Читать книгу Auch eine Rosine hat noch Saft - Luise Lunow - Страница 14
Vater
ОглавлениеMein Vater spielte in meinem Leben leider nur eine untergeordnete Rolle. Ich kann mich nicht erinnern, jemals mit ihm gespielt oder sonst etwas zusammen mit ihm unternommen zu haben – außer, dass wir, als ich noch sehr klein war, ein- oder zweimal mit den Fahrrädern zum Pilze sammeln in den Wald und an den Teufelssee gefahren sind. Er war ja fast meine ganze Kindheit hindurch nicht zu Hause. Gleich am Anfang des Krieges wurde er zur Wehrmacht eingezogen, nach einem Jahr für kurze Zeit reklamiert, weil er als Lackierer in einer kriegswichtigen Fabrik arbeitete, aber dann kam er wieder an die Front, diesmal in Russland, geriet in russische Gefangenschaft und kehrte erst 1948 krank, aufgeschwemmt und völlig verändert nach Hause zurück. Die Ehe mit meiner Mutter, die in den Kriegs- und Nachkriegsjahren allein für sich und uns Kinder gesorgt hatte, die arbeitete und inzwischen gewohnt war, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, sich nicht mehr unterzuordnen, wie sie es in den ersten Jahren ihrer Ehe getan hatte, war nicht mehr zu retten und nur wenige Jahre darauf wurde sie geschieden. Ich lebte zu dieser Zeit bereits bei meinen Großeltern und sah meinen Vater nur selten. So blieb er immer ein Fremder für mich und der Kontakt zu ihm war auch später auf wenige Begegnungen beschränkt. Heute weiß ich, wie sehr mir mein Vater in meiner Entwicklung gefehlt hat, wie sehr ich seine Geborgenheit, seine Sicherheit, seine Liebe und seinen Rat gerade als Kind und auch später als Heranwachsende gebraucht hätte. Als er aus der Gefangenschaft nach Hause kam, hatte auch er Hemmungen, auf seine inzwischen fast erwachsenen Töchter zuzugehen, deren Kindheit er durch den Krieg nicht miterleben durfte und die ihm nach seiner Rückkehr als fremde junge Mädchen gegenüberstanden. Besonders als es eine neue Frau in seinem Leben gab, scheute er den Kontakt mit uns; ich hatte den Eindruck, es war ihm peinlich uns seine neue Lebensgefährtin vorzustellen. Er heiratete sie kurz nach der Scheidung von meiner Mutter. Christa war seine große Liebe, eine junge Mitarbeiterin Mitte 20; er war damals Anfang 50. Beide bezogen eine gemeinsame Wohnung, meinem Vater ging es wieder gut, sie waren glücklich und sparten für eine AWG-Neubauwohnung. Seine junge Frau verschwieg ihm aber, dass sie kurz nach der Heirat an Unterleibskrebs erkrankte, verschwieg es ihm aus Liebe bis zuletzt. Erst als sie wenige Tage vor ihrem Tod mit unerträglichen Schmerzen in eine Klinik eingeliefert werden musste, erfuhr mein Vater geschockt, dass seine geliebte Frau sterben würde. Er hat ihren Tod nie überwunden. Kurz darauf war seine AWG-Wohnung bezugsbereit, für die er jahrelang eingezahlt hatte. Sie durfte aber nur mit zwei Personen bezogen werden. Er heiratete also eine flüchtige Bekannte, bezog mit ihr die Wohnung, erkrankte kurz danach ebenfalls an Krebs und starb ungeliebt und vereinsamt in seiner Wohnung. Ich hab ihn während dieser Monate ein paar Mal besucht, aber uns blieb nur noch wenig Zeit Versäumtes nachzuholen – der Krieg mit all seinen Folgen hatte unsere Familie zerstört.