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Siebentes Kapitel

Im Palast des Herodes, der sich aus wuchtigen Quadersteinen in der Nähe der Stadtmauer in der Oberstadt erhebt, eingeschlossen von einer hohen, mit Türmchen verzierten Ringmauer, geht die Angst um. Syrische, kappadozische und germanische Hauptleute stehen in den Gängen oder eilen geschäftig von Stockwerk zu Stockwerk, reißen Türen auf, gebieten mit halb unterdrückten Flüchen Stillschweigen, schaffen bei den lärmenden Gästen in dem riesigen Speisesaal Ordnung und Ruhe und schleichen dann auf Zehenspitzen wieder durch die Gänge an ihre Posten zurück. Mäuschenstill aber ist es im Gang, der zum Gemach des alten Königs führt.

Da ertönt ein Wutschrei aus diesem Gemach. Die zwei Hauptleute, die vor der Tür Wache halten, schrecken zusammen. „Der König ist wach geworden!“, flüstert der baumlange, schlanke Syrier.

„Die Reue macht ihn wirbeln“, sagt Wilfred der Germane, ein Jungblut mit gestrafften Sehnen.

Der Syrier lacht leise. „Herodes – und Reue? Das stimmt nie zusammen.“

„Diesmal vielleicht doch. Er zerbricht den Ärzten unter den sorgenden Händen.“

„Was meinst du, was ihn peinigt?“

„Was sonst? Die Gefangennahme seines Sohnes Antipater.“

Der Syrier lacht in seinen rabenschwarzen Bartwald. „Er hat ihn doch selbst in Ketten schließen lassen. Antipater ist ein Verleumder, ein Mörder.“

„Pst – es kann deinen Kopf kosten. Dem König kommt es auf einen mehr oder weniger nicht an. Er hat gewichtigere als den deinen fallen lassen, hat die Köpfe der eigenen Söhne nicht geschont und wird nun vielleicht auch den Kopf des Antipater – oh, ich mag nicht daran denken.“

Der Syrier kann sein Lächeln nicht lassen. „Antipater ist ein Schurke, aber er hat wenigstens offene Hände. Er lässt Gold springen, wenn er unliebsame Brüder beseitigt wissen will. Alexander und Aristobulos mussten daran glauben. In Sebaste schoss das Blut aus ihren Kehlen, und es waren doch feine Herren. Aber das Frauenhaus des Königs in Jericho erzeugt schnell Ersatz für Söhne. Auch sonst weiß der König schnell andere zu versöhnen, er stiftet Ehen, dass den Zusehern und noch mehr den Beteiligten das Bauchgrimmen ankommt. Seines Bruders Pheroras Tochter warf er dem ältesten Sohn des ermordeten Alexander ins Ehebett, und dem Sohn Antipaters gab er die Tochter des hingerichteten Aristobulos zum Weibe. Das heißt doch Blut mit Liebe bezahlen. Ein Spaßverderber, wer da nicht mitlacht.“

„Und was hört man von Pheroras, dem Bruder Herodes’?“

„Er ist samt seinem Weibe vom König verstoßen worden, baut Rüben in seiner Tetrarchie Peräa und wird, mein ich, da er dem Herodes gefährlich werden könnte, nicht mehr lange A und B sagen.“

Der Germanenjüngling lacht hämisch. „Peräa ist weit von Jerusalem.“

„Des Herodes Gift hat weitere Wege zurückgelegt. Und nun wird wohl auch des Antipaters Mutter, die griechische Doris, die Herodes einst sehr geliebt hatte, und die er nun verstoßen, an die dunkle Pforte klopfen müssen.“

Wilfred durchschauert es. „Du meinst doch nicht –“

„Wer die schöne Mariamne töten lassen konnte, wird auch mit einer alternden Doris fertig werden.“

Der Germane sinnt vor sich hin. Es weht eine Luft voll Grauen an diesem Hof, und er bedauert, dass sich seine Abenteuerlust bis hierher verrannt hatte. Er war in seinem Söldnerdienst weit herumgekommen. Gallien, Äthiopien, Phönizien, Kreta, Norikum und Pannonien hatte er abgegrast, viel Grausames erlebt, aber an keinem Hof hatte er solche Greuel mitgemacht wie an dem jüdischen zu Jerusalem. Zwei Jahre noch war er an den herodianischen Sold gebunden, er zweifelte, ob er es aushalten würde.

Die Tür zu den Zimmern des Königs öffnet sich. Malthake, eine der Frauen des Königs, eine Samariterin, noch immer schön von Gestalt, feurigen Blickes, Mutter des Antipas und Archelaus und der reizenden Olympia, tritt mit verweintem Gesicht heraus. Sie schreitet, ohne einen Blick nach den Hauptleuten zu werfen, an ihnen vorbei den Gang hinauf und verschwindet in den Frauengemächern.

„Die hat nicht Not zu trauern“, flüstert der Syrier. „Stirbt der König, besteigt ihr Sohn Antipas den Thron. Ihre Tränen sind falsch.“

Der Germane wulstet die Lippen. „Antipas – hm –, das ist der, der die Beduinin aus dem Ostjordanland zur Frau hat.“

Der Syrier nickt. „Die Tochter des Fürsten Aretas, die auf der Burg Machärus lebt, hart an der arabischen Grenze. Auch dieser Bund hat schon seinen Riss. Antipas schlägt sein Weib, wenn er trunken ist, und er soll nur selten nüchtern sein. Rechne dir die Hiebe aus. Und fünfzehn kappadozische Sklavinnen erfreuen sich nebenher seiner Umarmung. Du siehst, Wilfred, dieser Hof ist ein Greuel.“

Wieder öffnet sich die Tür. Der griechische Arzt des Königs, Thebaldeos, im Pallium, Sandalen an den Füßen, eilt heraus. „Dem König ist sehr schlecht. Man soll das Volk auf das Ärgste vorbereiten. Und die Gäste im Speisesaal sollen weniger Lärm machen. Wo ist der römische Prokurator?“

„Auf der Burg Antonia“, antwortet Wilfred.

„Er möge kommen.”

Der Hauptmann läuft davon. Auf den Gängen wird es unruhig. Das böse Wort des Arztes fliegt bald von Mund zu Mund. Die Gäste in den drei Speisesälen, die des Königs Bruder Philippos eingeladen, verstummen beim Mahl. Die Unruhe wirft sich aus dem Palast auf die Gasse, bald sammeln sich Menschen vor den Haustoren, und viele Augen leuchten bei der Hiobsbotschaft heimlich auf. Aus ungezählten Herzen steigen Gebete für den Tod des Königs Herodes auf.

In der oberen Stadt, in der Nähe des Palastes der Hasmonäer, strömen die Leute um einen Stein zusammen, auf dem ein dunkelhäuptiger Jude mit großen Gestikulationen das Volk aufstachelt. Es ist ein beliebter Schriftgelehrter, Judas Ben Sepharäos, der in Gemeinschaft mit dem Sadduzäer Matthias Ben Margalos die glaubenshungrigen Juden mit einer neuen Gesetzesauslegung beglücken will. Mit flammender Begeisterung und tiefschürfendem Verstand wühlt er in den Abschnitten der Thora und untersucht scharfsinnig den Pentateuch. Er hat ungeheuren Zulauf. Alle gottessehnsüchtigen Menschen, vom Leib erdrückt, dürsten in diesen Tagen nach irgendeiner Erlösung, mag sie woher immer kommen. Und Judas versteht das Gotteswort mit den weltlichen Forderungen der Sadduzäer angenehm zu verquicken. Er peitscht die Massen auf und verflucht die römische Zuchtknute. Rom ist der Feind des jüdischen Volkes und Glaubens. Rom mit seinen vielen selbstgeschaffenen Göttern hat kein Recht, das Volk mit dem Glauben an einen einzigen wahrhaftigen Gott zu unterdrücken, ja auch nur zu bevormunden. Rom setzt seine Prokuratoren, Landpfleger und Soldaten mitten ins auserwählte Volk hinein, und Judas’ König, der verbrecherische Herodes, hält es mit Rom und geißelt sein Volk und lässt seine Söhne köpfen. Judas tut nichts ohne Rückhalt. Er beruft sich auf Moses’ Gesetz, wenn er das Volk aufstachelt. Hat der alte Löwe nicht einst geschrien: „Du sollst mit ihnen oder mit ihren Göttern keinen Bund machen!“? Und weiter: „Wo du ihren Göttern dienest, wird dir’s zum Ärgernis geraten“, und: „Ihre Altäre sollst du umstürzen und ihre Götzen zerbrechen und ihre Haine ausrotten.“

Und immer wilder werden des Aufwieglers Worte. „Der Geier des römischen Cäsarentums, der römische Landpfleger auf der Burg Antonia inmitten unseres Tempelheiligtums, zerhackt und zerstückelt dein Rückgrat, Volk. Wollt ihr als Aas den wilden Hunden vorgeworfen werden? Und Herodes, unser König, aber nur halb unseres Blutes, denn er ist Halbbeduine, unterschreibt bedenkenlos alles, was Rom an Züchtigungen für unser Volk ersonnen. Wo ist das Volk der Makkabäer? Hätten sich die Heldenväter einen Cäsar Augustus auch nur einen Tag gefallen lassen? Ihr reißt die Mäuler auf, Juden, und rüttelt an den Ketten wie der erstbeste Gefangene, aber ihr wollt euch nicht aufraffen, diese Ketten zu zerbrechen. Die römischen Prokuratoren lachen eurer Ohnmacht und schmieden die Ketten fester. Und Herodes lacht mit!“

Da schrillt eine Stimme aus der Richtung, wo der Turm der Mariamne steht. Sie klingt wie die eines Wahnsinnigen, gellend und alle Gemüter in neue Erregung werfend. Noch versteht man nicht, was sie ruft, aber ihr Klang rüttelt die Masse vor dem Stein des Redners auf, alles horcht und will die Worte verstehen, die zum Himmel gellen. Und endlich pflanzt es sich von Mund zu Mund weiter und wird zum tönenden Fanal: „König Herodes liegt im Sterben!“

Ein jubelndes Brüllen entringt sich den verwürgten Kehlen der Bedrückten. Die Leute fallen einander um den Hals und weinen sich ihre Erlösungsfreude von den Lidern.

Judas’ Hände züngeln wie schreckliche Schlangen empor. Sein Gesicht verzerrt sich zur grimmen Fratze, seine fletschenden Zähne zerbeißen den Hass, der aus der Seele kriecht, und ihm ist, als hätte er den sterbenden König selbst zwischen den Zähnen liegen. „Herodes im Sterben! Der Himmel hat unser Gebet erhört, der Wegbereiter Roms verendet, er veratmet seine pestdurchtränkte Lunge, sein verseuchter Leib treibt der verdienten Auflösung entgegen, seine verschwärten Glieder zerbrechen unter der Hippe des Todesengels und das letzte Fluchwort aus seinem Munde wird zum Segenszeichen. Auf, Volk von Jerusalem! Reißt die römischen Abzeichen der Schmach von unserem heiligen Tempel! Herodes hat es gefallen, den römischen Adler über dem Tempeltor aufzurichten, uns gefällt es, uns das nicht mehr gefallen zu lassen. Söhne der Makkabäer, an das Tor! Legt Leitern an! Reißt die Bildsäulen der lebendigen Römer, die die Vorhöfe der Tempel in den judäischen Provinzen verunehren, nieder!“

Ein brausendes Geheul geht durch die erhitzte Masse. Aus tausend Kehlen gellt der Vernichtungsruf zu den Tempelmauern hinüber.

Alles läuft nach der Brücke, die zur Tempelstadt führt, ergießt sich in die Vorhöfe und Hallen. Mutige Jünglinge tragen Leitern herbei und stürmen zum Tempeltor, über dem der römische Adler in der Abendsonne goldet. Mit wuchtigen Hieben zerschmettern sie das Tyrannenzeichen Roms, das auf dem Pflaster zerkracht. Der Freiheitsdrang feiert im Angesicht des Heiligtums Jahves wahre Orgien. Die Weiber heulen bei jedem Axthieb wie trunkene Bacchantinnen, sie besudeln die Adlerreste und reißen Bildsäulen nieder, die an Roms Tyrannei erinnern. So fällt des Cäsars Büste, wie er einst selbst auf dem Kapitol gefallen, unter den Keulenhieben der verhetzten Judäer.

Endlich gebietet Matthias Ben Margalos, der geistige Streitgenosse des Judas, ein hagerer, in einen weißen Mantel gehüllter, betagter Führer der Juden, den Massen Ruhe. Nur langsam glätten sich die Wogen und noch lange braust der Lärm über den Platz.

Da tönen Fanfaren vom Stratonsturm der Burg Antonia, wo die römische Legion untergebracht ist, die die Ordnung im Tempelgebiet und in der Stadt aufrechtzuerhalten hat. Schar auf Schar wälzt sich aus dem Quadertor und steigt die Stufen nach dem Tempel hinab. Denn die Burg liegt auf hohem, nach allen Seiten abschüssigem Felsen, von Herodes als Zwingburg gedacht, um das stets aufrührerische Volk in Zaum zu halten. Die Burg ist uneinnehmbar, der Felsen selbst mit glatten Steinplatten bedeckt.

Von dem hohen turmartigen Bau, der selbst wieder an den Ecken mit vier Türmchen gekrönt ist, übersehen die Wächter Tempel und Vorhöfe und melden sofort jeden gefährlichen Zusammenlauf. An den Festtagen der Juden, die besondere Aufruhrgefahr in sich tragen, da viel Volk in den Vorhöfen versammelt ist, müssen sogar die Wachen in der Menge verteilt sein und jedes erlauschte Wort der Empörung sofort melden.

Heute aber kommt die Zusammenrottung des Volkes ungeahnt. Im Nu, wie aus dem Nichts entsprungen, sind die Massen beisammen und stürmen den Platz. Die alarmierten Dekurien kommen zu spät, um das Ärgste zu verhindern. In breiter Front steigen die Scharen die Treppe herab, vom Volk mit wüstem Geheul empfangen. Niemand weicht vom Platz. Als der Centurio den zerschmetterten Adler sieht, steigt ihm Zornröte ins Gesicht. Er lässt die erste Soldatenmauer halten und fragt mit Donnerstimme: „Wer hat das getan?“

Dumpfes Schweigen ist die Antwort.

Zum zweiten Mal fragt der Centurio: „Im Namen des Augustus – wer hat das getan?“

Da gellt ein Ruf aus der zusammengeballten Masse: „Wir alle!“ Und ein fürchterliches Gejohle setzt ein.

Auf einen Wink des Befehlshabers stürzen sich die Legionssoldaten in das Gewühl und greifen nach den nächsten, die ihnen unter die Hände kommen. Unter tosendem Lärm zerstiebt die Menge und flüchtet über die Brücke nach der Oberstadt. Doch schon in der Nähe des Palastes der Hasmonäer hört man den wuchtigen Schritt der Soldaten des Herodes, die vom Königspalast nach dem Tempel im Anmarsch sind.

„Die Wachen des Herodes!“ Der Angstruf jagt aus Hunderten von Kehlen in den Abend. Im Nu zerteilt sich das Volk in die Gassen und Gässchen, und die Häusertore nehmen die Flüchtenden auf.

Die Herodeswächter riegeln die Oberstadt gegen den Tempel zu bei der Brücke ab. Dort erkennen sie schon, dass die Legionssoldaten der Antonia Herren der Lage geworden sind. Der Befehlshaber eilt zum Centurio hinüber, der auf der Tempeltreppe steht und die Säuberung überwacht. Zu seinen Füßen liegen drei erschlagene Juden. Neben der Treppe aber steht, von den Soldaten umringt, ein Haufen von jüdischen Jünglingen, die man ergriffen und mit einem Strick aneinandergefesselt hat, unter ihnen die Führergestalten des Judas und Matthias, die mit höhnenden Mienen auf die Schergen des Königs blicken.

„Ihr seid zu spät gekommen“, schreit Judas dem herodianischen Befehlshaber entgegen. „Roms Henkersknechte sind schneller als ihr!“

Da haut ihm einer der Legionäre mit der Faust ins Gesicht. „Das für die Beleidigung Roms!“

Und der Strick zieht sich fester um die Gelenke der Gefangenen.

Der herodianische Hauptmann nähert sich den beiden Volksführern. „Ihr seid die Aufwiegler?“

Statt einer Antwort fragt Matthias: „In wessen Auftrag kommt Ihr?“

„Im Namen des Königs.“

„Das ist nicht wahr“, sagt Judas über die Achsel. „Der König liegt im Sterben.“

Der Hauptmann lächelt höhnisch. „Er hat sich wieder erholt und mit Schmerz die Meldung von eurer Unbotmäßigkeit vernommen. Man wird euch kurzen Prozess machen.“

„Ohne uns zu verhören?“, bäumt sich Judas auf.

„Hetzer verhört man nicht, und von dir hat man schon zu viel gehört, Judas Ben Sepharäos. Dein Wort ist Rom und dem König gefährlich. Um vor euch sicher zu sein, hat König Herodes befohlen, euch alle nach Jericho bringen zu lassen.“

„Was sollen wir dort?“, fragt Matthias mit grimmem Blick.

„Das wird Sache des Königs sein. Wir haben keinen anderen Befehl.“

„Und diese hier?“ Judas zeigt auf die gefangenen Jünglinge, die nun gänzlich zusammengebrochen scheinen.

„Sie sind ebenso schuldig wie ihr zwei. Sie haben sich von euch verführen lassen. Alle gehören sie ans Kreuz.“

Ein stummes, verzweifeltes Aufbäumen der jungen Leiber. Der herodianische Befehlshaber gibt seinen Soldaten einen Wink. Mit derben Stößen werden die Gefangenen vom Tempelplatz wie eine Viehherde nach der Brücke zur Stadt gedrängt.

Ein Stern geht auf

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