Читать книгу Weiße Wölfe am Salmon River - Lutz Hatop - Страница 15
KAPITEL 2 – GEWONNEN UND VERLOREN Littlefoot
Оглавление„Er muss sofort ins Krankenhaus.“
Fieberanfälle schüttelten Gerhard durch, er bekam davon nichts mit, war bewusstlos.
„Wir haben ihn in den Schwefelquellen von ´Kraus Hot Springs´ baden lassen. Ist das der Grund für seine Fieberattacken.“
Shonessi hatte ein denkbar schlechtes Gewissen. Der Ranger nahm ihr jedoch diese Bedenken.
„Nein, wahrscheinlich hatte er dadurch sogar einen kurzen Aufschub. Der bakterielle Befall ist allerdings sehr stark. Wir müssen ihn nach Yellowknife fliegen, nur dort ist eine Versorgung möglich.“
Das Flugzeug wartete bereits in Fort Liard. Shonessi und Marc konnten ebenfalls mitfliegen, da sie bei den dortigen Dienststellen ihre Aussagen machen sollten. Im Headquarter hatten sie erfahren, dass der Parkaufseher von Rabbitkeetle Hot Springs ermordet worden war und seit einer Woche eine Befahrung des Flusses nicht mehr stattfand, da mit einer gezielten Falschinformation die Flüge in das gesamte Gebiet unterbrochen waren. Suchtrupps waren unterwegs zu dem abgestürzten Hubschrauber.
Die zweimotorige Maschine startete durch, Gerhards Zustand hatte sich weiter verschlechtert. Shonessi war sehr schweigsam, hatte am Abend zuvor mit ihrem Vater telefoniert. Verändert hatte sie sich nach diesem Telefonat, sprach seitdem mit Marc fast kein Wort mehr. Marc selbst hatte noch von Fort Liard aus mit Gerhards Frau in Ulm gesprochen. Sie hatte ihn kaum ausreden lassen und wollte auf dem schnellsten Weg ebenfalls nach Yellowknife kommen.
So saßen beide schweigsam im Flugzeug nebeneinander und hingen ihren Gedanken nach. Unter ihnen breiteten sich endlose Wälder, durchsetzt von Wasserflächen aus. Flüsse mäanderten durch diese boreale Landschaft. Hin und wieder erkannten sie den Highway. Marc wurde unruhig, je länger sie im Flugzeug saßen. Vorsichtig fasste er Shonessis linke Hand, drückte sie sanft.
„Shonessi, was ist mit dir? Du sprichst nicht mehr mit mir. Ich mache mir langsam Sorgen.“
Sie wendete sich ihm zu, bedrückt antwortete sie, „ich darf dich nicht mehr sehen, mein Vater lehnt dich ab! Er will sich bedanken für deine Unterstützung, mehr nicht“, sie zögerte, Tränen liefen ihr über die Wangen, „Lakota, was soll ich tun, ich liebe dich…“, dann fing sie an zu weinen. Marc wollte sie in den Arm nehmen, was aber fast unmöglich war, da sie beide angeschnallt waren. Sie blickten sich lange an.
„Ich habe es dir versprochen, ich werde dich niemals aufgeben.“
„Aber ich weiß nicht, ob ich das auch kann.“
Kaum wahrnehmbar trafen ihre Worte mitten in sein Herz. Er dachte an ihren Schwur an den Quellen.
„Shonessi, du hast zu mir gesagt, wir bleiben zusammen. … Du hast gesungen für mich. Ich versteh dich nicht. Ein Anruf deines Vaters … und das soll es gewesen sein?“
Sie war sich so sicher, hatte es Marc geschworen, ihn Lakota genannt. Ihr Vater wollte nichts davon wissen, hatte ihr gedroht. Ahmik, ihren Bruder, konnte sie nicht mehr fragen. Diese Hilflosigkeit stand in ihrem Gesicht, in ihren Augen.
„Du kennst meinen Vater nicht …“
Sie brach ab, schwieg. Marc hilflos, wusste nicht wie antworten. Sie schwebten in Yellowknife ein. Unter ihnen breitete sich die Stadt am Ufer des großen Sklavensees aus. Dieser See besitzt fast die fünfzigfache Größe des Bodensees. Yellowknife, direkt am See gelegen ist die größte Stadt im Nordwesten Kanadas mit knapp zwanzigtausend Einwohnern. Hochhäuser mit bis zu sechzig Metern Höhe prägen die Innenstadt.
Als das Flugzeug aufsetzte, stand die Ambulanz schon bereit. Gerhard wurde sofort in das 'Stanton Territorial Hospital gefahren'. Auch Shonessi wurde bereits erwartet. Ihr Vater Tyrone Sand, genannt 'Littlefoot', holte sie mit einem jüngeren Begleiter direkt vom Flughafen ab. Marc hatte kaum Zeit sich zu verabschieden. Mit Tränen in den Augen musste er sie ziehen lassen. Ihr Vater bedankte sich bei ihm mit einem kurzen Händedruck und einem einzigen Satz. In diesem Satz lag ein hohes Maß an Geringschätzung. Marc reagierte nicht, nahm es einfach hin. Vielleicht, wenn Ahmik dabei gewesen wäre … Nur, hätte er sich auf Ahmik verlassen können?
Unschlüssig, wie es weitergehen sollte, verharrte er am Haupteingang zum Flughafen. Nahm sich dann kurz entschlossen ein Taxi und fuhr in die Klinik. Dann telefonierte er mit Gerhards Frau Susanne, die bereits am Abend einen Flug nach Yellowknife buchte.
Abend, 18.30 Uhr. Gebannt blickte Marc auf die elektronische Anzeige. Pünktlich landete die Maschine der Air Canada in Yellowknife. Dreißig Minuten später konnte er Susanne in seine Arme schließen. Sie weinte ununterbrochen, fand keine Worte. Ihre Sorge um Gerhard lenkte ihn ab. Alle Energie setzte er daran, sie aufzubauen. Mit einem Mal wurde ihm bewusst, was Liebe bedeutet.
Susanne hat Gerhard einen Traum ermöglicht, blieb bei ihren Kindern zuhause. Auch er hatte es immer wieder zum Ausdruck gebracht, wie sehr er sie vermisst. In Susannes Augen sah er Todesängste, versuchte sie abzulenken, sie aufzubauen. Noch war nichts entschieden.
Mit dem Mietwagen fuhren sie direkt zum Stanton Hospital, das Klinikpersonal war bereits informiert und nahm beide in Empfang. Marcs Anwesenheit dabei war erforderlich, da Susannes Englischkenntnisse nicht ausreichten. Es gelang dem Stationsarzt nur unzureichend, sie zu beruhigen. „Ihm geht es den Umständen entsprechend gut, er ist aber noch nicht ansprechbar. Die kritische Phase gestern Nacht konnten wir in den Griff bekommen. Ihr Mann hatte großes Glück. Er wird bald wieder gesund.“ Nachdem Marc diesen Satz für sie wortwörtlich übersetzt hatte, kehrten die Lebensgeister zurück. Susanne wirkte wie ausgewechselt.
„Gott sei Dank! Wann kann ich zu ihm?“
Sie sprang auf, konnte es kaum fassen. Was für Ängste hatte sie ausgestanden und nun doch ein glückliches Ende. Sie durfte mit in Gerhards Zimmer. Marc kam am frühen Morgen wieder ins Krankenhaus. Gerhard war inzwischen wach. Er klopfte, betrat vorsichtig das Zimmer.
„Da ist er, mein Retter. Lakota, endlich bist du da. Wo ist Shonessi?“
Schmerzlich wurde Marc bewusst, dass er sie seit ihrer Ankunft in Yellowknife nicht mehr gesehen hatte.
„Lakota? Sho… was? Von wem redest du?“
Susanne verstand kein Wort.
„Entschuldige bitte, Susi. Hier in Kanada nennen wir Marc nur Lakota. Und Shonessi ist seine Freundin. Beide haben mein Leben gerettet.“
Susanne bedankte sich nochmals herzlich bei Marc.
„Gerd hat mir von Hartmut erzählt, ich kann es nicht glauben. Er war doch immer dein bester Freund. Was ist denn nun genau passiert. Gerd konnte oder wollte mir es leider nicht sagen.“
Marc senkte die Augen. „Das ist eine lange Geschichte. Ich weiß selber nicht, was passiert ist, verstehe es zumindest nicht. Wir wurden auf dem Fluss zweimal aus der Luft angegriffen. Als wir den ersten mit dem Hubschrauber überstanden haben, und den Aerius wieder zusammen geflickt hatten, wurden wir kurz vor der Engstelle am ´The Gate´ zum zweiten Mal von dem Hubschrauber überrascht. Ich meine auch, Hartmut hinter einem Fenster erkannt zu haben, bin mir aber nicht sicher. Beim zweiten Anflug ist der Vogel dann einfach abgestürzt. … Ich habe keine Ahnung, warum.“
In diesem Augenblick betraten zwei Männer das Krankenzimmer und wiesen sich als 'Detectivs' aus. Marc erzählte dann seine Geschichte von Anbeginn bis zum Absturz des Flugzeuges. Als die beiden den Raum verlassen wollten, konnte Marc nicht mehr an sich halten.
„Können Sie mir bitte helfen? Wo finde ich Tyrone Sand mit seiner Tochter?“
Der eine schüttelte den Kopf, der zweite jedoch reagierte anders.
„Sie meinen Littlefoot. Ich denke, ich kann Ihnen helfen.“ Mit einem Seitenblick auf seinen Kollegen meinte er nur kurz. „Ich nehme das auf meine Verantwortung. Fahren Sie nach Dettah, nicht weit von hier, auch am See gelegen. Am besten gehen Sie zum Regierungsgebäude der 'Dene', der First Nation hier. Dort finden Sie wahrscheinlich beide.“
Marc hielt es nicht mehr im Krankenhaus, verabschiedete sich von Susanne und Gerhard, rannte zu seinem Mietwagen und erreichte nach dreißig Minuten Dettah. Doch weder Littlefoot noch Shonessi traf er an.
Er besuchte die nächsten Tage regelmäßig Gerhard im Hospital. Bald war dieser soweit hergestellt, das er heimreisen konnte. Marc hatte sich entschlossen, mit beiden ebenfalls nach Deutschland zu fliegen.
Susanne packte alle Kleidung und Gegenstände zusammen, als Gerhard zu Marc trat.
„Lakota, oder soll ich wieder Marc sagen?“
„Wird wohl besser sein. Es ist vorbei, endgültig.“
Gerhard fasste Marc an die Schulter, schüttelte mit ernstem Blick den Kopf. „Nein, du bist Lakota. Weißt du nicht mehr, was der Name bedeutet?“
Susanne hielt mit dem Packen inne und horchte aufmerksam zu.
„Sicher weiß ich das noch?“
„So? Warum hältst du dich dann nicht dran? Der Name ist eine Ehre: 'Freund, der zu mir steht!' Shonessi braucht dich. Geh zu ihr. Bleib hier. Du liebst sie doch? Oder sollte ich mich täuschen?“
Marc wusste nicht mehr, was er denken sollte. Gerhards Worte ließen seine Gefühle Achterbahn fahren.
„Meinst du? Ich sollte …“
„Ja, das meine ich nicht nur, das weiß ich.“
Sie verabschiedeten sich, Marc sah dem Flugzeug noch hinterher.
Grüß mir die Heimat. Wir sehen uns wieder, versprochen.
Marc verbrachte eine weitere Nacht in Yellowknife, wollte am nächsten Tag noch mal einen Versuch in Dettah wagen. Er stellte das Auto direkt vor dem Regierungsgebäude der 'Dettah Yellowknives Dene First Nation' ab. Das sehr ansehnliche, moderne Regierungsgebäude mit behindertengerechter Rampe und dem lindgrünen Anstrich beeindruckte ihn.
Ich muss sie wieder sehen, muss mit ihr reden!
Diese Gedanken trieben ihn um. Langsam öffnete er die Autotür, ging zum Eingang, blieb auf der hölzernen Treppe nochmals kurz stehen. Er wollte auf keinen Fall Littlefoot in die Arme laufen. Hinter dem Eingang befand sich ein großes Foyer mit zahlreichen Fotos und Informationen zu den Protestaktionen der ‚Dene‘, der hier siedelnden First Nation.
Gar nicht so verkehrt, vielleicht kann ich ja so das Vertrauen der Menschen hier gewinnen.
Marc trat an die Tafeln heran und begann diese zu lesen. Nach etwa einer halben Stunde gesellte sich ein Mitglied der ‚Dene‘ hinzu.
„Kann ich helfen? Sie interessieren sich für unsere Proteste?“
„Ja, sehr. Können Sie mir mehr zu den Hintergründen sagen? Ich bin hier neu, würde mich gerne engagieren, brauche dafür aber mehr Informationen.“
Mit einem freundlichen Lachen wurden seine Fragen beantwortet. Sie setzten sich an einen Tisch. Zeitungsausschnitte, weitere Bilder und Stellungnahmen von befreundeten First Nations wurden Marc vorgelegt. Auch mit dabei ein Schreiben von ‚Bluerescue‘, der berühmten Umweltorganisation aus Kanada. Zum ersten Mal hörte Marc die Namen 'Glenconan AG', Tom Baxter und Frédéric Fowler. Gleichzeitig bekam er eine Fotografie von letzterem zusehen. Marc erkannte in ihm sofort den jüngeren der beiden aus dem Flugzeug.
Also doch. Es geht mal wieder nur ums Geld. Ich werde mich engagieren, will helfen!
Wut stieg in ihm auf. Die Helfershelfer der Glenconan AG gingen über Leichen. Ihm wurde bewusst, wie sehr er diesem Frederic Fowler Knüppel zwischen die Beine geworfen hatte.
In diesem Moment kam ein junger Mann mit schulterlangen Haaren an den Tisch und flüsterte dem Älteren Informationen zu. Dessen Gesicht nahm einen glücklichen Ausdruck an.
„Entschuldigen Sie bitte, aber ich habe gerade die beste Nachricht der letzten Wochen erhalten. Der Sohn von Littlefoot, unserem Anführer, ist gesund zurückgekehrt …“
Marc schaute ihn fragend an. Sprach er etwa gerade von Ahmik? Freude stieg in ihm auf.
„Ein Freund von mir wurde kurz in dem, wie heißt es nochmal, 'Taranto Hospital …“
„Nein, nein, Sie meinen das Stanton Territorial Hospital.“
„Ja, genau. Da haben sie von einer jungen Frau erzählt, die wohl auf abenteuerliche Weise gerettet wurde.“
Beide 'Dene' lachten. Der jüngere ergriff das Wort.
„Ja, das ist meine zukünftige Frau. Shonessi, sie ist die Tochter von Littlefoot und sie ist die schönste First Nation Frau in ganz Kanada.“
Es traf Marc, als ob eine Lanze durch sein Herz gebohrt worden wäre. Nur mit äußerster Beherrschung konnte er diese Aussage überspielen. Er setzte alles auf eine Karte. Wenn, dann lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
„Das hat man mir auch gesagt. Sie muss sehr schön sein. Sind denn beide hier?“
Freudig nickte der ältere. Der Jüngere war bereits auf dem Weg in einen der hinteren Räume.
„Warum nicht? Kommen Sie einfach mit. Wie hatten Sie sich denn ihr Engagement vorgestellt?“
„Ich bin die nächsten Wochen noch hier in Yellowknife. Sie können über mich verfügen. Solchen Konzernen muss Einhalt geboten werden!“
Bevor sie sich jedoch auf den Weg machten, verwickelte Marc sein Gegenüber nochmals in ein Gespräch über die Glenconan AG.
Zur gleichen Zeit in einem anderen Raum. Littlefoot hatte soeben mit mehreren Stammesvertretern den Raum verlassen. Zurück blieben allein Ahmik und Shonessi.
„Was ist mit Lakota?“
Keine Antwort, nur betretenes Schweigen von Shonessi, die verzweifelt den Boden nach einem Ausweg absuchte. Ahmik hatte die Frage ernst und schneidend gestellt, zumal Littlefoot die Hochzeit seiner Tochter verkündet hatte. Anfangs konnte er Marc nicht ausstehen, hatte ihn aber dann am South Nahanni schätzen gelernt. Marc, den seine Schwester Lakota nannte, stand zu dem, was er sagte und handelte danach. Er musste erkennen, dass Shonessi bei ihm immer an erster Stelle kam. Zudem war er sehr zurückhaltend und interessierte sich für die Belange der kanadischen Ureinwohner.
Er packte Shonessi am Arm, „hat er dich verlassen?“
Sie schüttelte den Kopf, sprach aber immer noch kein Wort.
„Hast du ihn verlassen? Rede endlich. Willst du tatsächlich diesen … diesen Möchtegern-Krieger Machk heiraten? Ich dachte immer, du liebst Lakota, du hast ihm den Namen gegeben. Er hat diesen Namen als Ehre verstanden, war stolz. Ist denn deine große Begeisterung schon wieder verflogen? So wie immer? …“, er wurde sehr laut, „das hat er nicht verdient!“
Shonessi blickte Ahmik wie ein weidwundes Tier an. Es platzte aus ihr heraus. Sie schrie ihren Bruder an.
„Du hast ja keine Ahnung. Mein Vater wollte mich verstoßen. Du warst nicht da, Lakota auch nicht. Wenn ich nicht loslasse, passiert Lakota etwas. Wenn er sich hier blicken lässt, kann er für nichts garantieren … Es stimmt, ich liebe Lakota, jeden Tag mehr. Was hätte ich denn machen sollen. Ich weiß nicht mehr weiter, ich kann nicht mehr.“
Sie wurde immer leiser, ihre letzten Worte waren nur noch ein Wimmern. Ahmik nahm sie in den Arm, drückte ihren bebenden Körper fest an sich und streichelte ihre Haare.
„Du liebst ihn, dann steh dazu. Es ist dein Leben, nicht das deines Vaters. Shonessi, ich helfe dir, habe Mut.“
Sie war verzweifelt: „Vielleicht ist er schon weg, es ist über zwei Wochen her, als wir uns zuletzt gesehen haben. Ich habe auch nichts von ihm gehört.“
In diesem Augenblick betrat ihr versprochener Mann den Raum, stellte sich in Pose. „Ich habe da draußen einen neuen Interessenten und Unterstützer für uns gewonnen. Er kommt gleich.“
Marc folgte seinem Begleiter dicht auf. Er war verdeckt, als sie den Raum betraten. Marc erkannte sofort Shonessi, erschrak, als er ihre verweinten Augen sah. Am liebsten wäre er sofort losgestürmt. Doch er wollte unbedingt Ahmiks Reaktion abwarten, den er ebenfalls sofort erkannte. Es dauerte einige Sekunden, über Ahmiks Gesicht flog der Hauch eines Lächelns. Das reichte Marc, er trat aus dem Schatten seines Vordermannes. Shonessi war im ersten Augenblick unfähig zu reagieren. Ihr Gesicht hellte sich auf, dann gellte ein Aufschrei durch den Raum.
„Lakota!“
Es gab kein Halten mehr, sie flog Marc förmlich in die Arme, ließ ihren zugedachten Mann ohne ihn zu beachten links liegen. Marc hatte seine Arme weit ausgebreitet, fing sie auf.
„Lakota, nimm mich … wenn du noch willst. Ich bleibe bei dir, ich gehe mit dir, ich …“
„Shonessi, alles was du willst. Ich habe es nicht mehr ausgehalten, wollte schon mit Gerry und Susanne nach Deutschland zurückfliegen, nur Gerry hat mich davon abgehalten. Deswegen bin ich heute in die Höhle des Löwen gegangen. Ich bin auch bereit mit dir, mit Ahmik und euch zu kämpfen … Ich liebe dich!“
„Wer bist du?“
Der Ältere war völlig unschlüssig, wie er reagieren sollte. Machk jedoch hatte sich wieder gefangen, fasste Marc an die Schulter und drehte ihn zu sich. Niemals könnte er Shonessi gehen lassen, verlöre sein Gesicht. Plötzlich hielt er ein großes Jagdmesser in der Hand. Bevor er jedoch auf Marc losgehen konnte, hatte sich Shonessi schützend vor diesen gestellt.
Es kam nicht zum Äußersten. Ahmik entwaffnete mit zwei Griffen Machk, warf das Messer in eine Ecke und stieß ihn in die andere mit einer solchen Wucht, dass ein Stuhl dabei zu Bruch ging. Ahmik sah sich um, der zweite hatte den Raum verlassen.
Nach einigen Minuten betraten Littlefoot und einige andere den Raum. Marc hielt seinen Arm um Shonessi, sie hatte ihren um seine Hüfte gelegt, das zeigte allen: seht her, wir beide gehören zusammen. Machk war aus seiner Ecke gekrochen, versteckte sich halb hinter Littlefoot.
Littlefoot war eine Führungspersönlichkeit, wie man ihn sich nicht besser vorstellen konnte: ein Bär von einem Mann, eine hohe Stirn, die schwarzen Haare in zwei langen Zöpfen geflochten, eine doppelte Kette um den Hals und ein respektheischender Anblick ließen jeden klein werden. Er war sich seiner Wirkung wohl bewusst, ging direkt zu Shonessi.
Diese klammerte sich nun noch fester an Marc. Mit einer Kopfbewegung, die keinen Widerspruch duldete, wies er Shonessi an, Marc sofort loszulassen.
Ein leises „nein“ war alles an verbalem Widerstand, zugleich umfasste sie mit dem zweiten Arm ebenfalls noch Marc.
Eine tiefe Stimme, gesprochen in Worten in einer für Marc unverständlichen Sprache ließ Shonessi zusammenzucken. Sie schüttelte den Kopf, Tränen. Dann wurde Littlefoot handgreiflich. Nur – er hatte nicht mit dem Widerstand von Marc gerechnet. Er griff sie an den Haaren, sie schrie laut auf. Ohne an die Folgen zu denken, schlug Marc zu. Ein klassischer Kinnhaken setzte Littlefoot außer Gefecht.
Nur kurz währte die Schockstarre der übrigen. Marc und Shonessi wurden an die Wand gedrängt. In diesem Augenblick schob sich Machk nach vorne. Im hinteren Bereich stand Ahmik mit verschränkten Armen. Mit stoischer Ruhe beobachtete er alles, mischte sich erst jetzt mit lauter Stimme ein.
„Aufhören, alle! Jeder, der seine Hand erhebt, bekommt es mit mir zu tun … Das hier ist Lakota!“, zeigte dabei auf Marc, setzte einen Moment aus. „Ihr wundert euch sicher über seinen Namen, er ist einer von uns. Jeder von euch kennt die Bedeutung. Dieser Mann hier hat Shonessi das Leben gerettet, auch mir. Wartet!“
Littlefoot wurde wach, hielt sich das Kinn, wollte soeben auf Marc losgehen.
„Vater, das gilt auch für dich. Nochmal, keiner erhebt hier die Hand gegen diese beiden. Auch du nicht! Du wirst mir jetzt zuhören: Shonessi wird Machk nicht heiraten! Shonessi, sprich bitte selbst für dich und Lakota.“
Shonessi löste sich von Marc, trat einen Schritt vor. Nicht mehr das kleine verschüchterte Mädchen stand vor dem großen Littlefoot, sie war von der Körpergröße zwei Köpfe kleiner. Ahmik dagegen nahm seine Stellung neben Marc ein, lächelte ihn aufmunternd an. Shonessi blickte ihren Vater herausfordernd an. Ihre klare helle Stimme ließ alles Gemurmel im Raum verstummen.
„Vater, ich werde Machk niemals heiraten! Wenn einen Mann, dann nur Lakota. Solltest du weiterhin gegen uns sein“, sie machte eine kurze Pause, „dann wird es keine Tochter mehr für dich geben.“
Durchdringend blickte sie ihren Vater an, verschränkte ihre Arme und sprach kein Wort mehr. Schweigend vernahm Littlefoot ihre Worte, auch Ahmik verzog keine Miene.
„Ist das auch deine Meinung?“
Ahmik nickte, wiederum ohne jegliche Regung. Ein tiefes Brummen war die Antwort, ein verächtlicher Blick traf Bruder und Schwester. Littlefoot drehte sich um, winkte seinen Begleitern zu und verließ wortlos den Raum. Mit ernstem Gesicht wandte sich Ahmik an Marc.
„Lakota. Ich will nur eines wissen, du hast gesagt, du würdest mit uns kämpfen. Bleibst du hier in Kanada, hier bei Shonessi?“
„Ja, in Deutschland hält mich nichts mehr. Wenn ihr beide es wollt, dann bleibe ich!“
Jetzt wollte Shonessi es genau wissen.
„Und deine Familie? Willst du sie alle verlassen? … Das hältst du nicht lange durch.“
Marc fasste sie an beide Schultern.
„Auf mich wartet niemand. Meine Eltern sind tot. Geschwister habe ich keine und Gerry, mit ihm werde ich den Kontakt halten. Hartmut ist wahrscheinlich auch tot. Ich habe ihn in dem Hubschrauber gesehen, der beim 'Gate' abstürzte.“
„Er war in der Maschine?“, Ahmik überraschte diese Aussage von Marc doch sehr, „dann hat es ja doch die Richtigen erwischt. Woher wusstest du …“
„Ich habe seine hässliche Fratze grinsen sehen. Ich dachte schon: aus, das war´s. Ich verstehe bis heute nicht, warum er sich dermaßen auf Shonessi eingeschossen hat. Sie hat ihm nie auch nur den kleinsten Anlass gegeben, im Gegenteil. Dieser blanke Hass, ich habe ihn in seinen Augen gesehen. Und wir waren mal die besten Freunde“, verständnislos schüttelte Marc den Kopf, „wir wären niemals ans Ufer gekommen. Aber dann ist der Vogel einfach in den Berghang gekracht. Mich würde mal interessieren, warum?“
„Ihr hattet eben einen Geist, der euch beschützt hat …“
„… und der hieß Ahmik, oder täusche ich mich jetzt?“ Sanft lächelte Shonessi Ahmik an, blinzelte Marc zu. Der konnte nur noch staunen.
„Du? Du hattest keine Waffen, wie sollte das denn gehen?“
„Lieber Lakota, schon vergessen? Er ist ein waschechter Häuptlingssohn, er kann improvisieren. Habe ich nicht Recht?“
„Okay, ich habe euch zwei beschützt. Aber du weißt, Shonessi, meine kleine Schwester habe ich immer beschützt.“
Marc wollte sich schon äußern, nur Ahmik stellte selbstverständlich fest, „und das wird auch so bleiben. Lakota, da hast du keine Chance.“
Marc verzog sein Gesicht, Shonessi nahm ihn sofort liebevoll in den Arm.
„Er ist nur mein Bruder, nicht dein Konkurrent. Ihr solltet Freunde werden!“
Marc trat zu Ahmik und reichte ihm die Hand.
„Danke, Ahmik, du hast was gut bei mir. Freunde?“
„Okay, Freunde.“
Beide umarmten sich herzlich und holten schließlich noch Shonessi mit hinzu.
„Wie hast du das nun gemacht? Mit dem Hubschrauber.“
„Das bleibt mein Geheimnis, zumindest vorerst.“
„Gut, dann soll es so sein.“