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Viertes Kapitel

Über der Ebene Jezreel auf einem felsigen Rücken im Galiläerland staunen im Schein des jungen Morgens Nazareths elende Steinhäuser der Sonne entgegen. Wie brennt sie heute so mild! Wie kost sie das Grün in den Tiefen, den Stein auf den Höhen Galiläas! Als ob sie heute besonders geheiligt wäre, schwebt sie aus dem Äthermeer des Ostens über dem Jordantal empor, wandelt ihre purpurne Kugel in lichtes, strahlendfließendes Gold und übergießt nun die armseligen Steinhütten der galiläischen Bergstadt mit ihrer sanften Frühlingsglut. Bis in die Felsenhöhlen der Ärmsten dringt heute ihr Segen, und die Elenden schieben ihr Schaffengerät aus den finstern Löchern in den warmen Strahl ihrer Gnade. Weiber und Kinder in zerlumptem Gewand sonnen sich unter Geschrei und Gekreisch, schrille Rufe klingen von Haus zu Haus, von Loch zu Loch. Herrlich flutet das grüne Licht aus der Tiefe von Jezreel zu den kleinen Hängen hinauf, an die sich die weißen Steinhäuser schmiegen. Von hier ziehen Händler und Handwerker ihren Geschäften nach, Eselshufe klappern über Buckelsteine, das Geschrei der Treiber hallt bis in die Höfe, wo die Frauen an den Zisternen waschen, die Kinder tollen von Gasse zu Gasse, und schriftgelehrte Männer wandeln sinnend in ihren Schwarzröcken nach der Synagoge, mehr scheu als ehrfürchtig von den Leuten gegrüßt. Da und dort ein summendes Gebet aus der Dunkelheit einer Felsenhöhle, dann der langgezogene Ruf eines Waren anpreisenden Händlers. Und überall das etwas gequetschte, aber stark aufdringliche Geschwätz der galiläischen Weiber, die sich in der aramäischen Mundart ihre Neuigkeiten zuschreien, wobei die Kehllaute schlecht wegkommen. In ganz Palästina erkannte man die Galiläer an ihrer sonderbaren Sprache, und wie einer den Mund auftat, wusste man, wo er sein Feld bebaute oder seine Fische bezog. Es war nicht klangschön und nicht sehr vokalreich, was sie da im Munde zusammenbrauten. Aber war viel mehr zu verlangen von dem Völklein, das im Laufe seiner Geschichte sich aus allen möglichen Volksstämmen und Völkern gebildet hatte? Syrier, Phönizier, Juden, Perser, Assyrer und Griechen hatten sich in alter Zeit in dem gesegneten Landstrich am See Genezareth niedergelassen. Selbst die jüdischen Stämme Naphtali und Gebulon waren schon im Uranfang stark mit Heiden vermischt, und es herrschte eine Abneigung der Judäer im Süden gegen die Galiläer im Norden, die sich von jedermann absonderten und die Herrschaft von Jerusalem nicht anerkennen wollten. Selbst die Landschaft nahm an dieser Scheidung teil und legte ihren Trennungsstrich in der fruchtbaren Ebene von Jezreel hin, hinter der dann die Berglandschaft von Samaria ihre kleinen Felsrücken erhob.

Nun liegt das regenbelastete, blühende Land unter der reinigenden Sonnenkraft. Die sogenannten „schweigenden Monate“, die wir Winter nennen, sind dahin und damit hat auch die Großherrschaft des Regens ihr Ende erreicht. Langsam erwachen die Blumen auf den Triften, Krokus und Narzissen heben ihre schimmernden Farben aus dem Grün. Die buntfarbenen Schwertlilien erheben sich stolz aus dem Blütenhain der Anemonen, die bis ins Purpurrote herüberglühen. Längst blüht der Mandelbaum an den Südhängen der Berge, und bald wird der Oleander seine schönen Blüten öffnen. Der im Dezember gesäte Weizen in den Tälern harrt schon des Schnitts, und das Unkraut zwischen den Halmen gedeiht üppig und macht den Galiläern viel Sorge. Goldiggrün leuchten die Äcker in den Steinmulden, heben sich wie Oasen aus den dunklen Felsengründen.

Dieses gesegnete Land war aber ein Anstoß für die Juden, obwohl seine Bewohner Jahve ebenso nach dem mosaischen Gesetz dienten wie die Judäer. Auch die Heiden daselbst, die fremden Restlinge aus dem Hethiter-, Heviter-, Pheresiter-, Girgisiter-, Jebusiter- und Amoriterstamm hatten sich längst dem Gott der Juden verschrieben, aber ihr Wissen um Gott und ihre Frommheit galten nicht viel bei den Juden, ihre Einfalt war in Judäa sprichwörtlich geworden, und gar die Pharisäer daselbst, jene eifernden, hochmütigen, Gott nur für sich selbst beanspruchenden Parteileute, die Abrahams Kindschaft als eine Auserwähltheit betrachteten, verlegten Galiläa verächtlich in die Nähe der Gehenna, das heißt der Hölle. Und gar Nazareth! Dieses Höhlennest mit seinem Tränkbrunnen für die Kamele und Esel, wo tagsüber nichts als Flüche zu Adonai schauten und die Weiber sich ihre Albernheit vom Halse schwätzten, dieses Nazareth konnte wahrhaftig nicht beanspruchen, eine besondere Sendung in der Geschichte des jüdischen Volkes zu besitzen. Wer kümmerte sich um Nazareth? Wem fiel es ein, als wahrhaftiger Jude nach dem Felslöcherstädtchen zu blicken, wo raue Winde ein raues Bergvolk geschaffen hatten?

Aus einem kleinen Steinhaus, das sich würfelförmig an den Hang schmiegt, klingt das Kreischen einer Säge. Der Zimmermann Joseph müht sich, noch bevor der Sabbat naht, seine vorgenommene Arbeit zu vollenden, Brettchen für einen Tisch zuzurichten, den er dem Vorbeter der Synagoge zu liefern hat. Seine Hände sind schwielig und künden von seinem Arbeitsfleiß. Das Handwerk macht ihm in Nazareth keiner nach, und er ist mit seinen Tischen und Stühlen viel begehrt. Bis nach Kapernaum am galiläischen See holen sie ihn, Römer und Juden, wenn es gilt, Gebälk zuzurichten und Stuben zu zimmern. Er ist nicht mehr ganz jung, aber noch immer im richtigen Arbeitsalter, und die wohlgeübten Hände kennen keine Rast und feiern selbst am Sabbat nur ungern. Man sagt ihm nach, seine Ahnenreihe gehe bis auf König David zurück, wiewohl das der jüdische Tempelvorsteher bezweifelt, und etwas Schriftliches hat Joseph nicht in Händen, um seiner Meinung Nachdruck zu geben. So wird er von den einen belächelt, von den anderen mit einer gewissen Ehrfurcht gegrüßt. Alle aber neiden ihm das bildschöne Kind, das sich sein Herz zur Verlobten erwählt, Maria, des Joachim und der Anna Tochter.

Aber da kommt sie eben die enge Straße herauf, den Wasserkrug auf dem Kopf, unter der Last etwas gebückt schreitend, das schöne Gesicht etwas vorgezogen, aber doch heiter blickend, als wäre die Welt um sie gar wohl geordnet. Und der schmächtige Körper wiegt sich anmutig in den Hüften.

Josephs Säge hält mit dem Gekreisch inne. Seine Maria! Er grüßt sie mit der Zärtlichkeit des aufmerksamen Bräutigams, hilft ihr auch den Krug zur Erde setzen. Beide dürfen sich ein kurzes Geplauder auf der Straße gönnen, Marias Mutter wohnt drei Straßen weiter, ihre Augen sehen nicht um die Ecke, so wird man doch noch sein Herz ein wenig erleichtern dürfen.

Ihr Atem geht scharf, da sie sich von der Last ein bisschen befreit sieht, und ihre jungen Brüste wogen. „Hartes Holz, das du da sägst“, sagt sie mit Kennerblicken. „Den Tisch zerbrechen fünf Kappadozier nicht.“

„Ebenso stark muss das Holz sein, das einmal sich unter deinen Händen wiegt“, lächelt Joseph und blickt ihre Schlankheit von der Seite an.

Sie errötet und blickt weg. Joseph ist ein Schäker und scherzt sich gar zu gern ins Kinderwesen. Sie wehrt sich mit fanatischem Trotz gegen das Kinderkriegen, teils aus übermäßiger jungfräulicher Scheu, teils aus einem Gelöbnis heraus, das sie eines Tages getan, da sie eine junge Freundin im Wochenbett sterben gesehen hatte. Joseph sollte an ihrer Mädchenhaftigkeit genug haben, ihr frauliches Geblüt sollte ihn erquicken, ihre Schönheit sein Auge laben, aber das Tierische im Menschen sollte ihr fern bleiben. Das hatte sie sich an einem Sabbatabend gelobt und hatte es mit so tiefer Aufgewühltheit in ihrem Herzen verarbeitet, dass sie sich einbildete, Gott müsse den Schwur als einen unbrechbaren ansehen. Sie war ein großes Kind und das Leben hatte noch viel an ihr zu ordnen.

Sie scheucht nun eine Biene weg, die um ihren Hals summt, der sich wie schimmernder Alabaster aus dem gefalteten Hemd hebt. Und sieht nun Joseph an, hoffend, dass seine übermütigen Gedanken verflogen sind.

„Seh ich dich am Sabbat?“, fragt der Zimmermann gespannt.

Sie nickt freundlich. „Du kommst doch zu meinen Eltern? Wir werden gemeinsam die Lampen anzünden und das Gebet sprechen. Und in der Synagoge will ich an deiner Seite stehen.“

„Ist deine Schwester schon gesund?“

„Das Halsgeschwür ist aufgegangen, und sie hat eine gute Nacht verbracht.“ Mira nannte sich die Schwester, die vor Wochen eines Mannes Weib geworden war. „Sie wird zu Simon Jona an den galiläischen See fahren, die Luft dort ist heilend und mild.“

„Simon Jona? Ich kenne den alten Fischer, ein wackerer Mann, eifrig mit dem Netz, einer der besten am See. Um ihn sammeln sich in Kapernaum alle Fischer, die ehrlichen Handel treiben. Wucher duldet er nicht. Und seine Kinder geraten nach ihm.“

„Ich kenne nur den kleinen Simon, den der Vater einmal nach Nazareth mitgenommen hat, ein schmales, aber trotziges Bübchen. Aus dem wird einmal der Vater.“ Maria blickt versonnen zu Boden.

Um die beiden schieben sich die schreienden Nazarener hin und her, Treiber, Verkäufer, Handwerker, Müßiggänger, das bewegliche Volk der südlichen Sonne, und aus den Seitengassen schwirrt der Lärm der Händler und durchflutet bald das ganze Treiben Nazareths.

Maria fühlt, dass es Zeit sei, wieder zu gehen. Joseph hebt ihr den gefüllten Wasserkrug auf den Tuchring, und nun schreitet sie wieder langsam von ihm weg, sich schwer in den Hüften wiegend, auf jeden Schritt achtend, damit kein Tropfen des kostbaren Nass’ verloren gehe. Joseph sieht ihr hellen Gemütes nach. Sie muss zu Füßen des Libanon gehaust haben, sie hat den Edelwuchs seiner Bäume, denkt er ihr nach. Nur spröde ist sie, streng verhalten, der Liebe Zwiesprache will nur schwer von ihren Lippen, und sie stellt sich immer einfältig, wenn von Küssen die Rede ist. Joseph gibt sich einen Ruck, und gleich darauf kreischt die Säge wieder ins Holz.

Maria hat die Last am Rand des Städtchens in ihrem Hause abgesetzt. Die Mutter ist frühzeitig über Land gegangen, ihren Bruder zu besuchen, der das Töpferhandwerk am Fuß des Berges betreibt, wo Nain liegt. Die halb genesene Schwester ist allein zu Hause und bedarf nur geringer Betreuung. Der Vater Joachim hilft einem Nachbarn das Dach flicken. Es gibt noch viel zu tun vor dem Sabbatabend, der vor der Tür steht. Für das Feiermahl ist zu sorgen, die Heilkräuter für die Schwester sind zu kaufen, denn am Sabbat selbst durfte das nicht mehr geschehen. Dann war die Wäsche zu plätten und einzuordnen und Haus und Herd zu reinigen.

Mira half schon mit. Sie glich der schönen Schwester nur in der Gestalt und in der Frommheit des Wesens, sonst hatte sie noch mehr Ernst als Maria, ja fast eine sanfte Traurigkeit. Beide Schwestern regten nun fleißig die Hände und schafften, was nötig war. Ab und zu ein leises Geschwätz, das bald in sich selbst zusammenfällt.

Maria hatte ihr eigen Kämmerlein, dürftig und lichtlos, denn es ging nur die Tür nach rückwärts auf den Steilhang des Berges hinaus. Diese Tür war tagsüber jahraus, jahrein offen, und sie allein ließ das Licht in das steinerne Gelass. Auf dem Boden lag die Matte Marias mit dem Schlafpolster. Um das Haus schlich wohl niemand herum, und es brauchte Maria nicht bange zu werden, dass sie irgendwie gestört werde. An einer Wand stand die Truhe mit ihren Gewändern, Zierrat und Wäsche, mit allem, was die liebe Eitelkeit brauchte, um unter den Mädchen von Nazareth bestehen zu können.

Hierher zog sich auch Maria zurück, als der Abend vor der Tür schummerte. Im Hause war alles verhalten im scheuen Vorgefühl des beginnenden Sabbats. Auch der Vater war jetzt heimgekehrt und wusch sich im Hauptraum des Hauses und sprach leise mit der heimgekehrten Mutter, die nun den Tisch zum Feiermahl richtete, wobei ihr Mira half.

Nun aber begibt sich etwas ganz Wunderbares, das die Seele Marias in leises Zittern versetzt. Schon seit etwa einer Stunde spürt sie, wie ihr Inneres gleichsam geheimnisvoll verschleiert liegt, als wolle es sich von dem abendlichen Licht, das mit ruhigem Glanz durch die Kammertür bricht, völlig abschließen und sich ausschalten von dem Getriebe der Welt. Auch glaubte sie zu fühlen, dass ihr Gesicht von zarten Dunkelheiten umschattet sei, ohne dass sie deshalb in den Spiegel zu schauen brauchte. Sie konnte kein unbefangenes Lächeln aufbringen, und wenn jetzt Joseph hier gewesen wäre, er hätte sicherlich über ihre gespannte Feierlichkeit gegrollt. Auch ihr Gespräch mit der Mutter, als diese heimkehrte, war verhalten genug, und nun mit gedämpften Tönen gab Maria ihre Empfindungen preis. Und als sie dann in ihrer Stube mit sich allein war, fühlte sie in sich eine seelische Weite, als wäre ihr Inneres ein langgestrecktes Ackerfeld, über das der Wind aus der Richtung des Meeres strich. Doch konnte sie diesem fremden Gefühl keinen Namen geben.

Die Zwielichtstunde kam, und es wurde immer dunkler in der Stube. Maria zündete nun ein demütiges Ölflämmchen an, das die Armseligkeit des Raumes in noch grausameres Licht tauchte. Der Anhauch des kühlen Abends trieb dem Mädchen ein Frösteln über den Rücken, und sie zog das Wolltuch fester um ihre Schultern. Nun aber war’s doch Zeit, das Sabbatgewand anzuziehen, das Kleid, von dem Joseph behauptete, es stehe ihr gar schön und hebe sie zu einer Rose von Saron empor. So schmeichlerisch konnte der einfache Zimmermann manchmal reden. Und bald schmiegt sich der blaue Purpur, ein Geschenk des Bräutigams, um ihre schlanken Glieder, und ihre feinen Handgelenke blühen wie Knospen aus den weiten Ärmeln. Dann legt sie die feinen Holzsohlen unter die Füße und schnürt sie über dem Rist fest, gürtet das weite Gewand um die zarten Hüften und steckt die Blüten ins Haar, die ihr gestern Joseph gebracht. Mit dem einfachen Schmuck geziert tritt sie nun in die Tür, die nach dem Hang führt, wo um diese Stunde die ersten Schatten zu liegen pflegen. Aber sonderbar – heute scheint die ganze Berglehne in ein rosiges Grau getaucht, als läge der Abglanz des Sonnenscheins darauf. Und das konnte doch nicht recht sein, denn die Sonne war schon längst untergegangen. Und je mehr Marias Staunen wächst, desto mehr verdichtet sich der Farbton am Hang zu einem abendlichen Rosenrot, wie es Maria in den galiläischen Bergen noch nie gesehen hat. Sie will Mutter und Schwester rufen, aber ihre Kehle ist wie zugeschnürt und ihre Seele ganz erfüllt von dem Schauen ins rosige Geleuchte. Langsam schreitet sie rückwärts, das Angesicht unausgesetzt dem wunderbaren Glanze zugewendet, und bleibt nun inmitten des dunklen Gelasses stehen, die Hände in beseligendem Staunen über der Brust verschlungen.

Nun ist das rosige Leuchten vom Rahmen der Tür wie ein Bild eingeschlossen, und es erscheint noch glühender und dichter im Ton. Und da merkt Maria, dass sich inmitten des durchscheinenden Rosaleuchtens ein goldener Strahlenweg schräg nach aufwärts bildet, so als forme sich durch magische Gewalt ein duftiger Weg zum Himmel.

„Was soll das nur werden?“, staunt Maria in das seltsame Spiel der Farbentöne. Der Sabbatabend beginnt bald, und das Mädchen hört nicht die Stimmen nebenan, die sich von dem Getriebe der Vorbereitung abheben, es ist ganz erfüllt von dem nie erlebten Farbenzauber vor der Tür da draußen.

Und was ist das nur jetzt? Nun dringt gar das rosige Licht aus dem Viereck der Tür in das Zimmerchen selbst, legt sich als blasser Schein in alle Winkel, erhellt ihr ärmliches Grau, fließt dann in seltsamem Gewoge zur niedrigen Decke und wieder auf den Boden herab, wallt seitwärts nach den Wänden in einem unaufhörlichen Hin und Her, und es ist Maria, als finge dieses ganze, noch geschlossene, nebelartige Gebilde zu flimmern und zu zittern an, so als befinde es sich in einer eigenartigen Auflösung. Und wirklich zerteilt sich das durchsichtige Geschiebe von wunderseligen Farben, verdichtet sich wieder im Viereck der Tür zu unerschautem Glanz, sodass Maria die Augen schließen muss, um nicht von der Fülle des Lichtes geblendet zu werden.

Und da – Maria hört es ganz deutlich –‚ das goldigrosige Gewoge hebt zu brausen und zu klingen an. Noch nie hat sie solch unirdische Töne vernommen, das Herz will ihr aus der Brust quillen, als wollte sich ihr Inneres dem wonnigen Geschehen ganz öffnen.

Eine wunderbare Gewalt heißt sie die Augen öffnen. Vor ihr liegt die Wand des Zimmers in magischem Glanz. Und inmitten der leuchtenden Wonnen erblickt Maria den Seraph ihres Gottes mit schneeschimmernden Fittichen vor sich stehen, von denen es silbern zu tropfen scheint, als falle der Tau der eben vom Engel durcheilten Sphären von ihnen herab. Und das Angesicht des Gottesboten ist voll überirdischer Schönheit, die weitgeöffneten Augen spiegeln den Abglanz des Himmels, und die goldenen Locken hängen wie erstarrte Bethesdafluten tief über die Schultern herab. Unbeweglich steht der Bote des Ewigen vor der erschreckten Jungfrau und blickt mit unbeschreiblicher Innigkeit auf sie herab.

Da sinkt Maria, überwältigt von überseliger Bedrängnis, in die Knie, und ihre Hände falten sich in stummer Anbetung über der Brust. Und über ihrem lichten Scheitel webt sich ein schimmernder Glanz zu einer Gloriole zusammen.

„Sei mir begrüßt, Gottbegnadete!“, tönen nun die Lippen im Segenstau des Himmels. „Mit dir ist der Herr, und du bist gebenedeit unter den Weibern.“

Maria erschrickt bei dem Klang der Worte, die sie nicht zu fassen weiß. Gelten sie ihr oder jemand anderem? Noch nie hat eine Harfe so in ihr Herz geklungen, nie eine schöne Lippe ihr einen solchen Gruß in solcher Klarheit gebracht. Ihr ist, als wiche alle Erdhaftigkeit von ihr und als sei sie selbst erfüllt von himmlischer Sphärenseligkeit. Und dennoch zittert ihr Herz in Ängsten, als müsse das alles ein leuchtendes Gespinst des Teufels sein, bestimmt, sie zu verführen und zu verderben.

Des Urewigen Cherub erkennt die Furcht des Menschenkindes, die durch seine silberweißen Flügel bis in die Mitte seines gottgefestigten Herzens bebt. Und warm rieselt seine Rede über den blonden Scheitel hin: „Fürchte dich nicht, Maria. Du hast ja wahrhaftig Gnade vor Gott gefunden. Sieh, du wirst empfangen und einen Sohn gebären, dess’ Namen sollst du Jesus heißen. Und er wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben. Und seines Reiches wird kein Ende sein.“

Da bewegt sich in Marias Herzen eine Welt voll Angst. Sie soll –? Der Gedanke bringt ihr Blut ins Stocken. Zu wuchtig ist die Erscheinung über sie gekommen, und jedes Mädchen an ihrer Stelle würde ebenso wie sie in den Tiefen der Seele erschrocken sein. Unvorstellbar, nicht auszudenken sind die Worte des Engels, und unwillkürlich verarbeitet sie Maria noch einmal mit den Lippen, ganz leise, jedes gleichsam kostend. Und weil sie die Größe des Vernommenen zu erdrücken scheint, wehrt sich Maria mit ihrer natürlichen Reinheit gegen die Verheißung.

„Wie soll mir das geschehen?“, zittert ihre jungfräuliche Seele. „Hab ich doch nie einen Mann erkannt.“ Und ihr heimliches Gelübde brennt drohend in ihrem Herzen.

Aber der Engel fegt über ihr inneres Wehren hin. „Es wird der Heilige Geist über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich umschatten. Und darum wird das Heilige, das aus dir geboren wird, Sohn Gottes genannt werden.“

Zum zweiten Mal klingt dieses beängstigende, erhabene Wort an ihr Ohr. Sohn Gottes, des Allerhöchsten! So wird nicht Joseph, sondern Gottvater, Jahve, Adonai selbst der Vater dieses Kindes werden. Damit fällt ihr Gelübde in nichts zusammen. Und eine höhere Macht, der sie keinen Widerstand zu leisten vermag, bemächtigt sich ihres Willens. Es ist, als stürze unter der Wucht dieses Engelerlebens ihre ganze Vergangenheit und selbst ihre Gegenwart zusammen und als baue sich eine neue Maria in ihr auf, deren Wesenheit sie noch nicht zu erkennen vermag. Und mit einem Mal erscheint ihr das ganze wundersame Geschehen beinahe natürlich, weil es gottgewollt war, sie erzittert nicht mehr unter dem Fließen des Wonneleuchtens, das von dem Cherub ausgeht, sie erschauert nur süß, da sie ahnt, dass sie eine Auserkorene ist, deren Pflicht es ist, zu gehorchen. Und so neigt sie in tiefer Ergriffenheit das Haupt und stammelt in die strahlende Weiheerscheinung: „Siehe, ich bin eine Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort.“

Und der Engel nimmt ihre Gottergebenheit als herrliches Pfand in sein Herz und gibt ihr noch einen besonderen Trost: „Siehe, auch Elisabeth, deine Base, hat in ihren alten Tagen noch einen Sohn empfangen, und sie hat sechs Monate hinter sich und galt doch als unfruchtbar. Aber es ist bei Gott kein Ding unmöglich.“

‚Elisabeth!‘, durchschauert es Maria. Und im Nu gebiert sich ein Wunsch in ihrer Brust: Dort bei Elisabeth muss sie Stärke und Gewissheit empfangen. Sie muss zu ihr!

Doch noch ehe sie diesem Gedanken so recht Raum geben kann, verblasst die Erscheinung, und das feierliche Rauschen und Farbenwogen verebbt. Maria will mit den Händen die Wonnen zu halten versuchen, greift aber in blasses Grau, das sich plötzlich vor ihre Augen legt. Sie reißt sie weit auf – von dem Öllämpchen matt erhellte Wände umstarren sie kerkerartig. Vor der Tür liegt dunkles Nichts, das in ihre Seele schauert. Irdische Stimmen schlagen an ihr Ohr, wohlbekannt und doch so schrill und stechend klingend. Sie ist der Erde wiedergegeben, und der Himmel hat seine Herrlichkeit vor ihr verschlossen. Wie soll sie nun den Weg zu den Ihren finden?

Die Tür wird aufgerissen. Die Mutter steht mit hartgespanntem Herzen vor dem saumseligen Kind, eine schmalbrüstige, hagere Frau. Und sie blickt auf die Tochter nieder, die noch immer am Boden kniet. „Was ist dir, Maria? Die Sabbatfeier beginnt – wir warten auf dich. Der Leuchter ist angezündet, dein Vater ist gebetsbereit, das Schalet ist fertig. Und du kniest da?“

Maria erhebt sich und blickt die Mutter entgeistert an. Die irdische Stimme schmerzt, und ihr Herz fröstelt. „Mutter – ich esse das Schalet nicht – ich war eben bei Gott.“

Mutter Anna reißt die Augen auf. „Brennt es in deinem Hirn? Was ist das für ein wirrdichtes Gerede?“

Maria geht wie trunken an ihr vorbei und tritt in das Zimmer, wo die Ihren auf sie warten. Ein heller Glanz umfließt die Gestalten. Auch Joseph ist da, aber sie grüßt ihn kaum, steht noch ganz im Bann der Engelserscheinung.

Joseph geht ernst auf sie zu und ergreift ihre Hand. „Du bist weiß wie die Wand. Was ist geschehen?“

Und Maria antwortet leise, mit gesenktem Haupt: „Ich werde einen Sohn bekommen.“

Die Gesichter der vier gehen auseinander. Joseph steht mit offenem Munde da. Endlich rüttelt er sich auf und geht auf Maria mit geballter Faust zu. Und sein sanftes Auge bekommt einen unheimlichen Glanz. Plötzlich bricht er in ein unbändiges Gelächter aus, dass der breite, braune Bart wie ein sturmdurchfegter Wald zittert. „Ein Spaßkind, die Maria! Hahahaha ...“ Er packt sie an beiden Schultern und dreht sie um ihre eigene Achse.

Aber Maria bleibt heilig ernst und starrt in sein tolles Gelächter.

Da bricht auch er sein Lachen ab und spießt sie mit den Augen auf. „Maria – bei Jahves Thron! Nein, nein, nein ... mit so was spaßt man nicht. Und dein kreidebleiches Gesicht ... und deine schamgesenkten Wimpern ...“ Und sein Kopf sinkt wie verloren auf seine Brust. Er kann Maria nicht mehr anblicken.

Der Vater Joachim, ein Mann mit ergrautem Patriarchenbart, hochgezogenen Schultern und schlaffem Gang, kommt nun erst zu Atem und sieht die schnaufende Mutter an, mit einem Blick, als sei sie die Schuldige. „Du, Anna, so rede doch mit deinem Kind.“

Und die Schwester Mira flüchtet in eine Ecke, denn sie fürchtet einen Wutausbruch der Mutter.

Aber da erhebt Maria selbst die eingefrorene Stimme, sieht einen nach dem anderen an. „Ihr alle vier habt in eurem Leben nicht so viel erlebt wie ich jetzt da drinnen in ein paar Augenblicken. Zu mir sprach Gott durch einen Engel.“

Die Narrheit macht die Eltern schwindlig. Sie müssen sich an dem Sabbattisch festhalten, denn es wankt alles um sie. Joseph steht mit hilflosen Augen da.

Mutter Anna murmelt unartikulierte Laute, weiß nicht, wohin sie den Blick wenden soll. Endlich erhebt sich Mira aus der Ecke und spricht halb wie im Traum: „Es ist Zeit zum Sabbatgebet. Nachher mag sich alles klären.“

Und so legen sie sich nach altem Brauch an den niederen Tisch, und Vater Joachim spricht mit verlorener, fremder Stimme das lange Gebet, stolpert oft mit der Zunge und atmet schwer in den Pausen. Und alle sprechen die Worte mit, in Gebundenheit an den alten Brauch, aber kein einziges Herz schwingt mit. Es ist, als liege auf allen Eis.

Maria starrt in das siebenfache Licht. Sie weiß nicht, was auf ihren Lippen tönt. Ihre Gedanken schwingen sich unaufhörlich zu dem großen Erleben zurück, und des Engels Stimme hallt noch immer wie eine süße Harfe in ihr nach, nur jetzt noch lauter und bebender, als ob sie das Gewirr des Gebetes übertönen wolle.

Nachdem die formhafte Erhebung zu Jahve beendet ist, wird das Schalet aufgetragen, das fette Hammelfleisch mit Graupen und Erbsen. Aber es ist keines mit dem Gaumen dabei. Die in Sesamöl gebackenen Kuchen mit der Nussfülle und dem Honigüberzug, Miras Stolz, werden freudlos gekaut, und der Saleptrank, aus einer Wurzel bereitet, wird heiß in die Kehle geschüttet.

Alle Blicke stechen während des Essens nach Maria. Diese erkennt die verzweifelte Not dieser Blicke und beginnt nun in klarer Form den Hergang zu erzählen. Manchmal stockt sie, überwältigt von der Wucht des Erlebens.

„Sie ist im Kopf verwirrt“, unterbricht sie Joachim, und es ist, als wolle er nichts weiter hören.

„Wir werden Joram den Beschwörer kommen lassen“, meint die angsterfüllte Mutter.

„Lass sie doch reden“, verteidigt Mira verständnisvoll die Schwester.

Joseph aber will die Sache nicht so einfach erledigt wissen. „Maria, was du da aus der Tiefe deiner Brust erzählst, kann wahr und auch nicht wahr sein. Zur Zeit des Moses hat es größere Wunder gegeben, man hätte sie ihm nicht geglaubt, hätte man sie nicht mit eigenen Augen gesehen. Aber das Natürliche liegt uns näher, Kind. Und so meine ich, du musst das Zeichen geben, dass du wirklich das Kind in dir fühlst.“ Er errötete leicht.

Die feinfühlige Mira nimmt ihm, dem Manne, die heikle Rede ab. „Joseph hat nicht unrecht. Es muss Marias Tag kommen, dann wird sich’s weisen, ob alles Wirklichkeit oder Traum ist. Wir dürfen ihr Geschwätz weder geringachten noch überschätzen.“

Da richtet der Vater seinen Oberleib gewichtig auf. Seine Augen blicken todernst. „Maria, wenn du dich vergangen, vielleicht mit einem Manne Schlimmes getan – du kennst unser Gesetz. Die Steine fliegen nach deinem Haupt, wenn du als Braut böses Wesen getrieben. Ich selbst, ich, der Vater, muss mithelfen bei den Steinwürfen nach deinem Haupt. Das muss ich, Maria.“ Und er hebt die zitternden Hände empor, und seine Augen füllen sich mit Tränen. „Gesteh, Maria, hast du dich – verunehrt?“ Er schmettert das Wort drohend heraus.

Mit einem erhabenen, heiligen Lächeln wendet sich Maria zu ihm. „Läge ich dann noch da? In diesem Hause? Auf dieser Matte?“ Und sie wirft einen liebeerfüllten Blick auf Joseph. „Wie hätte ich ihn betrügen können, der mich nie trog. Nein, Freund meiner Seele, ich habe keinen Mann erkannt.“

„Dann kann das aber doch alles nicht sein!“, schreit Joseph, gequält von der ungeheuerlichen Vorstellung des Vernommenen, das erst jetzt in ihm mit voller Wucht lebendig wird. „Das ist doch alles Wahn!“

„Es ist bei Gott kein Ding unmöglich“, wiederholt in leiser Verzückung Maria die Worte des Erzengels. Und aus ihren Augen bricht ein erdferner Glanz, der alle ergreift. Maria erhebt sich und schreitet feierlich zu Joseph hin, steht dicht vor ihm und fordert ihn auf, sich zu erheben. „Wenn nun meine Zeit gekommen sein wird“, sagt sie mit heißgespanntem Herzen, „wirst du mich dann verlassen?“

Joseph spürt, wie die Qual sein Herz hin und her reißt, wie die Angst an seine Rippen pocht. Mühsam ringt er sich ihren Namen ab. „Maria! Verstoßen ... dich ... nach Recht und Gesetz muss ich es tun. Krithoth heißen wir die fürchterliche Strafe des Herrn. Der Sanhedrin, das Dreimännergericht, müsste dich verfluchen mit den Donnern des Herrn, mit ausgebreiteten Händen seh ich dich auf dem Boden der Synagoge liegen, der Hazzan wirft den Stein nach dir, die du eine Sota geworden bist, ein schamlos Weib! Und die Steine fliegen ...“ Er wirft schaudernd sein Gesicht in die Hände. „Nein … nein … nein ... Nicht daran denken, Maria!“

„Es muss daran gedacht werden, denn du könntest meinen Blick nicht mehr ertragen, wenn Zweifel in deiner Brust hämmern. Sag mir, Joseph, ernst und feierlich, würdest du mich verlassen?“

Der Mann windet sich in Qual. „Kannst du mir schwören, Maria, dass du keinen Mann erkannt hast?“

„Wenn es dir mein Blick nicht sagt, wie soll das Wort stark genug sein, meine Unschuld zu beschwören? Ach, Joseph, wenn du willst, schwöre ich es dir bei dem Gesetz und den Propheten. Aber damit ist nichts getan. Du musst aus freiem Willen mich zum Weibe nehmen, und es muss deine ganze Liebe dabei sein und darf sich kein Zweifel dazwischenlegen, der deine Liebe stumpf machen würde.“

Die herzensreine Rede der Geliebten lässt Joseph zu sich kommen. Sein Herz treibt einem großen Entschluss zu. „Ja, Maria, ich glaube, dein Herz und dein Leib sind unversehrt, und so will ich es vor Gott und den Menschen halten, wie sich’s gebührt. Ich will dich als Weib erkennen, mit dem Kind im Leibe, das du ahnend fühlst. Und sage mir die Zeit, wenn deine Natur dir die Ahnung bestätigt.“

„Das will ich wahrhaftig tun, Joseph. Und ich danke dir herzlich, denn du bist aus dem Glauben gerecht geworden. Meine Schande vor den Menschen ist getilgt durch Gottes geheiligtes Wort, und du, Joseph, wirst den Sohn Gottes deinen Sohn nennen dürfen.“

Da küsst sie Joseph vor allen mit der Glut des ebenfalls Geheiligten. Und er fühlt, dass er zum Bewahrer und Hüter des kostbarsten Geheimnisses geworden ist. Jede Wehr dagegen erscheint ihm als Frevel.

Ein Stern geht auf

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