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Kapitel 1
ОглавлениеErster Band.
Vorrede zur ersten Auflage.
Vorliegende Sammlung ist dem Volksmunde entnommen.
Wo ausnahmsweise aus gedruckten Quellen geschöpft
wurde, sind diese angegeben. Es fehlt indessen
viel, daß ich alles aus mündlicher Überlieferung
Gesammelte selbst dem Volke abgelauscht hätte. Fleißige
Mitarbeiter in den verschiedensten Lebensstellungen,
besonders zahlreich aber Lehrer protestantischer
Volksschulen, sind mir behilflich gewesen.
Auch aus mehreren Kasernen und aus dem Hebammen-
Institute sind mir durch gütige Vermittelung
wertvolle Beiträge geliefert. Ich muß darauf verzichten,
meine Mitarbeiter namentlich aufzuführen, zumal
da manche eine Nennung sich ausdrücklich verbeten
haben. Nur eine Ausnahme gestatte ich mir, indem ich
meinem Freunde, Herrn Professor J.F. Minssen zu
Versailles, auch an dieser Stelle meinen Dank ausspreche
für die Bereitwilligkeit, mit welcher er seine
im Saterlande zu philologischen Zwecken aufgezeichneten
Proben satersch-friesischer Mundart mir zur
freiesten Benutzung überließ. Einige der besterzählten
Märchen und Schwänke habe ich dadurch meiner
Sammlung gewonnen. Leider zwang mich die Rücksicht
auf das größere Publikum, dieselben ihres friesischen
Gewandes zu entkleiden.
Der Titel des Werkes verspricht nur Aberglauben
und Sagen, das Werk enthält aber noch Volksüberlieferungen
anderer Art: Märchen, Schwänke, Bräuche,
Reime, Rätsel. Da sachlich diese Ausdehnung der
Sammlung kein Bedenken erregen wird, hoffe ich, daß
mir die Ungenauigkeit des Titels verziehen werde.
Unter dem Aberglauben habe ich dem Spuk einen
größeren Raum bewilligt, als ihm sonst zugestanden
zu werden pflegt. Mir schien dies Gebiet bisher ein
wenig zu geringschätzig behandelt zu sein, wie ich
glaube, weil es zu wenig gekannt, seine Bedeutung im
Volksleben zu wenig gewürdigt ist. Manche Spukgeschichten
habe ich, um Wiederholungen zu vermeiden,
unterdrückt. Sollte ich auch so noch ihrer zu viel
aufgenommen haben, so wolle man es der natürlichen
Reaktion gegen die bisherige Vernachlässigung zu
gute halten.
Die Ordnung, in welche ich den Stoff gebracht
habe, soll den allgemeinen Gesichtspunkten, die aus
ihm selbst sich ergeben, entsprechen. Ob sie es tut,
muß ich der Beurteilung anderer überlassen. Ich
selbst sehe, nun das Werk fertig vor mir liegt, sehr
wohl ein, wie wenig die zahlreichen Verweisungen
und Wiederholungen, namentlich im vierten Buche,
(2. Buch in der 2. Auflage) dem bloßen Leser behagen
werden. Aber ich weiß doch auch in diesem Augenblicke
noch nicht, wie anders ich den verschiede-
nen Seiten, die der Gegenstand nun einmal bietet,
hätte gerecht werden sollen, und glaube, den wissenschaftlichen
Gebrauch des Werkes durch die gewählte
Form erheblich erleichtert zu haben. Wenig beunruhigt
es mich, daß im letzten Abschnitte des vierten
Buches (3. Buch in der 2. Auflage) einige Paragraphen
ohne allen Inhalt dastehen. Die Art der Arbeit
erforderte, daß ich dem Stoffe eine feste Einteilung
geben mußte, ehe ich genau sehen konnte, wie viel
desselben mir noch zufließen werde. So ist es mir gegangen,
wie es wohl einem Krämer ergeht, dessen
Warenreichtum der Vollständigkeit seiner Ladeneinrichtung
nicht gleichkommt: es tragen manche Schubfächer
wohlklingende Inschriften und sind doch völlig
leer.
Das Herzogtum Oldenburg zählt noch keine Viertelmillion
Einwohner. Man möchte annehmen, daß
eine Sammlung von dem Umfange der gegenwärtigen
ein so kleines Feld vollständig abgeerntet haben
müsse. Ich meinesteils glaube nun freilich selbst
nicht, daß noch weitreichende abergläubische Sätze
sich der Sammlung ganz entzogen haben werden; indessen
zweifle ich auch nicht, daß noch zahlreiche Ergänzungen
und neue Anwendungen bekannter Dogmen
aufzufinden sein werden. Dafür spricht schon die
ungleiche Weise, in welcher die einzelnen Landesteile
zu der Sammlung beigetragen haben. Es liegt durch-
aus kein Grund vor anzunehmen, daß beispielsweise
die Ämter Dinklage-Steinfeld und Löningen bei fleißigem
Suchen weniger Ausbeute geben sollten als das
Kirchspiel Visbek oder die ammerschen Kirchspiele
Wiefelstede, Westerstede, Rastede, und selbst in diesen
und anderen, wo es mir gelungen war, besonders
eifrige und glückliche Forscher zu gewinnen, ist der
Brunnen noch keineswegs bis auf den Grund ausgeschöpft.
Im Interesse der Sache kann ich nur wünschen,
daß sowohl die bisherigen Freunde meines Unternehmens
als diejenigen, die es etwa noch gewinnen
möchte, sich die Mühe nicht verdrießen lassen, alles
was ihnen zur Ergänzung oder Berichtigung bekannt
werden sollte, und wäre es auch scheinbar noch so unbedeutend,
aufzuzeichnen und mir zuzusenden. Es
wird sich, sollte ich denken, noch wohl eine Gelegenheit
finden, dasselbe dann auch größeren Kreisen zugänglich
zu machen.
O l d e n b u r g , November 1867.
L. Strackerjan.
Vorrede zur zweiten Auflage.
Seit der ersten Drucklegung dieses Buches sind gut
40 Jahre verflossen, und schon seit einem Jahrzehnt
und darüber tauchte der eine oder andere Band nur
noch vereinzelt in den Beständen der Buchhändler
und Antiquare auf. Die »Aberglaube und Sagen«
waren von vornherein eine Sensation, der Verfasser
hatte eine Saite angeschlagen, deren Ton ganz sonderbar
klang und doch überall gefiel. Das Buch wanderte
von Ort zu Ort, von Haus zu Haus, man sah es auf
dem Tisch des Gelehrten, in der Hand des Arbeiters,
der Buchhändler mußte immer neue Bestellungen machen,
bis der Verleger schließlich meldete: Bergriffen.
In längeren und kürzeren Abhandlungen, in Kalendern
(Volksbote, Gesellschafter usw.) und Tagesblättern
war das Gebiet des Aberglaubens, und was damit
zusammenhängt, wiederholt besprochen, aber alles,
was man sah und las, machte den Eindruck des Unfertigen,
des stückweise Gegebenen, nie ist der Gegenstand
erschöpfend behandelt worden. Die Artikel
dienten mehr der Unterhaltung, der Kurzweil als dem
Wissen. Strackerjan brachte zuerst System in die
Sache, verfuhr wissenschaftlich. Wer sein Buch in die
Hand nahm, wurde sich plötzlich klar, daß eine Seite
des Volkslebens aufgedeckt worden, die bislang ver-
nachlässigt war. Man fühlte, wer die Volksseele verstehen,
in ihr lesen wollte, der müsse auch das Volk
in seinem Aberglauben kennen, auf seine Gebräuche
und Sitten achten, der müsse auch wissen, was sich
die Leute am Herdfeuer an Sagen, Märchen und
Schnurren u. dgl. erzählen. So sind die »Aberglaube
und Sagen« für den Kulturhistoriker eine ergiebige
Fundgrube geworden.
Der alte Titel ist beibehalten. Er deckt sich nicht
vollständig mit dem Inhalte, aber er hat sich gut eingeführt
und darum Anspruch auf Fortbestand. Aus der
beifälligen Aufnahme, die das Buch von Anfang an
gefunden, darf geschlossen werden, daß die Anordnung
des Ganzen oder des Inhalts, die Sichtung des
Stoffes im großen und ganzen gelungen ist. Wer auf
die wissenschaftliche Seite Wert legt und daraufhin
einmal den Inhalt des Werkes in sich verarbeitet und
zu eigen gemacht hat, der muß mit der Anlage zufrieden
sein. Es ist leicht, eine andere Einteilung zu treffen,
ob aber auch eine bessere, ist etwas anderes.
Demnach sind auch hier keine einschneidende Aenderungen
getroffen.
Es ist Wert darauf gelegt, alle sachlichen Mitteilungen
der ersten Auflage auch in der schlichten, dem
Volksmunde abgelauschten Art, wie sie dort gegeben
sind, in die zweite herüberzunehmen. Strackerjan hat
seit seinen Schuljahren das Material zu seinem Buche
gesammelt. Wer sich jetzt daran machen wollte, dem
Aberglauben des Volkes nachzuspüren, würde es
vielleicht zu einem dünnen Bändchen bringen, während
beim Verfasser von »Aberglaube und Sagen« der
Erfolg in zwei ansehnlichen Bänden bestand. Es ist
von dem, was in der ersten Auflage Aufnahme gefunden,
so vieles von der Bildfläche verschwunden, daß
Leser, welche den ersten Druck heute in die Hand
nehmen, der Meinung sind, so viel Dummheiten, wie
dort vermerkt sind, könnten niemals im Volke ein Dasein
gefristet haben. Zeuge ist z.B. das Buch »Saterland
« von J. Bröring (Oldenburg, 1897, Schriften des
Oldenburger Landesvereins für Altertumskunde und
Landesgeschichte). In »Aberglaube und Sagen« ist
das Saterland bekanntlich ausgiebig behandelt, obwohl
in vielen Fällen für Saterland ruhig Münsterland,
Oldenburg usw. hätte gesetzt werden können, da
es sich um Aberglauben und Bräuche handelt, die gar
nicht spezifisch saterländisch sind. Doch das nebenbei.
Bröring hat bei Abfassung seines Buches auch
Strackerjan benutzt und ist dabei einige Male auf Mitteilungen
aus dem Saterlande gestoßen, wovon ihm
und seinen Gewährsmännern nichts bekannt war (I,
76 Anm. 2, 99, 108, 111, 118). Er kommt daraufhin
zu dem Schluß, Strackerjan sei von unzuverlässigen
Berichterstattern bedient worden. Bröring hätte
schließen müssen: jetzt ist von dem nichts bekannt,
was damals nach Oldenburg berichtet worden. Was
nämlich in den 60er Jahren oder vorher im Saterlande
gesammelt wurde, als Strackerjan seinen Stoff für den
Druck fertig stellte, davon ist heute ein guter Teil der
Vergessenheit anheimgefallen. Wie das kam, haben
wir hier nicht zu untersuchen. Der Strackerjansche
Berichterstatter aus dem Saterlande war der verstorbene
Landtagsabgeordnete Borgmann, ein Saterländer,
ein gebildeter, nüchtern denkender Mann, der seine
Heimat kannte und liebte und nicht von der Art war,
daß er dort, wo sein eigenes Wissen nicht ausreichte,
sich von seinen Gewährsmännern hätte Bären aufbinden
lassen. Und so lange nicht das Gegenteil erwiesen
ist, müssen wir auch bei Berichterstattern aus anderen
Teilen des Landes annehmen, daß sie gewissenhaft,
nach bestem Wissen und Wollen ihre Berichte gemacht
haben. Somit liegt kein Grund vor, sachliche
Angaben aus der ersten Auflage zu unterdrücken. Im
Gegenteil, für die Kenntnis der Geschichte des Aberglaubens
und dessen, was daran klebt, ist es notwendig,
nicht nur das abergläubische Denken und Handeln
der Jetztzeit, sondern auch der Vergangenheit
heranzuziehen. Die zweite Auflage stellt sich demnach
in der Hauptsache als ein Abdruck der ersten
dar, sogar die Gegenwartform ist, soweit es angängig
war, beibehalten, als wären die Berichte erst gestern
eingelaufen.
Strackerjan meint in seiner Vorrede, daß trotz eifrigen
Forschens seinerseits und seiner Helfer doch noch
nicht alles aufgefunden worden, der Brunnen also keineswegs
bis auf den Grund ausgeschöpft sei. Er bittet
die Freunde seines Unternehmens, die Arbeit nicht
ruhen zu lassen und ihm etwaige Funde, und wären
sie auch scheinbar noch so unbedeutend, zu übermitteln.
Die Suche, welche die Neubearbeitung der
»Aberglaube und Sagen« erforderlich machte, ist
nicht ergebnislos verlaufen. Das Kapitel Aberglauben
oder sagen wir der erste Band konnte um verschiedene
Zusätze, auch um solche, die neue Gesichtspunkte
darboten, bereichert werden. Eine größere Ausbeute
lieferte eine neue sorgfältige Umschau auf dem Gebiete
der Sagen, der Sitten und Gebräuche alter und
neuer Zeit. Fleißige Mitarbeiter haben hier gern ihre
Kräfte in den Dienst einer guten Sache gestellt. Es ist
hohe Zeit, daß da etwas geschieht. Sagen oder alte
Volksüberlieferungen mögen sich vielleicht noch länger
halten, aber mit den alten Bräuchen (bei hohen
Festen, Sterbefällen, Hochzeiten, Ernten usw.) geht es
rasend bergab, noch ein paar Jahre, und die Menschheit
weiß sich ihrer nicht mehr zu erinnern. Was Jahrhunderte
und länger bestanden, erhält plötzlich den
Todesstoß oder trägt den Keim der Auflösung in sich.
Die alten Volksgebräuche zu sammeln und durch den
Druck festzulegen, wurde deshalb als eine wichtige
Aufgabe der Neuauflage angesehen.
Die neueste Litteratur ist tunlichst berücksichtigt.
Gar viele und große Dienste konnte sie nicht leisten,
da ja das meiste und wichtigste im Volke gesammelt
und nicht lediglich aus handschriftlichen und gedruckten
Quellen geschöpft ist. Wo letztere aber herangezogen
wurden, ist dies an den betreffenden Stellen im
Texte vermerkt. Zugaben zur Neuauflage sind durchgehends
durch ein Sternchen gekennzeichnet. Bei
kleineren oder gelegentlichen Zusätzen mußte von
einer Kennzeichnung abgesehen werden.
V e c h t a , 1908.
K. Willoh.
Ludwig Strackerjan.
Peter Friedrich Ludwig Strackerjan wurde am 20. August
1825 als das zwölfte von fünfzehn Kindern des
Oberamtmanns Christian Friedrich Strackerjan zu
Jever geboren. Er besuchte das Gymnasium in Oldenburg,
studierte in Jena Jurisprudenz, machte 1847 das
juristische Tentamen und wurde im November desselben
Jahres beim Amte Oldenburg als Akzessist angestellt.
Als solcher übernahm er im unruhigen 1848er
Jahre die Schriftleitung der »Oldenburgischen Zeitung.
« Nach bestandenem zweiten Examen trat er im
Oktober 1856 das Amt eines Syndikus beim Magistrat
in Oldenburg an und wurde im Jahre 1858 zum
Amtsrichter in Oldenburg für die Abteilung Stadt ernannt.
Diesen Posten bekleidete er über 15 Jahre. Er
schied 1873 aus den Staatsdienst mit dem Titel Justizrat
a.D., um als rechtskundiges Mitglied in das
Direktorium der Spar- und Leih-Bank einzutreten.
Das leutselige, volkstümliche Wesen Strackerjans,
sein reiches Wissen namentlich auf dem Gebiete der
engeren Heimat brachte es mit sich, daß er als Amtsrichter
und Bankdirektor in Oldenburg eine Reihe von
Jahren Mitglied des Stadtrats, wiederholt stellvertretender
oder erster Vorsitzender desselben und zugleich
in verschiedenen Kommissionen für städtische
Angelegenheiten tätig war. Mehrmals war er auch
Mitglied des Landtags. Als er starb, stand er als Präsident
an der Spitze dieser Körperschaft. Sein Tod
trat ein am 4. März 1881. Eine Witwe oder Kinder
hinterließ er nicht. Zur Gründung eines eigenen Hausstandes
war er nicht gekommen; anfangs fehlten die
Mittel, später hielten ihn eingebildete oder begründete
Bedenken davon ab.
Damit haben wir kurz den Lebensgang Strackerjans
nach seiner beruflichen Seite gezeichnet. Mehr
Reiz hat für uns an dieser Stelle die Tätigkeit Strakkerjans
auf demjenigen Gebiete, das außerhalb seiner
eigentlichen Berufspflichten lag, seine schriftstellerischen
Arbeiten auf dem Gebiete der Heimatkunde, namentlich
seine kulturhistorischen Studien. Strackerjans
Interesse für die engere Heimat, ihre Geschichte
und Eigentümlichkeiten war ein väterliches Erbteil,
wie uns sein Bruder, der frühere Direktor der Realschule
in Oldenburg, Karl Strackerjan, erzählt.1 Wo
Ludwig Strackerjans eigentliche Kraft lag, das zeigte
sich sofort, als er als blutjunger Akzessist oder Referendar
die Schriftleitung der Oldenb. Zeitung übernahm.
Seine Politik war noch unreif, aber der Teil für
örtliche Angelegenheiten blühte auf, da er sich namentlich
um einheimische Nachrichten bekümmerte,
und diese Pflege der einheimischen Berichterstattung
führte dem Blatte eine Menge neuer Leser zu. Im
Jahre 1850 veröffentlichte er eine Schrift »Aus dem
Kinderleben« (Spiele, Reime, Rätsel), und mit dem
Eintritt in den Magistrat der Stadt Oldenburg übernahm
er die Leitung des Gemeindeblattes, zu dessen
Gründung er selbst durch einen Aufsatz in der Oldenb.
Zeitung die Anregung gegeben hatte. Eine von
ihm angelegte Sammlung friesischer Personen- und
Ortsnamen übergab er seinem Bruder Karl, welcher
sie für seine Abhandlung »Die jeverländischen Personennamen
«, Jever 1864, verwertete. Bis zuletzt suchte
er dem Volksmunde plattdeutsche Sprichwörter und
sprichwörtliche Redensarten abzugewinnen, welche er
gelegentlich zu zusammenhängenden Aufsätzen verarbeitete,
z.B. Lehre vom Essen, Hausinschriften (Von
Land und Leuten, S. 37 u. 42), Geld und Gut im
plattdeutschen Sprichworte (Gesellschafter 1870, S.
91), Gerätinschriften, Straßennamen (Ges. 1868, S.
62), Wetterregeln (Oldenb. Zeitung 1870, Febr. 2),
»Deutscher Sprüche Ein Tausend« (Verlag des nordwestdeutschen
Volksschriftenvereins, 1879). In seinem
Nachlasse fand sich eine Menge von Drehorgelliedern.
Eine Frucht dieser Sammlung war die Abhandlung
»Die Zeitung an der Drehorgel« (Von Land
und Leuten, S. 145). Von Strackerjans Liebhaberei
für kulturhistorische Studien zeugen noch Der Phiesewarder
Bauernbrief (Ges. 1858), Vom Hausrechte
(Ges. 1860), Ein Kriminalproceß (Ges. 1860), Graf
Günther und die Jagd (Ges. 1862), Der Brand zu Oldenburg
1676 (Ges. 1863), Der Vareler Brand 1751
(Ges. 1864), Jan Krahner (Ges. 1864), Spaziergang
nach Hundsmühlen (Ges. 1868), Das Armenwesen im
Herzogtum Oldenburg (Ges. 1870), Frühere Münzzustände
in Jever (Ges. 1872), Geschichtliche Notizen
über die Verkehrswege im nördlichen Teile des Herzogtum
Oldenburg (Zeitschrift für Verwaltung und
Rechtspflege, Bd. 5), Fromme Laienbrüderschaften
im mittelalterlichen Oldenburg (Kirchl. Beiträge
1881), Das Kloster Blankenburg (Ges. 1882), um anderer
Aufsätze und Nachrichten in verschiedenen Zeitschriften
nicht zu gedenken.
Daß er auch für die Schönheiten der Natur und
Landschaft nicht unempfänglich war, beweiset die
Herausgabe »Oldenburger Spaziergänge und Ausflüge
«, 1875, ein Führer durch die schönsten Partien des
Oldenburger Landes. Das Buch hat bis heute 4 Auflagen
erlebt; anfangs ein mageres Heftchen, ist nach
und nach ein kleiner Bädeker daraus geworden, der
sich sehen lassen darf. Eine Frucht Strackerjanscher
Wanderungen war auch das Büchelchen »Die Osenberge
«, 1879. In dieser Abhandlung hat der Verfasser
sich selbst gezeichnet. Es war sein Schwanengesang.
Gründliches Wissen, scharfe Beobachtung, Humor,
Gemüt und poetische Auffassung vereinen sich hier
zu einem Bilde, dem der Leser die Hochachtung nicht
versagen kann.
Die bedeutendste Arbeit hat der Verblichene geleistet
in seinem zweibändigen Werke »Aberglaube und
Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg«, Oldenburg
1867. Er selbst schreibt darüber am 24. August 1880:
»Die Sammlung geht in ihren allerersten Anfängen in
meine Schülerjahre zurück, wurde aber erst in den
60er Jahren kräftiger angefaßt. Ich gab mir viele
Mühe, das Material herbeizuschaffen, schrieb Briefe
über Briefe, versandte ein gedrucktes Zirkular in
3-400 Exemplaren und hatte Erfolg, ich darf wohl
sagen glänzenden Erfolg, obgleich ich auch vor Täuschungen
nicht ganz bewahrt geblieben bin . ..... Es
ist kein Lesebuch, was ich zusammengeschrieben,
aber eine zu wissenschaftlicher Benutzung wohl geeignete
Schrift und auch geeignet, darin zu lesen. Der
Schriftsteller über oldenburgisches Land und Leute
findet in ihr eine rechte Quelle alter Volksüberlieferung.
Das Buch ist vielfach rezensiert, wird von Germanisten
viel benutzt usw.« Mit Recht, schreibt der
Realschuldirektor Strackerjan, hat sich der Verfasser
dieser Arbeit gefreut. Sie war die einzige, welche zu
einem gewissen Abschlusse gebracht wurde, sich
einen bevorzugten Platz in den Bibliotheken eroberte
und Ludwig Strackerjan einen Ruf verschafft hat, der
weit über die Grenzen Oldenburgs geht. Einzelnes in
den »Aberglauben und Sagen« hat später dem Verfas-
ser noch Anlaß zu eingehenden Untersuchungen gegeben.
Im Gesellschafter 1869 veröffentlichte er einen
Aufsatz über die Katze im deutschen Volksglauben,
und die Wahrnehmung, daß der Vorspuk auch von
Leuten festgehalten wird, die sonst allen Aberglauben
abweisen, brachte ihn dazu, in einer größeren Abhandlung
seine Gründe für die Unhaltbarkeit des Vorspukglaubens
zu entwickeln.2
Was sich nach dem Tode Strackerjans in dessen
Nachlaß an fertigen kulturhistorischen Aufsätzen vorfand,
hat der Bruder, Realschuldirektor Karl Strackerjan,
1881 unter dem Titel »Von Land und Leuten,
Bilder und Geschichten aus dem Herzogtum Oldenburg
von Ludwig Strackerjan« veröffentlicht. Auf einige
dieser Aufsätze ist bereits hingewiesen worden,
die Überschriften der anderen lassen wir hier folgen:
Erinnerungen aus der Marsch, Hünensteine im Oldenburgischen,
Kirchhofslinde zu Oldenburg, Eine Pastorei
im Jahre 1700, Das Regenkleid, Strafrecht vor 200
Jahren, Edo Wiemken der Ältere, Die Ocholter
Lünse, Eine Herbstdeichschau, Wetterstimmungen,
Die räumliche Entwicklung der Stadt Oldenburg vor
und nach dem Freibriefe von 1345, Wie's der alte Lüning
gemacht hat, Die Torsperre in Oldenburg. – Im
Jahrbuch für die Geschichte des Herz. Oldenburg Heft
VII, 1898, wurde aus dem Nachlasse Strackerjans
veröffentlicht eine Abhandlung: Zur oldenburgischen
Stadtgeschichte im 16. und 17. Jahrhundert.
Fußnoten
1 In der Einleitung zu »Von Land und Leuten, Bilder
und Geschichten aus dem Herzogtum Oldenburg«,
von Ludwig Strackerjan. Oldenburg 1881.
2 »Wie ist der Vorspuk zu erklären?« in Von Land
und Leuten. S. 83 ff.
Einleitung.
Vorliegendes Buch beschäftigt sich an erster Stelle
mit dem Aberglauben. Damit ist der V o l k s a b e r -
g l a u b e gemeint, jener Aberglaube, der im eigentlichen
Volke, das ist in der gediegenen seßhaften Bevölkerung
des Landes, von alters her bestanden hat,
dort nach Ort und Zeiten minder oder mehr gepflegt
worden, teils ausgestorben ist, teils sich bis auf unsere
Tage erhalten hat. Der Volksaberglaube hat mit dem
sogenannten modernen Aberglauben (Tischrücken,
Spiritismus usw.) nichts gemein. Während dieser als
das Produkt einer raffinierten Überkultur sich darstellt,
ist der Volksaberglaube mehr geschichtlicher
Art, ruht auf alten Überlieferungen, ist vielfach mit
nationalen Volkssitten verbunden und hat an der
Treue, mit welcher diese festgehalten werden, einigen
Halt und einige sittliche Bedeutung.
Wenn der Titel des Buches vom Aberglauben im
Herzogtum Oldenburg spricht, so soll selbstverständlich
damit nicht gesagt sein, daß außerhalb des Herzogtums
abergläubisches Denken, Sprechen und Handeln
nicht gefunden werde oder dort anders geartet
sei. Die Menschen sind überall dieselben, ihr Trachten
und Treiben ist überall die »Jagd nach dem Glükke
«, überall stellen sie Fragen an das Schicksal,
immer und überall bleiben Hoffnung und Furcht ihre
Begleiter auf dem Lebenswege. Darum finden wir im
großen und ganzen denselben Volksaberglauben im
Altertum wie in der Neuzeit, in einem Gau, wie in
dem andern. Aber örtliche Einwirkungen, klimatische
Verhältnisse, Erziehung und Weltanschauung, Berufsarbeiten,
Überlieferungen u. dergl. haben ihn früher
und heute beeinflußt, hier stärker als dort, und insofern
kann man von einem Aberglauben im Herzogtum
Oldenburg und von einem Aberglauben, sagen
wir im Morgenlande, reden. Wir feiern im Herzogtum
Feste, die wir mit anderen deutschen oder außerdeutschen
Ländern gemein haben, und wir feiern Feste,
die rein örtlicher Natur sind. So gibts im Lande Aberglauben,
den man in der ganzen Welt trifft, und Aberglauben,
der nur bei uns und in der Nachbarschaft gedeiht.
– Unter den hervorragendsten Predigern der ersten
christlichen Jahrhunderte finden wir keinen, der
sich so oft und nachdrücklich wider den Aberglauben
wendet, als der im Jahre 407 nach Christi Geburt gestorbene
Patriarch von Konstantinopel, Johannes mit
dem Beinamen Chrysostomus (Goldmund). Aus seinen
hinterlassenen Schriften (Cramer, Leipzig 1748)
erhalten wir Kenntnis von vielen abergläubischen Gebräuchen
jener Zeit. In der 12. Homilie über den 1.
Korintherbrief sagt er unter anderm: »Wird in der Ehe
ein Kind geboren, so sehen wir auch da wieder den
nämlichen Unsinn und viele lächerliche Zeremonien
(Bräuche). Denn soll dem Kinde ein Name gegeben
werden, so legt man ihm nicht den Namen eines Heiligen
bei, wie es die ersten Christen getan, sondern
zündet Kerzen an und gibt ihnen Namen, und nach
derjenigen, die am längsten brennt, benennt man das
Kind und prophezeit ihm ein lang dauerndes Leben,«
. .... »Und was soll man sagen von den Amuletten
(Zaubermitteln), den Schellen, die man dem Kinde an
die Hände bindet und von den Purpurfäden und allem
andern Unsinn, während man dem Kinde nichts anhängen
sollte, als das schützende Kreuz« ... »Die
Ammen und Wärterinnen nehmen Kot beim Baden
und streichen ihn mit den Fingern dem Kinde auf die
Stirn. Und wenn man dann fragt: Wozu denn der Kot
und der Lehm? so antworten sie: das hält das böse
Auge, die Zauberei und den Neid ab. Ei! seht doch die
Kraft und die Macht des Kotes und Lehmes! Der jagt
das ganze Heer des Teufels in die Flucht. Besitzt der
Kot eine solche Kraft, warum bestreichst du selbst
nicht deine Stirn damit, da du im reiferen Alter stehst,
und mehr Neider hast als das Kind? Warum
beschmierst du nicht den ganzen Leib mit Kot?« – In
der 12. Homilie über den Epheserbrief bemängelt der
Redner das abergläubische Achten auf gewisse »Zufälligkeiten
«: So kann man z.B. hören: »Wie ich zum
Hause hinausging, begegnete mir zuerst der und der.«
»Jetzt hat mir der verfluchte Sklave beim Anziehen
der Schuhe zuerst den linken gereicht.« »Ich bin beim
Ausgehen mit dem linken Fuß zuerst über die Schwelle
geschritten.« »Kaum war ich ausgegangen, da zuckt
mir das rechte Auge in die Höhe, das läßt auf Tränen
schließen.« »Schreit ein Esel, kräht ein Hahn, niest jemand,
kurz, ereignet sich was immer, so suchen sie
alles mögliche dahinter und fühlen sich viel abhängiger
als tausend Sklaven.« So weit der größte Redner
der morgenländischen Kirche. Ist es nicht, als hätten
wir einen Prediger unserer Zeit vor uns stehen?
Im Jahre 1669 berichtet der Pastor in Langförden,
Gerhard Wassermann, auf eine behördliche Anfrage
hin über den in seiner Gemeinde herrschenden Aberglauben:
»In der Gemeinde herrscht noch viel Aberglauben.
Es gibt manche, welche sich unterstehen, gewisse
Gebrechen an Menschen und Vieh zu kurieren,
indem sie über dieselben das Kreuzzeichen machen
und dabei gewisse geheimnisvolle Worte aussprechen.
Andere kommen am St. Johannistage (Johannes
der Täufer, 24. Juni) auf einem freien Platze zusammen,
legen zwei große Stücke Holz zusammen und
reiben diese so lange, bis das Holz zu brennen anfängt.
Dieses Feuer, ja selbst der Rauch, sagen sie, sei
das beste Heil- und Schutzmittel gegen Viehseuchen.
Skandalös und abergläubisch geberden sich Jünglinge
und Mädchen, welche abends vor Neujahr und h. 3
Königen auf den Straßen sich umhertreiben, mit Stökken
an die Türen schlagen und dabei abergläubische
Worte aussprechen. Sie glauben, je mehr Unfug sie
treiben, desto fetter würden die Schweine.« – Hier
hören wir von einem Aberglauben, der noch heute
fortbesteht, von einem andern, der gänzlich verschwunden
ist, und von einem dritten, der noch fortbesteht
als Brauch, dessen ursprüngliche Bedeutung
dem Volke aber verloren gegangen ist. Demnach können
wir heute den Aberglauben unterscheiden in solchen,
der noch das Regiment führt, in solchen, der unbekannt
geworden und in solchen, dessen äußere Formen
bestehen geblieben sind, von dem aber das Volk
nicht weiß, was es mit demselben ursprünglich auf
sich hatte.
Was den e r s t e r e n Aberglauben betrifft, so sei
nur an das Gesundbeten, Besprechen, bösen Blick,
Vorbedeutung u. dgl. erinnert. – Was den z w e i t e n
angeht, so haben zu dessen Verschwinden verschiedene
Faktoren beigetragen. Einmal hat die Aufklärung
in Kirche, Schule und Presse viel getan oder ein Eingreifen
Berufener infolge Unfugs, der sich mit der Zeit
damit verbunden hatte, ein ander Mal die Besserung
der Lebensverhältnisse oder andere Umstände. Man
denke z.B. an den früheren Wahn, der alle Geisteskranke
für besessen erklärte, man denke an die vielen
abergläubischen Heilmittel einer vergangenen Zeitpe-
riode. Daß die Aufklärung hier mitgewirkt hat, ist
klar, daß aber bei den Heilmitteln auch der Geldbeutel
eine Rolle spielte, ist ebenfalls klar. Eine wirtschaftlich
starke Zeit wird die Leute eher dem geschulten
Arzte zuführen als eine wirtschaftlich schwache.
In geldlosen Zeiten, und die liegen noch nicht
lange hinter uns, mußte der Aberglaube Triumphe feiern.
Sodann ist der Aberglaube dort gewichen, wo der
Gegenstand, an den er klebte, fortgefallen ist. Das Johannisfeuer
ist ausgetan, vielleicht deshalb, weil das
Johannisfest im Norden nur mehr sporadisch (Osnabrück)
gefeiert wird. In Süddeutschland bestehen
noch die Feuer, dort ist auch noch der Johannistag
überall gebotener Festtag. Der Flachsbau hat aufgehört
und damit der Aberglaube, welcher damit verknüpft
war. Wenn früher die Milch keine Butter
geben wollte, hielt man sie für behext. Die Hexerei ist
zurückgegangen, seitdem die Milch zur Molkerei gefahren
wird. Früher gab es auf der Geest allerlei Zauber-
oder Heilmittel gegen das kalte Fieber (Malaria),
das sich die armen Grasmäher von Holland geholt
hatten. Mit dem Aufhören der Hollandsgängerei ist
das Fieber unbekannt geworden und damit der daran
haftende Aberglaube. Manche Sümpfe waren oftmals
wahre Spuknester. Die fortschreitende Bodenkultur
hat die Tümpel und Wasserlöcher beseitigt und damit
die mit denselben in Verbindung gebrachten Spukge-
schichten. Man könnte noch viele Beispiele heranholen,
das Gesagte wird genügen. – Was zuletzt die
d r i t t e Sorte Aberglauben angeht, so haben wir es
hier mit uralten Bräuchen zu tun, an welchen das
Volk festhält, obwohl es den Zweck, der dieselben ins
Leben rief, nicht mehr kennt. In Kneheim, Goldenstedt,
in der Marsch, in der friesischen Wede und den
benachbarten hannoverschen Gebieten (Ost und
West) ist es Sitte, die Nachgeburt der Pferde in die
Bäume zu hängen und sie dort ihrem Schicksal zu
überlassen. Frägt man die Leute nach dem warum, so
heißt es, es geschehe, damit die Füllen den Kopf hoch
hielten, d.h. eine gute Haltung annähmen (Kneheim,
Goldenstedt, friesische Wede). Im Saterlande heißt es,
Hunde, die von der Nachgeburt fräßen, würden toll.
Anderswo wird dagegen behauptet, Hunde, die von
der Nachgeburt fräßen, griffen die Füllen an. Daß
diese Gründe nicht einleuchten können, liegt auf der
Hand (vgl. 144). Macht man die Leute auf ihre unsinnige
Erklärung aufmerksam, dann entgegnen sie, der
Brauch wäre immer herrschend gewesen in ihrem
Hause oder Dorfe, ihre Eltern und Voreltern hätten
ihn beobachtet und darum hielten sie es für ratsam,
bei demselben zu bleiben. – Der Langfördener Pastor
schreibt, wie schon bemerkt, 1669, am Abend vor
Neujahr und Dreikönigen machten die jungen Leute
viel Lärm im Dorf. Sie schlügen mit Stöcken an die
Türen, gebrauchten dabei geheimnisvolle Worte und
meinten, je größer der Lärm, desto fetter die Schweine.
Daß man am Abende vor Neujahr an die Türen
schlägt, alte Töpfe und Scherben gegen dieselben
wirft, ist auch noch heute Sitte, aber würde man fragen,
weshalb dies geschieht, dann könnte der Gefragte
als Grund nur die Lust an Randalieren angeben, andere
Gründe sind nicht aufzufinden. Aber warum muß
das Radaumachen gerade um Neujahr und Dreikönigen
besorgt werden, warum nicht auch sonst im
Jahre? Die Mythologie will wissen, das Lärmmachen
am Neujahrsabende gelte einem Kampfe gegen die
bösen Geister, die zu Beginn des Jahres durch Schlagen,
Schießen, Zertrümmern von Geschirren verscheucht
werden müssen. In Langförden mochte man
hiervon 1669 noch eine Ahnung haben, wenn die
junge Welt von der Größe des Unfugs ein Fettwerden
der Schweine abhängig machte, denn je besser die
Dämonen fortgetrieben wurden, desto weniger mochte
ihr fatales Wirken in den Schweineställen zu verspüren
sein. Jetzt weiß man von den bösen Geistern
nichts mehr, aber das Schießen, Schlagen und Werfen
ist geblieben.1 – In der Zeit von Weihnachten bis
Dreikönigen herrscht noch die Sitte, daß alles, was
sich dreht, unberührt stehen bleiben muß. Kein
Wagen, kein Spinnrad, kein Haspel, keine Schiebkarre
darf in Bewegung gesetzt werden. Wer es wagen
sollte, zu fahren, zu schieben, würde ein Unglück erleben.
Man erzählt sich, dieser oder jener habe den
alten Brauch aufgegeben, sofort habe ein Pferd das
Bein gebrochen, ein Rind sei krepiert und dgl. mehr.
Frägt man auch hier die Leute, warum sie den Brauch
beobachten, dann hört man, wie oben, es sei das ein
altes Herkommen, von den Vätern ererbt, mehr wisse
man nicht. In einem Dorfe der Gemeinde Lindern hat
sich nach einer Mitteilung des Pastors Dr. Wulf in
Lastrup der Fall ereignet, daß ein Wagen in den
Zwölften (Zeit von Weihnachten bis Dreikönigen)
von seinem Standort fortgeschafft werden mußte. Der
Eigentümer hat ihn aber nicht fortgerollt, sondern
auseinander genommen und die einzelnen Teile an
dem neuen Standort wieder zusammengesetzt. Weshalb
Unglück über ihn hereingebrochen wäre, wenn er
das Gefährt fortgerollt hätte, wußte er nicht. Die Mythologie
erzählt uns, die heutigen Zwölften wären ein
Nachklang der alten Sonnenwendefeste. In dieser Zeit
vom 25. Dezember bis 6. Januar stand das Rad der
Sonne still. Man hielt es für angemessen, wenn das
Sonnenrad stehe, daß dann aus Ehrfurcht auch alle
Räder auf Erden stille stehen müßten. Wer sich nicht
daran halte, den straften die Götter. Der Landmann
unserer Tage weiß von diesem Glauben seiner Vorfahren
nichts mehr, aber was jene am Sonnenwendefeste
taten, das hat er bis auf den heutigen Tag fortge-
setzt. Übrigens hat die alte Sitte hierorts neuerdings
stark nachgelassen.
Aberglaube bedeutet eigentlich falscher Glaube.
Das erste Element des Wortes »aber« ist dasselbe wie
in mhd. aberlist = Unklugheit, frühmhd. Abergunst =
Mißgunst, Abername = Spottname, Aberwille = Widerwille.
Vgl. auch Aberwitz aus mhd. aberwitze,
abewitze = Unverstand aus mhd. abe = ab, wie mhd.
abegunst = Mißgunst. (Kluge, Etymologisches Wörterbuch
der deutschen Sprache.) Das Volk nennt den
Aberglauben »B i g l o v e «, es versteht darunter
einen Glauben, der nicht dem Christenglauben, wie
ihn Kirche, Haus und Schule lehren, zuwider ist, sondern
neben demselben herläuft. Zweifellos soll mit
dieser Benennung eine gewisse Berechtigung des
Volksaberglaubens dargetan werden. Wenigstens will
der gewöhnliche Mann nichts Verkehrtes in demselben
sehen, verteidigt ihn, wo er kann, und wenn er
sich in gewissen Kreisen über denselben ausschweigt,
so rührt dies daher, weil er das Streiten scheut oder
fürchtet, ausgelacht, verspottet zu werden. Dies
Schweigen ist auch der Grund, daß viele der Meinung
sind, der Volksaberglaube habe zuletzt doch einer
bessern Einsicht Platz gemacht und sei endgültig begraben.
Man beobachte die Menschen, wenn sie unter
sich sind und sich nicht von fremden Ohren belauscht
wähnen, und man wird noch auf viele stoßen, die den
Aberglauben theoretisch und praktisch üben, oder die
ihn theoretisch verurteilen, aber praktisch üben. Daß
am Montage z.B. eine wichtige Arbeit mit Widerwillen
begonnen wird, kann man wiederholt wahrnehmen.
Ich kenne in nächster Nähe eine Bauerschaft, die
man beileibe nicht als rückständig verurteilen darf,
wo aber kein Landwirt in der Erntezeit am Montage
mit dem Roggenmähen den Anfang macht. Sind die
Schnitter nicht vor dem Montag zu haben, so werden
am Samstage vorher einige Streifen abgemäht, damit
man sagen kann, am Samstag habe die Arbeit begonnen.
Anderswo, bei Oldenburg herum, hält man darauf,
am Freitage mit dem Schneiden zu beginnen.
Wählt man einen anderen Tag, dann kommt die
Frucht schlecht zu Hause oder wird im Fach durch
Mäusefraß vernichtet. In den protestantischen Landesteilen
wird als Hochzeitstag der Freitag bevorzugt, in
den katholischen Landesteilen der Dienstag und Donnerstag.
In einem Falle hält man den Freitag für einen
Glückstag, in andern für einen Unglückstag. Es
mögen auch praktische Gründe für die Wahl dieser
Tage sprechen, aber sie sind nicht entscheidend.
Es gab eine Zeit, wo alles, was etwas gelten wollte,
gegen den Aberglauben eiferte. Das war die Zeit der
Aufklärerei zu Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts.
In Schulen und Kirchen und wo sonst von
Unterricht und Belehrung die Rede war, hatte man
nichts Eiligeres zu tun, als auszurotten und vergaß
über dem Ausrotten das Pflanzen. Der Aufschwung,
den das patriotische Leben nach den Freiheitskriegen
nahm, sollte auch dem Aberglauben zugute kommen.
Die Dichter waren die ersten, welche sich des verfolgten
Aberglaubens annahmen und von manchem behaupteten,
daß er doch wenigstens poetisch wäre und
ein Recht auf Dasein habe. Das ganze schöne Reich
der Märchenwelt ist ja ein Reich des Aberglaubens,
und wer nur z.B. die schönen Haus- und Kindermärchen
der Gebrüder Grimm lesen und sich an ihnen
freuen will, muß seine Portion Aberglauben haben.
Das soll heißen, er muß poetisch glauben an Hexen
und Nixen, an das Gespräch der Tiere und Bäume, an
verzauberte Schlösser und verwünschte Prinzessinnen,
an Meilenstiefel und gefeiete Schwerter und wie
die Dinge alle heißen, die alle nicht wahr und doch so
schön sind. Dem Dichter macht jetzt niemand mehr
den Aberglauben zum Vorwurf.
Im Grunde ist der Volksaberglaube wie er sich
durch den Tag kundgibt, eine ungefährliche Sache, ja
nicht blos ungefährlich, er ist unter Umständen sogar
nützlich; manches ist ergötzlich, spaßig, anderes gilt
endlich für Aberglauben und ist doch nur ein alter,
guter, sinniger Gebrauch. Wenn ich dem Kinde sage:
»Das Messer leg nicht mit der scharfen Klinge in die
Höhe, es tut die lieben Englein weh,« wie im Volks-
boten 1853, S. 193, treffend ausgeführt wird, so ist
das Aberglaube, hat aber seinen Nutzen, und vernünftige
Pädagogen werden nichts dagegen einzuwenden
haben. Wenn ich dem Knaben sage: »Geh nicht zu
nah ans Wasser, die Nixe zieht dich nein« oder die
Mutter droht den Kindern: Geht nicht an die Erbsen,
die »Erftenmoder«, oder: Geht nicht in das Roggenfeld,
die »Roggenmoder« faßt euch, so ist das wiederum
Aberglaube, aber wirkt er schädigend auf die Erziehung?
Dann ist es auch schädlich, wenn man die
Kinder bei dem Glauben läßt, der Weihnachtsmann
oder das Christkind habe zu Weihnachten die Gaben
gebracht. Der Satz: Heb deine Fäuste nicht gegen den
Vater auf; wer seine Eltern schlägt, dem wächst die
Hand aus dem Grabe heraus, predigt er Aberglauben,
und wenn er ihn predigte, ist er ohne sittliche Kraft?
Wenn es heißt: Wer die Butter zuerst anschneidet, bekommt
in 7 Jahren keine Frau, so liegt darin die Mahnung
an die junge Welt, den älteren Leuten den Vortritt
zu lassen. Wenn es früher hieß, als noch der
Flachsbau und das Spinnen hierorts in Würden stand,
wer am Sonntag spinne, dem würden von unsichtbarer
Hand die Fäden zerschnitten, so lag diesem Aberglauben
die Mahnung zu Grunde: Gedenke, daß du den
Sabbat heiligest. In den »Zwölften« soll man die
Obstbäume mit einem Strohband umwickeln, rät der
Aberglaube, dann tragen sie gut. Wer der Mahnung
folgt, wird auch sonst um seine Bäume Sorge tragen.
– Daß der Aberglaube auch dazu beiträgt, daß
der Humor nicht untergeht in unserer öden Welt, kann
man sehen, wenn die junge Welt sich in der Neujahrsnacht
am Bleifigurengießen belustigt, oder wenn das
Volk seine Freude hat, wenn es den Jäger mißvergnügt
sein Heim aufsuchen sieht, weil ihm beim Ausgange
ein altes Weib über den Weg gelaufen ist, oder
wenn es heißt, daß man Unglück hat, wenn einem das
Butterbrot aus der Hand und auf die geschmierte Seite
fällt.
Was dem Aberglauben von jeher soviel Feindschaft
eingetragen, ist der Glaube an seine große Gemeingefährlichkeit.
Es ist sicher, daß der Aberglaube der
Menschheit schon viel Schaden an der Ehre, Gesundheit
und Vermögen zugefügt hat, man denke an den
früheren Hexenwahn, aber was noch besteht, ist nicht
so schädlich, als der moderne Aberglaube, der in den
Klassen sich breit macht, welche sich auf ihre Bildung
und Gesittung etwas zu gute tun und auf den
Bauernaberglauben verächtlich herabblicken. Immerhin
sucht auch noch der Volksaberglaube täglich
seine Opfer; z.B. ein Überrest des alten Hexenwahns,
der Glaube, daß gewisse Leute dem Vieh oder Kindern
durch bösen Blick oder sonst Unheil zufügen
können und auch wirklich zufügen, spukt noch stark
im Volke und wird von heute auf morgen nicht ver-
schwinden. Viel Leid hat dieser Glaube schon verursacht
und verursacht es noch täglich. Es ist deshalb
ganz verkehrt, wenn Leute, die im Volke stehen und
im Volke wirken müssen, sich um den Volksaberglauben
nicht kümmern, sondern sich stellen, als wäre
derselbe nicht vorhanden oder gehe sie nichts an. Wer
im Volke zu wirken hat, muß sich auch um dessen
Aberglauben kümmern, er lernt dann die Denk- und
Handlungsweise seiner Mitmenschen besser verstehen,
kann unter Umständen aufklärend handeln und
Schäden abwenden oder mildern. Dabei hüte man sich
aber vor einem falschen Optimismus. Wer den Kampf
mit dem schädlichen Aberglauben aufnimmt und
glaubt, über kurz oder lang alles abergläubische
Wesen bannen zu können, wird vor Überraschungen
nicht bewahrt bleiben. Die allgemeine natürliche Neigung
zum Aberglauben ist einmal da, wie zu Anfang
dieses Aufsatzes bemerkt wurde, und wird sich nicht
ausrotten lassen. Man muß mit ihr rechnen. Ein übriges
tut die Gewinnsucht, welche die Schwächen der
Menschheit ausbeutet und somit zur Erhaltung bezw.
Ausbreitung abergläubischen Unfugs beiträgt.
Von großem Werte ist das Studium des Volksaberglaubens
für die M y t h o l o g i e . Ein sorgfältiges
Durchforschen des Aberglaubens, der Sagen, der alten
Gebräuche und Volkssitten hat die deutsche Mythologie
erst möglich gemacht, und jede weitere Forschung
auf diesem Gebiete bietet Gewähr für eine Bestätigung,
Berichtigung und Bereicherung bislang gewonnener
Kenntnisse. Heidnische Vorstellungen und Begriffe
nahmen hier und dort den Charakter der Volkssitte
an und wurden in dieser Gestalt aus dem Heidentum
in das Christentum herübergenommen. Der
»Zwölften« ist bereits gedacht, wir erinnern überdies
an die Johannisfeier, Sylvestertreibereien, Peterbult,
Osterfeuer, Nikolausgebäck. Wer da weiß, welch zähe
Lebenskraft der Volkssitte auf allen Gebieten des Lebens
eigen ist, darf sich nicht wundern, wenn das
Christentum mit solchen Bräuchen sich abfinden
mußte. Entweder beließ es das Volk bei denselben in
der Erwartung, mit dem allmählichen Verschwinden
des Heidentums werde auch die heidnische Sitte verschwinden,
oder es suchte den alten Bräuchen eine
christliche Bedeutung unterzulegen. Man findet denn
auch, wie schon bei den Zwölften und anderen Gebräuchen
bemerkt wurde, daß der ursprüngliche Sinn
noch bestehender Volkssitten durchgängig nicht mehr
verstanden wird. In vielen Fällen wird auch kaum
noch von einer wirklich abergläubischen Absicht bei
derartigen Erscheinungen des Volkslebens die Rede
sein können. Man sehe das bezüglich der Zwölften
und Neujahrsfeier in Langförden Gesagte.
Vorliegendes Buch führt die Überschrift »Aberglaube
und Sagen.« S a g e n haben mancherlei Be-
ziehungen zum Aberglauben. Der Aberglaube stellt
feste Sätze oder Behauptungen auf, und die Sage berichtet
von Begebenheiten, in welchen diese Sätze
ihre Erfüllung gefunden haben, in die Wirklichkeit
übertragen sind. Der Aberglaube läßt z.B. einen wichtigen
Bau nur gelingen, wenn ein Mensch in das Fundament
gemauert ist, und die Sage verkündet, diese
oder jene Kirche, dieses oder jenes Schloß, dieser
Deich habe nicht eher stehen oder halten wollen, bis
ein unschuldiges Kind mit eingemauert und im Deich
sei vergraben worden. Der Aberglaube hält daran fest,
daß böse Menschen nach ihrem Tode wiedergehen
müssen, und die Sage weiß zu erzählen, wie in Feld
und Wald, auf Straßen oder in Häusern ein Mörder
Meineidiger, Geizhalz, Wucherer als Spuk die Gegend
unsicher macht. Der Aderglaube will, daß über
Glocken, die nicht geweiht oder getauft sind, der Teufel
die Herrschaft habe, die Sage bezeichnet die Stellen
(Tümpel, Sümpfe), in welchen der Teufel Glokken,
die er aus den Türmen gerissen, versenkt hat.
Anderseits gibt es Sagen, die eine Beziehung zum
Aberglauben vermissen lassen, aber uns fast wie
Aberglaube anmuten. Bleiben wir bei den Glocken
stehen, so herrschte früher der Glaube, der Klang
einer Glocke sei um so reiner oder heller oder schöner,
je mehr Gold und Silber der Glockenspeise beigemischt
werde. Daraus entwickelte sich an Orten, die
über ein gutes Geläute verfügten, die Sage, beim
Gusse desselben wären vornehme Fräulein vom nahen
Schlosse gekommen und hätten ihr sämtliches Geschmeide
in die flüssige Glut geworfen. Der Historiker
lauscht gern den Sagen, die im Volke gehen;
ihnen liegt oft ein wahrer Kern zugrunde, und so dienen
sie dazu, den Forscher auf die richtige Fährte zu
bringen.
Den Schluß des Buches bilden M ä r c h e n u n d
S c h w ä n k e . Die Märchen stehen nicht auf dem
Boden der Wirklichkeit, machen auf Glauben keinen
Anspruch, sind Phantasiegebilde wie der Aberglaube,
bilden somit einen passenden Anhang an diesen.
Schwänke sind teils Phantasiegebilde, teils dem wirklichen
Leben entnommen, im letzteren Falle hat aber
die Dichtung sie mit soviel Beiwerk versehen, daß
man nicht mehr weiß, wo die Wahrheit anfängt und
wo sie aufhört.