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Kapitel 4 - Der Künstler

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Jakob war müde. Verständlich. Er war die ganze Nacht wach gewesen. Aber er bereute es nicht. Sie verlangte es nun einmal von ihm. Sie war immer seine große Liebe gewesen, aber auch die Einzige, die ihn nie im Stich gelassen hatte und auf die er sich immer verlassen konnte. Sie war die Konstante in seinem Leben, die Titelei, das ‚Immer da‘. Die Kunst war seine ewige Begleiterin.

Manche hielten ihn für verrückt, andere verschrien ihn als einen unverbesserlichen Träumer und Taugenichts, doch das war ihm egal. Denn er tat Dinge, die niemand anderes tun würde. Dinge, die für andere undenkbar wären, geradezu unvorstellbar, verrückt und unmenschlich. Es war ihm nur möglich, weil er sie verstanden hatte, ihrem Ruf gefolgt war. Sie hatte ihm stets zugeflüstert und alles, was er tat, war ihren Wünschen Folge zu leisten.

Genauso oft, wie sie ihn einen Taugenichts schimpften, fragten sie ihn, woher er seine Inspiration nahm, dabei war die Frage eigentlich völlig falsch gestellt: Er nahm sie nicht, er bekam sie! Und alles was er dann tun musste, war sich ihr hinzugeben, alles Weltliche zu vergessen, um sich ihr voll und ganz zu widmen. Das bedeutete im Zweifel auch: Kein Schlaf, kein Essen, keine Pausen, nichts. Das war es, was sie von ihm im Gegenzug verlangte und er war willens, diesen Preis zu zahlen.

Jakob hatte mit einem Wirtschaftsstudium angefangen. Sein Vater riet ihm einst dazu und damals dachte er noch, er könne sein Leben nicht einfach nur der Kunst widmen. Es war wie eine Barriere in seinem Kopf gewesen, die ihm vorgab, dass es schlichtweg unmöglich, unerreichbar und unsinnig war. Dass er zu schlecht war, nicht gut genug, um damit sein Geld verdienen zu können. Er hatte sehr lange gebraucht, um zu realisieren, dass es kein Gut oder Schlecht gab, kein Brav oder Böse, kein David und kein Goliath. Es gab für ihn nur zwei Arten von Menschen: Diejenigen, die ihr zuhörten, die es zuließen sich auf das einzulassen, was sie ihnen auftrug, oder aber diejenigen, die sie gar nicht erst zu hören vermochten. Die, die zu sehr mit den Emotionen anderer beschäftigt waren, mit Emotionen, die gar nicht ihnen selbst gehörten. Menschen, die immer danach strebten, sich die Gefühle anderer einzuverleiben und dabei gar nicht bemerkten, dass sie innerlich verhungerten. Sein Zeigefinger begann zu zittern, während er über die warme Hand vor sich strich. Es fühlte sich nach Haut an, weich und fest gespannt um Fleisch und Knochen.

Die Maus war eine Sonderanfertigung gewesen. Geformt wie die Finger eines Menschen, konnte man sie benutzen wie jede andere Maus an einem Computer, nur, dass die Fingernägel hier die Knöpfe waren, mit denen man eine Auswahl traf.

Jakob hatte ein Fable für solche Sachen. Er umgab sich gern damit und sein ganzes Atelier war voll davon. Kleine Horror-Figuren, das mannshohes Replikat einer alten Frau, die zu zittern begann, wenn man an ihr vorbeilief, mehrere Gemälde und Poster, eine eigene Interpretation von Edvard Munchs ‚Der Schrei’ und dutzende Kameras, Pinsel, Leinwände und Kerzen. Nur das User-Interface des Photoshop, den er auf seinem Display geöffnet hatte, war nüchtern gehalten und so, wie man es kannte. Ganz im Gegensatz zu dem Bild, das er gerade mit dem Programm bearbeitete. Das Bild zeigte den grinsenden, abgetrennten Kopf einer Frau vor weißem Hintergrund. Ihr waren mit Blut rote Bäckchen aufgemalt worden. Um sie zum Lachen zu bringen, hatte sich der Künstler einer Vorrichtung aus Nylonfäden und Angelhaken bedient. Auf einem weiteren Bildschirm links von sich hatte er das PNG eines Emojis geöffnet. Es war das lachende Gesicht, mit den gepuderten, roten Bäckchen. Mit einem Klick speicherte Jakob seine Arbeit. Er lehnte sich im Stuhl zurück, neigte den Kopf zur Seite und betrachtete sein fertiges Werk. Ja… es war ihm gelungen.

Als er den Computer ausschaltete, konnte er seine Reflexion auf dem schwarzen Bildschirm vor sich sehen. Die Schulterlangen, lockigen Haare, die kristallklaren, blauen Augen, die dominierende, kerzengerade verlaufende Nase und der symmetrisch-kantige Kiefer, der alles einrahmte, wie die Säulen bei einem Bauwerk der Renaissance. Sogar die dünnen, braunen Bartstoppeln, die er sich nur um Mund und Kinn stehen ließ, waren im gräulichen Schwarz des Displays zu erkennen. Er legte den Kopf zur Seite und betrachtete sich für eine Weile. Dann konnte er sie wieder hören, wie sie ihm leise zuflüsterte. Und er wollte ihr gehorchen. Der Kunst.

Tomoji

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