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Die Schatzkarte II

„Weißt du, warum es aber doch Latein sein könnte?“, begann ich, nachdem ich eine Weile über Ananaspalmen an finnischen Stränden nachgedacht hatte. „Da steht immer ein V hinter dem Q, siehst du’s? Q steht niemals alleine.“

„Du meinst, mit dem V ist ein U gemeint?“

Wir setzten uns wieder ins Wohnzimmer auf die Couch. Oder sagen wir lieber: Die Sitzecke. Dann nahmen wir einen Zettel in die Hand und schrieben den Text mit Bleistift ab, wobei wir aber die Vs durch Us ersetzten. Außerdem ließen wir die dummen Punkte weg. Das Ganze sah dann folgendermaßen aus:

CARE AMICE QUI EAM EPISTULAM INUENISTI

QUAM INSIDIOSI DI IMMORTALIS SINT IMPRIMIS NEPTUNUS A GENU USQUE AD LUNAM FERE UENI NUNC IN SCOPULO SEDEO EXSPECTO MORTEM QUAMQUAM A BONIS PULCHRIS CIRCUMDATUM SUM QUAERE ME UBI NUMQUAM NAUES NAUIGANT AUES UNDAE NIDIFICANT GAZAM MEAM PARTICIPABO CUM TIBI SI ME SALUABIS

CN PISCATOR

Jetzt tauchten plötzlich mehr Wörter auf, die wir kannten. CUM, SUM, NUNC, QUAM und so weiter. Jetzt konnte es keinen Zweifel mehr geben, dass es sich wirklich um einen lateinischen Text handelte und nicht um einen finnischen.

„Mich würde ja wirklich interessieren, wie alt das Pergament ist“, sagte Cleo, nachdem wir eine Weile unbeholfen auf den Zettel geglotzt hatten. „Wenn wir wissen, was da drinsteht, wissen wir das sicher auch. Vielleicht geben wir’s einfach mal dem Sägesteck.“

„Spinnst du? Und wenn das jetzt wirklich eine Schatzkarte ist? Oder wenn da eine großartige neue Errungenschaft aufgeschrieben ist? Ein neues Wort für eine Eigenschaft, an die niemals jemand denkt, obwohl sie jeder Mensch besitzt. Vielleicht für das flaue Gefühl im Magen beim Anblick von gutaussehenden Fußballspielern.“

„Bitte??“ Ich glaubte, mich verhört zu haben.

„Auf jeden Fall sollten wir den Text selber übersetzen. Nur, um auf Nummer sicher zu gehen.“

Herr Sägesteck ist unser Lateinlehrer.

Jeden Morgen stürmt er in die Klasse, die Tür fällt krachend ins Schloss, alle Schüler springen auf. Der Sägesteck sagt: „Salvete discipuli!“ Und wir antworten: „Salve magister!“ Dann werden die Vokabeln abgefragt. Drei Schüler, je fünf Vokabeln.

Null Fehler: 1.

Ein Fehler: 2.

Zwei Fehler: 3.

Drei Fehler: 4.

Vier Fehler: 5.

Fünf Fehler: 6.

So einfach ist die Welt bei Herrn Sägesteck. Nach fünf Minuten sind drei Noten verteilt. Wer nicht gelernt hat, kriegt einen Sechser, wer gelernt hat, einen Einser.

So grausam das klingt, so entspannt ist dieses System aber auch. Man muss ja bloß vor jeder Stunde fünfzehn Vokabeln lernen und das ist ja wirklich kein Problem. Latein ist sowieso eine sehr schöne Sprache. Man kann die Worte leicht aussprechen, ganz im Gegensatz zum Französischen, wo man Portmonee sagt und Portemonnaie schreibt – so was Hirnverbranntes! Und Englisch ist nicht weniger bescheuert. Da haben die Wörter oft eine ganz falsche Bedeutung. Sandwich heißt übersetzt zum Beispiel Sandhexe. Und Harry Potter heißt behaarter Töpfer. Außerdem lassen die Engländer immer die Endungen weg – auch wenn das noch so dämlich klingt. Die sagen zum Beispiel Rhythm statt Rhythmus. Und Organism statt Organismus. Ich frage mich, ob Apfelmus bei denen dann Apfelm heißt …

Da lob ich mir doch Latein!

Da kennt man einige Wörter schon, andere sind leicht zu merken, wie mater und pater. Ok, man muss einmal die Fälle verstanden haben: Den Nominativ und den Genitiv, den Dativ und den Akkusativ, den Vokativ und den Ablativ. Das ist das einzig Schwere. Aber wenn man das verstanden hat, muss man nur noch seine fünfzehn Vokabeln auswendig lernen.

Genau eine halbe Stunde, nachdem wir das Pergament, die Schatzkarte, gefunden hatten, zogen wir das Felix A aus meinem Schulranzen und begannen mit der Übersetzung. Auf den hinteren Seiten stehen alle Vokabeln, die wir bis zum Ende der fünften Klasse gelernt haben müssen. Wir blätterten und blätterten, radierten die lateinischen Wörter, die wir fanden, weg und schrieben die deutschen Wörter dafür auf den Zettel.

Und Folgendes kam dabei heraus.

lieb Freund QUI EAM Brief INUENISTI

wie INSIDIOSI DI unsterblich sie sind vor allem NEPTUNUS von Geschlecht?? bis zu LUNAM beinahe UENI nun in SCOPULO ich sitze EXSPECTOQ̅U̅ MORTEM obwohl von Güter schöne umgeben ich bin QUAERE mich wo niemals NAUES NAUIGANT AUESQ̅U̅ die Wellen NIDIFICANT GAZAM mein PARTICIPABO mit dir wenn mich SALUABIS

CN PISCATOR

Wir lachten herzlich über diesen Schnickschnack.

„Quaere mich, wo niemals Naues nauigant!“, rief Cleo und wischte sich die Nase mit dem Pulloverärmel.

„Mit dir, wenn du mich saluabis!“, keuchte ich. „Großartig! Was für ein unersetzbarer Fund!“

„Aber Spaß beiseite,“ unterbrach Cleo die Fröhlichkeit mit einem erschreckend ernsten Gesichtsausdruck, „es ist wirklich eine Schatzkarte.“

„Das?“, kicherte ich. „Das soll eine Schatzkarte sein?! Das ist ein schlechter Aprilscherz! Das hätte uns eigentlich gleich auffallen müssen, wenn sich der Schreiber Pisskater nennt!“ Ich grölte vor Lachen.

„Piscator heißt er“, antwortete Cleo, ohne eine Miene zu verziehen. „Außerdem steht da, dass er von lauter schönen Gütern umgeben ist, oder nicht? Und dann sehe ich noch das Wort: Unsterblich!“

Es dauerte noch eine Weile, bis ich mich aufraffen konnte, das Papier ernst zu nehmen, aber Cleo hatte natürlich völlig Recht. Der Teil, den wir schon übersetzen konnten, deutete zweifelsfrei auf einen Schatz hin, wie wir es am Anfang schon vermutet hatten. In welcher Verbindung aber die Unsterblichkeit damit stehen sollte, konnte ich mir gar nicht vorstellen. War der Schatz vielleicht die Unsterblichkeit? Aber man kann doch nicht zwischen lauter schönen Unsterblichkeiten sitzen, wie? „Neptunus habe ich doch auch schon mal gehört“, sagte ich schließlich und legte meine Stirn in Falten, damit Cleo sehen konnte, wie ernst ich das Thema jetzt nahm.

„Neptunus, Neptunus, Neptunus“, flüsterte Cleo. Es klang wie eine Beschwörung. Seine Augen hielt er fest geschlossen, während er offensichtlich scharf nachdachte. Aber dann riss er sie so unverhofft und weit auf, dass ich zusammenfuhr. „Ich hab’s! Ich hab’s! Wir sind so blöd! Wir sind so dämlich!“

„Ich bin nicht blöd“, erwiderte ich, aber er beachtete mich gar nicht.

„Neptunus!“, rief er und starrte mich an, die offenen Handflächen so nach vorne haltend, als würde er einen unsichtbaren Medizinball vor sich hertragen. Dann noch etwas ungeduldiger: „Neptunus …!?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Das ist doch ein Gewürz, Mensch! Das kommt auf jede Pizza drauf“, rief er. „Das wird immer dann verwendet, wenn etwas italienisch schmecken soll! Capito?“

„Meinst du Oregano?“, fragte ich.

„Ore…“, begann Cleo und alle Begeisterung schwand aus seinem Gesicht, „Oregano … ach ja, so ein Rotz! Hab ich verwechselt.“

„Wenn wir ins Internet kämen, wäre alles nicht so schwer. Da könnten wir alle Wörter nachschauen, die uns fehlen.“

„Dieses hundsverreckte Passwort!“

*

Den Schatz bewacht der Menschenfresser

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