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4. Kapitel


Drei Monate später.

Tim hob erschrocken den Kopf. Er sprang vom Sofa auf, rannte zur Eingangstür und riss sie auf.

„Papa? Paapaa!“, rief er in den Abend hinaus. Enttäuscht schob er die Eingangstür mit beiden Händen wieder zu. Er ging mit gesenktem Kopf zurück ins Wohnzimmer, setzte sich wieder zu seiner Mutter, die mit ihrem Gipsbein und dem Gestell für die zertrümmerte Schulter nicht so schnell reagieren konnte, um ihn festzuhalten. Er schaute sie an und fing an zu weinen. Nicole zerriss es fast das Herz und auch ihr stiegen sofort die Tränen in die Augen.

„Mama ich weiß, ... aber ich wünsche es mir so doll und vergesse es immer wieder, dass Papa nicht mehr wiederkommt“, schniefte Tim und wischte sich mit seinen kleinen Händen über das tränenverschmierte Gesicht.

„Tim es ist nicht schlimm. Wenn du möchtest, können wir Papa morgen auf dem Friedhof besuchen, wir können ihm erzählen, dass Mama wieder zu Hause ist. Wenn du willst, kannst du auch mit ihm allein reden“, tröstete Nicole ihn, zog ihn zu sich heran und weinte mit ihm. Gemeinsam trauerten sie um Thomas, den geliebten Papa und Ehemann.

Nach etwa eineinhalb Jahren gehörte der Besuch auf dem Friedhof immer noch zu ihren regelmäßigen Gepflogenheiten, aber die Abstände wurden immer länger. Besonders bei Tim merkte Nicole, dass er die Trauer gut bewältigt hatte. Wenn Tim seine Erlebnisse bei Oma und Opa erzählte, egal ob sie traurig, lustig oder spannend waren, wurde wie selbstverständlich auch Thomas erwähnt.

Nicole fiel es schwerer, eine gewisse Normalität in ihr Leben einziehen zu lassen, war aber immer stets bemüht, es sich nicht anmerken zu lassen. Auf keinen Fall wollte sie Tim damit belasten. Sie war einsam, Besuche bei Freunden vermied sie, weil sie die guten Ratschläge nicht mehr hören konnte.

Die Werbeagentur, die sie nach dem schrecklichen Autounfall mit einer Angestellten weiterführte, war die einzige Abwechslung. Hier konnte sie freier leben, hier empfand sie einen gewissen Seelentrost. Immer wenn sie durch die Tür im Erdgeschoss in ihr Büro ging, hatte sie das Gefühl, als wenn ihr die Last der Trauer von den Schultern genommen wurde. Hier glaubte sie, wieder alles kontrollieren zu können.

Barbara, ihre Angestellte hatte Nicole nach ihren Bedürfnissen ausgesucht. Sie hatte fachlich einige Defizite, die Nicole jedoch ausgleichen konnte. Sie waren sich bereits beim Vorstellungsgespräch auf Anhieb sympathisch und sie hatten so etwas wie einen Draht zueinander. Nicole teilte gleich zu Beginn die Arbeitsbereiche ein, sie selbst kümmerte sich um die Kundenbetreuung und Barbara übernahm alle anfallenden Büroarbeiten.

Barbara war zweiundfünfzig Jahre alt, etwas pummelig und hatte ziemlich viel Lebenserfahrung gesammelt. Die grauen Haare, die sie mit Würde und einem flotten Kurzhaarschnitt trug, verlieh ihr Authentizität. Ihre zwei Kinder waren erwachsen und nicht mehr zu Hause und ihr Ehemann war Fernfahrer. Demzufolge war sie oft allein und nicht auf einen regelmäßigen pünktlichen Feierabend angewiesen.

Schnell gingen sie zu dem vertrauten du über und hielten oft einen Plausch über Gott und die Welt. Barbara war es auch, die Nicole überzeugte, dass dieses Leben noch mehr für sie zu bieten hatte, als nur grenzenlose Trauer und Einsamkeit.

„Nicole, willst du dich dein ganzes restliches Leben verkriechen? Ich kannte deinen verstorbenen Mann nicht, aber wenn er ein guter Mann war, hätte er nicht gewollt, dass du in deiner Einsamkeit ertrinkst. Außerdem, dein Tim braucht auch ein männliches Vorbild, woran er sich orientieren kann. Versuche es, um deinetwillen, aber auch Tim zuliebe. Mach kleine Schritte, ein Restaurantbesuch wäre ein Anfang“, riet Barbara ihr.

Zuckersüße Liebe

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