Читать книгу Tomoji - Lukas Kellner - Страница 13

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Falten. Das war seit neuestem ihr Ding. Seitdem sie aufgehört hatte zu rauchen, war ihr jedes Ventil recht. Und auf einer Persönlichkeit in ihrer Funktion baute sich ständig Druck auf. Druck, den sie unerbittlich an der Falzkante des Papiers vor sich entlud.

Eliah saß schweigend da und beobachtete sie, während sie mit viel zu viel Kraft einen neuen Knick in das Stück weißen Papiers vor sich faltete. Palfrader gab sich nicht einmal Mühe, eine Tierfigur, ein Schiffchen oder einen Papierflieger zu basteln. Es ging ihr nur darum, den Knick mit ihrem Fingernagel nachzufahren und dabei so viel Kraft aufzuwenden, dass der Daumen hellweiß anlief. Eliah hatte sie schon oft so erlebt, es war jedes Mal dasselbe. Meistens konnte er die Ansprache sogar im genauen Wortlaut vorhersagen. Er überlegte sich, wann sie wohl das erste Mal beim Reden spucken würde und nahm in Gedanken Wetten dafür an. Die Idee amüsierte ihn so sehr, dass er ein kurzes Schmunzeln nicht verhindern konnte.

„Was ist denn so witzig?“, zischte Palfrader. Sie machte den Eindruck einer hungrigen Löwin, der man gerade ein Stück Fleisch wegstibitzt hatte. Eliah ging nicht weiter darauf ein. Er räusperte sich und sagte:

„Hören Sie…“. Doch weiter kam er nicht.

„WAS? Was soll ich hören? Wie konnte das passieren? Haben Sie eigentlich irgendetwas im Griff? Von Anfang an muss ich Ihnen in den Hintern treten! Sie sind nicht erreichbar, bringen keine Ergebnisse und jetzt kommt das. Die Chancen, jetzt noch saubere Ermittlungen zu führen, liegen bei Null! Verdammt, Eliah!“

Sie hatte aufgehört zu falten, ballte stattdessen die Hände zu Fäusten und legte die Arme links und rechts auf dem Schreibtisch ab, als würde sie sich gleich darauf abstützen wollen. Die blonde Mähne und der aufrechte Sitz gaben ihr das Aussehen eines sich aufplusternden Papageis. Einen Moment lang blieb es still. Keiner sagte auch nur ein Wort, bis Marvin todesmutig versuchte, die Spannung zu durchbrechen: „Eliah hatte darauf keinen Einfluss, wenn man sich die Bilder ansieht, erkennt man ganz deutlich, dass…“, begann er zu argumentieren, doch in diesem Moment hob sein Mentor auch schon die Hand. Eliah lehnte sich langsam in seinem Stuhl nach vorne. Für einen kurzen Moment befürchtete Marvin, er würde jetzt gleich ebenfalls die Beherrschung verlieren und losschreien. Palfrader hatte diesbezüglich gerade ganz gut vorgelegt. Sie war so schon nicht der Typ für Fingerspitzengefühl, doch ihre jetzige Wortwahl war selbst für ihre Maßstäbe verbissen. Marvin spürte Wut und Abneigung in ihm hochkriechen und das, obwohl er nicht Ziel ihrer Attacke gewesen war. Eliah ließ die Hand langsam wieder sinken. Er hob den Kopf und sah Palfrader an, die immer noch vor Wut zu kochen schien. Er fixierte sie eine ganze Weile, ohne irgendetwas zu sagen. So, als ginge er alle Optionen in seinem Kopf durch, als wolle er keine vorschnelle Entscheidung treffen, die er irgendwann einmal bereuen könnte. Dann erhob er das Wort.

„Wie wär’s wenn wir rausgehen und das draußen besprechen?“ Beide, Marvin und Palfrader, starrten ihn entgeistert an. Seine Worte schwangen geradezu durch den Raum, klangen weich und beiläufig, so als besprächen sie gerade nichts Wichtiges, als führten sie ein angenehmes, kleines Pläuschchen. Da war nichts Bedrohliches in seiner Stimme, kein Beben oder Brechen, kein Unverständnis und schon gar kein Befehlston. Trotzdem war das eindeutig kein Nachgeben und auch kein ‚Ist schon okay ‘. Palfraders Worte schienen zwar an Eliah abgeprallt zu sein wie hölzerne Pfeile an einer Betonmauer, doch etwas in seiner Stimme vermittelte eine unmissverständliche Botschaft: Bis hier hin und nicht weiter!

Palfrader starrte Eliah mit halb geöffneten Mund und noch immer geballten Fäusten an. Dann zuckte ihr Blick auf das Papier vor sich. Das Blatt war mittlerweile an der Faltkante eingerissen. Sie zog ihre beiden Arme an den Körper, blickte auf und erhob sich, ohne Eliah dabei auch nur für eine Millisekunde aus den Augen zu lassen. Er tat es ihr gleich, hielt ihr beim Hinausgehen die Tür auf und sie waren verschwunden. Zurück blieb ein verblüffter Marvin, der ohne ein einziges Wort verstanden hatte, dass er bei diesem Gespräch nichts verloren hatte. Er stierte auf den Platz, den sein Vorgesetzter soeben verlassen hatte. Nach einer Weile begann er, leicht zu nicken und murmelte: „Ha…“

Er erhob sich und wollte gerade den Raum verlassen, als sein Blick auf das zerrissene Blatt Papier auf Palfraders Tisch fiel. Er griff danach und musterte den Druck darauf. Es war das Foto, das gerade auf jedem Titelblatt der Stadt abgebildet war. Das Foto einer Frau, die brutal ermordet und anschließend einem Smiley entsprechend entstellt worden war. Trotz der unscharfen Flecken über Gesicht und dem Intimbereich, musste es früher oder später jemandem auffallen: Die Bilder waren digital bearbeitet worden. Zwar stand in dem Artikel ‚Foto der Spurensicherung vom Tatort‘, doch sprachen einige Faktoren gegen diese Behauptung. Die Kameras, mit denen die SpuSi hantierte, waren von der Marke Canon aus der 5d-Reihe. Die hatten einen Dynamikumfang von circa 13 Blenden, was bedeutete, dass sehr viele Abstufungen zwischen dem hellsten und dem dunkelsten Punkt im Bild möglich waren. Außerdem waren sie immer mit einem speziellen Blitz-Aufsatz ausgestattet, der so viel Licht produzierte, dass man mithilfe einer stark geschlossenen Iris fast alles im Bild scharf bekam. Das Bild in den Zeitungen hatte rein optisch niemals 13 Blendenstufen, sondern deutlich weniger. Außerdem waren Tiefenschärfe und die Charakteristiken des Blitzes anders als bei den Originalen. Ein fähiger Ermittler mit geschultem Auge musste erkennen, dass man versucht hatte, sie an den Stil der echten Tatortfotos anzugleichen. Auf der anderen Seite wäre es nicht das erste Mal, dass brisante Fotos den inneren Ring der Polizei verließen. Jeder wusste, dass viele Mitarbeiter unzufrieden mit ihrem Gehalt waren. Für so ein Bild würde man bestimmt einen hübschen Zuschuss zum monatlichen Lohn bekommen. Als Marvin Schritte auf dem Gang hörte, legte er das Bild hastig zurück auf Palfraders Schreibtisch und ging auf die Tür zu. Er hatte ohnehin noch etwas zu erledigen. Er musste jemanden ganz Bestimmten anrufen und um einen Gefallen bitten!

Tomoji

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