er hatte das
Richtige vergessen und hielt die Spitze und Schneide
des Messers über sich; wie die Mahr auf ihn fiel,
stach sie sich durch und durch und kam nimmermehr
wieder.
Selbst Pferde wurden von der Mahr geritten, wie
denn das Wort Mahr selbst so viel ist als Pferd,
wovon in deutscher Sprache noch die Worte Marstall
und Mähre üblich sind, daher auch bei der bösen Trudentat
der Begriff von reiten und geritten werden. Die
Mahr ist aber selbst bisweilen Vampir, und ebenso
vertauscht sie Kinder gegen Wechselbälge. Wer den
Kindern abends ein Kreuz über Wickel und Wiege
macht, hat nichts von der Mahr für sie zu fürchten.
151. Die Klabautermännchen
Was im höhern Norden die Trollen, in Deutschland
die Hinzchen, Heinzemännchen, Hütchen sind –
Zwerge, zwerghafte Erdgeister, das sind in Holland
und Niederland die Klabautermännchen, Kaboteroder
Kaboutermannekens; sie wohnen in Höhlen, sind
oft hülfreich den Menschen, gutartig, dankbar. Beim
Dorfe Gelrode liegt ein Kabouterberg, darinnen
wohnten die Mannekens nahe einer Mühle, die schärften
dem Müller seine Mühlsteine und wuschen sein
Linnen, wenn er ihnen nur ein Butterbrot und ein Glas
Bier zur Nacht hinstellte. Ein anderer Müller im
Kempnerlande fand, wenn er zufällig etwas von seinem
Butterbrote liegen ließ, des Morgens lange Zeit
alle Arbeit in der Mühle getan, die er für den andern
Morgen vorbereitet; er wußte, daß in der Nähe Klabautermännchen
hausten, steckte sich hinter die Säcke
und sah richtig in der Nacht ein solches Männchen
alles tun, mit ungeheurer Kraft und Schnelligkeit,
aber dabei verzehrte es das Restchen Butterbrot. Das
Manneken war ganz nackt, das tat dem Müller leid, er
bestellte ihm beim Schneider ein Kleidchen nach ohngefährem
Maß und legte es ihm hin und ein großes
Butterbrot daneben. Dann verbarg sich der Müller,
das Klabautermännchen kam, tat einen Freuden-
sprung, aß schnell das große Butterbrot, zog die
Kleidchen an, verschwand und kam nimmermehr wieder.
Nun wußte aber der Müller, daß die Klabautermännchen
jeden Abend über einen Steg am Mühlbach
schritten, und da lauerte er ihnen auf. Als sie kamen,
waren alle nackt, und er ließ sie vorüber, bis das letzte
kam, welches der Müller gekleidet hatte. Nach diesem
langte er und rief: Hab ich dich? – da schrie es:
Hülfe! Hülfe! aus dem Mühlbach, mit der Stimme
von des Müllers Frau; der Mann erschrak, sah sich
um, glitt aus vom Stege und plumpste selbst hinunter
in das Wasser. Die Klabautermännchen aber schwanden
hinweg und kamen niemals wieder. Ein anderer
Kaboutermannekensberg liegt zwischen Turnhout und
Casterle; die darin wohnten, waren aber böse von
Natur, anderwärts gibt es hingegen viele gute, und
wer sich gut mit diesen Manneken versteht, dem dienen
sie gern und oft, häufig aber üben sie auch Tücke,
besonders gegen solche, die ihnen abhold sind. Sie
verderben die Butter, saugen die Kühe aus, treiben
mannigfachen Spuk und Schabernack. Sie werden
auch Rotmützchen und Klabbers genannt.
Ein Bauer hatte ein gar hülfreiches Rotmützchen
im Hause, das butterte ihm, leistete ihm allerlei
Dienst, half ihn allmählich reich machen. Der Bauer
kaufte Kühe, baute das Haus neu, und das Männchen
tat mehr als drei starke Knechte, es pflügte auch und
bestellte den Acker in aller Weise. Einmal hatte es der
Bauer zu sehen bekommen, es trug sich ganz rot,
hatte ein grünliches Gesicht und grüne Hände. Des
guten Rotmützchens hülfreicher Fleiß verdarb jedoch
den Bauer, er tat selbst gar nichts mehr, gewöhnte
sich an das Wirtshausleben, an Trunk und Spiel. Rotmützchen
warnte ihn, aber sein Warnen fruchtete
nicht, ja eines Abends, als er spät und trunken nach
Hause kam, schimpfte und schalt er den Hülfsgeist.
Das Klabautermännchen verschwand. Am andern
Tage lag die Frau des Bauern krank, das Vieh fiel in
den Ställen, in den Strümpfen, die der Bauer nach und
nach mit harten Talern gefüllt und wohl verborgen
hatte, staken Kohlen und faule Kartoffelscheiben, die
Felder hatte ein Hagel zusammengeschlagen und
furchtbar verwüstet, das Haus hing auf eine Seite und
drohte den Einsturz. Der Bauer ging in sich, bereuete,
gelobte Besserung – das war alles vergebens. Hohnlachen
erscholl um das Haus herum, das mehr und mehr
verfiel. Der Bauer starb in Armut und Elend.
Ein armer Bauernbursche liebte heftig ein reiches
Mädchen und sie auch ihn, aber der Vater sagte nein.
Wer nicht tausend blanke Gülden besitzt und aufzählt,
die sein eigen sind, wird nicht mein Schwiegersohn,
sagte er. Der arme Bursche schlich traurig heim,
mochte seine Barschaft gar nicht zählen, er hatte nicht
hundert Batzen, geschweige tausend Gulden. Ging
hinaus zu Feld und Busch und dachte: Was liegt am
Leben, wenn es nicht Liebe krönt? Willst's abwerfen.
Siehe, da stand ein Klabautermännchen vor ihm, wie
hergeschneit oder aus dem Boden herausgewachsen,
und fragte ihn: Was fehlt dir? – Da klagte ihm der
Bursche sein Leid. Wenn's weiter nichts ist, sagte der
Klabautermann, zähle doch nur erst einmal dein
Geld. – Ich hab's gezählt, es langt nimmer. – Hast nur
nicht recht gezählt, geh, zähl noch einmal, es muß
treffen! – Der Bursche ging, halb ungläubig, halb hoffend;
er zog seine kleine Habe hervor und begann zu
zählen und zählte und zählte und zählte immerfort, bis
tausend Gülden voll waren, und da war's alle, nicht
einer darunter, nicht einer darüber. Welch ein Glück!
Er rannte wieder ins Feld hinaus, er wollte danken, er
rief: Kaboutermänneken! Kaboutermänneken! – Ja
guten Morgen, da war kein Kaboutermänneken weder
zu hören, noch zu sehen. Nun lief er heim, hob und
schleppte seinen Schatz zum reichen Bauer hin, zählt'
ihm die blanken Gülden vor, bekam des Mädchens
Hand und des Alten Segen und wurde ein glücklicher
Mann.
Im Kasteelberg bei Beveren im Hennegau wohnten
auch Kaboutermannekens. Die wuschen den Leuten
die Wäsche gegen Empfang von etwas Butter, Eiern,
Milch, Mehl und wenigem Geld, bleichten sie auch
im Mondenscheine ganz blütenweiß und hielten oft,
derweil die Wäsche bleichte, in den Waschkufen
einen Ball. Hernachmals sind die Männchen fortgezogen,
man weiß nicht warum und wohin. Nur ein ganz
altes blieb zurück. Das sehen bisweilen die Leute droben
auf dem Berge sitzen, es hat einen eisgrauen Bart,
der langt bis auf die Füße nieder, es sitzt und sinnt
und schmökt seine Pipe und macht mit den Daumen
die Mühle, ganz wie ein echter alter Holländer.
152. Nix Flerus
Nixen wohnen in Holland allenthalben, sie heißen
dort Neck, in der Mehrzahl Necker, und führen auch
zum öftern noch besondere Namen. Zu Lessinghe bei
Ostende, am Canal de Furnes, war ein Bauernhof,
darinnen hauste ein Nix, des Namens Flerus, als hülfreicher
Hausgeist, welcher gleich Kludde und Lodder
die Macht hatte, sich in jede Gestalt zu verwandeln.
War ein Pferd krank und konnte seinen Dienst nicht
tun, und man rief Flerus, so kam Flerus als Pferd und
arbeitete für drei Pferde. Den Mägden erleichterte er
ihre Arbeit auf alle Weise und verlangte nichts für
alle Dienste, als daß ihm abends ein wenig Milch und
Zucker hingestellt wurde. Dieser gute und willige
Hülfsgeist wurde durch den einfältigen Vorwitz von
ein paar jungen leichtfertigen Dienstmägden auf
immer von dem Hause getrieben. Sie gedachten den
Neck zu necken, es bekam aber schlecht. Eines
Abends riefen sie: Flerus! Flerus kam, da schoben sie
ihm seine Milch hin, hatten aber statt Zuckers Knoblauch
in dieselbe getan. Da schüttelte sich Flerus,
warf ihnen die Schale nach dem Kopf und rief zornige
Worte:
Milch und Lauch!
Flerus zieht weg,
Und das Glück auch!
und verschwand. Nie sah und hörte man ihn wieder
auf jenem Hofe, und von Stund an ging dort alles den
Krebsgang, bis andere Besitzer den Hof bekamen, der
noch bis heute der Flerushof heißt.
Nicht alle Necker sind so gut wie Flerus, sie ziehen
gern Menschen in das Wasser, mischen sich in Tänze
der Uferbewohner und tanzen die Jungfrauen in die
Flut.
153. Die Meerminnen
Meerminnen sind Dämonenwesen der See, weiblichen
Geschlechts, sie können schön singen und auch fliegen.
Schon die Alten kannten sie und nannten sie Sirenen.
Sie sind den Nixen verwandt, haben fischgrätige
Zähne und meergrüne Haare. Oft schon sind die
Meerminnen Unheilverkünderinnen geworden, doch
konnten sie auch Glück bringen.
Zur Zeit, da die Antwerpner auch noch Schiffe zum
Walfischfang ausrüsteten, so geschah es nicht selten,
daß, wenn noch weit und breit kein Wal sichtbar war,
eine Meerminne mit halbem Leibe aus dem Wasser
tauchte, gegen das Schiff heranschwamm und sang:
Scheppers, werpt de Tonnekens uit,
De walvisch zal gaen kommen:
Schiffer, werft die Tönnchen aus,
Der Walfisch soll entgegenkommen.
Da taten die Schiffer nach der Meerminnen Geheiß,
warfen die Tönnchen aus, und nicht lange dauerte es,
so ließ sich ein Walfisch sehen, der dann stets sicher
erlegt wurde. Einst, schon sehr lange her, geschah es,
daß im Hafen vor Muiden an der Südersee, ohnweit
Amsterdam, eine Meerminne schwimmend erblickt
wurde. Diese Meerminne sang eine Prophezeiung:
Muiden sol Muiden blyven,
Muiden sol novit beklyven:
Muiden soll Muiden bleiben,
Muiden soll niemals bekleiben.
Und es geschah also. Muiden, ein Hafenort, günstigst
gelegen, blieb ein Flecken, und das nachbarliche Amsterdam
wurde eine Weltstadt.
In der Nähe von Dord (Dordrecht) liegt nahe der
Landstraße ein großes stilles Wasser, daraus ragt ein
Kirchturm hoch und einsam empor. Da hat vorzeiten
die reiche und starkbevölkerte Stadt Zevenbergen gestanden.
Ihr Reichtum machte die Einwohner übermütig,
sie achteten des Goldes und Silbers nicht mehr,
als wenn es Kupfer und Blei wäre; alle Schlösser und
Riegel an den Türen, alle Beschläge an Fenstern, alle
Nägel mußten von Gold oder Silber sein, so auch
alles Tafel- und Küchengeschirr, so unbeschreiblich
war der Reichtum. In die Kirche, die Sint Lobbetchen
hieß (St. Elisabeth), ging niemand mehr, ihr Dach war
auch nur mit Ziegeln gedeckt, die Dächer der Reichen
aber glänzten wie Feuer, denn sie waren mit Goldblech
überzogen.
Da hob sich aus dem breiten Gewässer am Biesbosch
eine Meerminne, die flog über Zevenbergen
und sang mit einer kläglichen Weise:
Zevenbergen sol vergan,
En Lobbetjens Torn sol blyven staen.
Diesen Sang hörten die Einwohner gar wohl und
sahen das Zeichen, achteten aber der Warnung nicht,
sie blieben, wie sie waren, und lebten fort, wie es
ihnen gefiel, und da ließ es Gott geschehen, daß der
Meerminne Prophezeiung sich erfüllte. Eine Sturmnacht
kam, endloser Donner rollte über Zevenbergen
hin, und die Flut kam, und die Stadt versank, und nur
die Kirche blieb stehen, wie die Meerminne gesungen
hatte, und weit und breit stand das Wasser da, wo die
Stadt gestanden. Fischer haben bisweilen in der Tiefe
die goldenen Dächer schimmern sehen, da wäre noch
ein großer Reichtum zu holen, aber keiner wagt sich
in die Tiefe und in die Stadt hinab, die der Fluch des
Himmels getroffen.
154. Geister in Friesland
Schon zu Kaiser Lothars Zeiten gab es in Friesland
viele Geister und Gespenster. Eine Sorte davon wohnte
in Höhlen, wie die deutschen Wichtlein. Die Männlein
hießen weiße Juffers, die waren nicht eben gutartig,
vielmehr recht tückeboldig, die Weiblein aber
hießen weiße Frauen, die waren besser, standen Kindbetterinnen
bei, leiteten Verirrte auf rechten Weg, halfen
Arbeit verrichten, besonders recht mühevolle. Sie
wohnten gern in Hügeln oder in Gruben, die unbesucht
waren, häufig ihrer drei beisammen, auch in
alten Hünenbetten. Wer nachts an diese Hügel oder in
diese Gruben trat oder auf so ein altes Hünengrab sich
setzte, der konnte sondere und wunderbare Dinge vernehmen
und viel von alter Zeit erfahren. Es war ein
Sänger im Friesenlande, der hieß Bernlef und war
blind, der hat viel gesungen von des Landes erster Art
und des freien Volkes der Friesen Ankunft und Ursprung,
den haben die guten Geister gelehrt und die
Kunden alter Zeit auf seine Lippen gelegt.
155. Stavorens Ursprung
Des Friesenlandes Hauptstadt ist Stavoren. Die alten
Friesen hatten einen Gott, den hielten sie so groß und
mächtig wie das Römervolk seinen Jupiter, den nannten
sie Stavo. Da nun zu einer Zeit aus fernen Landen
drei Brüder zu Schiffe an die Küste kamen, Friso,
Saxo und Bruno geheißen, von vielen Gefährten begleitet,
welches zur Herbsteszeit geschah, so fanden
sie das Land, welches damals Sueven bewohnten, die
keine festen Wohnsitze behaupteten und sich der
Spätherbstüberschwemmungen wegen in höheres
Land zurückgezogen hatten, von Einwohnern fast
ganz entblößt, erbauten ihrem Gott Stavo einen Tempel,
gründeten eine Stadt und nannten sie nach ihrem
Gott Stavoren. Diese Stadt wurde bald groß und viel
größer denn jetzt, und die ganze Südersee war noch
bewohntes Land, von dem jetzt nur noch hie und da
als kleine Insel ein geringer Rest aus den Wogen ragt.
Da blieben sie nun dreizehn Jahre, und ihr Volk
mehrte sich, und sie hatten nicht Raum genug, darum
sprach Friso zu seinen Brüdern, es sei besser, wenn
sie sich teilten und jeder von ihnen mit den Seinen ein
weites Land gewänne. Da schieden die Brüder Saxo
und Bruno in Frieden von Friso, welcher blieb, und
Saxo lief in die Elbe ein, ließ sich an ihrem Ufer nie-
der und bevölkerte das Land, und sein Volk wurde
nach ihm Saxen geheißen. Bruno aber machte sich
seßhaft am Weserstrome und gründete dort eine Stadt,
die hieß nach ihm Brunosvic, die gab hernach dem
ganzen Lande ihren Namen Braunschweig. Friso aber
erreichte ein sehr hohes Alter, er herrschte über Friesland
achtundsechzig Jahre und hinterließ sieben
Söhne und eine einzige Tochter.
Die Stadt Stavoren wurde und war vor diesem die
allerberühmteste Haupt- und Residenzstadt der friesischen
Könige, und war nirgends größere Handlung
und Schiffahrt als in dieser Stadt, denn sie war überaus
wohl gelegen und hatte einen vortrefflichen
Hafen.
156. Der Feuerpütz
Es war zu Kaiser Titus' Zeit, vier Jahre nach der Geburt
unsers Herrn, als im heutigen Westfriesland an
einem Berge, der rote Kliff genannt, ein Feuerpütz
aus der Erde schoß, der drei Tage lang loderte und
weberte. Am vierten Tage kam ein Drache aus der
Öffnung geflogen, aus der das Feuer schoß, hob sich
hoch, schwebte eine halbe Stunde lang in Lüften und
tat sich dann wieder nieder und hinein, woraus er gekommen
war, ward nicht wieder gesehen, und das
Feuer erlosch.
Hundertundfünfzig Jahre später brach der
Feuerpütz wieder auf und brannte ganz schrecklich,
acht Tage lang, und flammte sehr hoch, daß allen, die
daherum wohnten, bange ward; dann erlosch die
Flamme. Die Einwohner fragten das Orakel ihres Abgottes
Staffo, weil sie ein großes Sterben fürchteten,
und der Gott sprach, von diesem Erdfeuer werde das
Land nicht untergehen, eher von dem kalten Stoff, der
nach Länge der Zeit ihm folgen werde.
Und aber nach etwa hundertundvierundzwanzig
Jahren borst der Feuerpütz beim roten Kliff zum dritten
Male auf, doch achtzehn Tritte weiter von der ersten
Stelle, und flammte eilf Tage lang sehr schrecklich
hoch. Da brachten die Einwohner dem Abgott
Staffo Brandopfer und fragten aufs neue das Orakel.
Da gebot ihnen der Gott, aus der Nordsee drei Krüge
Salzwasser zu holen und diese durch einen gegen die
Glut gewappneten Ritter in den Flammenschlund werfen
zu lassen, da werde der inwendige Brand ausgelöscht
werden. Das wurde vollbracht, und der Brand
löschte aus.
157. Der überquellende Wasserpütz
Da man südwestlich von Stavoren, eine halbe Stunde
von der Stadt, einen Pütz (einen Brunnen) grub, so
sprang statt süßen Wassers ein Überfluß von Salzwasser
hervor, wie aus einem Springbrunnen, das
quoll und quoll und drohte, Stadt und Land zu überschwemmen.
Da fragten die Einwohner das Orakel
ihres Gottes Staffo, und das sprach, der Pütz werde
nicht aufhören überzuquellen, bis das Blut eines dreijährigen
Knaben in dasselbe Wasser gesprengt und
mit ihm gemengt werde. Solches geschahe eilend, da
hörte der Pütz auf zu fließen, und war endlich kein
Tropfen Wasser mehr in ihm zu sehen, und wo das
übergequollene Wasser gestanden hatte, blieb das
Land drei Jahre lang dürr und unfruchtbar, bis es allmählich
wieder zu grünen begann und Früchte trug.
158. Das Wunderkorn von Stavoren und der
Frauensand
Bei den Einwohnern der groß und reich gewordenen
Stadt Stavoren ging es gerade so wie bei denen der
Stadt Zevenbergen an der Südersee, sie führten ein
üppiges Leben und kannten ihres Übermutes nicht
Maß noch Ziel. Da war eine Zeit, in der das Korn sehr
teuer wurde, und eine reiche Witwe rüstete ein Schiff
aus und sandte es nach Danzig, dort Korn zu holen,
und gebot dem Schiffer, ihr zugleich von dort das
Köstlichste mitzubringen, was nur dort zu haben sei.
Als nun das Schiff in See war, fiel das Getreide sehr
schnell, und dem geizigen Weibe wurde bange, daß
sie an ihrem Einkauf mächtig Schaden erleiden werde.
Da nun das Schiff aus Danzig zurückkam, ging die
Witwe alsbald an Bord und fragte den Schiffer, was
er ihr Köstliches mitgebracht habe nächst dem Korn,
das ohnedies nichts mehr wert sei, als ins Wasser geworfen
zu werden. Der Schiffer neigte sich und
sprach: Vieledle Frau, den schönsten Weizen bracht'
ich Euch mit, den je ein Menschenauge hat erschauen
können. – Was, Weizen? Und nichts Besseres? rief
die Frau zornig aus. Von welcher Seite nahmst du den
in das Schiff? – Von der Backbordseite, entgegnete
der Schiffer. – Ei so wirf ihn ins Teufels Namen von
der Steuerbordseite ins Meer, und das Korn dazu! Ich
befehle es! – Der Schiffer gehorchte, da brauste es in
den Tiefen, und die Wellen hoben sich und teilten
sich, und es wuchs ringsum vor den Hafen eine mächtige
breite Düne von Sand, Hügel auf Hügel, und auf
der Düne lagen Korn und Weizen und keimten und
schossen auf in Ähren, die blühten auf, aber taub, und
trugen nimmer Frucht. Die Witwe kehrte in die Stadt
zurück, um deren Hafen sich nun die Düne zog, daß
kein Schiff mehr in den Hafen einlaufen konnte und
trug den Fluch der verarmenden Stadt und starb in
Kummer und Elend. Aber auf der Düne, welche bis
auf den heutigen Tag der Frauensand heißt, erwächst
Jahr auf Jahr das taube Korn, der Dünenhelm oder
Dünenhalm genannt, und weht und wiegt sich im
Winde.
159. Stavorens Untergang
Das große Zeichen, das der Herr getan, als er die
Sanddüne aus dem Meeresgrunde aufwachsen ließ,
besserte noch lange nicht die Ruchlosigkeit der Einwohner
von Stavoren, denn solcher Leute, wie jene
gottlose Witwe war, gab es dort nur noch allzuviele.
Da war eine reiche und übermütige Jungfrau, die hatte
viele Schiffe in See und des Gutes so viel, daß sie
nicht wußte, wie viel. Die beauftragte auch einen
Schiffer zur Zeit, wo große Hungersnot im Lande war,
ihr das Kostbarste und Wertvollste, was er in fernen
Landen nur immer zu finden vermöge, mitzubringen.
Und der Schiffer fuhr hinweg und kam bald wieder,
und als die Jungfrau fragte, was er Köstliches für sie
mitbringe, da er so bald zurück sei, sie habe ihn noch
nicht erwartet, sprach der Schiffer: Meine Jungfrau,
das Köstlichste ist jetzt, was der Mensch zum Leben
braucht; ich bringe den schönsten Weizen. – Die
Jungfrau aber hatte reichen Schmuck, Gold, Perlen
und Diamanten erwartet und zürnte: Weizen! Was
soll mir dieses elende Zeug? Gleich über Bord
damit! – Das hörte eine Schar hungernder Armen, die
flehten die Jungfrau kniefällig an, doch ihnen das Getreide
zu geben, es nicht verderben zu lassen! – Aber
die stolze Jungfrau blieb bei ihrem harten Sinne. Der
Schifführer sprach: Meine Jungfrau, bedenket Euch
wohl, es könnte Euch reuen! Gott hört und sieht
Gutes und Schlimmes, er lohnt und rächt. Ein Tag
könnte kommen, wo Ihr, hungrig und arm gleich diesen
Elenden, gern die Körnlein einzeln aufläset, die
Ihr jetzt in das Meer wollt schütten lassen! – Frecher
Knecht! zürnte da die Jungfrau und schlug ein satanisches
Gelächter auf. Gleich wirf den Weizen ins
Meer, und diesen goldnen Ring werfe ich hinterdrein!
So wenig werde ich verarmen, so wenig ich diesen
Ring jemals wiedersehe! Und so geschah die gottlose
Tat.
Und wie die Jungfrau handelte, so handelten in anderer
Weise freventlich auch die meisten Einwohner
von Stavoren. Am andern Tage aber traf die Jungfrau
die Nachricht, daß viele ihrer Schiffe auf der Heimfahrt
aus dem Morgenlande gescheitert seien; am
zweiten Tage die weitere Nachricht, daß ihre übrigen
Schiffe von den Seeräubern genommen seien; am dritten
Tage verbreitete sich die Kunde, daß ihr sonstiges
Vermögen, das sie einem reichen Handelshause anvertraut
hatte, durch den Fall dieses Hauses verloren
sei. Am vierten Tage wurde aus ihrem Ziehbrunnen
ein Seefisch, eine Bütte, herausgezogen, niemand
wußte, wie dieser Fisch in den süßen Brunnen kam;
als der Fisch geschlachtet wurde, fand sich in seinem
Eingeweide – der Ring, den die Jungfrau mit freveln-
dem Ausruf in das Meer geworfen hatte.
Noch ein Jahr verging, da sah man das vordem so
stolze Weib betteln gehen von Haus zu Haus und auf
dem Felde Ähren lesen, um sein elendes Leben zu fristen.
Auch dieses Zeichen der Warnung, das der Herr
tat, irrte die Einwohner von Stavoren nicht, ihr Leben
fortzusetzen, obschon die Stadt durch den versperrten
Hafen zu verarmen begann. Da geschah es mit einem
Male, daß man in allen Ziehbrunnen Bütten und
Schellfische und Heringe fing, daß das Wasser stieg
und das Land sank, und mehr als drei Vierteile der
reichen Stadt verschlang die Flut, die fort und fort am
Lande nagt, und aller Segen war hinweg, und der Rest
der Stadt verarmte mehr und mehr.
160. Die sieben Meerminnen
Ein friesischer Schiffer hatte sein Schiff gerüstet zu
weiter Fahrt, und stand am Bord, und hob die Hand,
und gelobte sich dem Meere. Es solle das Meer ihm
schirmen und schonen sein Schiff und seine Ladung,
so wolle er auch ihm getreu sein all sein Leben lang
und nimmer an das Land begehren zu längerm Verweilen.
Da hoben sieben Meerminnen ihre Leiber
halb aus der Flut, und hörten seinen Schwur, und nahmen
ihn, und tauchten wieder in die Tiefe nieder.
Lange fuhr der Schiffer von Meere zu Meere, von
Lande zu Lande, und sein Reichtum mehrte sich, aber
er konnte dessen auf dem Schiffe nicht froh werden,
ihn nicht genießen, und allmählich kam doch ein Sehnen
in sein Herz nach dem Lande. Und da kam sein
Schiff einst an einen blumenreichen Strand voll Reiz
und blühender Gärten, und er sah eine wunderholde
Jungfrau wandeln, die sein Herz gewann, und er gewann
bald auch das ihre, freite um sie, verkaufte sein
Schiff, erbaute ein herrliches Haus am Strande,
schmückte es aus mit seinen Schätzen wie ein Königsschloß,
und dahinein führte er seine Erkorene als
liebe Braut. Aber siehe, in der Nacht, als der Schiffer
im Arme seiner Liebsten ruhte, da hoben sich die sieben
Meerminnen aus der See nahe dem Ufer an des
Schiffers Palast und sangen ein entsetzlich Lied, und
es rollte ein Wellenberg heran, der übersprang das
Ufer und stieß ans Haus, da bebte das Haus in seinen
Fugen; dem sprang ein zweiter nach, der brach die
Türen ein und rauschte in die Flur, und ein dritter, der
brach durch die untern Fenster, und ein vierter, der
brach oben durch, und ein fünfter, der riß den Schiffer
hinweg, und ein sechster, der fing den Schiffer auf
und warf ihn im Zurückbranden in die wildwogende
schaumspritzende See. Da empfingen die Meerminnen
den Schiffer und führten ihn tief hinab zum Grunde.
Dort muß er wohnen, von dort springt er mit den
Wellen im Maimond herauf nach seinem zerstörten
Hause und will sein Lieb retten, aber immer ziehen
ihn die Meerminnen wieder zurück.