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Sechstes Kapitel

Elisabeth ist um diese Stunde in einer erregten inneren Bewegung. Eine Unruhe treibt sie von Arbeit zu Arbeit. Die Handmühle wird beiseitegelegt, das Nähzeug mit dem Glättholz vertauscht, die Wäsche durcheinandergeworfen, gedankenlos der Besen in Bewegung gesetzt und so mehr Unordnung als Ordnung erzeugt. Dann wieder starrt sie ins Leere und ihre Gedanken wissen kein Ziel zu finden.

Die Schleier der Dämmerung legen sich über Tisch und Gerät. Da geht Elisabeth vor die Tür und blickt die Straße hinauf. Ach, wer sollte denn jetzt kommen? Sie erwartet doch niemand, und doch überfällt sie eine frohbange Ahnung.

Zacharias tritt zu ihr. „Weib, dich plagt heute die Neugierde“, gibt er ihr durch Zeichen zu verstehen. Und er streicht seinen Jeremiasbart breit und behaglich.

„Ach, du Gütiger, wüsstest du, was mich erfüllt!“ Ihre Matronenaugen blicken selig in den Abendhimmel.

Auf der Straße entfaltet sich das lebhafte Treiben der Feierstunde. Bauer und Handwerker eilen heim, die Kinder kreischen im Spiel und wälzen sich an den Häuserecken herum, die Bazare durchhallen die Lärmrufe des letzten Warenangebots, die Esel- und Maultiertreiber schreien ihre Tiere dem Stall zu, und das ganze Volk von Karem gerät in die Freudewogen der Abendstunde, die der Orientale nach der Tageshitze besonders wohlig empfindet. Noch liegt die Nachglut in den Mauern, aber in den engen Gassen verdichtet sich schon der Schatten und aus den Zimmern strömt durch die Türöffnungen der kühle Hauch der Innenluft und ein stechender Mischmaschgeruch dringt auf die Gassen.

Elisabeths Herz klopft, während sie inmitten des fröhlichen Getriebes steht und starrt. „Ist mir doch, als müsse jetzt Großes geschehen in meinem Hause“, sagt sie mit feuchtglänzenden Augen.

Sie starrt in die Granatbäume des Nachbargartens. „Ich seh es kommen und einziehen in unser von Gott gesegnetes Haus, die Mauern füllen sich mit unendlichem Glück, das da kommt aus dem Willen Adonais. Schmücken wir unser Haus mit Ehrfurcht vor dem, was da kommt.“

Zacharias versteht sie noch immer nicht, ihm ist, als schwärme Elisabeth aus ihrem gesegneten Zustand heraus. Da kehrt er denn ins Haus und zu seinem Buch Daniel zurück.

Und Elisabeth starrt unbeweglich in die Gasse. Dort um die Ecke muss das Glück biegen, von Norden her muss es kommen, und es muss als Trägerin eine bekannte Gestalt haben, denn wie sollte sie es sonst erkennen? Ach, könnte sie dieser Unruhe nur einen Namen geben, ein Ziel! Es ist so unstofflich und gedankenträchtig, so unirdisch und unausdrückbar, dass sie die Mühe, damit fertigzuwerden, aufgeben muss.

Plötzlich durchzuckt es ihr Herz. Dort zwischen den schreienden arabischen Eseltreibern, die sich um den Bazar des Isaak Chibar Ben Jonael herumdrängen, kommt ein müdes, junges Mädchen dahergeschritten. „Maria!“, schreit die Templerfrau auf, sodass die Nachbarn Augen machen. „Ich wusst’ es ja“, belügt sie sich selbst. Und fliegt ihr entgegen mit flatternden Armen, an denen die weiten, bauschigen Ärmel wehen, kommt ganz außer Atem und bleibt dann vor dem Mädchen stehen.

Maria grüßt sie mit plötzlich leicht gewordenen Gliedern und einem Glückschimmern im Auge: „Friede sei mit dir, Elisabeth!“

Und diese schauert zusammen und spürt, wie in ihrem Leibe das werdende Kindlein unruhig wird, als nehme es leibhaftig an der Begrüßung teil. Und ihr Mund öffnet sich zu lautem Jubel: „Maria, du liebe! Friede, ja Friede sei mit dir! Und der Herr segne dich. Nein, Er hat dich gesegnet.“ Und plötzlich bricht es mit unirdischer Gewalt aus ihr, als sähe sie das Geheimnis des Himmels gestaltet und lebendig vor sich, vom Glanz ferner Sphären erhellt. Mit prophetischer Schau, aus einem göttlichen Wunderwillen erzeugt, voll Demut und Ergebenheit ringt es sich jetzt aus ihrem Herzen, nachdem sie den Friedenskuss auf die junge, schweißbedeckte Stirn gedrückt hatte: „Gebenedeit bist du unter den Weibern und gebenedeit die Frucht deines Leibes. Maria, ach, wie habe ich das verdient, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Sieh doch nur, als ich dich grüßte und deine Stimme erklungen war im Friedensgruß, hüpfte gar das Kind in meinem Leibe. Selig bist du, weil du geglaubt hast, dass sich erfüllen werde, was dir von Gott verheißen wurde.“

Das Wort sprengt einen glühenden Reif, der sich um Marias Herz gelegt hatte. Ihre Brust geht wie ein wildbewegtes Meer. Und mehr wie ein Stammeln denn ein beglücktes Reden quillt es von ihren Lippen als Ausfluss der dankerfüllten Seele: „Wie preiset meine Seele den Herrn! Und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilands. Hat er doch die Niedrigkeit seiner Magd angesehen, und von nun an werden mich seligpreisen alle Geschlechter.“ Und im Überdrang der Seligkeit steigert sie ihre Stimme, dass sich das Menschengetriebe um sie unwillkürlich auflöst, denn man glaubt eine Besessene vor sich zu haben. Und Marias Dank schwillt zu preisenden Worten an, die ins Herz Elisabeths hallen wie überirdischer Gesang. „Große Dinge hat Er an mir getan, der da mächtig ist, und Sein Name ist heilig, und Seine Barmherzigkeit währet immerdar bei denen, die Ihn fürchten. Er hat Gewalt in Seinen Armen und zerstreut die hoffärtigen Herzen, vom Stuhl stößt Er die Gewalthaber und erhebt die Niedrigen.“ In gnadenvoller Erleuchtung quollen die Worte aus ihrem Munde. Geheimnis war gegen Geheimnis ausgetauscht, aufgrund eines wunderbaren Triebes in beider Herzen. Und in Elisabeths Brust blühte ein unbrechbarer Glaube an die Sendung ihrer jugendlichen Base auf und er durchleuchtete ihre alternde Gestalt wie ein Jugendfeuer. Und sie erzählt Maria von ihrer eigenen Sendung und dem Tempelerlebnis des Zacharias. Und beider Geschehen klingen und rauschen zusammen in einem himmlisch geweihten Akkord. Keines zweifelte an des anderen Wahrheitsoffenbarung.

Maria war voll heiliger Zuversicht. Wenn bei ihrer Base Elisabeth das Gesetz der Natur durchbrochen war, so war wohl auch bei ihr das Wunder der Kindesformung gottgewollt, und ihre Natur musste sich auf eine für sie unerklärbare Weise dem höchsten Willen beugen. In Elisabeth hatte sich wohl eine unerhörte Gnade geoffenbart, aber sie war doch verschwindend gegenüber jener, die an ihrem eigenen Leib verschwendet worden war.

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