Читать книгу Ein Stern geht auf - Ludwig Huna - Страница 6
ОглавлениеDrittes Kapitel
In der kleinen Steinstadt steht der vom großen Erleben erschütterte Priester vor seinem Weibe Elisabeth und blickt ihr stumm in die Augen.
Die Fassungslose reicht ihm die Schreibtafel, und er geht in die Nebenstube und schreibt, schreibt und schreibt, während Elisabeth draußen herzbedrängt wartet.
Endlich tritt er heraus, das Antlitz umschimmert von Freude, die Stirn schweißbedeckt, und überreicht ihr das vollbeschriebene Täfelchen. Sie liest voll Hast, erregt, zitternd, taumelt dann zur Tür, als wolle sie der beengten Kehle Luft bringen. Und das Entsetzen über des Mannes schweigende Lippen macht ihr Herz jagen. Und nun kommt sie zur Stelle der Engelsverheißung ... ihr wird schwarz vor den Augen ... ihr betagter Leib soll gesegnet werden ... sie wankt und fällt auf einen Schemel ...
Die folgenden Tage sind erfüllt mit zwiespältigem Gedankenweben, Zweifel und zitternder Freude. Ein Engel sprach mit Zacharias! Elisabeth weiß, unberechenbar sind die Schutzkräfte dieser Gottesboten, das lehren die alten Schriften, unerhört der Engel Wille, den Kreaturen Gottes zu dienen. Sie machen die Schwachen stark, erquicken die Müden, öffnen den Blinden die Augen, den Tauben die Ohren, den Stummen die Lippen. Aber die Lippen ihres Mannes hat dieser Engel geschlossen. Seine Tat war erfüllter Gotteswille, da ihr Mann der Verheißung nicht geglaubt.
Immer denkt sie nun an den Engel. Bis ein Tag kommt, an dem die Natur ihr einen Wink der Erfüllung gibt. Nun weiß Elisabeth, sie ist erkannt worden vor dem Herrn. Und wenn das eine geschehen, wird sich auch das andere erfüllen, die Lippenlähmung ihres Mannes wird gelöst werden, sobald sich das Kind aus ihrem Schoß ringt. Viel Wonne und Freude wird Elisabeth an dem Kinde haben, denn der Geist des Herrn wird mit ihm sein.
Es kommen die Tage der wachsenden Leibesfülle. Elisabeth hat viele Verwandte und Freundinnen, sie fühlt, wie lästig die Neugierde der Frauen in solchen Tagen ist, und bittet Zacharias, in die Einsamkeit ziehen zu dürfen, um mit ihrer fromm gesammelten Seele das Kind in ihrem Leibe würdig zu nähren. So bringt sie denn Zacharias in den nächsten Tagen in das entlegene Schechem in Samaria zu einer Freundin. Dort lebt sie zurückgezogen, ganz erfüllt von den mit Gott verwobenen Gedanken.
An das Kind gibt Elisabeth nicht nur ihren Blutteil ab, sondern sie umsorgt und ernährt es auch mit der Speise ihres Geistes, auf dass auch sie Anteil habe an der Freudebringerschaft.
Aber die Tage der Einsamkeit bedrücken sie doch, die Sehnsucht nach ihrem allein hausenden Priestergatten zehrt an ihrem Herzen, und sie wollte doch, dass das große Geschehen ihres Lebens in ihrem Hause vor sich ging. Drum mietete sie eines Tages wieder einen Esel und ließ sich von dem Sohn ihrer Freundin heimgeleiten in das kleine, steinige Karem.
Ihre Gedanken bewegen sich in diesen Wartetagen viel im Kreise ihrer Verwandten. Sie verglich sich in harmloser Eitelkeit mit dieser und jener Frau, die in ähnlichen Umständen war, dünkte sich vielleicht sogar wertvoller als sie, denn welches hochbetagte Weib hätte außer ihr noch mit einer solchen Gottesgnade aufwarten können?
Eines Tages – Elisabeth trägt das Kind schon sechs Monate in sich – sitzt sie nach alter Gewohnheit der jüdischen Frauen mit dem Mann auf dem Flachdach und sinnt in das Ziehen der Wolken, die der Frühling über das kahle Land treibt. Im Hof zu ihren Füßen liegt das Wasserbecken, auf dessen Fläche ein Papierschifflein sachte hin und her schwimmt, ein vergessenes Spielzeug eines Handwerkerkindes von nebenan. Das Dinglein bewegt wieder ihre mutterschaftsreife Seele. So wird auch ihr Johannes einst mit Schifflein spielen, denkt sie und durchgrübelt den seltsamen Namen, den ihr Zacharias auf die Tafel geschrieben hatte auf Geheiß des Engels.
„Sag, Zacharias, hast du dich nicht verhört – damals im Tempel?“
Er schüttelt überlegen lächelnd das Haupt. Es ist ein schweres Verständigen mit ihm, meist sind Gebärden seine Antwort, im Notfall die Wachstafel, in die er die Worte eingegriffelt.
Elisabeth näht an der Wäsche, und das Linnen leuchtet um sie. Dann blickt sie nach Norden, wo die Berge von Samaria dunkeln und dahinter das blühende Galiläa liegt.
„Zacharias, nun werden die Osterfahrten wieder beginnen, es drängt die Leute nach Jerusalem.“
Der Templer nickt nur und liest dann im Sefer Ruot, einer Abschrift des Salomobuches, in dem der alternde König einst magische Rezepte über die Verwendung gewisser Kräuter gesammelt hatte.
„Zacharias, ob doch wohl Maria aus Nazareth auch wieder nach Jerusalem pilgern wird? Weißt du – meine Base, die mit dem Zimmermann Joseph verlobt ist. Wenn sie der heilige Drang ergreift und sie nach Jerusalem geht, dann macht sie sicher den kleinen Umweg hierher. Sie ist ein schmuckes Mädchen geworden.“
„Dass ich nur sage, die Maria, des Josephs Vertraute, soll, hör ich, ein eigen Mädchen sein, soll sich der Jungfrauenschaft verschworen haben, selbst wenn sie einst dem Joseph zur Seite liegen würde. Na na, es wird viel gesprochen und wenig gelebt. Im Übrigen ist Joseph eine gutmütige Natur, und ihre Verweigerung ... na ja, noch liegt sie nicht auf seinem Lager. Und der Mädchen Gedanken sind noch nicht der Mädchen Taten. Die Zeit laufe!“
Elisabeth schwatzt viel, und des Zacharias Sinnen ist im Sefer Ruot vergraben, er hört kaum auf das Geplapper der Frau. Sie schwatzt nach einer kleinen besinnlichen Pause weiter, berichtet von der Nachbarin häuslichem Zwist, von der griechischen Handelskonkurrenz, von Nachrichten aus Rom, von den neuesten Göttertempeln des Divus Augustus und dass der Nathanael aus Nephtus mit eigenen Augen den Kaiser auf dem Kapitol gesehen habe, an dem Tage, da er – einmal im Jahr – den Bettler spielte, um den Göttern gegenüber entsagungsvoll zu erscheinen. Endlich berichtete sie über die Neuigkeiten aus Jerusalem. Auf dem Tempelplatz seien Sadduzäer und Pharisäer in wüstem Gezänk aneinandergeraten, bis die Wache der Burg Antonia Ordnung schuf.
Zacharias war nun ganz Ohr. Und er schrieb auf die Wachstafel den unheimlichen Namen Herodes.
Also von dem wollte er wissen? Der Juden großartiger König, ein Halbbeduine und Idumäer mit sadduzäischer Weltanschauung, in schmeichlerischer Aufdringlichkeit den Römern zugetan und ihre Bräuche nachäffend, war ebenso wenig der Freund Elisabeths als der Kaiser Augustus. Ihr Vater war unter der jüdischen Gesandtschaft gewesen – das war jetzt über vierzig Jahre her – die sich bei Antonius über Herodes und seinen Bruder Phasael beschwert hatte, weil die beiden alle Gewalt an sich gerissen hatten und den Hohepriester und König Hyrkanos zu stürzen dachten. Antonius hatte die Beschwerde abgewiesen, da ihn der schlaue Herodes vorher durch Geld bestochen. Ja, er ernannte Herodes und seinen Bruder zu Tetrarchen, das heißt Vierfürsten über ganz Judäa. Da zog der Vater der Elisabeth abermals mit vielen Juden nach Tyros zu Antonius und schrie und wehklagte mit ihnen über Herodes, den Wüterich. Aber Antonius wollte sie alle hinrichten lassen, begnügte sich jedoch dann damit, dass seine schwergerüsteten Leibwächter mehrere der jüdischen Klageschreier niederhieben. Darunter war auch ihr armer Vater. Das Blut des erschlagenen Vaters brannte anklagend in ihrer Seele gegen Herodes. Und ihr älterer Bruder war bald darauf in einem jüdischen Aufruhr in Jerusalem von des Herodes kappadozischen Soldaten niedergemetzelt worden. Händeringend hatte sie sich damals vor Mariamne, dem Kebsweib des Herodes, auf der neu erbauten Burg Masada am Toten Meer niedergeworfen und sie gebeten – sie war damals noch ein kleines Kind – wenigstens die Wegnahme der Güter ihres Hauses zu verhindern, aber die hochmütige Tetrarchin hatte sie mit dem Fuß von sich gestoßen. Weinend, von ihrem Oheim geführt, kam Elisabeth damals nach Jerusalem zurück, das gerade von den Parthern geplündert worden war. Sie war in jungen Jahren Zeugin gewesen, wie Antigonos, den die Parther zum König von Judäa ausgerufen hatten, dem Phasael und dem Hyrkanos die Ohren abbiss, als sie gefangen vor ihn geführt wurden. Oh, warum hatte Herodes nicht dasselbe Schicksal ereilt? Der feige Tyrann hatte sich nach Petra in Sicherheit gebracht.
Und dann wurde Herodes von Antonius zum König der Juden ernannt. Mit Festschmaus und Trunk wurde das Bündnis zwischen Herodes und Rom geschlossen.
Und aus ihren Kindheitserinnerungen hob sich der Tag heraus, da die Nachricht kam, Herodes habe Jericho geplündert und viele Frauen niedermetzeln lassen. Sie sah von Jahr zu Jahr den Hass der Juden gegen Herodes wachsen, nur die sadduzäischen Heuchler, die hellenischen Hebräer, hielten zu ihm und schufen eine undurchdringliche Mauer um den Wüterich. Und selbst der Himmel, auf dessen rächende Hand Elisabeth gezählt hatte, schien Herodes zu beschützen. Als er in Jericho mit vielen Edlen in einem Hause gespeist hatte, stürzte dieses ein, nachdem es der König mit den Seinen verlassen hatte. Das hielt nun Herodes für ein göttliches Schutzzeichen. Dann kam die Belagerung Jerusalems durch Herodes und die Römer. Antigonos musste sich ergeben, wurde gefangen und geköpft. Die Römer fielen über die Stadt her und Herodes hatte Mühe, die Zertrümmerung des heiligen Tempels zu verhüten. Aber das Blut der Anhänger des Antigonos floss unter dem Henkerbeil in Strömen.
Und nach dem Sieg des Oktavian über Antonius bei Aktium verstand es Herodes, sich dem neuen römischen Herrn ebenso kriecherisch zu unterwerfen wie dem alten. Der Dank dafür war die Bestätigung seiner königlichen Würde in Judäa, die Übergabe vieler palästinischer Städte an ihn und die Beistellung einer Leibwache von vierhundert Galliern und Germanen.
Juda fluchte Rom. Und sein König schmeichelte ihm.
Aber dieser Wohldiener nach oben und Tyrann nach unten versuchte doch wieder sein Volk mit sich zu versöhnen. Er baute ihm den allerschönsten Tempel mit der Burg, die er zu Ehren des Antonius von Rom Antonia nennen ließ. Sich selbst aber setzte er in die hügelige Oberstadt hin, baute sich ein festes Haus, von Ringmauern umgeben, mit einem riesigen Speisesaal aus seltenen, fremden Steinen gefügt, mit einer reich verzierten Decke, formreichen Gemächern, angefüllt mit kostbarem Gold- und Silbergerät, Galerien, die sich kreisförmig schlossen, Parkanlagen mit Teichen und Wasserwerken. Auch sonst ließ er durch seine Baukunst das jüdische Volk vergessen, was er an ihm verbrochen. Am Meer, in der Ebene Saron, in Jericho, an der Jordanquelle, an der arabischen Grenze, und vor allem in Jerusalem erhoben sich Paläste, Burgen und Prunktürme, die meisten dem Andenken seiner Familie oder dem Kaiser Augustus geweiht. Es scherte ihn nicht, dass er in vielen Bauten dem Heidentum seine Verbeugung machte, der Tempel von Jerusalem hob diese Abschwenkung seines Gewissens wieder auf.
Elisabeth überdachte das alles im Flug der Gedanken. Auch an des Königs Liebesleben blieb die Erinnerung hängen. Neun Frauen hatte Herodes mit seiner wilden Liebe zweifelhaft beglückt, sie gebaren ihm ein ganzes Rattennest von Kindern, die sich gegenseitig bekämpften. Aus Furcht vor seinen Kindern und Frauen mordete er in seiner Familie alles, was ihm gefährlich schien, sogar seine heißgeliebte Mariamne und deren Bruder Aristobulos. Angestiftet durch seine Mutter und Schwester, bezichtigte er Mariamne des Ehebruchs, was für ihn gleichbedeutend war mit der Bedrohung seines eigenen Lebens. Er ließ sie und seinen Schwager Josephus töten. Mariamne hatte ihn gehasst, und dieser Hass vererbte sich auf ihre Kinder. Von da an war der Hof des Königs erfüllt mit Ränken und Kabalen, mit Mord und Verstoßung der eigenen Söhne, mit Verleumdung, Hass und Verfolgung. Nachbarkönige beteiligen sich an den Intrigen und werfen den Hof in Verwirrung. Schmähliche Heiraten zwischen den Familienmitgliedern werden im Kopf des Herodes geschmiedet und zum größten Teil durchgeführt. Allerlei Laster halten Einzug in das verkommene Königsgeschlecht. Endlich gelingt es Antipater, dem Sohn des Herodes und der Doris, die Macht in die Hände zu bekommen. Er verleumdet seine Stiefbrüder und wird endlich des versuchten Vatermordes beschuldigt.
In diesen Tagen wird Herodes schwer krank. Seine unzüchtige Lebensweise, sein hasszerstörtes Gemüt zehren an seinem Mark. Und er nähert sich dem siebzigsten Jahr.
Vom Hof zu Jerusalem kommen nun täglich Unheilsnachrichten. Elisabeth weiß sie mit unheimlicher Phantasie auszumalen. Und Zacharias hat Mühe, ihre Fabulierkunst zu dämpfen. Die Schreibtafel wird mehr denn je zur Hand genommen, das Geschwätz der Frau mahnend zu unterbrechen.
Als der Templer nun wieder das Wort Herodes eingegriffelt, schnappt die redselige Frau gierig nach Luft.
„Antipater ist aus Rom zurück“, sprudelt sie heraus, sich selbst an der Neuigkeit weidend.
„Was suchte er in Rom?“, fragt die Schreibtafel.
„Er trug das Testament des Königs zur Bestätigung an den Hof. Er selbst ist darin zum König von Judäa ernannt, falls Herodes sterben sollte. In Rom soll Antipater über die beiden Söhne des Herodes Archelaus und Philippus Übles geschwatzt haben – du weißt doch, die beiden, die am römischen Hof nach heidnischer Sitte erzogen werden – und das kam nun an des Herodes Ohr. Nun ist der Teufel im Palast los. Ohne Ehren wurde Antipater vom König empfangen. Seine Umarmung wies der König im Zorn von sich. Der Trompeter von Antonia rief das Königsgericht aus, vor dem sich Antipater verantworten soll. Quintilius Varus, der Stadthalter von Syrien, leitet das Gericht.“
„Wessen klagen sie ihn an?“, fragte Zacharias mit dem Griffel.
„Er habe den Vater ermorden wollen“, schreit Elisabeth, platzend vor Eifer.
„Das verzeiht ihm Herodes nie“, ätzt es sich in Wachs.
Ein paar Tage darauf kommt die Nachbarin, die den Ölhandel von Karem nach Jerusalem besorgt, schnaufend ins Haus des Zacharias gelaufen.
„Gerade nach dem Weihrauchopfer, als die Posaune verklungen war, stürzt der lange Isaak von Nephtoa in den Vorhof und berichtet es brühheiß: Antipater ist im Palast des Herodes vom königlichen Gericht über Anklage des Nikolaos verurteilt und gefesselt worden.“
„Das Urteil?“, schnappt Elisabeth nach Luft.
„Tod! Was sonst? Antipater soll die Hinrichtung der beiden Söhne des Herodes verschuldet haben. Der König selbst brach den Stab über ihn und verfluchte ihn vor dem ganzen Hof. Dann brach er selbst unter der Wucht der Stunde zusammen. Man fürchtet für sein Leben.“
„Dann würde die Welt von zwei Ungeheuern befreit sein“, atmet die Priesterfrau auf.
Die Nachbarin lacht höhnisch. „Wir werden keinen Antipater zum Herrn bekommen, wohl aber einen Antipas.“ Das ist auch ein Sohn des Herodes, den er mit der Samariterin Malthake gezeugt hat. „Und was von Herodes stammt, trägt seine Wolle.“
Zacharias faltet in stummer Ergebenheit die Hände. Allzu sichtbarlich hatte sich Gott durch den Engel dem Volke Israel genähert. Die wunderbare Tempelstunde, da Zacharias von den Fittichen der Ewigkeit berührt worden war, schien ihm für das Ende des Leidens seines Volkes Bürgschaft zu sein.