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Kapitel 5

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70. Der Teufelsweg auf Falkenstein

Auf der Höhe, vier Stunden von Frankfurt a.M., erhebt

sich auf fast unzugänglichem Fels die Burgtrümmer

Falkenstein, die Wiege eines im Taunus und der

Wetterau gar mächtigen Geschlechts, von dessen

Sprossen einige sogar Erzbischöfe von Trier wurden.

Ein Ritter von Sayn minnte die Tochter eines Falkensteiners,

aber der Vater war ihm abhold und wies

des Ritters Werbung mit den höhnenden Worten ab:

Meine Tochter will ich Euch gern zum Ehegespons

geben, ich verlange nur einen geringen Gegendienst.

Schafft diese Felsenzacken in einer Nacht zum gangund

reitbaren Wege um – das ist mein Beding und

mein Bescheid! – Unmögliches war begehrt, und hätten

tausend und aber tausend Hände sich zugleich zerarbeitet

an dem harten Felsgestein, es wäre nicht

möglich gewesen, in solch kurzer Frist das Werk zu

vollenden. Traurig zog der Ritter von Sayn, Kuno geheißen,

von dannen, zog nach dem Heiligen Lande,

focht tapfer in vielen Sarazenenschlachten, suchte den

Tod, fand ihn nicht, blieb stets eingedenk seiner

Minne und kehrte endlich in die Heimat zurück. Mit

schmerzlichen Gedanken umirrte er den felsumtürmten

Falkenstein, hätte gerne Kunde gehabt von seiner

Geliebten – und starrte trübe die Felsen an, die mit

ihrer Härte sein Geschick versinnbildeten. Hier hilft

keine menschliche Macht, nur Zauber könnte diese

Felsen zum Wege bahnen! seufzte der Ritter. Horch –

da war es ihm, als höre er seinen Namen rufen – und

wie er umschaut, hebt sich ein Erdmännchen in brauner

Kutte, eisgrau und mit verschrumpfeltem Gesicht,

aus einer Felskluft herauf und redet ihn mit sondrer

Stimme an: Kuno von Sayn, was lässest du nach Silber

wühlen drunten auf deinem Gebiet und störst

unsre Ruhe? Willst du diese Felsen zum Wege gebahnt

sehn? Willst du die Erbtochter vom Falkenstein,

die droben noch einsam um dich trauert, nach

dir sich sehnt, dein nennen? Dann gelobe nur eins und

schwöre, es zu halten. –

Dem Ritter war es seltsam zumute bei dieser Erscheinung

und Rede, und dachte, es möcht' etwa eine

Versuchung des bösen Feindes, und was er geloben

solle, möchte etwa seine Seele sein. Er fragte daher

nicht ohne Zagen: Was ist dein Begehr? – Da sprach

das Erdmännchen: Versprich mir auf dein ritterlich

Wort, daß du morgendes Tages alle deine Gruben,

Schachte und Stollen willst zuschütten lassen, die wir

ohnedies, so wir wollten, ersäufen könnten, so wollen

wir in heutiger Nacht noch die Felsen ebenen, daß du,

wenn du getan, was ich heische, am lichten Tag hinaufreiten

und den Falkensteiner an seine Zusage mahnen

kannst. – Des war der Ritter hocherfreut, er sagte

gern zu, was der kleine Erdzwerg verlangte, und

begab sich zur Ruhe. Als es Nacht geworden, regte

sich's wunderbarlich um die Burg, es krachte, es polterte,

es hackte, es schaufelte – tausend kleine Berggeister

allzumal, obschon sie zwerghaft gestaltet

waren, mit Riesenkraft begabt, förderten das verheißne

Werk, und als der Hahn den Morgen ankrähte,

war's vollbracht, und als die Sonne hinterm fernen

Spessart heraufstieg, da ritt schon Kuno von Sayn den

neuen Weg und ließ sein Horn erschallen, daß sich

der Wächter auf dem Turme des Falkenstein nicht

wenig verwunderte, und noch mehr der Falkensteiner,

doch freute er sich auch ob des so lang ersehnten

Weges und hat sein Wort gehalten und die Liebenden

vereinigt. Der Ritter Kuno von Sayn hielt gleichermaßen

auch sein Wort, das er dem Zwerg gegeben, und

ließ die Schachte, darin er nach Silber gegraben, zuwerfen

und eingehen. Der Felsenpfad, den die Erdgeister

bahnten, heißt heute noch der Teufelsweg; er

zieht unten an der westlichen Seite des Altking, wo

die Berggeister hausen, durch die Schärdter Höhle

vorüber zur Bergeshöhe.

71. Die Eppsteiner

Es hauste vordessen in den wirren Felsenschluchten

und dunkeln Gebirgstälern um das heutige Eppstein

ein wilder Riese, der lauerte den Jungfrauen auf, und

wenn er eine fing, geschah ihr mehr nach seinem Willen

als nach dem ihren. Einstmals gelang es ihm, ein

Fräulein von Falkenstein, welches ein edler Ritter

minnte, hinwegzuführen. Der Ritter, welcher Eppo

hieß, folgte eilend dem Riesen nach, mit ihm zu

kämpfen oder ihn durch List zu besiegen, und hatte

ein eisernes Netz, das er an einem gewissen Ort aufstellte.

Damit der Riese, wenn er ihn wahrnehme, ihn

nicht sogleich erkenne, mußte der Knappe Eppos Gewand

und Rüstung anlegen, und Eppo trug die des

Knappen. Der Riese achtete sich keinen Deut um den

Ritter, der ihm nachfolgen wollte, er war mit all seinen

Gedanken nur bei seiner Gefangenen und trachtete

danach, ihr zu tun wie den andern, aber ein Schutzgeist

war mit und bei ihr, gegen den weder des Riesen

Stärke noch seine Zaubermacht, denn er war auch ein

Zauberer, etwas vermochte. Voll Grimm darüber

wandte sich nun der Riese Eppo entgegen, und da er

diesen daherkommen sah, so gebrauchte er sich seiner

Zauberkunst und Macht und verwandelte Eppos

Dienstmann in einen Felsen, meinte so, seinen Feind

für genugsam lange Zeit an eine Stelle gebannt zu

haben, und eilte vorwärts, um auch alles Gefolge des

Ritters unschädlich zu machen. Darüber aber stürzte

der Riese in das eiserne Netz, zappelte darin gar gewaltig,

konnt' es aber nicht zerreißen, und nun kam

der Ritter in Knappentracht, der sich verborgen gehalten,

hervor, schleppte den Riesen auf einen hohen Felsen

und stürzte ihn von da herunter, worauf er die Gefangene

des Riesen aus ihrem Bann befreite und sie

zum Ehgenoß gewann. Den verzauberten Dienstmann

konnte Eppo leider nicht lösen, der steht heute noch

starr und steif wie ein Felsen und ist ein Felsen und

heißt der Mannstein. Darauf erbaute Ritter Eppo eine

neue Burg auf den Fels, von welchem herab er den

Riesen gestürzt, und das wurde der Eppstein, und zu

den Gewölbrippen im Tor wurden statt der gebogenen

Steine die Rippen des Riesen eingemauert und angeschmiedet.

Dem Ritter aber und seiner Gemahlin entsproßte

ein gewaltig Geschlecht mannlicher Helden

und großer Kirchenfürsten; die Ritter empfingen aus

des Kaisers Hand das Waldbotenamt am obern Taunus

zu Lehen, und fünf Eppsteiner behaupteten nach

und nach den erzbischöflichen Stuhl zu Mainz, drei

davon hießen Siegfried, einer Werner und einer Gerhard.

Dieser Gerhard, der zweite des Namens in der

Mainzer Bischofreihe, war gar ein fester trutziglicher

Herr, und wenn ein deutscher Kaiser anders wollte

wie er, so schlug er an seine Tasche und rief: Potz

Velten! Wenn ein Kaiser nicht will, wie ich will, so

hab' ich schon einen andern Kaiser in der Tasche. –

Einstmals, als auch ein Kaiser ihm nicht zu Willen

war, ergriff er zornig sein Jagdhorn und schrie: Daß

den Kaiser Gottes Marter schände! So mir's beliebt,

so blase ich aus diesem Horne einen andern Kaiser

heraus! – Er sprach auch solche Worte keineswegs in

den Wind, er war es, der dem Grafen Adolf zur Kaiserkrone

verhalf und ihm auch wieder davon half,

doch hat es ihm später nicht geglückt, und fand Ursache

genug, seine Keckheit zu bereuen.

72. Blutlinde

In der Nähe Wiesbadens steht bei der Burgtrümmer

Frauenstein eine riesige Linde, von der die Sage geht,

daß einst an ihrer Stelle sich gar Trauriges ereignet

habe. Ein Fräulein aus dem Geschlechte der Frauensteiner

liebte einen ihr nicht ebenbürtigen Jüngling

und sah ihn oft, indem sie abends noch außerhalb der

Burgfeste lustwandelte, an einem traulich schattigen

Plätzchen nahe der Burgmauer, wohin ein sonst stets

verschlossenes Pförtchen führte, zu welchem sie allein

den Schlüssel bei sich trug. Endlich nahm ihr harter

und stolzer Vater diese Zusammenkünfte wahr, zürnte

heftig, überraschte die Liebenden und erschlug den

Geliebten mit eigener Hand. Da brach die Tochter

jammernd einen jungen Lindenschoß, steckte ihn

durch das rinnende Blut ihres Geliebten in den Boden,

sprach zu ihrem Vater nie wieder ein Wort und ging

in das nächste Kloster. Täglich weinte sie um ihren

erschlagenen Geliebten, der Lindenschoß aber schlug

Wurzeln und trieb und ward ein Baum, und solange

die trauernde Liebende lebte und weinte, so lange floß

Blut aus des Lindenbaumes Gezweig, so jemand ein

Blatt oder einen Ast abriß. Das tat aber bald niemand

mehr, denn die Menschen scheuten sich, und so erwuchs

die Blutlinde zu mächtiger Höhe und Dicke,

und können den Baum jetzt kaum vier Mann umklaftern.

Nahebei liegt ein uralt Gehöft, der Graroder Hof,

von dem eine verwandte Sage geht. Ein junger Grafensohn

des Lahngaues liebte ein seinem Geschlecht

nicht ebenbürtiges Mädchen, deshalb stieß ihn sein

Vater im Zorne von sich, daß er nie wieder vor sein

Angesicht kommen solle. Das tat denn auch der junge

Ritter, er ging und folgte dem Zuge seines Herzens

und seiner Neigung. Aber um den alten Grafen her begann

ein Sterben – sein Weib starb, seine Töchter

starben, dann die vielen blühenden Söhne allzumal,

einer nach dem andern; zuletzt hatte er nur noch

einen – und auch dieser eine starb. Völlig vereinsamt,

völlig kinderlos war der Greis, da gedachte er mit

Schmerz seines verstoßenen Sohnes, wenn doch der

noch lebte und bei ihm wäre, er wolle ihn gern nicht

mehr um seiner Liebe willen verstoßen. Und ob er

wohl noch lebte? – Da machte der alte Graf sich auf,

den Sohn zu suchen, und suchte ihn ab und zu am

Rheinstrom und in den Flußtälern, die in diesen münden,

und in den Seitentälern und auf den Bergen. Da

kam er einst ermüdet an ein kleines Winzergehöft,

und da traf er ein Winzerpaar, Mann und Frau und

wohl auch Kinder, und sahe, wie diese Leute ringsum

den Felsboden gerodet hatten und hatten Reben gepflanzt

und gewannen ihr Brot, das sie mit ihm teil-

ten, denn er war hungrig, und das junge Weib bot ihm

Trauben aus irdener Schüssel, und der Mann trat

dazu, auf der Schulter den blinkenden Karst, blinkend

von stetem, fleißigem Gebrauche. Da erkannte der

alte Graf mit einem Male seinen Sohn in dem Häcker

und fiel ihm um den Hals und weinte und segnete.

Darauf hat der Ritter über sein Weinberggehöft sich

eine Burg gebaut und sie mit den Seinen bezogen,

denn er wollte nicht mehr hinweg von dem Stück

Erde, das er mit seinem Weibe gerodet und bebaut

hatte. Das nannte man hernach den Grafenroder oder

kurzweg Graroder Hof, weil ein Graf es gerodet hatte.

Der alte Graf lebte noch lange Jahre glücklich bei seinen

Kindern und Enkeln, und der junge Graf nahm

zum Helmkleinod einen bärtigen Mann im schwarzen

kurzen Rock, auf der Schulter eine silberne Rodhaue

tragend, zum Andenken, daß er selbst mit seiner Geliebten

den Boden gerodet habe. In der alten Kirche

zu Schierstein am Rhein sind noch Grabmäler des Geschlechts

zu sehen.

73. Not Gottes

Zu Rüdesheim am Rhein bewohnte das mannliche

Geschlecht der Brömser von Rüdesheim ihre uralte

graue Feste, deren Aufbau in die Römerzeit fällt, und

weiter stromabwärts an der Waldberger Höhe ist das

Kloster gelegen, welches den wunderbarlichen Namen

Not Gottes trägt. Ein Brömser von Rüdesheim zog

nach Palästina, tat allda viele mannliche Taten, bezwang

viele Sarazenen und kämpfte mit einem Drachen,

den er auch erlegte, aber bei dieser Gelegenheit

oder bald darauf fiel er in die Hände der Ungläubigen,

die ihm schwere Ketten zu tragen auferlegten. Da gelobte

er in seinem Kerker, seine Tochter, die er als ein

junges Kind verlassen, dem Himmel zu weihen, wenn

sie am Leben bleibe und er in die Heimat rückkehre.

Und siehe, des Ritters Ketten fielen von ihm ab, der

Himmel nahm das dargebotene Opfer an, der Ritter

entkam und eilte der Heimat zu. Freudvoll empfing

ihn seine schön erblühte Tochter, und er offenbarte ihr

sein Gelübde. Da wurde die Tochter bleich wie der

Tod – sie war in Minne einem jungen Ritter zugetan,

dessen Hand zugesprochen zu erhalten sie von ihrem

Vater zuversichtlich gehofft. Aber es halfen nicht Flehen,

nicht Tränen, der Vater glaubte dem Himmel vor

allem schuldig zu sein, sein ritterliches Wort zu hal-

ten. Da enteilte die Tochter laut wehklagend der

Brömserburg, erklimmte den nächsten Felsen und

stürzte sich in den Strom hinab. –

Groß war des Vaters Schmerz, und da er nun sein

Gelübde nicht halten konnte, und um des teuern Kindes

Schatten zu söhnen, tat er ein abermaliges Gelübde,

er wollte ein Kloster erbauen. Es ging aber ein

Mond nach dem andern hin, und mochte wohl so

kommen, daß der alte Brömser durch alten Rüdesheimer

seinen Schmerz hinwegbannte und darob sein

Gedächtnis etwas schwach ward – da hatte er einmal

ein nächtliches Gesicht: der Drache, den er in Palästina

erlegt, war wieder bei ihm, und lebendig, und

fauchte ihn mit weitaufgesperrtem Rachen an und

drohte ihn zu verschlingen mit Haut und Haar – da

sah er die Gestalt seiner Tochter, die winkte den Drachen

hinweg und blickte gar wehmutvoll auf den

Brömser und verschwand.

Am Morgen aber kam des Brömsers Ackerknecht

und sagte an, wie er in aller Frühe mit dem Pflug und

den Stieren zu Acker gezogen sei, habe er eine klagende

Stimme vernommen, die immerfort gerufen:

Not Gottes! Not Gottes! Und die Stiere hätten nicht

anziehen wollen, sondern immer am Boden gescharrt.

Sogleich begab sich Ritter Brömser selbst hinaus auf

das Ackerfeld, und da vernahm er dieselbe wehklagende

Stimme: Not Gottes! Not Gottes!, die ganz in

der Nähe von der Stelle drang, wo die Ochsen standen

und scharrten, und zwar kam die Stimme aus einem

hohlen Baume. Der Ritter rief und suchte, aber er entdeckte

nichts, da ließ er den Baum spalten, und da

entdeckte sich innen am Boden des hohlen Stammes

eine Monstranz mit dem heiligen Leib und ein hölzernes

Bild des Schmerzensmannes. Als diese Kleinode

dem Baum entnommen waren, schwieg die Stimme,

und die Stiere waren ruhig. Ein Jude hatte beide heiligen

Stücke aus einer nahen Kirche entwendet und

allda verborgen. Das erinnerte nun den Brömser stark

an die Erfüllung seines Gelübdes; er gründete ein

Kloster, ließ an des hohlen Baumes Stelle den Altar

aufrichten und stellte das Christusbild darauf, und geschahen

zu dem Kloster, das Zur Not Gottes genannt

ward, und zu dem Bilde viele Wallfahrten rheinab

und -auf, daß öfters an einem Tage sechzehntausend

andächtige Waller da waren, und das Bild tat vordem

große Wunder.

74. Räderberg

Auf dem Räderberge ohnweit Nassau soll vorzeiten

ein Kloster gestanden haben, davon man noch einige

Trümmer sieht, aber niemand wisse, wes Ordens.

Einst ging ein Metzger aus Nassau gegen Abend aus,

Vieh einzukaufen, und wandelte auf der Landstraße

dahin, da fuhr vor ihm her eine Kutsche, und er folgte

ihr immer nach und hatte des Weges weiter nicht acht.

Auf einmal da hält die Kutsche vor einem großen

schönen Landhaus, das dicht an der Straße steht, das

aber der Metzger sich nicht entsinnen kann je gesehen

zu haben, sooft er auch des Weges schon gekommen.

Das Haus war hell erleuchtet, und aus der Kutsche

sah der Metzger drei Mönche steigen, welche in das

Haus hineingingen, und da er vermeinte, es sei das

Haus ein Gasthaus, so folgte er ihnen ebenfalls nach,

um des Hauses Gelegenheit zu erkunden und vielleicht

da Herberge zu suchen. Er sah die Mönche in

ein Zimmer gehen, wo ein Sterbender zu liegen

schien, der ihrer harrte, um die Sterbesakramente zu

empfangen, und dann trat er in einen großen Speisesaal,

wo, so schien es ihm, viele Gäste beisammensaßen,

aßen und ziemlich lärmend zechten. Als der

Metzger eintrat, verstummten alle – aber der obenan

Sitzende erhob sich und brachte dem Metzger einen

Becher dar mit den Worten: Noch einen Tag! – Dem

Metzger überlief es kalt bei der Stimme, die er hörte,

und aller Durst verging ihm – da erhob sich ein Zweiter,

trat an ihn heran, gleich wie jener, bot ihm einen

Becher zum Trinken und sagte auch: Noch ein Tag! –

aber der Metzger dankte. Da erhob ein Dritter sich,

kam und sagte: Und noch ein Tag! Jetzt trank der

Metzger und tat Bescheid, um nicht unhöflich zu erscheinen

– als ein Vierter auf ihn zukam und ihm in

gleicher Weise anbieten zu wollen schien. Da wurde

es dem Metzger ganz unheimlich, und schlug ein

Kreuz vor sich hin – und plötzlich war alles hinweg,

er stand in tiefer Nacht ganz mutterseelenallein und

wußte nicht, wo er war, um ihn war Waldgestrüpp

und Ruinengemäuer. Zitternd und bebend erharrte der

Metzger an der wüsten Stätte den Morgen, und als

dieser anbrach, nahm jener wahr, daß er auf dem Räderberg

sei, von der Landstraße weit, weit abgekommen,

mitten in den Trümmern des verfallenen Klosters.

Auf unbegangenem steinigen Wege fand der

Metzger sich zurück, unterließ seinen Geschäftsgang,

ging vielmehr zum Pfarrer und entdeckte ihm, was

ihm geschehen war. Genau nach drei Tagen war der

Metzger tot.

75. Die Wisperstimme

Ohnweit Lorch am Rhein liegt eine Mühle im Wispertale

und am Wisperbach, darinnen lebten der Müller,

seine Frau und einige Kinder ganz gut und glücklich.

Das Haus lag dicht am Berg, auf dem die alten

Schlösser Kammerberg und Rheinberg stehen. Einer

Zeit geschah es, daß die Müllerin eine Stimme hörte,

als wispere ihr jemand in das Ohr, und sahe doch niemand

– und dann wisperte es von neuem: Gehe hinauf

auf Kammerberg, hebe den Schatz im Turm – er ist

dir bestimmt – der Schlüssel steckt am schwarzen Kasten.

– Die Frau, dadurch beunruhigt, erzählte ihrem

Manne, was sie immer um sich flüstern und wispern

hörte, der aber sagte: Passen! Träumerei! Hirngespinste

– kehre dich nicht an solche Dinge – unser Schatz

ist der weiße Mehlkasten! – Aber die Frau hörte die

Wisperstimme fort und fort und hatte keine Ruhe

mehr und hatte auch Lust zum Schatz, wenn der ihr

doch einmal beschert sei – und eines Morgens, da der

Müller weit oben im Tale am Wehr in der Wisper zu

bauen hatte und nicht so bald nach Hause zu kommen

gedachte, ging die Frau mit ihrem jüngsten Kinde,

einem Säugling, in aller Stille hinauf auf den Kammerberg.

Der Müller aber vollendete sein Geschäft

früher und kam nach Hause, es war gerade Mittag und

Essenszeit, aber die Müllerin fehlte. Wie er nun nach

der Mutter fragte, so sagte ihm sein ältester Knabe,

daß seine Mutter mit dem Jüngsten auf dem Arm

schon vor ein paar Stunden den Berg hinaufgegangen

sei. Eilend rann der Müller hinauf, und als er in die

Trümmer eintrat, hörte er die Stimme seines wimmernden

Kindes, die aus der Öffnung eines halbverfallenen

Turmgewölbes drang, stieg hinab und fand

darin sein Weib leblos am Boden liegen. Eilend zieht

er Frau und Kind aus dem Gemäuer und trägt und

schleppt beide hinab in sein Haus. Dann ist nach langer

Ohnmacht die Müllerin zu sich gekommen und

hat erzählt, die Wisperstimme habe ihr Tag und

Nacht keine Ruhe gelassen, sie habe hinaufgemußt,

und die Stimme habe ihr auf dem Wege noch zugewispert,

sie solle ganz ohne Furcht und Bangen sein,

es werde ihr nichts geschehen, nur reden solle sie um

keinen Preis. Sie stieg in das Turmgewölbe hinab –

da stand der Kasten, da stak der Schlüssel, sie öffnete

– da lag das blanke Gold – sie durfte nur nehmen –

da hört sie plötzlich ihren ältern Knaben hinter sich

rufen: Mutter! Mutter! und antwortet unwillig: Was

gibt's?, und da tut es einen entsetzlichen Krach, als

berste der Turm und stürze das Gemäuer auf sie und

ihr Kind nieder, und eine Stimme ruft aus: Weh! weh!

Warum redest du? Nun bin ich wieder unerlöst auf

aber hundert Jahre! – und da ist es der Müllerin

schwarz vor den Augen geworden. – Und als sie das

alles ihrem Mann erzählt gehabt, ist sie in eine tiefe,

schwere Krankheit verfallen, und nach drei Tagen ist

sie eine Leiche gewesen. So hat es der Wispermüller

selbst erzählt im Jahr des Herrn achtzehnhundertundvierzehn.

76. Die glühenden Kohlen

Im Städtchen Lorch am Rhein, da, wo die Wisper in

den Strom fällt, steht an der Stadtmauer auch eine

Mühle, deren Räder die raschen Wellen der Wisper

treiben. Einer Nacht erwachte die Magd in dieser

Mühle sehr früh, es war ganz hell, und sie meinte

schon, sich verschlafen zu haben, und eilte, das Feuer

in der Küche zu schüren. Da gewahrte sie, wie sie

durch das Küchenfenster in den Hof hinabsah, einen

Haufen glühender Kohlen und ging eilend hinab, um

davon um so schneller für ihr Herdfeuer Brand zu gewinnen.

Drunten lagen um das Kohlenfeuer einige ihr

unbekannte fremde Männer, sie aber fuhr, ohne sich

an diese Männer zu kehren, mit ihrer Schaufel in die

Kohlen hinein und kehrte mit der Schaufel voll in das

Haus zurück. Aber als sie die Kohlen auf den Herd

schüttete, so glühten sie nicht mehr, sondern waren

erloschen. Sofort lief die Magd noch einmal hinaus

und holte wieder eine Schaufel voll – es ging aber gerade

wie beim ersten, die Kohlen waren tot. Und

nochmals rannte die geschäftige Magd hinaus, da

sprach einer der Männer mit tiefer Stimme: Du, höre,

dieses ist das letzte Mal! – Die Magd erschrak, und

befiel sie ein Bangen, doch sprach sie kein Wort und

eilte nur, daß sie wieder an ihren Herd kam. Aber die

Kohlen waren abermals erloschen – und jetzt hob die

Turmuhr auf der Stadtkirche aus und schlug – und die

Magd horchte und wollte gern wissen, wie früh es

wäre, und zählte drei – vier – sechs – sieben – so spät

konnt' es doch noch nicht sein – acht – neun – was ist

das? – und die Uhrglock' schlug immer zu, und schlug

Zwölf – und im Hof verschwand das Kohlenfeuer,

verschwanden die Männer. Der Magd gruselte fürchterlich

– sie eilte in ihre Bettkammer, kroch tief unter

die Decke und betete so viele Seufzerlein und Reimgebetlein,

als sie konnte und wußte. Am Morgen verschlief

sie sich in aller Form, und statt ihrer trat der

Müller zuerst in die Küche, der traute seinen Augen

kaum, als er auf dem Herd statt glühender Kohlen

einen Haufen glitzender Goldstücke liegen sah, nahm

den Schatz und erbaute sich davon ein neues Haus zu

Lorch, gab auch der Magd ihren guten Anteil vom

durch sie gewonnenen Reichtum.

77. Taube zeigt den Tod an

Zu Armsheim auf dem Kirchhof steht ein Grabstein,

darauf ist ein Pflug, auf dem eine Taube sitzt, eingehauen.

Vor vielen Jahren hat dort ein junges Ehepaar

gelebt, und die Frau hatte eine zahme Taube, die war

ihr Liebling und nahm ihr aus dem Munde, was sie

der Taube darbot. Die junge Frau war in guter Hoffnung,

und eines Frühlingsmorgens befiel sie ein Bangen,

als eben ihr Mann hinaus an den Acker gehen

wollte zur Saat, denn es war Säezeit und der Morgen

windstill und heiter. Aber die Frau bat gar herzlich

ihren Mann: Bleibe bei mir! – Doch er entschuldigte

sich mit seiner Arbeit Dringlichkeit und verhieß sich

zu eilen und baldige Heimkehr. – Er hatte aber den

Samen noch nicht zur Hälfte ausgestreut, da kam die

Lieblingstaube seiner Frau geflogen, und flatterte

umher, und setzte sich auf den Pflug, der auf dem

Acker stand, und sah den Sämann an, und schlug mit

den Flügeln. Und da er nicht abließ von seiner Arbeit,

so flog ihm die Taube gegen die Brust und pickte ihn

in das Kinn, und da gedachte er an seine Frau und

eilte heim. Da fand er seine junge schöne Frau tot im

Bette, denn sie hatte ohne Hülfe geboren, und zwei lebende

gesunde Kinder lagen in ihren Armen. Es war

niemand da gewesen, den sie nach Hülfe senden

konnte, und er hatte ihre zarte Bitte nicht verstanden.

Und war die treue Taube nicht, so wären auch die

Kindlein Todes verblichen. Der Mann trauerte, solange

er lebte, freite nie wieder und zog die Zwillinge mit

Liebe auf. Auf der Gattin Grab ließ er das Bild der

Taube meißeln und betete oft um Mitternacht auf dem

Grabe seiner Entschlafenen.

Mehr andere Sagen gehen von Tauben, deren eine

einen Schatz angezeigt, die andere den Feind abgehalten,

eine Stadt zu beschießen.

78. Der Affe zu Dhaun

Hoch über dem Städtlein Simmern liegt der alte rheingräfliche

Burgsitz Dhaun, das war ein gar stattliches

und schönes Grafenschloß mit herrlichem säulengezierten

Palas – und über dem Eingang zum Palas wird

ein Wahrzeichen in Stein erblickt, ein Affe, der einem

Kinde einen Apfel darbeut, von welchem Bilde diese

Sage geht. Es hatte ein Burggraf ein junges Kind gehabt,

das hatte eine Wärterin, die wiegte das Kindlein

im schattigen Burghof, und da der Tag ein Sommertag

und schwül war, so nickte sie ein, und als sie aufwachte,

war das Kindlein aus der Wiege und fort. Da

ward ihr angst und bange, denn wie sie es auch ringsum

suchte und in alle Winkel lugte – es war und blieb

verschwunden. Da schlug ihr der Schreck in alle Glieder,

zitternd vor dem Zorn der Gräfin und des Grafen

dachte sie nichts Besseres tun zu können, als ihr

Leben zu retten, und stürzte in den Wald, um auch da

vielleicht noch eine Spur zu finden. Da kam sie in ein

dunkles Dickicht, und siehe, da saß der Affe, den der

Graf hielt, und hatte den jungen Grafensohn auf seinen

haarigen Armen und küßte ihn gar zärtlich und

schaukelte ihn, legte ihn dann sanft auf ein Lager von

Moos, bot ihm einen Apfel dar, und als es den nicht

annahm, sondern einschlief, wehrte der Affe eine Zeit-

lang die Fliegen von ihm ab, und dann entschlief er

selbst. Des war die Amme froh, schlich leise hinzu

und nahm das Kind und trug es fröhlich wieder zur

Feste Dhaun hinauf, wo schon alles unruhig war und

nach ihr rief und suchte. Da verkündete sie laut die

Tat des Affen, und die erst entsetzten, nun hocherfreuten

Eltern beschlossen, dieselbe in Stein ausgehauen

und überm Torbogen ihres herrlichen Palas verewigen

zu lassen.

79. Das Pfaffenkäppchen

Zwischen schroff und steil überm Tal der Nahe zum

Himmel sich aufgipfelnden Felskolossen werden jetzt

die Trümmer der einst trotzigen Burgfeste Rheingrafenstein

erblickt. Auf der Kauzenburg saß ein junger

Rheingraf, jagdlustig, mutig, der wünschte sich eine

Burg auf diesen ungeheuren Felsen, stattlich wie die

Ebernburg und der Landstuhl der Sickinger, unnahbar

dem Feinde – und mit solchen Wünschen weilte er

einstens sehnend und sinnend in der Nähe der Felsriesen,

deren Gipfel noch kein Mensch erstiegen hatte.

Da gesellte sich einer zu ihm, den man nicht gern

nennt, der las in des jungen Rheingrafen Seele den

Wunsch und redete ihn an und sprach: Eine Burg da

droben, eine schöne stattliche, feste, ja, die wär' Euch

recht! Nicht so? Fehlt nur der Baumeister – ja – und

wenn einer käme, und baute sie über Nacht – dem

verschriebet Ihr wohl einen stattlichen Lohn? Was

gäbet Ihr solchem? Sagt es an! – Ihr redet wunderlich,

erwiderte der Rheingraf. Seid Ihr der Mann, der das

vermag, so fordert und bestimmt den Lohn. – Nur

eine einzige Seele – die Seele dessen, der zuerst

durchs Fenster der neuen Burg herab ins Tal der Nahe

und über alle die Täler und Berge ausschaut – das ist

wohl wenig für eine stattliche Grafenburg. – Kommt

heute abend wieder her, ich will es in Überlegung ziehen!

sagte der Rheingraf und verließ gedankenvoll

den Ort – eine Seele seinem Wunsche zu opfern,

dünkte ihm sündlicher Frevel, und doch war sein

Wunsch stark und groß. Daheim ließ er seinen Burgpfaffen

kommen und offenbarte dem den Handel. Der

Pfaffe schlug viele Kreuze und riet ernstlich ab, warnte

gar treu vor des bösen Feindes List und Tücken

und rückte sein schwarzes Käppchen auf dem Scheitel

wohl hin und her. Da trat des Rheingrafen junges

Ehegemahl herein und hörte das Gespräch und ließ

erst den Pfaffen hinausgehen, dann sagte sie: Laß

jenem nur gewähren, versprich ihm, was er begehrt,

das andere findet sich. – Da ritt der Ritter wieder hinaus

ins Nahetal und hielt ganz allein am Fuß der Felsen,

und es dämmerte schon, oben aber sprang eine

schwarze Gestalt von Fels zu Felsen, einer Gemse

gleich, und mit einem Male stand der Fremde auch

unten im Tale. Was machtest du da droben? fragte der

Ritter. Ich nahm einstweilen die Maße, antwortete

jener und fragte: Nun, soll ich? Fast hätte der Rheingraf

gesagt: In Gottes Namen – da wäre es gleich aus

gewesen – er besann sich und sagte bloß: Ja – aber

bis morgen früh fertig, und daß nichts fehle, Bergfried,

Mushaus, Palas, Luginsland, Mauern, Brücken,

alles, was zu einer stattlichen Burg gehört. – Am andern

Morgen glänzte die Burg flammenrot ins Nahetal

herab, alle Welt war erstaunt, solch Wunder- und

Zauberwerk war noch nicht da gewesen. Der Rheingraf

ritt nun hinauf, und der Architekt der Nacht führte

ihn in dem neuen herrlichen Eigentum umher, zeigte

ihm Hallen und Säle, Brücken und Gänge und öffnete

im Palas ein hohes Bogenfenster, die herrliche

Aussicht bewundern zu lassen. Aber der Ritter sah

nicht hinaus, er sagte spöttisch: Machet zu, hier

zieht's, wir sind warm vom Steigen. Morgen wollen

wir die Kauzenburg verlassen und hier heraufziehen.

Ihr räumt wohl den Platz und nehmt ein Zimmer im

Wächterturme? Nicht? – Der Teufel zog ein schiefes

Maul, er hatte sich schon unendlich darauf gefreut,

dem Rheingrafen einen Stoß aus dem Fenster in die

schwindelnde Tiefe zu geben und mit dessen Seele davonzufahren.

Am andern Morgen kamen der Rheingraf und die

Gräfin, und der Burgkaplan, und das Hofgesinde, die

Leibdiener, die Jäger, die Knappen, die Stallleute, die

Wächter, die Hundejungen, die Hühnerwärter, die

Schloßmägde, die Käsemutter, die Zwergin und die

Pferde, die Kühe, die Esel, die Rüden, der Meeraffe,

die Katzen. Es war ein Zug, schier gleich dem des

Erzvaters Noah, da er in den Kasten einging, zu Roß,

zu Esel, zu Wagen – alles auf das neue Schloß.

Die junge Gräfin scherzte freundlich mit dem Burgkaplan,

da droben werde es sehr zugig sein, sie wolle

ihm ein wärmeres Käpplein nähen, er möge ihr das

alte zum Muster einmal leihen – und als sie oben angelangt

war, ließ sie durch die Knappen auch ein Eselfüllen

hinauf in den Palas führen, und hieß es halten,

und band ihm das Pfaffenkäpplein auf den Kopf,

und ließ das Fenster öffnen und das Füllen daranstellen,

das schaute gar fromm und bedächtiglich zum

Fenster hinaus und spitzte die Ohren und witterte die

frische Morgenluft. Der Teufel hatte lange schon still

lauernd seitwärts gegenüber auf der Turmzinne gesessen,

jetzt sah er das Fenster sich öffnen, sah des Pfaffen

ihm wohlbekanntes Käppchen zum Vorschein

kommen, und fuhr im Nu hin, und krallte seiner Meinung

nach den Pfaffen heraus, und schmetterte ihn ins

Tal, und fing die Seele auf. Herrgott, was der Teufel

für einen Zorn hatte, als er von einer Tochter Evas

sich überlistet sah und statt einer Pfaffenseele eine

Eselsfüllenseele in den Klauen hielt! –

80. Der Stiefel voll Wein

Auf dem Steine, wo nun fortan dieser Rheingraf fröhlich

hauste, ging es zum öftern gar hoch her. Da saßen

eines Abends die Wild- und Rheingrafen und eine

große Schar Ritter von den Nachbarburgen im Saale

beisammen und zechten baß, und die Humpen kreisten.

Da saßen Ritter von Sponheim, von Dhaun, von

der Ebernburg, von Flörsheim, von Stromberg und

tranken scharf und fest. Jetzt hob der Rheingraf einen

mächtigen Reiterstiefel auf den Tisch und goß den

voll Weines und rief: Wer diesen Humpen leert auf

einen Zug, dem soll Hüffelsheim zu eigen sein mit

Wonne und Weide und aller Zubehör! – Des verwunderten

sich die Mannen und mocht sich's keiner vermessen,

schien ihnen allen der Schluck doch zu groß,

und selbst der Burgpfaff, der etwas zu leisten vermochte

in guten Trünken, und mancher andere Wakkere

wagten sich nicht daran. Da saß auch ein alter

Zecher im Kreise, Ritter Boos von Waldeck, der sah

die andern alle der Reihe nach an und wartete, ob

einer den Stiefel leeren wolle, und da es keiner tat, da

faßte er ihn in die Hand, und ließ den Wein rinnen in

seinen Schlund, und trank ihn leer bis auf die Nagelprobe,

und dann sagte er: Lieber Rheingraf, dein Hüffelsheim

schmeckte gut, wie wär' es nun mit Waldbö-

kelheim? Der Mensch kann doch nicht in einem Stiefel

gehen? – Aber der Rheingraf wollte nicht noch

einen Ort an eine Rittergurgel verlieren und schwieg

stille. Darnach ist das Sprüchwort aufgekommen: Der

verträgt einen guten Stiefel.

81. Der wilde Jäger

Der Wild- und Rheingrafen einer war ein gewaltiger

Jäger, aber nicht wie Nimrod vor dem Herrn, sondern

so recht vor dem Teufel. Einen Tag und alle Tage

ging es hinaus in die Forste, mit wildem, wüstem Gefolge.

Werktag und Feiertag, das war dem Grafen

alles gleich, in die Kirche ging er nicht, und die Pfaffen

achtete er nicht, nur Jagen war seine Freude. Da

geschah es eines Sonntagmorgens, daß der Wild- und

Rheingraf abermals vom hohen Stein mit dem Gefolge

seiner Jagdknechte und Rüden herab zu Tale zog,

mit Horrido und Hussassa, wie der Dichter singt,

durch Felder und Saaten, nichts achtend, niederstampfend

in den Boden junge Saat und reife Ähren. Es

währte nicht lange, so brachten die Hunde einen großen

weißen Hirsch auf, dessen Spur sie nun mit lautem

Kliffen und Klaffen folgten, und die Hifthörner

klangen, die Hetzpeitschen knallten, daß es nur so

sauste und brauste, immer dem Hirsch nach. In allen

Tälern riefen die Kirchenglocken zu Gebet und Amt,

der Wildgraf hörte es gar nicht. Ein Bäuerlein, in dessen

Feld der fliehende Hirsch sich zu bergen suchte,

sah den Troß auf sein Feld losjagen und fiel auf die

Knie und flehte, seines Ackers, des einzigen, welchen

es besitze, doch gnädiglich zu schonen – der Wild-

und Rheingraf überritt den Bauer und stürmte mit

dem ganzen Jagdtroß über den Acker hin. Der fliehende

Hirsch mischte sich unter eine weidende Herde, da

Sicherheit zu suchen – der Hirte sah die wilde Jagd

annahen und flehte um Barmherzigkeit für das ihm

anvertraute Vieh – der Wild- und Rheingraf knallte

ihm mit der Peitsche um die Ohren und schrie: Hui

hatz! hui hatz! – da fiel die blutgierige Meute mit wütenden

Bissen den Hirten an, und rissen ihn nieder,

und bissen die Rinder tot, und jagten den Hirsch weiter.

Dieser gewann einen Wald, dessen friedliche

Sonntagsstille jetzt gellend laut der Zug des wilden

Jägers durchtobte.

Im Walde stand eine Einsiedlerklause, und in diese

floh jetzt der auf den Tod gehetzte Hirsch. Der Wildund

Rheingraf stürmte mit seinem Troß gegen die

Klause an – der Klausner, ein Greis mit schneeweißem

Bart, trat heraus und hob warnend die Hand.

Nicht weiter! rief er mit starker Stimme. Hier ist das

Asyl der Kreatur! – In der Hölle ist dein Asyl, du alter

Hund und Narr! schnaubte der Wild- und Rheingraf

den Klausner an und hob die Peitsche hoch gegen ihn

auf. Aber die aufgehobene Rechte fiel nicht mehr zum

Schlage nieder. – Nacht ward es plötzlich – der

Klausner und die Hütte, der Hirsch und die Hunde,

die Jäger und die Knechte – alles schwand, und des

Wild- und Rheingrafen keuchendes Roß brach zusam-

men. Und da zuckte ein Blitz, und da fuhr des Teufels

Faust riesengroß aus der Erde und drehte dem wilden

Jäger den Hals um, und eine Stimme donnerte: Jage

so fort, bis an der Welt Ende! – Und also geschieht

es, wie viele viele Sagen melden, daß von Zeit zu Zeit

die wilde Jagd durch die Lüfte und über Felder und

Wälder fährt mit gräßlichem Geschrei, mit dem Kliffen

und Klaffen der Hunde, mit gespenstischem Wild,

und der wilde Jäger selbst als Wild gehetzt vom wilden

Heere der Hölle.

82. Spanheims Gründung

Es war vordessen ein Graf von Vianden und Ravenzierburg,

der liebte eine Gräfin des Nahegaues, welche

eine Witwe war, und auch sie war ihm als dem

zweiten Bewerber um ihre Hand nicht abhold – aber

der Graf hatte in einer Fehde einen nahen Verwandten

der Gräfin erschlagen, und so konnte und mochte sie

ihm, schon der Verwandtschaft wegen, die Hand zum

Ehebunde nicht so bald reichen, sondern band die Erfüllung

seines Wunsches an eine Bedingung, welche

Zeit vergönnte, jenen Fehdehandel mehr in Vergessenheit

kommen zu lassen. Sie sprach zum Grafen

von Vianden, er möge zur Sühne des Erschlagenen

eine Pilgrimfahrt in das Heilige Land antreten und

von dort ihr ein Zeichen von den heiligen Orten mitbringen,

das geweiht und beglaubigt sei, daran werde

sie seine aufrichtige Liebe und den Willen des Himmels

zugleich erkennen. – Der Graf schied vom Heimatlande,

und es währte wohl über Jahr und Tag,

bevor er an die Rückkehr denken konnte. Er kämpfte

gegen die Ungläubigen, betete an allen heiligen Orten

und erwarb, sein Gelübde zu lösen, auch einen Span

vom Kreuze des Herrn, dessen Echtheit der Patriarch

von Jerusalem durch einen Pergamentbrief mit bleiernem

Siegel beglaubigte. Der Graf von Vianden war

sehr glücklich, einen so werten Schatz zu besitzen,

und ließ eine kleine goldene Truhe anfertigen, besetzt

mit Edelgesteinen und sehr kunstvoll, und in getriebenem

Golde den Namen der Herrin, der er diente, auf

dem Deckel der Truhe anbringen. Darauf schickte

sich der Graf zur Heimreise an, voll Hoffnung auf

endliches Glück. Aber das Geschick zeigte sich ungünstig.

Auf der weiten Meerfahrt von Palästina nach

den Küsten Italiens erhob sich ein furchtbarer Sturm,

welcher das Schiff zu scheitern brachte, kaum daß die

Mannschaft das nackte Leben davonbrachte. Alle

Habe des Grafen und auch jenes wertvolle Kästchen

verschlangen die Wogen des Adriatischen Meeres. –

Arm und gebeugten Geistes, bekümmerten Herzens,

ein bettelnder Pilgrim, durchreiste der Graf die Gauen

Welschlands und Deutschlands, und so kam er auf

seinen Heimatburgen wieder an, wo er zwar des Gutes

und Geldes genug fand, allein nichts, was seinen Verlust

hätte ersetzen können. Betrübt suchte er die Gräfin

auf, sie hieß ihn freudig willkommen, er fand sie

schöner und liebenswürdiger als je vorher, das

schmerzte ihn um so tiefer, und er sprach: Frau Gräfin,

Ihr seht mich mit leerer Hand Euch wieder nahen.

Ich hatte ein kostbares Reliquienstück, einen echten

Span vom Kreuze unsers Herrn, wohlbewahrt in köstlichem

Schrein, für Euch vom Heiligen Lande mitgebracht.

Ein Sturm, der unser Schiff scheitern ließ,

raubte mir alle meine fahrende Habe und auch jenes

Kleinod, das für Euch bestimmt war, das mein Glück

an Eurer Hand begründen sollte. –

Armer Graf, sprach die Gräfin, und ihre Augen

strahlten ihn liebereich und minniglich an, so bringt

Ihr vom Kreuze des Herrn keinen Span heim? War

denn vielleicht auf dem Kästchen, das Euch der Meersturm

raubte, mein Name zu lesen?

Der Graf hörte ganz erstaunt diese Worte, er glaubte

zu träumen und rief: Beim Kreuze des Heilands,

Frau Gräfin, wie könnt Ihr wissen? –

Gottes Hand, der Heiligen Fügung! antwortete

ernst und liebreich die Gräfin, erschloß einen Schrein,

nahm aus diesem des Grafen goldne Truhe und hielt

sie dem Staunenden unter die Augen. Heute in der

Morgenstunde hat es an mein Burgtor geklopft, wie

der Pförtner öffnet, steht ein Jüngling draus, hell gekleidet,

mit einem Antlitz schön wie die Morgenröte.

Der spricht: Für deine Herrin – und gibt dem Pförtner

dieses Kleinod in die Hand. Wie der es betrachtet und

wieder zu dem Jüngling aufblickt, ist derselbe schon

hinweggeschwunden. Brauchen wir weiter Zeugnis?

Wir haben gehofft, jetzt laß uns glauben und lieben! –

Mit diesen Worten fiel die junge Witwe dem Grafen

um den Hals und küßte ihm den Verlobungskuß unter

Freudentränen. Und als beide miteinander vermählt

waren, erbauten sie eine neue Burg und ein Kloster,

und gründeten einen Ort, und nannten den Spanheim,

und stifteten den heiligen Span in ihr Kloster, und das

Kloster begabte mit kleinen Partikeln von dem Span,

reich in Gold gefaßt, auch das nachbarliche Kloster

Kreuznach, ja dessen alter Name Crucinaha, dem

Kreuze nahe, soll sogar davon abstammen. Und das

Geschlecht der beiden Vermählten blieb gesegnet

vom Herrn, viele fromme und berühmte Männer und

Frauen gingen aus ihm hervor, stifteten Klöster, bauten

Kirchen, kämpften im Heiligen Lande oder wandelten

selbst als heilige Personen durch das Leben.

83. Vom Ursprung des Moselweins

Es ist eine alte Sage, daß der herrliche Moselwein aus

dem deutschen Franken stamme. Merowig, der Westfranken

König, habe zwölftausend Bewohner des Mosellandes

in das morgenländische Franken geführt und

aus letzterem zwölftausend Einwohner in das Moselland

versetzt. Diese östlichen Franken waren gute

Wingersleute, entnahmen aus ihrem heimatlichen

Boden edle Reben und pflanzten diese im neuen Vaterlande

an, wo sie herrlich gediehen und liebliche

Weine lieferten bis auf diesen Tag.

Die Mosel entspringt im Vogesengebirge im deutschen

Sundgau aus zwei Hauptquellen, deren Flüsse

sich bei Remiremont vereinigen, und durchfließt in

den mannigfaltigsten Krümmungen das welsche Lothringen,

dann begrüßt sie deutsche Gaue und rauscht

altberühmten Städten vorüber.

Wie vom Frankenwein bis auf den heutigen Tag

der Spruch geht und gilt: Frankenwein, Krankenwein,

also daß selbst Kranken derselbe heilsam sei, so von

seinem Sohne, dem Moselwein, dem Erben seines

Ruhmes und seiner Tugenden, geht und gilt der lateinische

Reim: Vinum Mosellanum fuit omni tempore

sanum, das ist zu deutsch: Moselwein soll allzeit gesund

gewesen sein.

84. Der Heiligen Gräber

Im Mosellande beim Dorfe Chau steht eine dem heiligen

Eucharius geweihte Kapelle. Sankt Eucharius war

ein Sohn des Königs Baccius von Catalonien und der

Lientrudis, dessen Gemahlin. Dieses fromme Paar

gab aber nicht nur dem heiligen Eucharius das Leben,

sondern auch dem heiligen Eligius, der heiligen Liberia,

der heiligen Susanna, der heiligen Memia, der

heiligen Oda und der heiligen Gertrudis. Alle diese

Heiligen wurden mit vielen Edlen dieses Gaues durch

die wilden Vandalenhorden, welche Julianus Apostata

in das Land führte, umgebracht, an der Zahl zweitausendzweihundert,

und das geschah im Jahre 362 nach

Christi Geburt, am 10. Mai. So wurde jene Gegend

ein großer Totenhof, und die alte Kapelle an der

Mosel, Chau gegenüber, wurde zum Grabstein der

frommen Märtyrer und bewahrt auf Gedenktafeln das

Gedächtnis derselben der Nachwelt auf.

85. Metz versagt den Tanz

Das alte Metz, welches Frankreich, gleich den früher

deutschen Städten Toul, Verdun und Straßburg,

Deutschland abgedrungen hat, leitet schon von den

Römerzeiten seinen Ursprung und Aufbau her. Ein

Feldherr Julius Cäsars, Marius Metius, habe die

Stadt, welche Cäsar hartnäckig widerstanden, einnehmen

müssen, und habe sie verheert, dann aber herrlich

wieder aufgebaut, nach seinem Namen Metia genannt,

auch neunzehn Jahre daselbst regiert, auch einen Rat

aus dreizehn Stadtältesten eingesetzt, der lange bestanden

habe.

Zur Zeit Kaiser Karls V. sandte König Heinrich II.

von Frankreich den Connetable Annas Montmorency

vor diese deutsche Reichsstadt, der versprach ihr völligen

Schutz, wenn sie nur ein einziges Fähnlein französisches

Kriegsvolk, darunter man einen kleinen

Heerhaufen, etwa was heute eine Kompagnie besagt,

verstand, einnehmen wollte. Dies bewilligte der Rat

der Stadt Metz, und es zogen nicht minder denn dreitausend

Franzosen, allerdings nur mit einem einzigen

Fähnlein, in die Stadt und nahmen sie ohne Schwertschlag

für ihren König in Besitz, befestigten die Stadt

auf das beste und versahen sie mit Mundvorräten aller

Art. Als nun im darauffolgenden Jahre Kaiser Karl V.

mit einem Kriegsheere kam, Metz den Franzosen wieder

abzunehmen, glückte ihm das nicht, obschon er

mit siebenzigtausend Mann davorlag und vierzig

Tage und Nächte lang die Stadt so heftig beschießen

ließ, daß es gleichsam Kugeln regnete und die ganze

Gegend von dem Pulverdampfe fort und fort wie in

einen starken Nebel gehüllt blieb. Bis nach Straßburg

hin ward der Donner des Geschützes gehört. Der tapfere

Verteidiger von Metz war der Herzog von Guise,

welcher dem Kaiser viel Volk zuschanden machte.

Dazu halfen noch Hunger, Seuchen und Kälte gegen

Karl V. streiten, und es sind damals vor Metz dreißigtausend

Mann geblieben. Endlich brachte noch eine

Kriegslist den Kaiser zum Abzug. Der Herzog, welcher

fürchtete, die Stadt auf die Länge dennoch nicht

halten zu können, zumal sie an ihrer schwächsten

Seite angegriffen war, schrieb einen Brief an seinen

König des Inhaltes, daß die Belagerung ganz fruchtlos

und gefahrlos sei, zumal Karl sie an der

stärkstbefestigten Seite am meisten angegriffen habe.

Diesen Brief mußte ein scheinbar ungeschickter Bote

durch das feindliche Lager tragen, sich fangen lassen,

und nun gelangte der Brief vor Karls Augen. Dieser

ließ sich wirklich betören, hielt den Brief für wahr,

zog die Streitkräfte von der schwachen Seite zurück,

griff an anderen sehr gut befestigten Stellen an, verlor

die bereits errungenen Vorteile und mußte endlich

nach dem Verlust von fast der Hälfte seines Heeres

die Belagerung aufgeben. Da fehlte es nicht an Hohn

und Spott, der sich reichlich über Karl in allen deutschen

Landen ergoß, und da es ihm vor Magdeburg

auch fast in gleicher Weise ergangen war, so lief gar

bald der Spottreim von Munde zu Munde:

Eine Metze und eine Magd

Haben Karln den Tanz versagt.

Dieses und noch anderes Leid soll sich der Kaiser

so zu Gemüte genommen haben, daß er drei Jahre

später der Regierung ganz entsagte und 1586 als

Mönch in das Kloster St. Just in Spanien trat, wo er

Uhren baute. In diesem selben Jahre geschah es, daß

Metz, Toul und Verdun – Virdung zu deutsch – durch

den Vertrag und Friedensschluß zu Cambray von

Deutschland völlig abgetreten und unter den Schutz

der Krone Frankreichs gestellt wurden.

86. Der Teufelsbündner in Virdung

Als die Stadt Virdung noch eine deutsche war, und

zwar schon zu Kaiser Rudolf von Habsburg Zeiten,

saß ein Bürger dortselbst, der verfiel in Armut und

durch sie in Versuchung und Stricke, nach dem

Sprüchwort: An armer Leute Hoffart wischet der Teufel

seinen Hintern, denn jener Bürger mochte gar gern

prangen und prassen. Damit er nun neue Schätze gewinne,

verlobte er sich mit eines alten Weibes Beistand

dem Teufel, schwur Gott und seinen Heiligen

ab und empfing einen Heckebeutel mit Brutpfennigen;

sooft er in den Beutel griff, so oft konnte er die Hand

voll Goldes oder Silbers herausziehen. Da mehrte er

seinen Reichtum von Tage zu Tage, kaufte Gärten

und Häuser, Äcker und Wiesen und lebte alle Tage

herrlich und in Freuden. Eines Tages aber geschah es,

daß er vor seinem Hause im Schatten saß und mit

Freunden zechte, da kamen zwei unbekannte ernste

Männer auf schwarzen Rossen geritten, die führten

mit sich ein drittes aufgezäumtes schwarzes Roß und

trugen dunkle Tracht. Die Männer hielten an des Bürgers

Haus und forderten, daß er das ledige Roß besteige.

Der Bürger sahe mit Kummer, wo das hinauswolle,

nahm traurig von seinen Angehörigen, zwei

Söhnen und Freunden Abschied und bestieg das

dunkle Roß, auf welchem er mit den beiden Reitern

rasch von dannen ritt. Die Söhne hätten gern erfahren,

wohin doch ihr Vater geritten auf Nimmerwiederkehr.

Da fielen sie auf den Gedanken, die alte Hexe zu fragen

und ihr Geld zu geben, daß sie ihnen ihren Vater

zeige und den Ort, da er weile. Das alte Hexenweib

ging mit den Jünglingen in einen Wald, wo sie ihre

Zauberkunst übte und die Hölle beschwur. Da tat sich

der Erdboden auf, und die Zwei steigen herauf, welche

den Bürger hinweggeführt hatten, und waren

schrecklich anzusehen. Da fragte die Alte die Jünglinge:

Wollt ihr euern Vater auch sehen? – Den Ältesten

ergriff ein Grauen, und er verneinte die Frage, der

Jüngere aber besaß mehr Herzhaftigkeit und verlangte

nach des Vaters Anblick. Da winkte das Weib den

dunkeln Männern, und diese hießen den Jüngling

ihnen folgen. Nach einer Weile kamen sie an ein

schönes Haus, und in einem Gemach desselben sah

der Jüngling seinen Vater, ganz so gekleidet, wie er

von Hause hinweggeritten war, auch fast von solchem

Aussehen, nur lag auf seinem Gesicht der Ausdruck

eines namenlosen Leidens. Wie geht es Euch, Vater?

fragte der Jüngling. Ist Euch wohl oder wehe? – Der

Vater seufzte und sprach: Sohn, ich habe um irdisches

Gut Gott entsagt und seinem Anteil an mir und habe

dem Teufel Leib und Seele zu eigen gegeben. Tut

euch beide ab eures ererbten Gutes, denn es würde

dessen Nutzung euch schaden und euch der gleichen

Pein überliefern, die ich dulde. – Leidet Ihr Pein,

Vater? fragte der Sohn. Ich sehe doch nichts von einer

Flamme! – Rühre an mich mit der Spitze deines kleinen

Fingers, Sohn! antwortete der Vater, zucke aber

schnell wieder hinweg. Da tat das der Jüngling und

rührte seinen Vater nur so lange an, als ein Blitz

zuckt, und verbrannte sich alsbald den Finger und die

Hand und den Arm bis zum Ellenbogen und empfand

den allerglühendsten Schmerz. Voll Entsetzen rief er

nun: O armer, armer Vater! Können wir nichts für

Euch tun, das Euch fromme und helfe? – In Ewigkeit

nichts, sagte der Vater, als daß ihr euch des Höllengutes

abtut. – Da nahm der Jüngling trauernd Urlaub

von seinem Vater, und die Männer brachten ihn zurück

zu dem Hexenweibe, dem zeigte er den verbrannten

Arm, und wer ihn sonst sehen wollte, und

gab alles vom Vater ererbte Gut nebst seinem Bruder

an ein Kloster, das nahm es willig an, und schadete

ihm mitnichten etwas, die Brüder aber sind Mönche

geworden und haben ihr ganzes Leben hingebracht,

für ihres Vaters Erlösung aus der Flammenpein zu

beten.

87. Die getreue Frau Florentina

Zu Metz lebte ein edler Rittersmann, der hieß Alexander,

der hatte eine gar tugendsame Ehewirtin, die hieß

Florentina. Der Ritter gelobte sich zu einer Bußfahrt

zum Heiligen Grabe, und sein Ehegemahl fertigte ihm

ein feines neues Hemde, das zeichnete sie mit einem

roten Kreuze und hieß es ihm stetig tragen. Es sei also

gefeit und geweiht, daß es immer rein bleibe, zum

Zeichen ihrer steten Reinheit und Treue, die sie ihm

bewahren wolle bis zu seiner Wiederkehr. Im Heiligen

Lande aber geriet Ritter Alexander aus Metz in

Gefangenschaft und mußte mit anderen als Knecht

den Pflug ziehen und Geißelhiebe und ein Joch auf

seinem Nacken dulden wie ein Stier. Das Hemd aber

blieb trotz harter Arbeit, trotz Staub und Schweiß und

Blut stets rein und weiß, wie Schnee. Das verwunderte

die Aufseher, und sie brachten es vor den Sultan.

Da erkundigte sich der Sultan, welche Bewandtnis es

mit des Sklaven Hemde habe, und Alexander erzählte

ihm von der Treue und Reinheit seiner Florentina.

Solches dünkte dem Sultan eine Lügenmäre zu sein,

und er ward sehr neugierig, ob dem in der Welt nur so

sein könnte, und ließ auf seine Kosten einen vertrauten

Eilboten ins Abendland reisen, der kam auch

glücklich nach Metz, erkundete die Frau, erzählte ihr

von ihres Herrn harter Gefangenschaft und warb, da

er sie zumal besonders schön fand, mit starker Versuchung

um ihre Minne. Allein da er ganz vergebens

sich um die Gunst der Frau bemühte, so zog er wieder

ab und brachte seinem Herrn die Nachricht von Florentinas

unwandelbarer Treue. Diese aber kleidete

sich in Pilgrimtracht, nahm eine Harfe mit, die sie

meisterlich zu spielen verstand, und reiste dem Heiden

nach, holte zu Venedig ihn ein und fuhr mit ihm,

ohne daß er sie wiedererkannt hätte, in das Heidenland.

Als sie nun an des Heidenkönigs Hofe ankamen,

meldete der Abgesandte, was er zu Metz ausgerichtet,

und rühmte seines Reisegefährten kunstreiches Harfenspiel.

Da wurde der Pilgrim an den Hof gefordert

und durfte sich hören lassen und wurden ihm große

Geschenke für sein Spiel dargeboten. Er weigerte

aber, solche anzunehmen, und bat nur um die Freilassung

eines der Sklaven, die im Pfluge gingen. Das

ward ihm zugestanden, und nun ging Florentina zu

den Sklaven und suchte unter ihnen ihren Mann, den

bat sie los, gab sich ihm aber nicht zu erkennen,

weder zu Lande, noch zur See, sondern blieb in ihrer

Verkleidung als Mann und fuhr mit ihrem Manne der

Heimat zu. Da sie noch zwei Tagereisen von Metz

waren, sprach Florentina: Mein lieber Wandergesell,

nunmehr gehen unsere Wege voneinander. Gib mir

dafür, daß ich dich befreit, doch auch etwas zum An-

denken. – Was soll ich dir geben, der ich so viel wie

nichts habe? fragte der befreite Ritter. – Du hast ein

sonderbares Hemde an, von dessen Wunder habe ich

im Heidenlande reden hören, schneide mir ein Stück

heraus, damit ich auf meiner Pilgerschaft auch andern

von dem Wunder singen und sagen kann. – Weil du

es bist und ich so großen Dank dir schuldig geworden,

sprach der Ritter, so will ich's tun, keinem anderen

auf der Welt gäbe ich vom Hemde, das mir meiner

Frauen Reine und tugendsame Zucht so wunderbar

verbrieft. – Schnitt ihm also ein Stücklein, nicht gar

groß, aus dem Hemde heraus und schied so dankend

von dem Pilgrim. Florentina eilte ihrem Gatten

schnell voraus nach Metz, legte ihre Frauenkleidung

wieder an, und als er nun, einen ganzen Tag später

wie sie, daheim ankam, empfing sie ihn mit herzlicher

Liebkosung und Freude, des ward er sehr glücklich.

Als aber nun der heimgekehrte Ritter allmählich seine

Freunde wieder sah, da merkte er an ihrem sondern

Wesen, daß sie etwas Heimliches gegen ihn auf den

Herzen hatten, und endlich sagte ihm einer: Mich

nimmt viel Wunders, daß du dein Weib wieder daheim

funden hast, sie muß deine Heimkunft gerochen

haben. Ein fremder Mann war oft und lange bei ihr,

und endlich ist sie ihm nachgefahren und zwölf Monate

außen blieben und nur kurz vor dir wiederkommen.

– Da ward der Ritter sehr zornig, lud seine

Freunde und Verwandten zu einem Mahl und fragte

dann dabei sein Weib öffentlich, warum sie so untümlich

lange Zeit ihr Haus verlassen, und wo sie denn in

der Welt herumgereist sei nach fahrender Fräulein

Art. – Da stund die getreue Florentina schweigend

vom Tische auf, ging in das Zimmer nebenan und

kam als Pilgrim mit der Harfe wieder und reichte ihm

das Stücklein Leinwand aus seinem Hemd. Da hob

der Ritter seine Hände auf und rief: Vergib, du

Himmlische, du Reine! Du befreitest mich aus Sklavenbanden,

aus dem Joche am Pfluge, und fiel ihr

weinend um den Hals und bat sie um Verzeihung, und

jede Anklage verstummte auf immerdar.

88. Triers Alter

Trier und Solothurn sollen die ältesten Städte in Europa

sein. Eintausendunddreihundert Jahre vor Christus

habe Trier schon gestanden, wie alte Reimverse aussagen,

ja Trier war lange die zweitgrößeste Stadt in

der alten Welt, Rom die erste, und die Alten nannten

es das reichste Trier, das beglückteste Trier, das

ruhmwürdigste, das ausgezeichnete Trier – und dies

schon zur Römerzeit, und zur Zeit des deutschen Mittelalters

war Trier des Christentums Wiege, das zweite,

das deutsche Rom. Triers frühe Kulturblüte brachen

zuerst die Gallier durch eine dreimalige Verheerung

und schufen aus der Stadt nur einen großen Totenhof.

Dennoch verlangten einige dem Verderben

entgangene Nobili noch blutige Zirkusspiele, wie sie

in Rom stattfanden zur Zeit des tiefsten Sittenverfalles

dieser Weltstadt. Die Astrologen nannten übrigens

das Triersche Gebiet die Planetengasse, weil es dort

so überaus häufig regnen soll. Man sagt auch von

einem See in diesem Gebiete, darin sich zuzeiten ein

wunderbarer Fisch soll sehen lassen, und wenn dies

geschehe, bedeute es voranzeigend den Todesfall des

jedesmaligen Landesherrn. Das schönste unter den

vielen Baudenkmalen uralter Zeit ist der Dom zu

Trier; lange zeigte man in ihm ein Horn, das die Ein-

wohner die Teufelskralle nannten, und erzählten, der

Erbauer des Doms habe allein nicht zustande kommen

können und den Teufel zu Hülfe genommen und diesen

überlistet, da habe der Teufel in seiner Wut die

Altäre umreißen wollen, es sei ihm aber nicht gelungen,

und habe er noch dazu eine Kralle lassen müssen.

Im Dom zu Trier wird auch der ungenähte heilige

Rock aufbewahrt, den Christus der Herr getragen

haben soll, und um den die Kriegsknechte gewürfelt,

weil er zu schön, als daß sie ihn hätten zerschneiden

mögen. Es ist ein Mannsrock mit langen Ärmeln, aus

zartem Linnenstoff, aus subtilen Fäden buntfarbig gewirkt.

Die heilige Helena war es, welche diesen Rock

mit einem Stücke des heiligen Kreuzes und einem

Nagel, mit welchem Christus an das Kreuz geheftet

war, nach Trier schenkte, wohin sie den frommen Bischof

Agritius von Antiochia sandte. Dieser Rock genießt

der andächtigsten Verehrung von vielen Millionen

Gläubigen, die an seiner Echtheit nicht zweifeln,

obschon an vielen Orten mehr derselbe Rock und

doch nicht derselbe für echt gezeigt wird.

89. Sankt Arnulfs Ring

Von besonders hohem Alter ist auch zu Trier die Moselbrücke,

ein dauerbares Gebäu von Steinen ungeheurer

und ungewöhnlicher Größe, auf jeden Fall ein

Bauwerk aus Römerzeiten; der Kaiser Nero soll

schon über diese Brücke gezogen sein, um alles Land

bis Köln zu erobern. Wo sich die Bogen der Brücke

miteinander schließen, stehen Säulen, welche über die

Brustwehr der Brücke emporragen, darauf sollen

heidnische Götterbilder gestanden haben. Einst fühlte

der heilige Arnulf sein Gewissen belastet, und da er

von ohngefähr über die Moselbrücke ging, sah er in

des Wassers Tiefe nieder, zog einen kostbaren Ring

vom Finger und warf ihn voll Vertrauen auf Gottes

Allmacht und Barmherzigkeit hinab in die Mosel,

indem er rief: Wenn ich hoffen darf, daß meine Sünden

mir verziehen werden, so werde ich diesen Ring

wiederbekommen. Es vergingen wenige Jahre und der

heilige Arnulf wurde unterdes Bischof zu Metz. Da

lieferte eines Tages ein Fischer in die bischöfliche

Küche einen großen Fisch, und da der Koch diesen

zubereitete für die Tafel seines Herrn, fand er voller

Verwunderung im Eingeweide des Fisches einen

schönen Ring und brachte den Ring zum Bischof. Da

sahe dieser, daß es sein Ring war, den der Fisch, ihn

wohl für eine Speise haltend, beim Fallen hinabgeschlungen

und einige Jahre bei sich behalten – und

pries Gott in Demut für dieses Gnadenzeichen und tat

sich aller sündigen Gedanken ab, um dieser Gnade

sich wert zu erzeigen.

90. Frevel wird bestraft

Als im Jahre 1673 die Franzosen Trier belagerten,

machten sie ringsum vor der Stadt alle Klöster der

Erde gleich. Dem Kommandanten wurde auf das beweglichste

zugeredet, nicht also zu verfahren, und ihm

zu verstehen gegeben, keinem gehe es gut aus, der

sich an Gotteshäusern und frommen Stiftungen mit

frevelnder Hand vergreife. Der Kommandant aber

sagte: Das ist nicht meine, sondern des Königs Sache,

der es also haben will und befiehlt; hole mich der

Teufel, wenn das Kloster nicht bis heute abend ein

Aschenhaufen ist! – Kaum hatte er das gesagt, da er

gerade auf einer Brücke hielt, so tat sein Pferd einen

plötzlichen Satz, übersprang die Brückenbrustwehr

und stürzte zusamt dem Reiter in die Mosel, wo der

Reiter unten hin und das Pferd auf ihn zu liegen kam;

Roß und Reiter hatten den Hals gebrochen.

Dieses Kommandanten Nachfolger ritt auch dorthin,

da warnte ihn die Schildwache und sagte: Hier ist

nicht sicher reiten, auch zielt der Feind nach diesem

Punkt. – Ho! lachte der Kommandant, der Feind kann

mich hintenhin treffen. – In diesem Augenblicke fiel

auf einer Bastion ein Schuß, und der Kommandant tat

einen lauten Schmerzensschrei und stürzte samt dem

Pferde. Die Kugel hatte den von ihm bezeichneten Ort

wirklich getroffen, war aber nicht auf halbem Wege

geblieben, sondern vorn wieder heraus und dem Pferde

durch den Hals gedrungen.

91. Die Martyrergräber

Sankt Maximin heißt unterhalb Trier am Moselflusse

eine alte, weitberühmte Abtei. Schon die Stätte, darauf

sie steht, soll zur Heidenzeit einen Dianentempel

getragen haben, und als ihrer Gründer rühmt sie sich

des Kaisers Konstantin des Großen und seiner Gemahlin

Flavia Helena. Zuerst wurde das Stift in die

Ehre Johannes des Täufers geweiht, dann in die des

heiligen Hilarius, unter dem vierten Abt Tranquillus

aber erhielt das Stift den Leichnam Sankt Maximins

und trug nun von diesem den Namen. In diesen Gegenden

– manche sagen bei Neumagen – soll es gewesen

sein, daß dem Kaiser Konstantin dem Großen das

Kreuzeszeichen am Himmel erschien mit dem berühmten

I.H.S. In Hoc Signo – scilicet vinces, in diesem

Zeichen wirst du siegen, welche Buchstaben nach

alter Schreibart den Namen Ihesus bedeuten. Hier sollen

die heiligen Kirchenväter Ambrosius, Hieronymus

und Athanasius eine Zeitlang gelebt, hier soll der letztere

das nach ihm benannte Glaubensbekenntnis niedergeschrieben

haben. Hier ruhen die Erzbischöfe Nicetius

und Basinus, hier ruht Ada, Karls des Großen

Schwester, welche einen Codex aureus der Evangelien

schrieb.

Und nahe bei Sankt Maximin liegt auf diesem

uralt-heiligen Boden des Trierschen Gaues die Abtei

zu Sankt Paulini. Die Krypta dieses Klosters ward

zum riesigen Aschenkrug für eine Reihe der vornehmsten

Martyrer. Rictiovar, Kaiser Maximinians Präfekt,

verfolgte auf seines Herrn Befehl die christliche sogenannte

Thebanische Legion allenthalben, auch in dieser

Gegend, und mordete schonungslos. Paulinus,

Triers Erzbischof, wurde in eisernen Ketten

aufgehenkt; einen der Heerführer der Legion namens

Tirsus, begrub man zur linken Paulins, den Konsul

Palmatius ihm zur rechten Hand. Zu Häupten des

Heiligen ruhten sieben Ratsherrn, die mit den Thebanern

zugleich die Martyrerkrone empfingen, unter

ihnen einer des Namens Maxentius. An diese reihten

sich Constantius, Crescentius, Justinus, Leander, Alexander,

Soter, die letzten drei Brüder. Zu Sankt Paulini

Füßen wurden vier Martyrer beigesetzt, welche

Rictiovar vor seinen Augen enthaupten ließ nach vorhergegangenen

gräßlichen Martern: Hormisda, Papinius,

Constans und Jovianus. Das Blut der gemordeten

Tausende in Trier und auf diesem Gebiete floß in

Bächen hinab zur Mosel und färbte ihre Wogen weit

hinab rot, bis zum Schlosse Neumagen.

92. Die heilige Genofeva

Zu Pfalzel, sonst Pfälzel (kleine Pfalz), an der Mosel,

steht ein getürmtes Haus, das Genofevenhaus geheißen,

da lebte zu Erzbischof Hildulfs in Trier Zeiten

ein Pfalzgraf Siegfried, der hatte eine treue und fromme

Gemahlin, eines Herzogs Tochter aus Brabant.

Aber es geschah, daß Siegfried in das Heilige Land

ziehen mußte, ließ daher sein Weib in seiner Pfalz am

Moselstrome zurück und übergab sie in die Obhut

eines vertrauten Dienstmannes, des Namens Golo.

Bevor der Pfalzgraf aber von hinnen schied, letzte er

sich mit seiner Genofeva noch einmal herzlich, und

sie empfing einen Sohn von ihm. Golo aber war ein

schlimmer Hüter, er entbrannte in Liebe zu der schönen

Herrin und begann Ränke zu schmieden, schrieb

falsche Briefe, als sei Siegfried mit all den Seinen im

Meere ertrunken, und las sie der Pfalzgräfin vor, und

gestand ihr seine Liebe, und wollte sie umarmen, sie

wehrte ihn aber mit einem Faustschlag ins Gesicht ab;

nun verwandelte sich seine Liebe in bittern Haß; er

entzog der Pfalzgräfin alle Bedienung, und als ihre

Stunde nahte, wo sie des Söhnleins entbunden werden

sollte, hatte sie niemand zum Beistand als eine alte

Waschfrau. Da kam Botschaft in ihr Haus, daß ihr

Herr lebe und heimkehre, des erschrak Golo, der Ver-

räter, bis zum Tode und suchte Rat bei einem alten

Hexenweibe, das riet ihm teuflischen Rat: Golo solle

dem Pfalzgrafen einreden, der schöne Sohn Genofevas

sei mitnichten der seine, wie er selbst berechnen

könne, sondern Drakos, des Kochs. Solches tat Golo,

indem er seinem Herrn entgegenreiste; da ward Siegfried

sehr betrübt und wußte nicht, wie er sich des

Weibes, das ihn nach des Lügners treulosem Bericht

geschändet hatte, abtun solle. Da riet Golo, daß er

Genofeva samt ihrem Kinde an ein Wasser führen und

sie beide ersäufen wolle, und Siegfried willigte ein.

Darauf bestellte Golo zwei Knechte, die mußten Genofeva

und ihren Sohn hinwegführen und sollten sie

umbringen, so oder so. Unterwegs aber jammerte den

Knechten die schöne Frau und das schöne Kind, und

sprachen untereinander: Was kann diese Frau verbrochen

haben? Und was hat sie uns getan? Sollte ihr zu

sterben bestimmt sein, brauchen wir ihr doch nicht

das Leben zu nehmen. Wir wollen dem Hund, der da

mit uns läuft, die Zunge ausschneiden und Golo zeigen,

zum Wahrzeichen, daß wir die Frau getötet, und

sie gehen lassen.

Und so taten die Knechte und ließen die arme Genofeva

mit ihrem Kinde trostlos und weinend und betend

in öder Wildnis zurück. Das Kind nannte Genofeva

Schmerzenreich, es zählte noch keine dreißig

Tage, und der Schmerz vertrocknete alle Milch in sei-

ner Mutter Brust. Da flehte die arme junge Mutter zur

Mutter aller Schmerzen und aller Seligkeiten, und die

ewige Jungfrau neigte der Verlassenen liebend ihre

Gnade zu. Aus dem Waldesdickicht trat eine Hindin,

die lagerte sich vor Genofeva hin, und Genofeva legte

ihr Söhnlein an die Zitzen des Tieres, sich selbst aber

nährte sie mit dem, was der Wald bot, und baute auch

für sich und ihren Sohn eine Hütte aus Holzstämmen,

Reisig, Dornen und Moos, da blieb sie sechs Jahre

und drei Monate und sah kein anderes Wesen als die

treue Hindin.

Da geschah es, daß der Pfalzgraf Siegfried einmal

in dieser Gegend des Waldes jagte, und da trieben die

Hunde die Hirschkuh auf, welche mit ihrer Milch Genofeva

und ihren Knaben ernähren half. Jäger und

Hunde folgten dem Wild, und die Hinde floh zur

Hütte Genofevas und kniete zu dem Knaben hin, und

Genofeva wehrte mit einem Stock die nachhetzenden

Hunde ab. Jetzt kam der Pfalzgraf, mit Staunen sah er

das Weib im Walde, fast aller Kleidung entblößt

durch diese lange Zeit, und der Pfalzgraf vermeinte, es

sei etwa ein verlaufenes heidnisches Weib oder eine

Zigeunerin, und rief sie an: Bist du eine Christin? –

Sie antwortete: Ich bin eine Christin, aber gib mir deinen

Mantel, daß ich mich bedecke. Das tat Siegfried

und fragte sie, warum sie keine Kleider habe und so

einsam im wilden Walde hause. – Meine Kleider sind

vor Alter zerschlissen, sagte sie. – Wie lange wohnest

du in diesem Walde? Und wes ist dieser Knabe? Wer

ist sein Vater? Und wie heißest du? – Auf diese Fragen

antwortete Genofeva: Sechs Jahre und drei Monate

wohne ich einsam in diesem Walde! Der Knabe ist

mein Sohn, und seinen Vater kennt Gott so gewiß, als

ich ihn kenne. Und Genofeva ist mein Name! – Bei

diesem letzten Wort erschrak der Pfalzgraf, und ein

Kämmerling trat zu ihm und sprach: Herr, trügt mich

nicht die Erinnerung, so ist das wahrhaftig unsere

Frau, die schon so lange gestorben sein soll – schaut

doch nach dem Muttermal an ihrem Halse. – Und

siehe – sie hatte das Mal. Der Pfalzgraf war abseit getreten

und wußte nicht, was er beginnen solle, und

sprach: Sehet doch, ob sie auch den Trauring noch

trägt! – Und sie trug ihn noch. Und es kam über den

Pfalzgrafen ein unsaglicher Schmerz und eine tiefe

Reue, und er eilte zu Genofeva hin, und schlang die

Arme um sie, und küßte sie, und herzte den Knaben,

und rief: Ja, das ist mein Weib! Das ist mein Sohn! –

Und Genofeva erzählte, wie es ihr ergangen durch

Golos Teufelstücke und Verrat, und da kam dieser,

sich nichts von diesem Ereignisse versehend, da zürnten

ihm die Mannen des Pfalzgrafen und wollten ihn

niederstoßen. Aber der Pfalzgraf gebot ihnen Einhalt

und sagte, daß dieser Verräter des Todes von Ritterhand

nicht wert sei. Vier Ochsen, die noch an keinem

Pfluge gezogen, wurden genommen, und an jeden Fuß

und an jede Hand des Missetäters wurden Seile gelegt

und an die Ochsen gespannt, und diese dann nach vier

Seiten getrieben. So ward Golo lebendigen Leibes in

vier Teile zerrissen.

Nun wollte Siegfried seine Gemahlin auf sein

Schloß führen und aller Ehren teilhaft werden lassen,

allein sie willigte nicht ein, sondern sprach: Hier an

diesem Ort hat die heilige Jungfrau mich beschirmt

und behütet, die wilden Tiere unsichtbar abgewehrt,

durch die Hinde mein Kind erhalten, dieser Ort soll

meine Stätte bleiben und der Königin aller Engel geweiht

werden. Dem willfahrete der Pfalzgraf Siegfried,

sandte zu Hildulf, dem Bischof, und ließ durch

ihn die Stätte weihen und ordnete auf Genofevas Bitten

den Bau einer Kirche an. Die Pfalzgräfin wohnte

nun unter besserm Dach, allein sie konnte keine

künstliche Speise mehr vertragen, sondern nur die gewohnte

Waldkost, und lebte nach dem Wiederfinden

nur noch wenige Tage; sie starb froh und selig, und

ruhte in der neu erbauten Waldkapelle zu Unser Frauen

Kirche, ohnweit Mayen, und es sind allda manche

Wunder geschehen, und ist die Geschichte von der

frommen Genofeva durch alle Lande gegangen. Aber

nicht allein in Pfalzel, sondern auch in Mayen, das im

Maifelde liegt, wird ein Genofeventurm gezeigt, und

die Frauenkirche alldort soll die rechte sein. Biswei-

len soll man noch Genofeva hinter dem Hochaltar sitzen

und spinnen sehen.

93. Die Weingötter am Rhein

Zu Bacharach am Rhein, wo nach altem deutschen

Reimspruch der besten Weine einer wächst, soll vorzeiten

ein Altar des Bacchus, des Weingottes, gestanden

haben, und des Ortes Name soll von diesem

Altar, Bacchi ara, herrühren, diesen Altarstein nannten

die Winzer umher auch den Elterstein. Dort ist

auch ein Fels im Rhein, der wird nur bei ganz kleinem

Rhein, bei großem Wassermangel und heißem dürren

Sommerwetter, sichtbar und stets für eine dem Weinjahr

günstige Prophezeiung genommen, denn es geht

ein Sprüchwort, das lautet: Kleiner Rhein gibt guten

Wein. – Viele meinen, daß dieser Fels selbst der Altar

des Bacchus sei, und mit Figuren verziert, und vielleicht

hat noch im schwachen Nachhall sich altheidnischer

Kult darin erhalten, daß die Schiffleute, wenn

der Elterstein sich zeigt, eine Strohpuppe als Bacchus

aufputzen und auf dem Stein befestigen, so ist der Sagenglaube

im Volke lebendig, wenn auch die Gelehrten

ungläubig den Kopf dazu schütteln.

Zu Caub, nahe der alten Burg Pfalzgrafenstein mitten

im Rheinstrom, darin vorzeiten aller Pfalzgrafen

Wiege stand, weil aller Pfalzgräfinnen Wochenbette

darinnen aufgeschlagen werden mußte, lebt noch eine

Sage von einem wunderlichen Heiligen, Theonest, des

Name wie eine Verstümmelung des griechischen

Wortes Dionysos (Bacchus) klingt. Dieser Theonest

soll aber doch nicht ein heidnischer Weingott gewesen

sein, sondern ein christlicher Martyrer, der in

Mainz bis auf den Tod gequält wurde, und dem es gelang,

in einer Weinkufe statt Nachens auf dem Rheinstrom

zu entkommen und sich abwärts tragen zu lassen.

Je weiter Theonest fuhr, um so wohler wurde ihm

zumute, und bei Caub landete er in seiner Kufe an,

predigte das Christentum und pflanzte Weinreben,

und zwar süße Trauben tragende, die kelterte er zuerst

in seiner Kufe, und davon nahm der Ort, den er hier

am Strome gründete, den Namen Caub an, und in das

Stadtsiegel nahmen hernach dankbar die Cauber das

Bild des heiligen Theonest, in seiner Kufe sitzend, als

ihr Stadtwappen und führen es in ihrem Siegel. Und

ist auch hernachmals Caub ein wichtiger Ort geworden

durch Rheinzoll und Stromreederei.

94. Die sieben Schwestern

Am Rhein unterhalb dem Pfalzgrafenstein steht eine

hochragende Burgtrümmer, Schloß Schönberg. Darauf

sollen sieben so schöne Ritterfräulein gewohnt

haben, daß ihre Schönheit selbst dem Schlosse, darinnen

sie hausten, den Namen lieh. Aber die Fräulein,

welches sieben Schwestern waren, so groß ihre

Schönheit war, so kalt und gefühllos waren sie gegen

die Minne. Keines Ritters Bewerbung erhörten sie,

einen Freier nach dem andern wiesen sie ab, manches

junge edle Herz brach an den Felsenherzen der sieben

schönen Schwestern. Aber das Geschick beschloß

ihre Strafe. Eines Tages landete ein Nachen unten am

Fuße des Berges, darinnen sieben herrliche Jünglinge

saßen, in ritterlicher Tracht und von vornehmem Gebaren.

Sie kamen zur Burg, sie stellten sich den Fräulein

dar, sie warben um Herzen und Hände. Es war

vergebens, die sieben Schwestern blieben kalt. Mit

einem Male verdunkelte sich der Himmel, eine höllische

Musik ertönte, die Jünglinge umschlangen die

sieben Schwestern, jeder eine, wie zum Tanzreigen,

und schwangen sie tanzend und drehend aus der Burg,

über die Zugbrücke, den Berg hinab in den Strom hinein,

der stürmisch unter Donnern und Blitzen

wogte. – Als es wieder hell und friedlich am reizen-

den Stromesufer geworden war, siehe, da ragten sieben

Felsenspitzen aus dem Strome, in diese waren die

Jungfrauen mit den Felsenherzen zur Strafe ihrer unnatürlichen

Härte verwandelt. Größere Flut überwogt

sie, kleinere läßt sie sichtbar werden. Die Rheinschiffer

kennen sie unter dem Namen der sieben Jungfern

und haben unter sich die Sage: Wenn einst ein Mächtiger

diese Felsen dem Strombette enthübe und sie zu

Säulen einer Betkapelle am Ufer bilde, so würden die

Jungfrauen erlöst werden, wieder auf die sich erneuende

Burg zurückkehren und jede nach der jahrhundertelangen

harten Buße einen Mann beglücken.

95. Lurlei

Wo das Stromtal des Rheins unterhalb Caub am engsten

sich zusammendrängt, starren hoch und schroff

zu beiden Seiten echoreiche Felsenwände von Schiefergestein

schwarz und unheimlich hoch empor.

Schneller schießt dort die Stromflut, lauter brausen

die Wogen, prallen ab am Fels und bilden schäumende

Wirbel. Nicht geheuer ist es in dieser Schlucht,

über diesen Stromschnellen; die schöne Nixe des

Rheins, die gefährliche Lurlei oder Lorelei, ist in den

Felsen gebannt, doch erscheint sie oft den Schiffern,

strählt mit goldenem Kamme ihr langes flachsenes

Haar und singt dazu ein süß betörendes Lied; mancher,

der davon sich locken ließ, der den Fels erklimmen

wollte, fand seinen Tod in den Wellenwirbeln.

Rheinab und -auf ist keine Sage so in aller Mund als

die von der Lurlei, aber sie gleicht dem Echo der

Uferfelsen, das sich mannigfach rollend bricht und

wiederholt. Viele Dichter haben sie ausgeschmückt –

bis fast zur Unkenntlichkeit.

Lurlei ist die Rhein-Undine. Wer sie sieht, wer ihr

Lied hört, dem wird das Herz aus dem Busen gezogen.

Hoch oben auf ihres Felsen höchster Spitze steht

sie, im weißen Kleide, mit fliegendem Schleier, mit

wehendem Haar, mit winkenden Armen. Keiner aber

kommt ihr nahe, wenn auch einer den Felsgipfel erstiege,

sie weicht vor ihm – sie schwebt zurück, sie

lockt ihn durch ihre zaubervolle Schönheit – bis an

des Abgrunds jähen Rand, er sieht nur sie, er glaubt

sie vor sich auf festem Boden, schreitet vor und stürzt

zerschmetternd in die Tiefe.

Eine Sage von heitrerer Färbung als alle die andern,

die, wenn sie sich auch sonst nicht gleichen,

doch in der melancholischen Färbung und dem trüben

Ausgang einander ähnlich sind, ist diese. Einst schiffte

auch der Teufel auf dem Rhein und kam zwischen

die Lurleifelsen; der Paß schien ihm zu enge, er wollte

ihn weit haben und den gegenüberliegenden Felsenkoloß

entweder von der Stelle rücken oder in solche

Brocken brechen, daß sie den Strom ganz sperren und

unschiffbar machen sollten; da stemmte er nun seinen

Rücken an den Lurleifels und hob und schob und rüttelte

am Berge gegenüber. Schon begann dieser zu

wanken, da sang die Lurlei. Der Teufel hörte den Gesang,

und es wurde ihm seltsam zumute. Er hielt inne

mit seiner Arbeit und hielt es fast nicht länger aus.

Gern hätte er sich selbst die Lurlei zum Liebchen erkoren

und geholt, aber er hatte keine Macht über sie,

wurde aber von Liebe so heiß, daß er dampfte. Als

der Lurlei Lied schwieg, eilte der Teufel von dannen;

er hatte schon gedacht, an den Fels gebannt bleiben

zu müssen. Aber als er hinweg war, da zeigte sich, o

Wunder, seine ganze Gestalt, den Schwanz nicht ausgenommen,

in die Felswand schwarz eingebrannt,

womit er sein Andenken bei der Lurlei verewigte.

Nachher hat sich der Teufel sehr gehütet, der Sirene

des Rheins wieder nahe zu kommen, und hat gefürchtet,

wenn er von ihr abermals gefesselt werde, in seinen

Geschäften große Unordnung und Unterbrechung

zu erleiden.

Die Lurlei aber singt immer noch in stillen ruhigen

Mondnächten, erscheint immer noch auf dem Felsengipfel,

harrt immer noch auf Erlösung. Aber die Liebenden,

die sich von ihr betören ließen, sind ausgestorben;

die heutige Welt hat keine Zeit, ihren Fels zu

besteigen oder im Nachen sich in Mondnächten diesem

zu nahen. Der Räderumschwung des raschen

Dampfschiffes braust ohne Aufenthalt vorüber, und

durch sein Rauschen dringt keine Sang- und Sagenstimme

mehr.

96. Sankt Goars Wunder

Aus dem Lande Aquitanien kam ein frommer Mönch

in die Rhein- und Mosellande. Auch an der Lahn

nahm er eine Zeitlang den Aufenthalt, predigte, breitete

das Christentum aus und übte manches Wunder.

Ein Fels unterhalb der Lurlei zeugt noch von ihm;

man erblickt in diesem Felsen eine ausgehauene viereckige

Vertiefung und nennt dieselbe St. Goars Kanzel

oder auch St. Goars Bett. Dort soll der heilige

Mann lange Zeit gelebt und gewohnt haben, das

Evangelium zu verkünden und verunglückenden

Schiffern beizustehen. Noch ist, und für alle Zeiten,

des Heiligen Name fortlebend in den einander gegenüberliegenden

Ortschaften St. Goarshausen und St.

Goar am Rhein, und zu Pfalzfeld in der Nähe hinter

St. Goar soll ihm eine Denksäule errichtet worden

sein. In seiner Zelle zu St. Goar soll der Heilige verstorben

sein, worauf die Andacht ihm eine Kapelle

dort errichtete, die schon zu Kaiser Karl des Großen

Zeiten stand und berühmt war als ein Haus freigebiger

Milde und Gastlichkeit gegen Reisende, Schiffer,

Pilger und Wallfahrer. In der Gruft der von einem

Grafen von Katzenellenbogen, denen diese Landschaft

gehörte, erbauten Kirche steht die Bildsäule

des Heiligen lebensgroß, und waren auch sonst viele

Heiligtümer dort aufbewahrt, sind aber hinweggekommen.

Manche nennen St. Goar den Apostel von

Trier. Dorthin beschied ihn einst der Bischof Rusticus

durch Sendboten; dieser hatte von des Heiligen Wundern

gehört und konnte sie nicht glauben. St. Goar

folgte den Boten, aber der Weg war völlig wüst und

unwirtbar, es gebrach an Zehrung, und die Sendboten

sprachen: Wenn kein Wunder hilft, so verschmachten

wir. Da übte St. Goar gleich ein Wunder. Er rief in

den Wald hinein, und es kamen drei milchende

Hirschkühe, ließen sich melken, und ihre Milch rettete

die Botschafter. Als der heilige Mann zu Trier vor den

Bischof Rusticus geführt wurde, war ihm warm vom

Gange, denn es war heiße Sommerzeit, und er sah

sich im Versammlungssaale nach einem Ort oder

Nagel um, seinen Mantel dahin zu hängen, gewahrte

aber keinen solchen, und da hing er den Mantel auf

einen Sonnenstrahl, der schrägwärts herein in den

Saal fiel. Alle erstaunten, der Bischof aber zweifelte

noch immer, und da ward ein Säugling hereingetragen,

welcher am selben Tage gefunden worden war.

Lasse uns, o heiliger Mann, so du es vermagst, aus

dieses armen Säuglings Munde vernehmen, wer sein

Vater ist! sprach der Bischof. Da rührte St. Goar mit

dem Finger des Säuglings Lippen an, und die Versammlung

vernahm deutlich aus des Kindes Munde

die Worte:

Pater meus:

Rusticus,

Episcopus!

Da glaubte der Bischof ganz still an die Wundergabe

St. Goars und versuchte ihn nicht weiter, wünschte

auch nicht, daß der Säugling ferner spreche. –

Einst fuhr Kaiser Karl der Große von seinem Palast

in Ingelheim gen Koblenz, an St. Goars Zelle vorüber,

ohne dort vorzusprechen, das nahm der Heilige

übel und schuf einen so dichten Nebel, daß Karl landen

und auf freiem Felde eine Nacht zubringen mußte.

Seinen Söhnen hingegen, Karl und Pipin, welche

einen Haß gegeneinander trugen und zufällig in St.

Goars Zelle zusammentrafen, goß der Heilige Versöhnung

in das Herz. Auch heilte er mildiglich auf ihr

Anrufen des großen Kaisers Gemahlin Fastrada von

heftigem Zahnweh. Karl der Große schenkte dankbar

dem gastlichen Kapellenhause ein Faß guten Weines.

Dieses segnete der Heilige mit der Kraft des Nimmerversiegens.

Einst vergaß, vermutlich, weil er diese

Kraft allzusehr erprobt, ein Pater Kellermeister den

Hahn richtig zu schließen, so daß er stark tropfte, da

kam eine Spinne daher, die webte so eifrig unter der

Hahnöffnung fort und fort, bis sie das Gewebe so

dicht gemacht, daß auch kein Tropfen mehr herauslief.

Das alles wirkte noch lange nach seinem Ableben

St. Goar durch seine fortdauernde Wunderkraft.

97. Die Brüder

Auf den nachbarlichen Burgen Sternfels und Liebenstein

am Rhein wohnten zwei Brüder, die waren sehr

reich und hatten die Burgen stattlich von ihres Vaters

Erbe erbaut. Da ihre Mutter starb, wurden sie noch

reicher, beide hatten aber eine Schwester, die war

blind, mit der sollten nun die Brüder der Mutter Erbe

teilen. Sie teilten aber, da man das Geld in Scheffeln

maß, daß jedes ein volles Maß nach dem andern

nahm, und die blinde Schwester fühlte bei jedem, daß

eines so richtig voll war wie das andere; die arglistigen

Brüder drehten aber jedesmal, wenn es ans Maß

der Schwester ging, dieses um und deckten nur den

von schmalem Rand umgebenen Boden mit Geld zu,

da fühlte die Blinde oben darauf und war zufrieden,

daß sie ein volles Maß empfing, wie sie nicht anders

glaubte. Sie war aber gottlos betrogen, dennoch war

mit ihrem Gelde Gottes Segen, sie konnte reiche Andachten

in drei Klöster stiften, zu Bornhofen, zu Kidrich

und Zur Not Gottes. Aber mit dem Gelde der

Brüder war der Unsegen für und für, ihre Habe verringerte

sich, ihre Herden starben, ihre Felder verwüstete

der Hagel, ihre Burgen begannen zu verfallen, und sie

wurden aus Freunden Feinde und bauten zwischen

ihren nachbarlich nahe gelegenen Burgen eine dicke

Mauer als Scheidewand, deren Reste noch heute zu

sehen sind. Als all ihr Erbe zu Ende gegangen, versöhnten

sich die feindlichen Brüder und wurden wieder

Freunde, aber auch ohne Glück und Segen. Beide

bestellten einander zu einem gemeinschaftlichen Jagdritt,

wer zuerst munter sei, solle den andern Bruder

frühmorgens durch einen Pfeilschuß an den Fensterladen

wecken. Der Zufall wollte, daß beide gleichzeitig

erwachten, beide gleichzeitig die Armbrust spannten,

im gleichen Augenblick den Laden aufstießen und

schossen, und daß der Pfeil jedes von ihnen dem andern

in das Herz fuhr – das war der Lohn ihrer untreuen

Tat an ihrer blinden Schwester.

Andere erzählen, es habe das Geschick nur den

einen Pfeil eines der Brüder dem einen der Brüder in

das Herz gelenkt, darauf sei der andere zur Buße nach

dem Heiligen Grabe gepilgert und im Morgenlande

verstorben. Noch andere haben neue Märlein über

dies feindliche Brüderpaar ersonnen, denen Kundige

es auf den ersten Blick ansehen, daß sie früher nie als

Sagen im Volke lebten.

98. Die wandelnde Nonne

Nahe bei Niederlahnstein, am rechten Rheinufer,

stand einst ein Frauenkloster, Machern, darinnen ging

es nichts weniger als gottwohlgefällig zu. Es gab Besuche

von Mönchen aus Nachbarklöstern, gab wüste

Gelage, Geschrei, auch nächtliche Reigen, und spät

des Nachts fuhren die Mönche auf raschen Rollwagen

durch den Hohlweg, einen Bach entlang, nach

Herchheim und Niederlahnstein zu. Nur eine einzige

Nonne war fromm und tugendhaft, sie betete viel und

las die heiligen Geschichten, während ihre Schwestern

sich im vollen Sinnentaumel aller Weltlust hingaben.

Da kam einst ein frommer Klausner namens Michael,

der in einem stillen Tale bei Marienburg hauste, in

einer Sturmnacht an das Klostertor, als gerade im

Kloster der Konvent die Lahnsteiner Kirmes feierte,

wobei es hoch herging und nicht an geliebten Gästen

fehlte, und begehrte Einlaß, allein die weltlichen Sünderinnen

fürchteten einen geistlichen Zeugen und ließen

ihn nicht ein, sie ließen ihn obdachlos und ungelabt

draußen bleiben. Da verwünschte der fromme

Mann im zornigen Eifer das ganze Kloster und die

Nonnen zu Nachteulen und Nachtgespenstern und alle

die buhlenden Mönche zu Teufelslarven, und am

Morgen – war das Kloster verschwunden, und öde

war die Stätte, wo es gestanden. Seitdem vernimmt

man alljährlich zur Zeit des Lahnsteiner Kirmesfestes

hinten in der Talschlucht, wo das Kloster stand, Gekreisch

und Geheul und wilden Spuk, den Schall von

Buhlliedern und wieder dazwischen fromme Weisen –

und gewahrt auch wohl grausige Mönchsgespenster

auf Rollwagen mit feuersprühenden Rädern durch das

Tal dahinfahren. Die einzige fromme Nonne aber

wandelt in heiligen Nächten und auch zu jener Kirmeszeit

ernst und mild an einen verwitterten Bildstock,

der am Bächlein steht, das aus dem Tale

kommt, ab und auf und scheint in einem Buche zu

lesen. Niemand tut sie etwas zuleide, grüßt auch

wohl, doch ist ihr Anblick vielen schon schreckend

gewesen.

Das Kloster Machern aber, das hier der Einsiedel

Michael mit seiner Verwünschung dem Boden enthob,

wurde an der Mosel nahe bei Zeltingen wiedergefunden

und dort mit frommen Insassen bevölkert.

Vom Klausner Michael aber geht die Sage, daß er

beim Nahen des Todes Gott angefleht, seinen Leichnam

nicht unbegraben zu lassen, und siehe, als er

Todes verblich, da läuteten die Glocken der alten Johanniskirche

bei Niederlahnstein von selbst, von Engelhänden

gezogen; da kamen Menschen herbei, erhuben

des Klausners Hülle und bestatteten sie in des Johanniskirchhofs

geweihete Erde.

99. Die Frau von Stein

Auf dem Schlosse Stein im Nahetale wohnte eine edle

Herrin des gleichen Namens, die war eine Witwe und

hatte einen gar mannlichen und ritterlichen Herrn zum

Gemahl gehabt. Von dem hatte sie vier blühende

Töchter und zwei Söhne, die hatten auch bereits den

Ritterschlag empfangen, die vier Töchter aber waren

alle vermählt, und jeder ihr Gemahl war auch ein Ritter,

untadelig und wohlgetan. Da gab einstens die edle

Frau von Stein ihren Söhnen, Eidamen und Töchtern

ein stattlich Gastmahl, und hatte außer diesen niemand

dazu geladen, und waren bei Tische alle fröhlich

und guter Dinge, und da sprach die Frau von

Stein: Vier biedere Ritter zu Eidamen, zwei biedere

Ritter zu Söhnen, vier brave blühende Töchter! Und

eines herrlichen Ritters Witwe! Welche Witwe kann,

gleich mir, sich solchen Glückes rühmen? Dieser

Ehren ist allzuviel, deren ich teilhaft worden! – Die

Söhne, Töchter und Eidame vernahmen der Mutter

Wort, priesen sie als die glücklichste Witwe des

Reichs und ließen auf der Mutter Wohl und langes

Leben die Becher freudig aneinanderklingen. Nach

einer Weile verließ die Frau von Stein ihren Sitz, als

wolle sie draußen noch etwas befehlen oder anordnen

– und die Versammelten plauderten lange, ehe

ihnen auffiel, daß ja die Mutter gar nicht wiederkam.

Der Heerwisch

Vielleicht habe sie sich ein wenig zum Schlummer

niedergelegt, vermuteten die Töchter und sahen leise

in ihr Schlafklosett, die Frau von Stein war aber nicht

darin. Das Gesinde ward befragt, aber keins hatte die

Frau hinweggehen sehen – und niemand hat je erfahren,

wohin sie gegangen, und niemand hat sie jemals

wiedergesehen, denn nimmer kam sie wieder.

100. Der kühne Kurzbold

Es war ein Graf des untern Lahngaues, Kunz, ein

Bruderssohn des deutschen Königs Konrad, des Vaters

von Heinrich dem Finkler – der war gar ein tapferer

Held und Degen, aber klein von Gestalt, daher

hatte er den Beinamen Kurzbold erhalten, was nicht

viel mehr besagen will als Däumling. Aber je kleiner

Kurzbolds Körper war, um so größer war sein Geist,

der verschaffte dem Helden den Namen des Weisen.

Der Held Kurzbold hing mit eiserner Freundschaft an

Heinrich dem Finkler, gegen den das salische Geschlecht

der nahen Anverwandten Kurzbolds sich empörte

und zu Felde zog. Das waren vornehmlich Giselbert,

Herzog von Lothringen, Eberhard, Herzog

von Franken, die führten ein Heer und wollten bei

Breisig, unterhalb Andernach, über den Rhein fahren.

Da harrte ihrer am andern Ufer Kurzbold mit nur vierundzwanzig

Wappnern, und als der eine Nachen,

darin Giselbert, der Lothringer, saß, anlanden wollte,

da stieß Kurzbold seine Lanze mit so heftiger Gewalt

in den Kahn, daß dieser alsbald sank und niedertauchte

und die Rheinflut alle darinnen Sitzenden überströmte

und verschlang. Während dies geschah, war

Eberhard der Franke gelandet; alsobald wandte sich

Kurzbold gegen ihn, rannte ihn an und stieß ihn mit

seinem Schwerte durch und durch.

Da Heinrich der Finkler nicht mehr am Leben war

und Otto, zubenamt der Erste oder auch der Große,

deutscher König geworden, hielt auch der den Helden

Kurzbold gar wert. Da der König mit Kurzbold einstmals

allein stand, geschah es, daß ein gefangener

Löwe aus seinem Käfig brach und auf beide Männer

zustürzte. Der König, der unbewehrt stand, griff nach

Kurzbolds Schwert, das dieser an der Seite trug, aber

Kurzbold kam dem König zuvor, warf sich dem

Löwen entgegen und tötete ihn. Zu einer andern Zeit

forderte ein riesenhaft gewachsener Petscheneger aus

dem dem König Otto gegenüberliegenden Slawenheere

des Herzogs von Böhmen die Heerführer Ottos

zum Zweikampfe, indem er auf seine große Kraft und

furchtbare Gestalt pochte. Da trat ihm, wie voreinst

dem Riesen Goliath der kleine David, der kühne

Kurzbold entgegen zum Fußkampf mit Lanzen, entglitt

gewandt dem Stoß des Riesen und rannte ihn mit

seiner Lanze und mit seiner schrecklichen Kraft sogleich

zu Boden. Zweierlei mochte Held Kurzbold

nicht leiden, Weiber und Äpfel, daher blieb er unverheiratet

und erbenlos, gründete aber zu Limburg an

der Lahn die herrliche St. Georgenkirche, die er dem

Lindwurmtöter auf derselben Stelle erbauen ließ und

weihte, wo, der Sage nach, vordem ein Lindwurm gehaust,

der der frühern Burg, wie der heutigen Stadt,

den Namen Lindburg gab, was eine spätere Zeit in

Limburg umwandelte. In dieser Kirche ist des heldenmütigen

Kurzbold Grabmal noch zu sehen.


Deutsches Sagenbuch - 999 Deutsche Sagen

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